Protocol of the Session on March 31, 2004

denn eine Änderung des Grundgesetzes ist an dieser Stelle nicht notwendig. Artikel 87 a Absatz 2 Grundgesetz lautet schlicht und einfach, ich zitiere: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.“ Ausdrücklich zugelassen ist dieser Einsatz in drei Fällen:

1. im Verteidigungs- und Spannungsfall nach Absatz 2

2. bei einem inneren Notstand nach Absatz 3

3. zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall nach Artikel 35 Absatz 2

Das Bundesverfassungsgericht hat einen vierten Fall in den Artikel 24 hineininterpretiert: die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems und auf Beschluss des Bundestages. Wie die aktuellen Debatten im Bundestag allerdings zum Parlamentsinformationsgesetz belegen, soll dieses Prinzip künftig auch weiter ausgehöhlt werden. Die von mir zitierten Regelungen sind also aus Sicht meiner Fraktion ausreichend. CDU und CSU reicht das aber schon lange nicht mehr und Unionsfraktionsvize Schäuble will, ich zitiere: „in großen Krisen, in Konfliktsituationen“ auf die Bundeswehr zurückgreifen. Und wenn derart mit dem Säbel gerasselt wird, muss Herr Thomas natürlich mitrasseln, das sind wir von ihm gewohnt. Dass es aber auch hier im Hohen Hause immer mehr Abgeordnete gibt, die auch mitrasseln wollen, das stimmt mich schon bedenklich, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Heiterkeit bei Norbert Baunach, SPD: Aber nur ganz schwach.)

Dass dabei ein rechtsstaatliches Prinzip – die Trennung der Aufgaben von Polizei und Streitkräften – ausgehöhlt werden soll, das muss ganz einfach abgelehnt werden. Interessant sind dabei die Argumente, die eingesetzt werden. Im Ausland, so ein Argument der Befürworter, nimmt die Bundeswehr Polizeifunktionen im Objektund Personenschutz wahr. Warum sollte sie es dann nicht auch im Inland tun? Die Praxis aber zeigt ein anderes Bild. Es ist erwiesen, dass Militäreinsätze im Ausland den Terror nicht vollständig bändigen und blutige Auseinandersetzungen nicht immer unterbinden können. Die aktuellen Bilder aus dem Kosovo belegen das. Warum sollte das, was im Ausland schon nicht richtig funktio

niert, im Inland funktionieren? Ähnliches gilt auch für das Argument, die Polizei hat keine Mittel gegen ABCWaffen-Angriffe, deshalb muss hier die Bundeswehr eingesetzt werden. Das ist völlig richtig, natürlich hat die Polizei keine Mittel zur ABC-Waffen-Abwehr. Aber, Herr Thomas, niemand wird doch ernsthaft behaupten wollen, dass es das Grundgesetz in einem solchen Falle der Bundeswehr verbieten würde zu handeln. Das anzunehmen ist einfach absurd.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und ich sage: Viel sinnvoller wäre es dagegen, sich ernsthaft für ein weltweites Verbot der Herstellung und des Verkaufs von ABC-Waffen einzusetzen!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Militär gehört in die Kaserne und die Polizei auf die Straße, so ist jedenfalls die Kleiderordnung des Grundgesetzes. Und deshalb ist an diesem Punkt Bundesinnenminister Schily Recht zu geben, der in einer Fernsehsendung vom 14. März dieses Jahres erklärte, ich zitiere: „Ich möchte nicht, dass wir eine Militarisierung unserer Gesellschaft herbeiführen. Ich bin sehr dafür, dass wir eine harte Hand haben gegen Terroristen und auch alle Möglichkeiten des Staates ausschöpfen, um ihnen auf die Spur zu kommen. Und wenn wir ihnen auf die Spur kommen, auch alles an harten Maßnahmen einsetzen, was in einem Rechtsstaat zu Gebote steht.“

(Gesine Skrzepski, CDU: Na, dann zählen Sie mal auf!)

Das ist auch unsere Auffassung, meine sehr verehrten Damen und Herren: Militarisierung der Gesellschaft, nein, Anwendung von strengen Maßnahmen gegen den Terrorismus, ja, aber von Mitteln, die rechtsstaatlich einwandfrei dem Anliegen, dem Kampf gegen den Terrorismus, gerecht werden und Unbeteiligte vor Überwachung und Reglementierung verschonen.

