Professor Hesse schrieb dazu in seinem Gutachten „Regierungs- und Verwaltungsreform in MecklenburgVorpommern“: „Unter Berücksichtigung kultureller, traditioneller und politisch-gesellschaftlicher Rahmenbedingungen heißt dies, die Strukturen den Erfordernissen der jeweiligen Aufgaben anzupassen, nicht hingegen die Kompetenzverteilung an bestehenden Organisationsstrukturen zu orientieren. Struktur- und Funktionalreform bilden das eigentliche Handlungspotenzial für Regie
rungs- und Verwaltungspolitik auf Länderebene.“ Also nicht erst eine Struktur schaffen und dann über die Funktionen nachdenken, genau umgekehrt geht es.
Deswegen haben wir auch diese Enquetekommission gewollt, und da brauchten wir Ihren Ratschlag von der Seite durchaus nicht, Ihren schon gar nicht.
Insofern wurde der Arbeitsauftrag der Enquetekommission laut Einsetzungsbeschluss aufgrund seiner Komplexität und der ausreichenden Zeit nicht vollständig erfüllt. Ich verstehe schon, dass für so manch einen Mitarbeiter im Innenministerium oder auch in einem Gemeindeamt eine sozusagen hieb- und stichfeste Zahl wünschenswert wäre. Das entspricht schon unserem deutschen Hang, Ordnung zu schaffen. Aber bevor wir Zahlen aus dem Hut zaubern und sie dann per Kompromiss zurechtfrisieren, muss doch wohl die Frage gestattet sein, was denn die Gemeinde – und wir reden bei unserem Streit ja niemals über städtische Gemeinden, sondern über Dorfgemeinden in dünn besiedelter Fläche – überhaupt als Gemeinschaft ihrer Bürger in den kommenden 20 oder 30 Jahren zu leisten hat. Das ist die Frage. Alte Strukturen sind schnell zerschlagen. Wer aber über die Zukunft der Gemeinden auf dem flachen Land redet, sollte nicht vergessen, dass die meisten von ihnen schon Jahrhunderte existieren. Sie haben Preußen, Schweden, Königreiche, Besetzungen, kurz, gute und schlechte Zeiten kommen und gehen sehen und sie haben sie überlebt. Das ist im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, Kommunen darf man nicht zuerst als Verwaltungseinheiten sehen, sondern sie sind zuerst Bürgergemeinschaften.
Und Bürgersinn, die Bereitschaft, sich füreinander einzusetzen, ist vor allem dort, wo der Kontakt eng ist, wo der Nachbar nah ist. Wer das bedenkt, wird behutsam sein bei möglichen Veränderungen der Gemeindestrukturen. Erst im Zusammenhang mit einer umfassenden Funktionalreform sollte über die geeignetsten Gemeinde- und Verwaltungsstrukturen endgültig befunden werden.
Verfehlt scheinen nicht nur uns Größenvorgaben für amtsangehörige Gemeinden zu sein, nicht nur uns. In einer „Studie zur Neuordnung der Gemeinden im Umland von Ribnitz-Damgarten“, Rostock, Dezember 2001, verweist der Autor Christian Birringer auf den folgenden Aspekt: „Da amtsangehörige Gemeinden keine Verwal
tung unterhalten, hat die Größe dieser Gemeinden keinen Einfluss auf die Verwaltungskraft.“ Jawohl, das ist genau auch meine Erfahrung als Einwohner einer solchen kleinen ländlichen Gemeinde. Sie kosten schlicht und einfach nichts. Ämter, die aus amtsangehörigen Gemeinden bestehen, dienen der Stärkung der gemeindlichen Selbstverwaltung im ländlichen Raum und haben ihre Berechtigung als durch die Praxis angenommene Strukturformen nachgewiesen. Zukünftige Ämtergrößen sollen den differenzierten Bedingungen im Land gerecht werden und sich an den zukünftig zu bewältigenden Anforderungen und der daraus resultierenden notwendigen Leistungskraft orientieren. Eine formale Festlegung von Mindest- und Regeleinwohnergrößen wird der notwendigen komplexen und differenzierten Betrachtungsweise nicht gerecht.
