Protocol of the Session on June 27, 2002

aber bei dem Begriff „Gender-Mainstreaming“ gibt es enorme Blockaden. Doch er ist nicht so einfach zu ersetzen. Das ist das Problem. Gender-Mainstreaming zielt auf die soziale Dimension der Unterscheidung von Mann und Frau. Es geht um Geschlechterrollen und um geschlechtstypische Lebenslagen. Es geht nicht um das biologische Geschlecht, sondern um das soziale Geschlecht in unserer Gesellschaft. Gender-Mainstreaming bedeutet, dass politische Maßnahmen, Entscheidungen, die zunächst geschlechtsneutral erscheinen, unterschiedliche Auswirkungen auf Männer und Frauen haben können. Deshalb ist es wichtig, dass sie daraufhin überprüft werden, ob und wie sie die Lebenslagen und Chancen von Frauen und Männern beeinflussen.

Chancengleichheit ist ein sehr komplexes Phänomen. Es müssen drei Ebenen in den Blick genommen werden:

1. die gesellschaftliche Ebene, das heißt die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

2. die Betriebsebene, das heißt, dazu gehören Arbeitszeitstrukturen, Beschäftigtenleitbilder, Führungskultur

3. natürlich die individuelle Ebene, dazu gehören Geschlechterrollen und Stereotype, die das Verhalten von Männern und Frauen prägen

Deshalb müssen alle etwas dazu tun, im individuellen und auch im gesellschaftlichen Bereich.

Meine Damen und Herren, mit der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages wird Gender-Mainstreaming verbindlich für alle Mitgliedsstaaten. Das ist nicht etwas, was ich oder was Frauenpolitikerinnen sich ausgedacht haben. Nur, um Ihnen das ins Gedächtnis zu rufen, damit ist die Umsetzung des Gender-Mainstreaming keine freiwillige Aufgabe oder gar eine Spielwiese von Frauenpolitikerinnen. Als Spielwiese habe ich das sowieso nie betrachtet. Gender-Mainstreaming ist zur gesetzlichen Verpflichtung für alle geworden auf Bundes- und auf Landesebene. Und das verändert eindeutig die Arbeit von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten. Die Verantwortung für die Chancengleichheitspolitik – so hört es sich vielleicht besser an – liegt bei allen politischen Verantwortungsträgern und auch bei Ihnen im Parlament.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Dr. Ulrich Born, CDU: Richtig.)

Genauso wie die Frage nach den Kosten gehört auch die Feststellung geschlechtsspezifischer Auswirkungen zum politischen Planungs- und Entwicklungsprozess. Diese müssen am Anfang und nicht am Ende stehen

(Dr. Ulrich Born, CDU: Richtig.)

und sie müssen auf der Grundlage einer geschlechtsspezifischen Datenanalyse erfolgen.

Für die neue Politikmethode gibt es gute gesellschaftliche und ökonomische Argumente:

Erstens. Gender-Mainstreaming zielt auf Abbau bestehender Nachteile für beide Geschlechter, aber auch auf Prävention von sich festigenden und von zusätzlich entstehenden Diskriminierungen.

(Beifall Renate Holznagel, CDU)

Im Präventionsansatz liegt natürlich auch ein Effizienzargument, denn Prävention ist immer effizienter.

Zweitens. Gender-Mainstreaming ist aber auch unverzichtbar in der Personalpolitik – ganz wichtig! – und Organisationsentwicklung,

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

denn es ist immer mehr zu erkennen, dass die traditionelle Ausrichtung am männlichen Normalarbeiter nicht mehr zukunftsfähig ist.

Drittens. Gender-Mainstreaming erhöht auch die Passgenauigkeit der Politik und des Verwaltungshandelns. Passgenauigkeit für Zielgruppen ist ohne die Geschlechterbetrachtung kaum möglich.

Argumente – und es gibt sicher noch viel mehr –, die uns fragen lassen: Warum arbeiten wir denn nicht endlich nach Gender-Mainstreaming? Doch das ist natürlich nicht so einfach. Alle Erfahrungen zeigen, dass für die Integration des Gender-Mainstreaming in die alltägliche Praxis drei zentrale Voraussetzungen gegeben sein müssen:

1. Sensibilisierung und Bewusstmachung der neuen Strategie bei Entscheidungsträgern und -trägerinnen sowie allen Beteiligten