Der Terrorismusexperte Michael Lüders hat Recht, wenn er in der gleichen Fernsehsendung am 14. März erklärt, ich zitiere: „Panzer am Brandenburger Tor sind sicherlich nicht der richtige Weg, denn sie würden niemanden abschrecken. Denn die Terroristen suchen ganz gezielt solche Ziele aus, mit denen die Sicherheitsbehörden nicht gerechnet haben. Der Terror wird ein Phänomen bleiben in den nächsten Jahren, wenn nicht Jahrzehnten.“ Sinnvoller und notwendig ist es also aus unserer Sicht, über die Bekämpfung der Ursachen des internationalen Terrorismus nachzudenken.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD – Torsten Koplin, PDS: Richtig.)

Aber davon, meine sehr verehrten Damen und Herren, liest man im vorliegenden Antrag nichts, da hört man keine Alternativen von Ihnen. Und wenn schon der Antrag nichts taugt, dann ist die Begründung eigentlich der Gipfel. In der Begründung des Antrages liest man von den Kriegen im Irak und in Afghanistan und von Anschlägen in Tschetschenien. Kein Wort liest man aber davon, dass der Krieg gegen den Irak völkerrechtswidrig zustande gekommen ist und die Vorwände und Gründe wie ein Kartenhaus zusammengefallen sind.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Kein Wort liest man davon, dass auch die Regierung der USA diejenigen Kräfte in Afghanistan jahrelang selbst aufgepäppelt hat, die sie heute als Terroristen bekämpft.

(Regine Lück, PDS: Richtig.)

Kein Wort liest man davon, dass der Ex-Geheimdienstmann und heutige russische Präsident und Freund der Bundesrepublik Putin mit stillschweigender Rückendeckung der US-Regierung im Kaukasus einen unerklärten blutigen Krieg führt.

(Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren der CDU, vielleicht befassen Sie sich erst einmal mit diesen Dingen, bevor Sie alle möglichen Dinge von Terrorismus wie eine Perlenkette aneinanderreihen, nur um Ihre Änderungswünsche für das Grundgesetz und die Polizeiausstattung in Mecklenburg-Vorpommern begründen zu können! Die PDS wird Ihren Antrag ablehnen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Danke, Herr Ritter.

Das Wort hat jetzt noch einmal der Abgeordnete Herr Thomas.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist natürlich ein Zeitproblem, aber in allen anderen EU-Ländern ist die „Militarisierung“ der Gesellschaft an der Tagesordnung und das sind auch parlamentarische Demokratien.

Und, Herr Innenminister, BGS/Zoll für die Terrorabwehr mit militärischen Mitteln einzusetzen, da fragen Sie einmal nach, da werden Sie wahrscheinlich ausgelacht. Es ist zwar nicht direkt vergleichbar, aber wenn ich die Argumentation hier höre, das ist genauso wie beim „Sicherheitskonzept Ostsee“. Was habe ich mir hier anhören müssen. Und zum Schluss, nachdem es geknallt hat, haben Sie alles übernommen. Wir müssen verhindern, wir sind in der Pflicht, dass wir nicht nachher noch viel schlimmere Maßnahmen fordern als das, was wir jetzt wollen, denn dann bereiten wir nämlich den Extremisten in Ihrer Argumentation hier weiter den Nährboden.

Im Übrigen, die CDU fordert das nicht erst seit heute, es ist eine langfristige Forderung, die wohl begründet ist. Und der Terrorismus, was die Bedrohung anbelangt, das ist weltweit und das hat mit dem Krieg im Irak nichts zu tun. Nur das sind die Rahmenbedingungen, die man einfach zur Kenntnis nehmen muss. Es ist ein asymmetrischer Krieg und der Einsatz ist eben nicht möglich, da streiten sich wirklich die Gelehrten. Deswegen muss man es, sollte man es grundgesetzlich klar regeln. Und wir bemühen nicht Madrid, das sagen wir schon seit acht bis zehn Jahren. Das möchte ich wirklich von uns weisen, das stimmt so nicht. Wir machen eine präventive Sicherheitspolitik, weil man vorbeugen muss. Wir warten nicht, bis in Deutschland etwas passiert. Die Verfassung ist von 1949, aber wenn es die Umstände erfordern, dann muss man wenigstens darüber reden dürfen und nicht in eine Ecke gestellt werden, die mit dieser Diskussion überhaupt nichts mehr zu tun hat.

