Protocol of the Session on September 21, 2001

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit der Vorlage des umstrittenen Eckpunktepapiers versucht der Innenminister, seinen Polizeibeamten klar zu machen, dass man mit der Streichung von Polizeivollzugsstellen, die einhergehen mit steigenden Belastungen bezogen auf jeden einzelnen Vollzugsbeamten, mehr Sicherheit und Bürgernähe erreichen kann. Diesen Spagat haben übrigens alle Hamburger Innensenatoren auch schon versucht. 900 Polizeivollzugsstellen sind abgebaut worden. Die katastrophalen Folgen dieser Sicherheitspolitik sind in Hamburg für jedermann sichtbar. Verzweifelt gibt die Hamburger Polizei

nunmehr den Opfern von Straftaten den Rat, Zivilgerichte einzuschalten, um den Tätern damit den Kontakt zu ihren Opfern zu verbieten. So weit sind wir Gott sei Dank in Mecklenburg-Vorpommern noch nicht, weil wir mit unseren Innenministern bis 1998 Grundlagen geschaffen haben, an denen Sie so schnell nicht rütteln können.

(Heiterkeit bei Gerd Böttger, PDS)

Aber wie heißt es so schön? – Wehret den Anfängen!

Mit den Weichenstellungen von Dr. Timm gibt es nicht mehr, sondern leider weniger Sicherheit in diesem Land. Das Personalentwicklungskonzept vom vorigen Jahr entpuppte sich als reines Stellenstreichkonzept für die Landespolizei. 177 Vollzugsstellen werden bis 2006 gestrichen. Für drei neue Autobahnstationen benötigten wir eigentlich 150 Vollzugsbeamte mehr. Die Polizeiorganisation orientiert sich also vor allem an dem Abbau von Polizeivollzugsbeamten. Wir haben immer davor gewarnt, dass die Konzentration der Streifenfahrzeuge in den Polizeirevieren zu Lasten der Polizeistationen und damit zu Lasten der Polizeipräsenz in der Fläche geht. Die ersten Bestätigungen dafür liegen bereits vor. Und wir haben immer gesagt, dass das Polizeiorganisationsgesetz nicht losgelöst von den Strukturveränderungen unterhalb der Direktion beschlossen werden kann.

Dr. Timm hat für seine Pläne offensichtlich auch sehr großen Erklärungsbedarf. In seiner Presseerklärung vom 13.09. ist Folgendes nachzulesen: „,Wir haben... die höchste Polizeidichte... die höchste Kriminalitätsbelastung... die höchste Belastung mit tödlichen Verkehrsunfällen. Deshalb führt kein Weg vorbei an Veränderungen, auch in der Organisation’“, um Aufgaben besser zu erledigen. Der Vergleich höchste Polizeidichte mit höchster Belastung entstellt die Fakten. Es sei denn, er will damit kundtun: Wir haben trotz hoher Belastung die höchste Polizeidichte, also können wir Stellen abbauen.

Ihre „Nebelkerze Polizeidichte“ ist schon lange kein Maßstab mehr für die Belastung der Polizei. Vor allem die Fläche steht in direktem Zusammenhang mit der polizeilichen Reaktionszeit und damit mit dem so genannten Belastungsindex Polizei. Sie aber ziehen sich mit Ihrer Struktur – und das sehen wir jetzt – aus der Fläche zu Lasten der Sicherheit der Bürger zurück. Entscheidend ist die Anzahl der Polizeivollzugsbeamten pro 100 Quadratkilometer, 100 Kilometer Straße sowie bei Verkehrsunfällen pro 100.000 Einwohner. Hinzu kommt der Bezug auf die polizeiliche Kriminalstatistik, also Fälle pro Beamte. Und da liegen wir in Mecklenburg-Vorpommern an der Spitze in Deutschland. Die Mehrbelastungen durch weit über 4 Millionen Touristen mit 18,3 Millionen Übernachtungen sowie durch den maritimen Tourismus und durch die zukünftige Kriminalitätsentwicklung im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung bleiben davon noch unberührt.

