Protocol of the Session on November 15, 2001

Wir müssen unsere Menschen mitnehmen auf dem Prozess, wir müssen ihnen diese Perspektiven aufzeigen wollen und nicht das schwarze Loch, das Sie getüncht haben. Wir brauchen sie dazu. Und das beginnt an der Schule, das setzt sich fort in der Ausbildung,

(Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

vielleicht müssen wir sie auch in ein anderes Bundesland schicken, weil es Technologien sind, die wir hier noch nicht vermitteln können. Aber wir müssen ihnen diese Zukunftsperspektive klar beschreiben und da sind wir dabei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Meine Vorredner haben klar und deutlich gesagt, welche Programme wir dafür schaffen, und da, wo diese Programme noch nicht ausreichen, wollen wir besprechen,

(Harry Glawe, CDU: Jaja.)

da wollen wir jetzt beraten, mit Sachkundigen beraten.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Dieses Mittel, das wir suchen, das werden wir Ihnen beweisen, wird tauglich sein. Und wir nehmen die Menschen mit auf diesen Prozess, das ist unser Ziel

(Harry Glawe, CDU: Wir glauben Ihnen nicht mehr! Wir glauben Ihnen nicht mehr! – Zuruf von Dr. Ulrich Born, CDU)

und das werden wir Ihnen beweisen. Stimmen Sie bitte unserem Antrag zu!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Andreas Bluhm, PDS)

Ich schließe die Aussprache.

Es ist mir von allen Fraktionen signalisiert worden, dass keine Überweisung mehr gewünscht wird, wie es im Ältestenrat verabredet war. Dann lasse ich über den Antrag der Fraktionen der SPD und PDS auf Drucksache 3/2396 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der SPD und PDS auf Drucksache 3/2396 mit den Stimmen der Fraktionen der SPD und PDS gegen die Stimmen der Fraktion der CDU angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 15: Beratung des Antrages der Fraktion der CDU – Einsetzung einer Enquetekommission „Bevölkerungsentwicklung und Perspektiven zum Leben, Arbeiten und Wohnen in Mecklenburg-Vorpommern“, auf Drucksache 3/2398.

Antrag der Fraktion der CDU: Einsetzung einer Enquetekommission „Bevölkerungsentwicklung und Perspektiven zum Leben, Arbeiten und Wohnen in Mecklenburg-Vorpommern“ – Drucksache 3/2398 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Prachtl von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Prachtl.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Eine seltsame Gasse am Rande der großen Stadt, dort, wo die Zeit still steht, wo der Putz von den Häuserwänden bröckelt, wo die Straßen voller Löcher sind, in denen das Wasser sich sammelt. Als das kleine Mädchen in die seltsame Gasse einbiegt, ist es ihr plötzlich, als ob sie unter Wasser gegen einen mächtigen Strom angehen müsse, oder gegen einen gewaltigen und doch unspürbaren Wind, der sie einfach zurückbläst. Sie stemmt sich schräg gegen den rätselhaften Druck, zieht sich mühsam an Mauervorsprüngen weiter, kriecht auf allen Vieren und kommt doch nicht voran. ,Ich komm nicht dagegen an!’ ruft sie schließlich ihrer Begleiterin zu, die ihr schon weit, weit voraus ist, am anderen Ende der Gasse. ,Hilf mir doch!’“ Dies ist eine Szene aus dem Buch „Momo“ von Michael Ende.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und CDU)

Und dieses „Hilf mir doch!“ ruft, ja schreit uns entgegen von Menschen, die keine Arbeit haben, die kaum soziale Bindungen haben, die unser Land verlassen wollen, Familien, Frauen, Männer, Jugendliche. Und wir wissen auch, es gibt verstummte Schreie, Resignation oder im schlimmsten Fall Suizid. Dies erkennt jeder, der offen mit den Bürgern unseres Landes spricht. Deshalb liegt Ihnen jetzt ein Antrag der CDU-Fraktion zur Einsetzung einer Enquetekommission, die sich mit der Bevölkerungsentwicklung und Perspektiven zum Leben, Arbeiten und Wohnen in Mecklenburg-Vorpommern auseinander setzen soll, vor.

