Protocol of the Session on October 13, 2004

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete der SPD-Fraktion Herr Brodkorb.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, wir veranstalten hier heute so etwas wie den kleinen Bundesparteitag der CDU.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Reinhard Dankert, SPD: Aber mit Gastrednern!)

Herr Renz und Herr Rehberg, Sie werden vermutlich mit diesem Leitantrag heute auf diesem Bundesparteitag keine Mehrheit finden und das hat auch gute Gründe.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir über die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts reden, steht immer sehr schnell der Komplex Hochschule im Vordergrund. Und Herr Renz hat ja zum Schluss seiner Rede noch einmal bestätigt, dass es ein wesentlicher Bereich ist. Herr Rehberg hat sich in den letzten Tagen durch entsprechende Äußerungen zur Hochschulautonomie in die Öffentlichkeit gewagt. Wenn man das alles so durchdenkt und sich die Konsequenzen vor Augen führt, jedenfalls ging es mir so, muss man sich, glaube ich, schon die Frage stellen, wozu wir hier eigentlich noch sitzen. Die Botschaft war ungefähr: Die Hochschulen können für sich und das Land schon ganz alleine entscheiden, was vernünftig und gut ist. Wir sollten ihnen die maximalen Freiheiten gewähren. Aber dann würde unsere Arbeit nur noch darin bestehen, ihnen das Geld zu überweisen. Nur, meine Damen und Herren, dann könnten wir auch einen Zentralrechner aufstellen und ein Computerprogramm einspeisen, das regelmäßig die Geldsummen zuweist, und wir könnten nach Hause gehen und uns anständige Jobs suchen.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS – Heiterkeit bei Rainer Prachtl, CDU – Reinhard Dankert, SPD: Was soll denn das jetzt heißen?!)

So muss man es wohl verstehen, wenn man eine vollständige Hochschulautonomie verkündet,

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

die im Prinzip beinhaltet, die Hochschulen machen im Wesentlichen, was sie wollen, dass dieser Job hier natürlich nicht mehr besonders sinnvoll ist.

Meine Damen und Herren, das, was die CDU hier unter Hochschulautonomie versteht, hat nichts mit Hochschulautonomie zu tun, sondern es ist das Ende der Hochschulpolitik. Insofern gehen die Sozialdemokraten und ich, auch die PDS, durchaus von einem anderen Begriff von Hochschulautonomie aus, der aus zwei Teilen besteht:

Hochschulautonomie bedeutet für uns auf der einen Seite, dass die Hochschulen ein Maximum an Freiheit und ein Minimum an Bürokratie erhalten, um ihre internen Organisationsangelegenheiten zu regeln und sich um die Wissenschaft zu kümmern. Aber es bleibt bei der Hochschulautonomie auch die Aufgabe der Landespolitik, übergeordnete Rahmendaten und Grundsatzentscheidungen zu begleiten und selbst herbeizuführen. Und was das Interessante daran ist, die Hochschullandschaft sieht das auch selbst so. Am 22. Januar 2004 fand hier in diesem Raum eine Anhörung der Hochschulen statt. Einer der Rektoren hat die Landesebene ausdrücklich aufgefordert, eine langfristige Hochschulplanung vorzulegen. Er hat die Landespolitik aufgefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden

(Zuruf von Dr. Gerhard Bartels, fraktionslos)

und insbesondere die Rahmenbedingungen für Strukturentscheidungen zu schaffen.

Ich erhalte in letzter Zeit viele Briefe von Professoren. Ich darf Ihnen einmal zu diesem Thema aus einem Brief zweier Professoren dieses Landes an meine Person vorlesen: „Wir stimmen Ihnen zu, dass es vorrangig die Aufgabe der Politik ist, die Rahmenbedingungen festzulegen.“ Es geht natürlich um das Thema Hochschulautonomie. „Hoffentlich werden bald die notwendigen Entscheidungen getroffen, auf die Sie ausdrücklich hinweisen.“ Es geht also um grundsätzliche Strukturentscheidungen.

Meine Damen und Herren, demnach kann man feststellen, dass selbst die Hochschulvertreter der Auffassung von der Hochschulautonomie folgen, die die Koalitionsparteien vertreten, und insofern kann ja alles gut werden.

(Zuruf von Dr. Gerhard Bartels, fraktionslos)

Wenn man sich jetzt aber einmal den Antrag der CDU ansieht, und das möchte ich hiermit in zwei Punkten tun, dann ist schon etwas auffällig. Vielleicht haben Sie ein gewisses Verständnis dafür, an einer Stelle musste ich mich wirklich schlapplachen: Das ist der Absatz, in dem dafür plädiert wird, dass die Bundesebene ein Forschungsund Innovationsprogramm auflegt, Herr Renz hat es ja eben noch einmal angesprochen, finanziert aus dem Subventionsabbau. Da bin ich fast vom Stuhl gefallen.

(Torsten Renz, CDU: Wären Sie mal vom Stuhl gefallen!)

Jetzt frage ich mich, welche Partei ist es, die seit Jahren im Bundesrat den Abbau von Subventionen torpediert und eine Erhöhung der Mittel für Wissenschaft und Forschung dadurch verhindert?

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD – Reinhard Dankert, SPD: Ja.)

Welche Partei ist das?

