Protocol of the Session on May 18, 2006

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Staat wird wesentlich durch seine Verfassung bestimmt. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich ein Grundgesetz gegeben, das wesentliche Grundlagen für das Zusammenleben der Einwohner/-innen festschreibt. Das Grundgesetz hat Grenzen aufgegeben, damit wir frei leben können, aber auch Aufgaben und Ziele, mit denen es unsere Freiheiten unterstützt. Es gibt Staatsziele wie soziale Gerechtigkeit, Schutz der Umwelt oder Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Aber was ist mit Kultur? Noch fehlt sie im Grundgesetz. Das wollen viele ändern. Politiker und

Politikerinnen aller demokratischen Parteien, die EnqueteKommission „Kultur in Deutschland“ und natürlich die kulturell Engagierten und Kultur schaffend Tätigen und deren Organisationen und Verbände, sie alle wollen ein Staatsziel Kultur. Was aber soll und kann es im Einzelnen bewirken? Muss man dann Kultur neu definieren?

Meine Damen und Herren! Zweimal schon wurde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Frage der Erwähnung von Kultur im Grundgesetz in politischer Entscheidungsnähe erörtert: 1981 bis 1983 durch eine „Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/ Gesetzgebungsaufträge“ sowie in den Jahren 1992 bis 1993 im Rahmen einer Verfassungskommission, die Vorschläge für eine im Zuge der Deutschen Einheit angeregte Aktualisierung des Grundgesetzes erarbeiten sollte. Zwar wurden jeweils konkrete Formulierungsvorschläge zur Festschreibung eines Kulturstaatszieles angeboten, diese jedoch nicht übernommen.

Vor dem Hintergrund der europäischen Integration der

Globalisierungsprozesse und den schon gestern dargelegten Grundsätzen des Europäischen Parlaments zu Fragen der Kultur beschloss der Bundestag im Jahr 2003 die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. Sie sollte eine Grundlage dafür erarbeiten, den gesellschaftlichen Wandel kulturpolitisch sinnvoll zu begleiten und zu gestalten, und dies tat sie parteiübergreifend auch. Einstimmig kamen die Kommissionsmitglieder zu der Auffassung, das Staatsziel „Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ als Artikel 20 b in das Grundgesetz aufzunehmen.

Im Wahlkampf zur Bundestagswahl im Herbst 2005 hatten sich dieses Ziel auch alle auf die Fahnen geschrieben. Seit der Neuwahl des Bundestages ist jedoch eine entsprechende fraktionsübergreifende Initiative nicht in greifbarer Nähe. Die CDU wie auch die SPD wollen zunächst die Ergebnisse der Anhörung zum Föderalismus im Bundestag abwarten und das Thema dann in der Enquete-Kommission erneut diskutieren. Sie bräuchten noch Zeit, um für Mehrheiten in ihren Parteien zu werben. Hintergrund sind die Widerstände in einzelnen Bundesländern, die ihre Kulturhoheit bedroht sehen. In dieser Situation hat sich das Kulturforum der Sozialdemokratie mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit gewandt, die Bestrebungen für ein Staatsziel Kultur zu unterstützen. Das trifft sich mit den Intentionen der Linkspartei.PDS und auch deshalb der vorliegende Antrag. Damit wollen wir den Meinungsbildungsprozess der Bundesebene auch durch den Landtag Mecklenburg-Vorpommern unterstützend befördern.

Meine Damen und Herren! Führende Staatsrechtler der Bundesrepublik haben im Zuge der Beratungen der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ betont, dass eine Staatszielbestimmung Kultur föderalismusneutral ist. Sicher führte auch diese Bewertung zu der schon dargestellten Entscheidung der Enquete-Kommission. Umso weniger ist der jetzt eingetretene Abwartezustand zu verstehen.

Warum aber ein Staatsziel Kultur? Die gesellschaftliche Entwicklung wird wesentlich von Kultur getragen. Die Erscheinungsformen von Kultur sowie die von ihr wahrgenommenen Funktionen sind unmittelbar mit den Entwicklungen des Gemeinwesens verbunden. Auf allen Ebenen der Gesellschaft bietet sie den Einwohnerinnen und Einwohnern ein Forum zur Entwicklung von Gemeinsinn, für

Integration und Verständigung über demokratisches Verhalten. In einer sich entwickelnden Bürgergesellschaft ist Kultur bereit, in noch größerem Umfang Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, generationsübergreifend.

(Beifall Frank Ronald Lohse, SPD: Das stimmt.)

Diese Bedeutung sollte sich im Grundgesetz einfach widerspiegeln.

