Protocol of the Session on October 9, 2003

Angesichts des nahezu leergefegten Arbeitsmarktes müssen die Rahmenbedingungen der ärztlichen Arbeit spürbar verbessert werden – das möchte ich ausdrücklich sagen –, da sonst der Wettbewerb mit anderen Ländern nicht gewonnen werden kann. Und das geht nur im Miteinander mit allen Betroffenen. Vor diesem Hintergrund ist der im kommenden Frühjahr anstehende Beitritt unserer östlichen Nachbarländer zur Europäischen Union durchaus mit positiven Erwartungen verbunden. Bereits in der jüngeren Vergangenheit haben die Anträge auf Erteilung einer ärztlichen Berufserlaubnis aus Polen, der Tschechischen Republik, der Slowakischen Republik stark zugenommen, weshalb sich die Anzahl der vom Sozialministerium für EU-Ausländer ausgestellten Berufserlaubnisse von ursprünglich 50 im Jahr mit nunmehr über 100 jährlich in kurzer Zeit, und das mit steigender Tendenz, mehr als verdoppelt hat.

Auch in Kenntnis regionaler Engpässe in der ärztlichen Versorgung kann daher die Versorgung der Bevölkerung im stationären wie im ambulanten Bereich insgesamt auf einem guten Niveau auch zukünftig in Mecklenburg-Vorpommern gewährleistet werden. Die ansteigenden Bewerberzahlen für ein Medizinstudium, die guten Ergebnisse, die die Universitäten Mecklenburg-Vorpommerns bei der Beurteilung der Medizinstudiengänge haben, das zeigt überdies, dass der Arztberuf weiterhin für junge Menschen attraktiv ist und damit der ärztliche Nachwuchs auch mittelfristig zur Verfügung stehen wird. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Glawe von der Fraktion der CDU.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Dr. Ulrich Born, CDU: Bravo! – Andreas Bluhm, PDS: Habt ihr keine anderen Redner? – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen! Die Auswirkung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes zur Bewertung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit steht im Raum. Die Daten für Mecklenburg-Vorpommern sind weitestgehend bekannt. Im Kern heißt das für uns, es fehlen 400 Stellen in den Klinken, also in den 35 Krankenhäusern unseres Landes, und damit haben wir sozusagen auf der einen Seite die Frage zu stellen, wie kriegen wir die Finanzierung hin. Frau Ministerin ist auf einige Dinge eingegangen. Erhöhung um 0,2 Prozent ist die eine Seite, 20 Millionen Finanzmittel und 100 Millionen zusätzlich im System werden insgesamt die Probleme in diesem Bereich nicht lösen können, denn Sie müssen weiter daran denken, dass sie also in den besonderen Bereichen, die OP-Bereiche betreffen, auch Schwestern und Pfleger vorhalten müssen, die also auch benötigt werden, um Operationen durchzuführen.

Über das Arbeitszeitgesetz des Bundes wurde schon geredet, das ist also derzeit nicht da. Und was uns in besonderer Weise ja auch beschäftigen muss, ist die Frage nach der Auslastung der hochwertigen Medizin

technik im Land, die hier ja auch steht und sozusagen ausgelastet werden muss. Deswegen haben wir uns auch zu einem Änderungsantrag in besonderer Weise entschlossen. Das Thema war vorhin schon mal in einer anderen Diskussion benannt worden, und zwar geht es um die Universitäten im Land und um die Frage, wie kriegen wir diese Universitäten, die ja auch Grundversorgung in Mecklenburg-Vorpommern leisten auf der einen Seite und auf der anderen Seite ja Forschung und Lehre betreiben sollen, so ausgestaltet, dass sie mit Finanzmitteln gut bedacht werden. Und ich denke, auf Dauer wird sich das Land da nicht heraushalten können. Wir werden also in diesem Bereich auch nachlegen müssen unter dem Eindruck von Benchmarking.

Aber da Sie jetzt schon wieder erklärt haben, das wäre zu viel für die Regierung, und Sie wollen diesen Änderungsantrag ja ablehnen, kann ich das jetzt noch mal mündlich einfordern, dass diese Dinge besonders ernsthaft geprüft werden, denn Sie können sich vor diesen Problemen nicht verschließen, Sie können sie nicht verdrängen, auch die Ministerin und alle Minister nicht und auch die PDS-Fraktion und die SPD-Fraktion nicht. Diese Finanzbedarfe an Personal sind unabweisbar. Es geht um Qualität und um Lebensstandsicherung, es geht darum, diesem Urteil Rechnung zu tragen. Und dieses Urteil kann man nur a) durch Finanzzuweisungen sozusagen bedienen und zweitens natürlich auch durch Änderung von Arbeitszeitmodellen. Also auch Ärzte müssen natürlich sozusagen andere Arbeitszeitmodelle in Kauf nehmen nach diesem Urteil. Ruhezeit und Arbeitszeit, all die Dinge sind angesprochen worden.