Michael Ende beschreibt in seinem Buch „Momo“ das Mühen und Kämpfen eines kleinen Mädchens, das zunächst vergeblich versucht, sich gegen einen übermächtig starken Gegenwind vom Fleck zu bewegen. Schließlich dreht sich das Mädchen um und plötzlich gelingt es ihr, sich ohne Schwierigkeit fortzubewegen. Es ist eine exzellente Geschichte für das erfolgreiche Beschreiten neuer Wege und dem Weiterkommen bei zunächst schier unlösbaren Problemen. Hier sehe ich deutliche Parallelen zum Mühen der Politik, die Entwicklung des Landes Mecklenburg-Vorpommern positiv zu gestalten. Und um bei der Szene von „Momo“ zu bleiben, im Buch wird nicht gefragt, ob das Nichtweiterkommen am Wind oder am Wasser lag. Umkehr ist nötig und dringende Hilfe. Also gilt auch für uns, wir dürfen nicht primär die Frage stellen, war es diese oder jene Partei, die etwas zu verantworten hat. Regiert haben wir ja alle, das stimmt doch. Wichtig ist, es muss uns zuerst um die Menschen im Land gehen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU und Detlef Müller, SPD)

Einig sind wir uns doch alle – und das zeigen die Touristenströme in unserem Land Mecklenburg-Vorpommern –, hier ist es wunderschön. Und jetzt kommt es, jetzt kommt es: Wie peinlich ist es da für uns Politiker, wirklich peinlich, wenn uns so viele Menschen im Land verlassen! Und jetzt, Herr Holter ist nicht da,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Er verlässt sie.)

Herr Holter sagt, schauen Sie sich die Bundespolitik an oder die Bundesentwicklung. Natürlich hat das auch Auswirkungen, aber wir müssen unser Land sehen. Dann sagt Herr Holter, gucken Sie sich die neuen Bundesländer an.

Mensch, liebe Freunde, wir sind doch nicht Sachsen, wir sind Mecklenburg-Vorpommern!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Die haben die Sächsische Schweiz. Wer hat den besseren Horizont? Wir in Mecklenburg-Vorpommern. Diesen Horizont müssen wir nutzen,

(Siegfried Friese, SPD: Richtig.)

unsere Mittel müssen wir dafür einsetzen.

(Beifall Siegfried Friese, SPD: Richtig. – Zuruf von Volker Schlotmann, SPD)

Nein, nein, Sie kommen noch dran, Herr Schlotmann.

Auch was Frau Gramkow gesagt hat zu den Lösungen, die da sind. Schauen Sie sich doch Bayern an,

(Volker Schlotmann, SPD: Wir sind doch in Mecklenburg-Vorpommern, Herr Prachtl.)

Bayern war nur agrarisch entwickelt, war unterentwickelt. Viele Menschen wollen nach Bayern. Und dieses schöne Land Mecklenburg hat es verdient, nicht dass die Leute weggehen, sondern dass sie sagen, wir wollen nach Mecklenburg-Vorpommern, wir verlassen selbst Bayern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und Volker Schlotmann, SPD – Dr. Ulrich Born, CDU: Richtig, richtig.)

Und ich sage das ganz offen, da nützen keine Dinge, die wir damals gemacht haben. Auch wir haben zu wenig gemacht, aber Sie auch. Sie stehen zwar jetzt in der Verantwortung,

(Dr. Ulrich Born, CDU: Noch!)

wenn wir gewinnen, wird man uns wieder fragen, was macht ihr.

(Volker Schlotmann, SPD: Die Gefahr ist natürlich groß.)