Wir sind nicht gegen Neuzuschnitte von Ämtern – das will ich hier ganz deutlich sagen –, aber wir sind gegen jeden Schematismus. Auch zukünftig soll also keine verbindliche Mindestgröße für amtsangehörige Gemeinden festgelegt werden. Eine effektive Aufgabenwahrnehmung kann durch vielfältige Kooperationen zwischen den Gemeinden beziehungsweise über das Amt erreicht werden. Eine Bündelung der Finanzkraft kleiner Gemeinden kann im Rahmen des Amtes erfolgen. Ich denke, da sind sich alle Fraktionen hier auch einig. Wollen Gemeinden freiwillig fusionieren, sind diese Bestrebungen zu unterstützen, sofern sie dem Willen der Bürger entsprechen. Auch die Größe der Ämter soll sich nicht formal an Mindest- oder Regeleinwohnerzahlen orientieren, sondern den differenzierten Bedingungen funktional und räumlich angepasst sein.
Zur Untermauerung einige Sätze aus dem Schreiben des leitenden Verwaltungsbeamten des Amtes RöbelLand zum Fragebogen der Enquetekommission. Er schreibt: „Charakteristisch für diese Region“ – RöbelLand – „ist u. a. die äußerst geringe Bevölkerungsdichte. Für das Amt Röbel-Land bedeutet das konkret eine Einwohnerdichte von 19 Einwohnern/km 2“ – die Wasserfläche hat er nicht angegeben –
„bei rund 6.150 Einwohnern und einer zu verwaltenden Fläche von 324,91 km2. Zum Vergleich: Röbel/Müritz hat eine Einwohnerzahl von ca. 5.800 Ew. bei einer zu verwaltenden Fläche von nur 30,14 km 2. San Marino“, schreibt er, „hat 24.500 Ew. bei einer Fläche von 60 km 2 und Malta ist mit 390 km2 in der Fläche durchaus vergleichbar“ mit dem Amt Röbel-Land,
„Dieser Vergleich verdeutlicht, dass es unbedingt wichtig ist, bei Bewertungen das zu verwaltende Territorium zu berücksichtigen und nicht die Einwohnerzahl alleine als Bewertungskriterium heranzuziehen.“
Und weiter aus diesem Schreiben: „Ich vertrete“, sagt der leitende Verwaltungsbeamte, „die Auffassung, dass es nicht darum gehen kann, etwas groß oder klein zu machen – es geht um Effizienz, um Flexibilität, um Qualität und Wirtschaftlichkeit.... Der Zusammenschluss von nicht
leistungsfähigen Gemeinden führt nicht zwangsläufig zu einer leistungsfähigen und finanzstarken Gemeinde, in der die kommunale Selbstverwaltung gesunden Boden hat. Einmalige ,Finanzspritzen‘ können daran auch nichts Wesentliches bewirken.... Es fehlt der wissenschaftliche Nachweis, dass Ämter dieser Größenordnung nicht fähig sind, die künftigen Aufgaben zu erledigen, sowie bei Vernichtung des Bewährten Besseres entsteht.“
Effektive Verwaltungsabläufe sind durch verschiedene Formen der Verwaltungsmodernisierung und durch das Eingehen vielfältiger Möglichkeiten kommunaler Zusammenarbeit zu erreichen. In verdichteten Siedlungsräumen sind die vorhandenen Ämterstrukturen auf ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen und kritisch zu hinterfragen. Das ist ganz klar für uns. Der freiwillige Zusammenschluss von Amtsverwaltungen ist zu befördern. Entstehen durch solche freiwilligen Verwaltungszusammenschlüsse, verbunden mit dem Umzug der Verwaltung in einen anderen Ort, für den Bürger unzumutbar weite Wege, so sollte in dem ehemaligen Verwaltungsstandort ein Bürgerbüro vorgehalten werden. Dort können dann vorrangig Anträge zu Wohngeld und Sozialhilfe entgegengenommen beziehungsweise Probleme aufgenommen werden, um deren Klärung einzuleiten.