2. Organisation von Prozessen zur spezifischen Problemerkennung und Identifizierung von Themenbereichen

3. Entwicklung von kurz-, mittel- und langfristigen Handlungskonzepten

Verantwortlich ist die politische und fachliche Führungsebene. Nur wenn Gender-Mainstreaming zum erklärten Willen der Führungsebene wird, dann kann es gelingen, dass der neue Ansatz kein Alibi bleibt, also bezogen auf die Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommerns, den Ministerpräsidenten, die Ministerinnen, Minister und Staatssekretäre. Deshalb haben wir im Kabinett am 23.01.2001 eine Informationsveranstaltung durchgeführt, an der der Ministerpräsident, die Ministerinnen und Minister, die Staatssekretäre teilgenommen haben. Das war das Wichtigste, dass die politische Ebene da mitgeht. Unbedingt wichtig ist es, dass zur Anwendung der Methode ein Beschluss gefasst wird. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat sich mit einem Kabinettsbeschluss im Rahmen der Gleichstellungskonzeption dem Prinzip des Gender-Mainstreaming verpflichtet. Das sind Voraussetzungen. Aber die Methode kann erst angewendet werden, wenn jede einzelne Mitarbeiterin, jeder einzelne Mitarbeiter der Landesverwaltung über Gender-Kompetenz verfügt.

(Beifall Beate Mahr, SPD, Angelika Gramkow, PDS, und Annegrit Koburger, PDS)

Deshalb habe ich eine Organisationsfirma beauftragt, ein Programm zur Implementierung von Gender-Mainstreaming in Mecklenburg-Vorpommern zu erstellen. An diesem wird seit Dezember 2001 gearbeitet. Also wir haben nicht gestern damit angefangen, damit ich Ihnen das heute erklären kann. Vier Ministerien sind pilothaft beteiligt, das sind das Ministerium für Arbeit und Bau, das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, das Wirtschaftsministerium und das Finanzministerium.

(Annegrit Koburger, PDS: Sehr schön.)

Dazu werden zunächst Orientierungs- und Sensibilisierungsworkshops für die Führungsebene durchgeführt. Hier wurden aber auch bereits die jeweils spezifischen Pilotvorhaben beschrieben. Es gibt zudem eine Steuerungsgruppe für das gesamte Vorhaben. Dafür bin ich, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Landesregierung, verantwortlich. Folgende Pilotprojekte, und da wird es sehr interessant, wurden ausgewählt:

Im Ministerium für Arbeit und Bau ist es das Aktionsprogramm „Regional vernetzte Produktentwicklung und -vermarktung im Tourismusbereich durch Bildung und Beratung“. Im neuen Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungsprogramm unseres Landes ist Chancengleichheit beziehungsweise Gender-Mainstreaming als Querschnittsziel sowieso festgelegt. Es werden nun Aktionsprogramme zur Realisierung des ASP entwickelt, darunter das Aktionsprogramm „Regional vernetzte Produktentwicklung und -vermarktung im Tourismusbereich durch Bildung und Beratung“. Dieses Aktionsprogramm soll einen Perspektivwechsel in der beschäftigungspolitischen Förderung in der Tourismusbranche einleiten. Es geht nicht mehr um die berufsbegleitende Qualifizierung von Beschäftigten aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, sondern um die Entwicklung von neuen Produkten und deren Marketing in Kooperation von verschiedenen Unternehmen in der Tourismusbranche. Unter anderem soll vor Ort das Tourismusmanagement gestärkt werden.

Im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur wurde das Pilotprojekt „Gender-Mainstreaming und die Erstellung der Rahmenlehrpläne für Grundschulen“ ausgewählt. An diesem Projekt ist das Landesinstitut für Schule und Ausbildung maßgeblich beteiligt.

Im Wirtschaftsministerium wird die Gesundheitswirtschaft unter Gender-Aspekten konzipiert.

Im Geschäftsbereich des Finanzministeriums wird ein Pilotprojekt zur Einführung von Telearbeit im Jahre 2002 durchgeführt. Es sollen 26 Telearbeitsplätze eingerichtet werden. Es gibt ein Bewerbungsverfahren, in dem nach bestimmten Aufgabenkriterien, Aufgabenprüfungsschritten Telearbeitsstellen beschrieben werden können. Dieses Telearbeitsprojekt ist insofern in einem Schnittfeld von mehreren Querschnittsthemen anzusiedeln, nämlich neue Technologien, Organisationsentwicklung und GenderMainstreaming natürlich immer.

Die Ergebnisse aller Pilotprojekte fließen in die Erstellung eines Leitfadens ein. Parallel zu den Pilotprojekten werden Trainerinnen und Trainer ausgebildet, um den Leitfaden in die Bewilligungsbehörden, Beratungseinrichtungen, regionalen, kommunalen Gremien und Verwaltungen transportieren zu können.