Sie haben jetzt Gelegenheit, Herr Renz und Herr Rehberg, und ich kann Sie nur bitten, sich bei Frau Merkel und Herrn Stoiber zu melden, denn die Bundesregierung schlägt wie Sie vor, die Eigenheimzulage zu reformieren,

(Torsten Renz, CDU: Was ist mit staatlichen Subventionen? Hat die Bundesregierung schon einmal überlegt, Steinkohlesubventionen abzubauen? Das ist der große Batzen.)

um dadurch 6 Milliarden Euro, noch 1 Milliarde mehr als Sie vorschlagen, einzuspielen und dieses Geld in ein entsprechendes Programm zur Förderung und Stärkung von Bildung und Forschung zu investieren.

(Torsten Renz, CDU: Was ist mit den Stein- kohlesubventionen? Das ist der große Batzen.)

Seien Sie bitte konsequent, nehmen Sie Ihren eigenen Leitantrag ernst, unterstützen Sie die gute Arbeit der rotgrünen Bundesregierung und stimmen Sie dieser entsprechenden Reform zu!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Nun kommen wir meines Erachtens zum entscheidenden Punkt:

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Wenn wir über die Wissensgesellschaft sprechen, dann sprechen wir über Hochtechnologie und über Spitzenprodukte. Das hat im Wesentlichen etwas mit Qualifikation zu tun. Und wenn wir uns dies vor Augen halten, bedeutet dies, dass wir ein großes Interesse daran haben müssen, dass wir in Zukunft mehr Akademiker hervorbringen. Wir brauchen mehr Menschen mit einer Ausbildung an der Hochschule. Und wenn man sich einmal im internationalen Vergleich ansieht, wo Deutschland dort steht, dann muss man in der Tat Probleme konstatieren.

Wir haben nur 19,2 Prozent der jungen Altersgeneration, die einen Hochschulabschluss machen, im Ländermittel der OECD sind das 32 Prozent, also deutlich mehr, und in Finnland sind es sogar 45 Prozent. Das heißt, wir

liegen international wirklich erheblich zurück. Und die Frage ist: Woher kommt das? Das kommt daher, dass gleichzeitig die Studienanfängerquoten sehr, sehr gering sind, denn weniger Jugendliche nehmen ein Studium auf. Ich möchte auch die aktuellen Zahlen nennen. In Deutschland sind das 35 Prozent, im Ländermittel 51 und in Finnland sogar 71 Prozent. Bei uns nehmen 35 Prozent der Schüler ein Studium auf, in Finnland sind es 71. So, meine Damen und Herren, und jetzt können wir uns alle fragen, woran das liegt. Es ist ganz einfach, denn studieren kann nur, wer auch eine Hochschulzugangsberechtigung erwirbt, studieren kann nur, wer überhaupt ein Abitur macht.

Und jetzt möchte ich wirklich eine Passage aus Ihrem Leitantrag vorlesen, die ich sehr erhellend fand, wirklich sehr erhellend. Sie sprechen sich in diesem Leitantrag für gleiche Bildungschancen aus. Ich darf zitieren: „Der Zugang zur Bildung und Ausbildung muss allen offen stehen, damit keine Begabung ungenutzt bleibt. Alle müssen ihre Leistungskraft und ihre Talente entfalten können, damit sich in Deutschland wieder mehr Wachstum und Innovationen entwickeln können.“ Und gleichzeitig sprechen Sie sich auch in diesem Leitantrag für die Aufrechterhaltung des gegliederten Schulsystems aus, das massive soziale Ungleichheit und ungerechte Bildungschancen hervorruft.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Ich habe das das letzte Mal vorgetragen, ich kann es gerne noch einmal tun. 76 Prozent der Kinder aus der Oberschicht machen ein Abitur und nur 12 Prozent der Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen.

(Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Das sind die Realitäten! Das gegliederte Schulsystem unterminiert soziale Gerechtigkeit und schafft keine gleichen Lebenschancen für Kinder und Jugendliche.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Und insofern ist Ihr Programm höchst widersprüchlich. Aber nein, ist es nicht, man muss bloß weiterlesen. „Die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland hängt nicht zuletzt von seinen Eliten ab.“

(Heike Polzin, SPD: Und genau darauf ist es ausgerichtet.)

„Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass unsere Eliten in Deutschland attraktive Ausbildungs-, Studienund Arbeitsbedingungen vorfinden, die es ihnen ermöglichen, ihre herausragenden Talente zu entfalten.“ Und genau das ist der Unterschied. Sie wollen die Eliten fördern, wir alle Kinder und Jugendlichen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Genau das ist der Kernpunkt! Und jetzt können wir uns alle noch einmal die Frage stellen – ich habe nicht Geschichte studiert –,

(Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

wer in diesem Land das dreigliedrige Schulsystem eingeführt und die Voraussetzungen für eine zukunftsreiche Wissensgesellschaft in diesem Land blockiert hat. Wer war denn das?

(Gabriele Schulz, PDS: Da fragen wir doch noch mal nach!)

Wer war denn das? Ich kann mich kaum noch erinnern. Das waren Sie, meine Damen und Herren, von der Opposition! Jetzt werden Sie uns entgegenhalten, ja, was haben Sie denn die ganze Zeit gemacht. Wie Sie wissen, haben wir das dreigliedrige Schulsystem aufgehoben. Wir haben mit der Einführung der regionalen Schule einen ersten Schritt gemacht,

(Torsten Renz, CDU: Seit 1994 haben wir SPD- Minister! Seit 1994 haben wir SPD-Minister!)

um zur Zweigliedrigkeit zu kommen, um auch die Bildungschancen von Kindern aus sozial schwachen Familien zu verbessern. Und ich kündige hiermit im Namen der SPD-Fraktion an, wir werden darüber diskutieren, auch diese Zweigliedrigkeit zu beseitigen!

(Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU: Das gibt es nicht!)