(Vizepräsident Andreas Bluhm übernimmt den Vorsitz.)

911 Tage nach dem 11. September hat der islamische Terrorismus nach den verheerenden Anschlägen, und

zwar in der Welt, Europa den Krieg erklärt. Und darauf muss man reagieren, das ist klar, denn Deutschland ist ein Vorbereitungs- und Rückzugsland für Terroranschläge. In Deutschland wurden und werden weiter Anschläge vorbereitet. Und wenn man Ihre Argumentation hört, ich habe ja dafür Verständnis, dann kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, als wenn Sie es runterspielen. Okay, aber wir sollten darüber reden, zumindest kann sich dann der Wähler ein Bild davon machen.

Und im September vorigen Jahres setzte Otto Schily eine Arbeitsgruppe zur Prüfung des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren ein. Warum hat er die denn eingesetzt? Weil wir völlig Unrecht haben? Zielrichtung war die Gestaltung einer Sicherheitsarchitekur im Benehmen miteinander. Nur zu Ihrer Kenntnis: Am 11. März wurde mit den Bomben in Madrid uns allen gleichzeitig der Krieg erklärt. Einen Tag nach den Anschlägen verschärften Frankreich, Italien und Griechenland ihre Sicherheitsvorkehrungen drastisch. Das griechische Außenministerium beantragte sogar einen Beitrag der NATO zur Sicherung der Olympischen Spiele, in Frankreich gilt die zweitgrößte Sicherheitsstufe und Belgien forderte die Schaffung eines Geheimdienstzentrums. Nur in Deutschland wird kein Anlass für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen und für ein Umdenken gesehen. Für Otto Schily war zwei Tage nach den Anschlägen mit Hinweisen auf Islamisten mit viel höherer Wahrscheinlichkeit noch die ETA verantwortlich. Dafür ist in Spanien eine Regierung abgewählt worden.

Schily lehnt die Forderung der Union zu den Streitkräften im Inneren ab und verweist auf den schon gelösten Sonderfall Luftsicherheitsgesetz. Und gerade dieses Gesetz ist nach dem Urteil der Fachleute geradezu ein prädestiniertes Beispiel dafür, dass wir eine Grundgesetzänderung benötigen. Es ist erstaunlich, denn Schily hat gesagt, dass er in diesem Punkt Gesprächsbereitschaft zeigt. Das war es dann aber. Das heißt doch, dass er auch schon darüber nachdenkt. Und während die CSU klar machte, dass wir in Deutschland nicht auf einen mit Madrid vergleichbaren Anschlag vorbereitet sind, sagen Sie und andere rot-grüne Politiker, dass der Einsatz der Bundeswehr ausreichend geregelt ist. Sie werden es erleben – der liebe Gott möge uns davor bewahren –, es ist nicht so.

Sachargumente von Günther Beckstein, dass in einer solchen Situation wie in Spanien die deutsche Polizei völlig überlastet wäre mit den Sicherheits- und Ermittlungsaufgaben, werden einfach weggewischt. Die Frage, wie die Polizei, eine seit Jahren abgebaute Polizei, mit all den Maßnahmen zur Sicherheit in Häfen, auf Schifffahrtswegen, Bahnhöfen, Verkehrsknotenpunkten und zusätzlich zu sichernden Objekten fertig werden will, können Sie nicht beantworten. Hinzu kommt, dass aus der Bundeswehr auch nicht gerade eine schlagkräftige Armee gemacht wurde. Die von Gerhard Schröder versprochene Aufstockung des Wehretats ab 2007 von jährlich 800 Millionen Euro ist auch schon wieder vom Tisch. Die Streitkräfte schrumpfen. Wenn Sie die Sicherheit Deutschlands nur noch mit Auslandseinsätzen gewährleisten wollen, dann sind Sie nicht auf der Höhe der Realität, denn auch im Inland werden wir gefährdet. Und angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus brauchen wir, und darum führen wir sie ja auch, eine Grundsatzdebatte in Deutschland über die deutsche Sicherheitspolitik. Dazu gehört auch der Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Und bei allen Unterschieden ist es gut, dass wir darüber reden.