Die Enquete-Kommission verwies in diesem Zusammenhang auch darauf, dass das Europäische Verfassungsrecht einen Kulturartikel mit dem Artikel 151 des Vertrages enthält. Im Grundgesetz gibt es bereits Staatszielbestimmungen, die die materiellen Bedingungen menschlicher Existenz abdecken. Für die geistigen, ideellen Dimensionen menschlichen Daseins, so die EnqueteKommission, fehle eine entsprechende Bestimmung, was zu einer verfassungsmäßigen Lücke führe, eine ausdrückliche Formulierung zum Schutz und zur Förderung der Kultur. Als Definition wurde von der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ die grundsätzliche Umschreibung der von der Bundesregierung 1981 eingesetzten Sachverständigenkommission als zutreffend angesehen, die Folgendes formulierte: „Staatszielbestimmungen sind von dem Begriff des Gesetzgebungsauftrags, der sich allein an den Gesetzgeber richtet, von Programmsätzen mit bloßen Anregungen an den Gesetzgeber, in bestimmten Gebieten tätig zu werden, und von Grundrechten, die einklagbare, individuelle Rechtspositionen schaffen, zu unterscheiden.“

Die Kommission leistete auch auf dieser Grundlage eine umfangreiche und umfassende Arbeit. So befasste sie sich mit Modellen möglicher Verfassungsänderungen, nahm eine Bestandsaufnahme des Kulturverfassungsrechts von Bund, Ländern und der EU vor, wog Argumente pro und contra ab, befasste sich mit der Frage der Justiz und kam letztlich zur Befürwortung einer Staatszielbestimmung als Kulturgestaltungsauftrag und zum Formulierungsvorschlag, der da lautet: „Der Staat schützt und fördert die Kultur.“

Aber wer oder was ist nun eigentlich mit dieser Kultur, um die es als Staatsziel gehen soll, gemeint? Bodo Pieroth schreibt: „Doch ist anerkannt, dass Kultur als Rechtsbegriff Tätigkeiten und Gegenstände geistig schöpferischer Arbeit umfasst. Sicher dazu gehören Wissenschaft, (Aus-) Bildung und Kunst. Diese Begriffe werfen ähnliche Bedenken bezüglich ihrer Bestimmtheit auf, die sich aber dadurch erledigen, dass wir diese Begriffe im geltenden Verfassungsrecht vorfinden und sie anwenden müssen; Rechtsarbeit ist immer Grenzziehung.“

Meine Damen und Herren! Niemand der Befürworter/-innen eines Kulturpassus im Grundgesetz erwartet, dass plötzlich paradiesische Zustände für die Kultur geschaffen werden könnten. Damit kann weder Geld, das bisher fehlt, herbeigezaubert werden, noch kann eine Kommune davon abgehalten werden, statt eines Festivals für zeitgenössische Musik lieber Kita-Plätze zu finanzieren. Es wird auch kein Individualanspruch auf Kulturförderung entstehen.

Der CDU-Abgeordneten Gitta Connemann, die Vorsitzende der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ war, ist aber zuzustimmen, wenn sie mit „der Aufnahme dieser Formulierung im Grundgesetz die Erwartung“ verbindet, „dass mit der Verankerung ein Auslegungs- und

Anwendungsmaßstab für Gerichte und Verwaltungen gegeben wird, der sich positiv auf den Erhalt und die Weiterentwicklung unserer Kulturlandschaft auswirkt.“

Der Sachverständige in der Enquete-Kommission Oliver Scheytt, Beigeordneter der Stadt Essen für Kultur, Jugend und Sport, erwartet Erleichterungen bei Haushaltsverhandlungen, wenn auf ein Grundgesetz verwiesen werden könnte, aus dem sich auch ein Gestaltungsauftrag im Kulturbereich ergäbe.

Selbst die FDP, die sonst dem Staat gern straffe Zügel anlegen möchte, plädiert für eine solche Grundgesetzänderung.

(Beifall Konrad Döring, Die Linkspartei.PDS, und Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS)

In einer Zeit, in der Kultur sich als globales Thema und auch als Konfliktstoff erweist, hält es die Fraktion der Linkspartei.PDS für sehr wichtig, sich zum Staatsziel Kultur zu bekennen. Das gilt insbesondere unter Beachtung der Gefahren, die der Kulturlandschaft in Deutschland drohen, zum Beispiel durch Forderungen nach immer höherer Effizienz von Kultur und Kunst. Das meine ich nicht nur in haushalterischem Sinne, sondern wegen des Infragestellens von Kultur überhaupt angesichts einer aggressiv operierenden globalen Unterhaltungs- und Werbeindustrie, die die totale Sinnfreiheit feiert und sonst gar nichts. Es geht uns also auch um eine Stärkung des Gewichts der Kultur in Konkurrenz mit anderen mächtigen Interessen.

In fast allen Bundesländern ist die Förderung von Kunst und Kultur schon eine staatliche Aufgabe von Verfassungsrang, so auch in Mecklenburg-Vorpommern. Die geforderte Ergänzung des Grundgesetzes greift in diesen kulturellen Auftrag nicht ein, sondern stützt ihn. Deshalb bitte ich Sie, diesen Antrag zu unterstützen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS, Reinhard Dankert, SPD, und Frank Ronald Lohse, SPD)

Danke schön, Frau Schmidt.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Als Erster hat das Wort für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Caffier. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! „Jeder Staat hat eine kulturpolitische Verantwortung.“ stellt der Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert, ein ausgewiesener und über Parteigrenzen hinweg anerkannter Kulturpolitiker, in einer viel beachteten Publikation zur Kulturpolitik fest.