Die Fragen der räumlichen Beziehungen haben in der Arbeit der Enquetekommission nur eine untergeordnete Rolle gespielt, was den Wissenschaftler Dr. Wolfgang Weiß dazu bewogen hat, ein Sondervotum zum Beschluss der Enquetekommission zu den Zielen von Gemeinde- und Ämterstrukturen abzugeben. Darin verweist er auf die dominanten arbeits-, versorgungs- und raumfunktionalen Beziehungen, die von den Bürgern wahrgenommen werden. Sie sollten Grundlage für Überlegungen zu zukunftsfähigen Strukturen sein. Die Festlegung einer Einwohnerzahl insbesondere ohne Beachtung der Bevölkerungsdichte und der räumlichen Verflechtungen hält er nicht für sinnvoll.
Der Zusammenhang dieser Überlegung zum ZentraleOrte-System wurde in der Arbeit der Kommission nur ansatzweise untersucht und deutlich. Es gab aus der Kommission heraus noch keine Impulse für dessen Überarbeitung, aber zum Beispiel vom Bürgermeister der Stadt Malchow in einem Schreiben an den Vorsitzenden der Enquetekommission vom 12. Juni 2001. Darin verweist er darauf, dass über finanzielle Unterstützung auch für solche Fälle nachgedacht werden sollte, wenn beispielsweise durch die Bildung einer neuen Verwaltungseinheit Stadt Malchow/ Amt Malchow-Land ein mit entsprechender Infrastruktur ausgerüsteter wirtschaftlicher, touristischer Bereich zusammengefasst wird, der alle Kriterien eines Mittelzentrums erfüllt. Natürlich müssen die Schaffung zukunftsfähiger Strukturen und die Überarbeitung des Zentrale-OrteSystems aufeinander abgestimmt werden. Hier gibt es noch viel zu tun. Viele zentrale Orte sind schon lange nicht mehr das praktische Zentrum für die Bürger und ihre Wege zur Schule, zum Arzt oder anderswohin.
Nun habe ich vor allem über Fragen gesprochen, wozu es in der Enquetekommission unterschiedliche Auffassungen gab. Die Wahrheit ist, in der großen Mehrheit aller aufgeworfenen Fragen überwog die Übereinstimmung. Deshalb fällt es uns nicht schwer, die gemeinsame Entschließung aller drei Fraktionen unseres Hauses mitzutragen.
In Bezug auf Funktionalreform und Verwaltungsmodernisierung kommt es darauf an, die bisherigen positiven Ergebnisse und Erfahrungen im Bereich des Umweltministeriums als Beispiel für andere Ministerien auszuwerten und zu nutzen – immer unter dem Gesichtspunkt des komplexen, umfassenden Herangehens an diese Aufgabe.
Aber eines will ich hier auch ganz deutlich sagen: Das, was Herr Rehberg so als Selbstlob hervorgehoben hat, dass es die vergangene CDU-Regierung geschafft habe, Funktionalreformen auf den Weg zu bringen, das ist doch mehr als lachhaft,
Das Papier war sozusagen den Text nicht wert. Es war einfach mal lächerlich. Das Einzige, was übrig geblieben ist von diesem gewaltigen Sprung des Herrn Seite,
war doch, dass man an den Amtsgerichten herumgemodelt hat. Das war das Einzige, was dabei herausgekommen ist bei einem riesigen angekündigten Funktionalreformprojekt.
(Angelika Gramkow, PDS: Weil er die Finanzämter von Hagenow und Ludwigslust zusammengelegt hat, leider.)
Genau dieses Mäuslein wollen wir nicht und deswegen lassen wir uns Zeit, deswegen haben wir das vorbereitet. Deswegen möchten wir auch, dass der Landtag sich in der nächsten Legislaturperiode damit befasst, damit wir hier im Land eine Funktionalreform und eine Verwaltungsrationalisierung hinkriegen, möglichst von allen Parteien getragen, die sozusagen dem Namen auch Ehre macht und ihr gerecht wird.