Und da brauchen wir nicht die Programme, die Frau Gramkow vorgestellt hat. Das mögen ja zum Teil gute Dinge sein. Nennen Sie mir doch mal eine einzige Vision! BMW-Werk weg, die Dinge kennen Sie ja alle. Aber bauen wir mal einen gescheiten Medien- oder Freizeitpark. Die Leute haben doch keinen Sonnenstrahl hier am Himmel. Wer zeigt ihnen denn einen Sonnenstrahl? Wir haben ihn auch noch nicht gezeigt, aber wir wollen uns bemühen. Und deshalb die Enquetekommission.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Zuruf von Volker Schlotmann, SPD)

Die Bedeutung der demographischen Entwicklung kann dabei in meinen Augen gar nicht ernst genug genommen werden. Einiges ist dazu ja schon gesagt worden. Unser gesamtes gesellschaftspolitisches, wirtschaftliches und kulturelles Zusammenleben wird zukünftig maßgeblich von der weiteren Entwicklung der Bevölkerungs- und Altersstruktur abhängig sein. MecklenburgVorpommern wird dabei zwar nicht ausschließlich, aber als strukturarmes Flächenland im Besonderen von Bevölkerungswanderung betroffen sein.

Der Rostocker Lehrstuhlinhaber für Demographie, Professor Dinkel, zeichnet ein dramatisches Bild. Während sich die Bevölkerungszahl bereits seit 1990 von rund 2 Millionen auf heute 1,77 Millionen in der Größenordnung der Stadt Rostock reduziert hat, gehen mittelfristige Pro

gnosen in 2050 von nur noch etwa 1,18 Millionen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern aus. Speziell für unser Land lässt sich aber auch sagen, dass insbesondere die Abwanderung der jungen Jahrgänge, also der 20- bis 25-Jährigen in doppelter Weise negativ zu Buche schlägt. Sie wissen, das ist unser Humankapital, das wurde von fast allen Rednern in den Reden vorhin ja schon betont.

Zudem werden wir durch die überdurchschnittlich starke Abwanderung junger Frauen etwa ab dem Jahr 2020 einen regelrechten Geburtenknick zu erwarten haben, denn dann werden die nach 1990 geborenen Frauen in die Mutterschaftsjahrgänge kommen. Es ist aus meiner Sicht deshalb dringend notwendig, sich endlich diesen dramat i schen Entwicklungen in angemessener Weise zu stellen. Fundierte Bevölkerungsprognosen in Mecklenburg-Vorpommern enden immer noch – und das finde ich nicht gut – im Jahr 2015, höchstens 2020. Aber erst danach fangen, wie beschrieben, die wirklichen Probleme an und da hilft es uns auch nicht, uns weiterhin nur stur dem Gegenwind auszusetzen. Stattdessen brauchen wir innovative Lösungen und Ansätze, die meiner Meinung nach in ihrer Tiefe und Breite nur im angemessenen Rahmen einer Enquetekommission gefunden werden können.

(Beifall Dr. Ulrich Born, CDU, und Eckhardt Rehberg, CDU)

Dazu gehören – und ich sage das noch mal deutlich – mutmachende, visionäre Ansätze für Arbeitsmarktpolitik. Ich bestreite gar nicht, dass Sie sich bemühen, das Bemühen ist ja da. Aber wo ist eine Vision, lieber Herr Minister? Also da fehlt etliches.

(Wolfgang Riemann, CDU: Wenn bei einem in der Beurteilung „Er bemühte sich“ steht, dann findet er keine Arbeit mehr.)

Dazu gehört aber auch die Betrachtung von Grundfragen des Lebens in unserem Land, zum Beispiel Fragen nach der Sinnstiftung, der Identität, der Religion, der Kunst, Kultur, aber auch gelebter positiver Bräuche. Wir fangen mit heidnischen Bräuchen wie Halloween an, also einem pädagogischen Unsinn, statt Martin und andere Dinge zu feiern, die noch einen pädagogischen Sinn haben.