Wir wollen heute trefflich darüber diskutieren, ob dieser Grundsatz, den die Linkspartei.PDS im Grundgesetz verankert sehen will, so dort als Staatsziel aufgenommen werden muss. Norbert Lammert lässt diese Frage offen. Sie ist für die Mehrheit meiner Fraktion und für mich persönlich auch in der Tat offen, denn, so stellt er auch fest, die Behauptung der Kulturhoheit der Länder im Rahmen unseres föderalen Systems sieht derzeit eine solche grundgesetzliche Verankerung in einer anderen Wechsel

wirkung. Und dabei hat die Kulturhoheit der Länder bereits einen verfassungsrechtlich anerkannten Stellenwert. Ja, die Verankerung des Staatsziels Kultur hat eine weitaus größere Bedeutung für die Verfasstheit der Bundesrepublik, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag.

(Frank Ronald Lohse, SPD: Das stimmt.)

Ich stelle diesen Antrag in eine Reihe mit der Aktuellen Stunden im vergangenen Landtag, in der es um die Föderalismusreform ging. Dieser Antrag ist zu sehen mit der hier ebenso vorliegenden Entschließung zur Föderalismusreform und dieser Antrag steht für mich auch in einer Reihe mit den ausgeprägten Zentralismusbemühungen mit dem ausgeprägten Wunsch zur Aufhebung des föderalen Systems der Bundesrepublik, die vehement von der ganz linken Seite dieses Parlaments betrieben werden. Um hier auch keinem Etikettenschwindel auf den Leim zu gehen, ist für die CDU in der Chronologie der zur Abstimmung stehenden Beschlüsse eine Ablehnung dieses Antrages nur konsequent. Wir stehen ohne Wenn und Aber zur Kulturhoheit der Länder und das schließt ausdrücklich nicht die kulturpolitische Verantwortung des Bundes aus. Ja, mir ist bewusst, dass sich im Bundestag die kulturpolitischen Sprecher auf einen solchen Weg weitgehend geeinigt haben, ohne dass hier abschließende Entscheidungen in den Fraktionen gefallen sind.

(Zuruf von Karin Schmidt, Die Linkspartei.PDS)

Im gesamten Kontext der Föderalismusdebatte und im Verhalten unseres Bundeslandes können und wollen wir als CDU nicht der Steigbügelhalter für die Preisgabe unseres Bundeslandes und der Identität sein. Diese Identität, diese Kultur als Mecklenburg und Vorpommern, sehr geehrte Damen und Herren, wurde bis 1989 ganz und bis heute natürlich aus der Länge der Zeit auch nachwirkend durch Ihre Vorgänger, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, zumindest stark ideologisiert und eingeschränkt, um nicht andere unparlamentarische Worte für diese – in Anführungsstrichen – Kulturrevolution zwischen 1949 und 1989 zu gebrauchen.

(Zuruf von Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)

Ja, auch in diesem Kontext ist eine solche Forderung zu betrachten, denn wir sind nach unserer Meinung erst auf dem Weg, unsere Identitäten neu zu definieren,

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Oh, wir hatten eine erfolgreiche Kulturlandschaft.)

die Geschichte, vor allem die regionale Geschichte, aufzuarbeiten und darüber regionale Identitäten neu zu beleben und zu festigen. Und weil wir diese Auffassung haben, bleiben wir dabei: Wir lehnen Ihren Antrag ab. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Aber eine Große Anfrage zur kulturellen Identität stellen! – Zuruf von Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)

Danke schön, Herr Caffier.

Einen Moment, Herr Caffier, es gibt eine Frage der Abgeordneten Frau Schmidt. Wollen Sie die noch beantworten? – Nein.

(Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS: Ach, feige ist er auch noch!)

Frau Gramkow, das ist ein unparlamentarisches Wort.

(Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: Sie hat es nicht so gemeint. Für solche Zwecke muss man so eine kleine Flasche „Kleiner Feigling“ in der Tasche haben!)

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Lohse. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn auch die Vielzahl der Kollegen wahrscheinlich die Zeit nutzt, um den Stoffwechsel aufrecht zu erhalten, also essen zu gehen,

(Zuruf von Karin Schmidt, Die Linkspartei.PDS)

vielleicht sogar kulturvoll zu essen, möchte ich die Gelegenheit nutzen.

Es wäre unfair, Herrn Petters,

(Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Er hat zwar die Jacke von Herrn Petters an, aber... – Zuruf aus dem Plenum: Das stimmt. – Heiterkeit bei Angelika Gramkow, Die Linkspartei.PDS)

Entschuldigung, Herrn Caffier zu unterstellen, er würde in seiner Argumentation nicht redlich verfahren. Das wäre wirklich zu unfair. Er ist übrigens dankenswerterweise eingesprungen, weil der Sohn von Frau Fiedler-Wilhelm, die dieses Thema sicherlich in bewährter Form hier vorgetragen hätte,

(Zuruf von Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)