Zumindest kann sich der Wähler dann ein Bild darüber machen.

Die Deutschen fürchten nämlich nicht den immer wieder heraufbeschworenen imaginären Überwachungsstaat, den es bei unserer Rechtslage überhaupt nicht geben kann. Sie fürchten schlicht und einfach um ihre Sicherheit. Und da ist die Politik gefordert. Überall in Europa wird geprüft, wie Sicherheitslücken geschlossen werden können. Unsere Bevölkerung will Sicherheit und sie akzeptiert auch Einschränkungen, um das Leben Unschuldiger zu schützen. Und darum geht es letztlich.

Nach einer EMNID-Umfrage von vor zwei Wochen sprechen sich 68 Prozent für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren aus, 30 Prozent sind dagegen, 2 Prozent sind unentschlossen und 79 Prozent der Deutschen sind dafür, Kontrollen auf Bahnhöfen sowie auf Flughäfen durchzuführen. 74 Prozent wollen mehr Videoüberwachung und 87 Prozent befürworten die so genannten biometrischen Daten. Es gab noch keine Regierung, die so weit ab von den derzeitigen Umfrageergebnissen lag. Darüber sollten Sie einmal nachdenken!

(Unruhe bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Natürlich muss man, wenn man die Rahmenbedingungen in der Diskussion hört, Verständnis für eine Polizei haben, die runtergefahren worden ist und die nun fürchtet, dass der Einsatz der Bundeswehr zum Vorwand genommen wird, dass noch mehr Polizei in Deutschland abgebaut wird. Aber das passiert ohnehin in Berlin. Rot-Rot regiert und es werden 900 junge Polizeibeamte auf die Straße gesetzt. Und wie es in der Hauptstadt aussieht, kann jeder in Berlin-Mitte erfahren. Dort werden nämlich die Botschaften top bewacht. Nur in der Prachtstraße „Unter den Linden“ wagt sich nachts niemand mehr auf die Straße, nicht einmal vor die Hotels. Sprechen Sie dort mit jemandem, dann erfährt man, da ist keine Polizei mehr,

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

da ist keine Sicherheit mehr, und das ist dort eine Katastrophe. Und für diese Situation muss man vorsorgen.

Otto Schily gebraucht gern starke Worte beim Thema Sicherheit, sein Luftsicherheitsgesetz hat aber Lücken. Und diese Lücken könnten durch die von uns vorgeschlagene Grundgesetzänderung geschlossen werden.

Herr Abgeordneter Thomas, gestatten Sie eine Anfrage der Abgeordneten Frau Voland?

Ich würde versuchen, das danach zu machen.

Also am Ende.

Dass sich die Bayern für die Bekämpfung von Gefahren auf See einsetzen, ist schon bemerkenswert. Das sollten wir eigentlich machen,

(Torsten Koplin, PDS: Unsinn!)

denn der Einsatz der Seestreitkräfte – und hier kommen nur die Warnemünder Schnellboote in Frage – zur Gefahrenabwehr auf See ist eine nicht unbedeutende Komponente. Das haben wir in unserem Antrag „Sicherheitskonzept Ostsee“ schon vorgeschlagen. Der liegt aber im Aus

schuss, schon seit sehr langer Zeit. Aber ich gehe einmal davon aus, dass Sie schon mitbekommen haben, dass die Al Kaida mittlerweile im Besitz einer eigenen Billigtankerflotte ist, nachzulesen in der „Frankfurter Rundschau“ vom 14. Februar. Alles Panikmache, meine Damen und Herren. Und die Warnemünder Schnellboote fahren in der Meerenge von Gibraltar Geleitschutz für alle alliierten Schiffe. Vor unserer Küste aber darf das nicht möglich sein! Ich glaube, das ist eine unglaubliche Politik! Und die können Sie auch bald niemandem mehr erklären. Unsere jahrelangen Anträge für ein präventives Sicherheitskonzept waren ja jahrelang auch Panikmache.

Die vom Bayerischen Rundfunk vor vier Wochen aufgedeckten Sicherheitslücken auf dem Münchener Flughafen sind auch nur Panikmache. Bei sieben Millionen kontrollpflichtigen Passagieren sind täglich bis zu fünf Stunden keine Kontrollen, und das auf einem Flughafen, wo ein riesiges Passagieraufkommen aus dem Nahen Osten ist.