Ich kann nur darum bitten, dass Sie also doch vielleicht noch zu der Einsicht kommen, unserem Änderungsantrag zuzustimmen, denn er ist in der Sache eigentlich richtig und korrekt. Und er zeigt auch die Frage auf, dass die Zeitschiene eine ganz wichtige Frage ist, er wirft die Probleme der Fachaufsicht und der Rechtsaufsicht auf und er fragt auch nach der Zuständigkeit und nach der Aufsicht in den Ministerien. Meine Damen und Herren, ich kann nur werben, ändern Sie Ihre Meinung, stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

In der Sache, denke ich, liegen wir nicht auseinander. Das Ziel muss sein, dieses Urteil umzusetzen. Da gibt es einige Hürden, die habe ich beschrieben, auch Frau Ministerin hat darauf hingewiesen. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Glawe.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Nieszery von der Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Eigentlich hatte ich erwartet, Herr Glawe, dass Sie diesen Antrag wieder als Arbeitsauftrag für die Regierung abqualifizieren.

(Heiterkeit bei Karin Schmidt, PDS – Harry Glawe, CDU: Hab ich ja nicht.)

Das finde ich auch in Ordnung, ich wollte Sie gerade loben, Herr Glawe.

(Harry Glawe, CDU: Es gibt ja mehrere Beteiligte.)

Die SPD-Fraktion nämlich hält diesen Antrag für sinnvoll, um die Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 9. September 2003 für Mecklenburg-Vorpommern dargestellt zu bekommen.

Hinsichtlich der Neu- beziehungsweise Umgestaltung des Arbeitszeitgesetzes gibt es bundesweit zahlreiche Initiativen, die sicher in die zu erwartende Berichterstattung unserer Sozialministerin einfließen werden. Wir unterstützen daher diesen Antrag und warten gespannt auf die Ergebnisse, die uns präsentiert werden. Ich kann mir vorstellen, dass wir dann auch in Anbetracht der von Ihnen aufgezeigten Schwierigkeiten, Herr Glawe, eine ausführliche Diskussion erwarten können.

Den Antrag der CDU lehnen wir ab, da wir durchaus so viel Vertrauen in das Ministerium haben, dass der geforderte Bericht umfassend und somit in unserem Sinne abgefasst wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Danke schön, Herr Dr. Nieszery.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Schmidt von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich könnte es jetzt genauso kurz und bündig wie Herr Dr. Nieszery machen, möchte es aber doch nicht und noch einige weitere Begründungen dafür darstellen, warum wir gerade diesen Antrag als so notwendig erachten.

Das zur Diskussion stehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. September 2003 wirft Fragen der Arbeitszeitverkürzung und des Überstundenabbaus auf, woraus sich der eingeforderte Handlungsbedarf der Landesregierung, aber auch von Berufsvereinigungen et cetera ergibt. Mein Fraktionskollege Herr Koplin hatte unter anderem den Gedanken geäußert, dass das Urteil mehr als ein juristisches Problem ist, denn es wirft weit gefächerte und prinzipielle Fragen auf, die, wie dargestellt, nicht nur den medizinischem Bereich im engeren und weiteren Sinne betreffen. Trotzdem möchte ich mich in den nachfolgenden Ausführungen insbesondere auf die Situation in den Krankenhäusern konzentrieren.

Dieses Urteil bringt nämlich unserer Meinung nach eine neue Dynamik in Reformprozesse, die gesamtgesellschaftlich anstehen. Neben den wiederholt zitierten finanziellen Konsequenzen offenbart es auch strukturelle Probleme, zum Beispiel die Anzahl von Personalstellen. Überholte Strukturen im Gesundheitswesen sowie fehlsteuernde Anreize haben Qualitätsverluste und Unwirtschaftlichkeiten zur Folge. Hier hat eine grundlegende Reform anzusetzen. Vor allem wäre die starre Trennung zwischen ambulant tätigen Ärzten und Ärztinnen, Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen durch bessere Kooperation und Integration zu überwinden. So stellte die Deutsche Krankenhausgesellschaft vor etwa zwei Monaten Reformansätze dar. Danach sollten alle Kliniken durch zusätzliche ambulante Behandlungen für deutlich mehr Wettbewerb unter den Anbieterinnen und Anbietern von Gesundheitsleistungen sorgen.