Diese Pilotprojekte sind allerdings nur ein Anfang, meine Damen und Herren. Der Prozess wird noch einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen, bis jede einzelne

Mitarbeiterin und jeder einzelne Mitarbeiter in der Landesverwaltung mit der Gender-Brille die einzelnen Prozesse betrachtet. Aber Sie werden Ergebnisse erfahren aus diesen Pilotprojekten und, ich denke, anhand dieser kann man auch lernen, wie man so etwas durchführen kann.

Ich, meine Damen und Herren – das gestatten Sie mir zum Schluss zu sagen –, halte Gender-Mainstreaming für eine gute Methode zur Durchsetzung von wirklicher Chancengleichheit und von Geschlechterdemokratie in unserer Gesellschaft. Es war immer mein Anliegen, dieses durchzusetzen. Ich beobachte auch, dass in den neuen Bundesländern diese Methode sehr viel offener angenommen wird, weil sie der Sozialisation von Frauen und Männern hier mehr entspricht. Deshalb arbeiten hauptsächlich Ostländer schon nach dieser Methode. Natürlich ist auch dies ein wirklich langwieriger Prozess und nichts wird sich von heute auf morgen ändern, aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

Aber vor allem, meine Damen und Herren, wird sich nur etwas ändern, wenn Sie es auch wollen. Und dafür möchte ich hier heute noch mal werben. Ich habe gute Strukturen und Grundlagen gelegt. Ich glaube, das darf ich so sagen. Und ich hoffe sehr, dass Sie den politischen Willen in diesem Parlament haben, daran weiterzuarbeiten.

(Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

Alle, ne? – Gut, ich kann zufrieden sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Heidemarie Beyer, SPD: Das muss festgehalten werden. Das muss ins Protokoll. – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Ich möchte deshalb zum Schluss auch Ihnen allen noch mal danken, die mitgewirkt haben, hauptsächlich waren das natürlich der Sozialausschuss und die Sozialausschussvorsitzende. Ich weiß, dass man allein nichts voranbringen und ändern kann, dass man immer viele braucht. Deshalb möchte ich das gerne zurückgeben an Sie, was Sie mir an Lob zuteil werden lassen. Ich denke, Sie alle haben das mitgetragen – in sehr vielen Ausschüssen, wo nur Männer saßen, ist auch daran gearbeitet und mitgewirkt worden und natürlich die frauenpolitischen Sprecherinnen, das ist ganz klar. Aber ich denke, es muss der politische Wille bestehen, es muss ein gewisses Bewusstsein vorhanden sein. Ich bin nach wie vor gerne bereit, Ihnen etwas zu erklären, wenn etwas unklar ist, damit daran weitergearbeitet werden kann. In diesem Sinne möchte ich mich gerne von Ihnen verabschieden und ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihr Fortkommen. Wir werden ja sehen, wer hier wieder sitzt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Danke schön, Frau Staszak. Auch Ihnen von hier vorne für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute, Gesundheit und Kraft.

Jetzt hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Seemann von der Fraktion der SPD.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es braucht niemand Angst zu haben, dass ich jetzt noch mal alles wiederhole,

(Heiterkeit bei Heidemarie Beyer, SPD)

was hier schon gesagt worden ist, nur nicht von mir. Ich möchte auf einen Punkt im Zusammenhang mit der Kon

zeption noch mal hinweisen. Dazu ist hier noch nichts gesagt worden, der liegt mir aber am Herzen.

Im Punkt 10.2 unter dem Stichwort „Frauenhandel“ geht es um eine Konzeption zum Aufbau einer Fachberatungsstelle für Frauen und Mädchen. Hierzu hat es verschiedene Beratungen gegeben. Ich möchte an alle appellieren, dass wir in der nächsten Legislatur zumindest das Thema – in welcher Form auch immer – in Angriff nehmen.

Gestatten Sie mir noch zwei weitere Bemerkungen im Zusammenhang mit dem Erziehungsgeld. Meine sehr geehrten Damen und Herren, da gehen die Wogen immer hoch. Ich glaube auch, dieses Thema wird instrumentalisiert und missbraucht. Wir haben im Sozialausschuss – darauf habe ich schon mal hingewiesen – eine Anhörung gehabt, wo sämtliche Experten, unter anderem auch die Experten, die von der CDU geladen worden sind, eindeutig den Appell an uns gerichtet haben, das Erziehungsgeld nicht von der Länge, von der Zeitdauer auszudehnen, sondern im Gegenteil, die Mittel zu komprimieren, also höhere Beträge zu zahlen, und dafür zu sorgen, dass die Erziehungsberechtigten schnellstmöglich wieder in ihre Tätigkeit einsteigen können.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)