Ausgangspunkt ist unter anderem, dass in Deutschland das bekannte Schnittstellenproblem zwischen der ambulanten und der stationären medizinischen Versorgung

besteht. Diese Kluft soll nach dem Willen der Bundesregierung durch integrierte Versorgungsprogramme aufgehoben werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft will deshalb an den Kliniken Gesundheitszentren entstehen lassen, die den Patientinnen und Patienten vor, während und nach der stationären Behandlung zur Verfügung stehen sollen.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Besonders chronisch Kranke würden davon profitieren. Aber das Ganze ginge natürlich nur dann, wenn den Kliniken ausreichend Personal für diesen neuen Service zur Verfügung stünde. Die Realität sieht dagegen so aus, dass heute in der Bundesrepublik jedes zweite Krankenhaus seine freien Stellen nicht besetzen kann, weil die Ärztinnen und Ärzte aufgrund der überlangen Arbeitszeiten, siehe Bereitschaftsdienste, förmlich aus den Kliniken flüchten, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern.

(Harry Glawe, CDU: Ist denn das auch der wahre Grund?)

Expertinnen und Experten sagen voraus, dass, wenn das Thema integrierte Versorgung nicht vernünftig angepackt wird, es wegen der inneren Logik in wenigen Jahren wieder auf den Tisch kommt. Ein Blick ins Ausland macht deutlich, wie effizient die Verzahnung von ambulanter und stationärer Behandlung funktionieren kann. So gibt es in den Niederlanden praktisch keine niedergelassenen Fachärztinnen und -ärzte. Diese arbeiten ausschließlich in den klinikeigenen Polikliniken. Alle Patientinnen und Patienten, die der Hausarzt überweist, stellen sich zunächst in der Poliklinik vor. Dort wird entschieden, ob eine stationäre Behandlung erforderlich ist oder ob die Patientinnen und Patienten ambulant in der Poliklinik bis zu ihrer Genesung behandelt werden. Gleiches wie das soeben Skizzierte gilt für die Zusammenarbeit von Haus- und Fachärztinnen und -ärzten beziehungsweise in den psychosozialen Berufen. An der Tagesordnung sind moderne Versorgungsformen wie Ärztenetze, Gesundheitszentren und Polikliniken. Polikliniken sind nicht Notlösungen in Gegenden mit Mangel an niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und es hat nichts mit Ostalgie zu tun.

Das, was Ostdeutsche aufgrund eigener Erfahrungen wissen, bricht sich nun auch bis in die Bundesregierung hinein Bahn.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Zum Stichwort Gesundheitszentrum äußerte sich der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium Klaus Theo Schröder gegenüber dem ND am 26./27. Juli 2003 wie folgt, ich zitiere: „Anfang der 90er Jahre war die Debatte ideologisch bestimmt, nicht medizinisch. Das, was in Ostdeutschland überlebt hat, ist ein gutes Beispiel dafür, dass die ambulante Versorgung jenseits der freiberuflichen Tätigkeit in guter Qualität organisierbar ist. Mehrere Ärzte unter einem Dach, gemeinsam gemanagt, gemeinsame Ressourcennutzung, auch mit angestellten Ärzten, das verstehe ich unter einem Gesundheitszentrum. Dieses Angebot nun wieder zur Verfügung zu stellen, halte ich für einen enormen Fortschritt.“ Zitatende.

Hinzuzufügen ist, dass dort arbeitende Ärztinnen weitgehend komplikationslos ihre Familienphasen nehmen können, dass differenzierte Arbeitszeitmodelle durchsetzbar sind, dass dort ein wesentlich höherer Grad an Kapitalbindung und Technikausstattung und -auslastung anzutreffen ist. So machen die in Deutschland noch

bestehenden 32 Polikliniken, davon 19 in Brandenburg, einst als Staatsmedizin verschmäht, wieder Furore.

(Harry Glawe, CDU: Es gibt auch modernere.)

Ich denke, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs über den engen Bereich der Arbeitszeit und auch über den Klinikbereich hinaus zum genauen Hinsehen, Nachdenken und Analysieren zwingt und die verschiedenen Faktoren, die einbezogen werden sollten, unter die Lupe zu nehmen – den demographischen Faktor, den wissenschaftlich-ökonomischen, finanziellen, strukturellen und schließlich personellen Faktor – und sie dann zu praktischen Schlussfolgerungen zusammenzuführen. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS und Reinhard Dankert, SPD)

Danke, Frau Schmidt.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 4/844 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 4/844 mit den Stimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion der PDS bei Zustimmung der Fraktion der CDU abgelehnt.

Wer dem Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 4/810 zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der PDS und SPD auf Drucksache 4/810 mit den Stimmen der Fraktion der SPD, der Fraktion der PDS, der Fraktion der CDU bei einer Gegenstimme angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrages der Fraktionen der SPD und PDS – Dreimonatige Kündigungsfrist im Wohnraummietrecht muss auch bei Altverträgen eindeutig sein, Drucksache 4/809.

Antrag der Fraktionen der SPD und PDS: Dreimonatige Kündigungsfrist im Wohnraummietrecht muss auch bei Altverträgen eindeutig sein – Drucksache 4/809 –