(Peter Ritter, PDS: Das ist doch die blan- ke Unterstellung, Herr Thomas. Alle, die aus dem Osten kommen, sind Verbrecher, oder was? – Kerstin Kassner, PDS: Ooh!)

Langfristig wird sich der Tourismus auch nur positiv entwickeln können, wenn wir mit dem Markenzeichen Sicherheit für das Tourismusland M-V werben können.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Laut Presseerklärung möchte der Innenminister für die Bürgerinnen und Bürger erreichen, dass die Polizei stärker

auf der Straße präsent ist. Das werden Sie aber mit Ihren Plänen und mit Ihren Streichkonzepten niemals erreichen können. Eins und eins ist nun mal nur zwei!

Als wesentliche Ziele der Organisationsveränderung nennt der Minister in seiner Presseerklärung vier Punkte:

1. Verstärkung der Polizeipräsenz in der Fläche

Mit Stellenabbau und Rückzug schwächen Sie die Präsenz in der Fläche. Die Bestätigung für unsere Argumente lieferte der Innenminister in seiner eigenen Presseerklärung gleich mit, indem er sagte, dass die Polizeistationen zwar erhalten bleiben, aber nur noch mit einem Kontaktbeamten besetzt sind, das heißt bis 16.00 Uhr. Es gibt also keinen Kontaktbeamten mehr, der auf die Bürger zugeht, sondern nur noch einen, der am Schreibtisch sitzt.

(Dr. Armin Jäger, CDU: So ist das. – Gerd Böttger, PDS: Das ist doch Quatsch.)

Das steht in der Presseerklärung. Können Sie mal nachlesen!

(Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

Von so einer Polizeipräsenz wie bei der Anordnung des Ministers zur Erstürmung der CDU-Fraktionsräume zur Sicherstellung toter Vögel

(Zuruf von Monty Schädel, PDS)

können die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes nur träumen.

2. Intensivierung der Verkehrsüberwachung

Es bleibt das Geheimnis der Koalitionäre, wie Sie das nach der Zerschlagung der Inspektion Zentrale Dienste absichern wollen. Das für die Verkehrsüberwachung speziell ausgebildete Personal wurde dezentral verteilt. Das geht eben zu Lasten der Wirksamkeit von Verkehrskontrollen.

3. Verbesserung der polizeilichen Sachbearbeitung

In den Polizeistationen erfolgt nach eigenen Angaben also keine bürgernahe Sachbearbeitung mehr, weil das Personal fehlt. Der Weg zum Sachbearbeiter wird also länger. Die Umwandlung der Kriminalkommissariate der aufgelösten Polizeiinspektionen in Kriminalkommissariatsaußenstellen führt zu Reibungsverlusten, weil laut Innenminister vom Februar 2000 in den Revieren nur noch Kleinkriminalität behandelt werden soll, die Sachbearbeitung dazu aber parallel weiterläuft. Wie soll das gehen? Also Zuständigkeitsprobleme sind vorprogrammiert.

4. Entlastung der Polizei von vollzugsfremden Tätigkeiten

Dazu haben wir seit Jahren nichts von Ihnen gehört und dafür gibt es auch keinerlei Ansatzpunkte in den Papieren. Das Schreibpoolprojekt im Rahmen des verstärkten Einsatzes von Tarifbeschäftigten ist von diesem Innenminister auf Eis gelegt worden. Wir haben es initiiert.

Die Presseerklärung von Dr. Timm macht deutlich, dass wir die bestehenden und die absehbaren Sicherheitsdefizite aufgreifen müssen. Und hinzu kommt noch ein Punkt: Mit der Umsetzung von Änderungen in der Polizeistruktur werden jetzt auch Dienstpostenbewertungen durchgeführt. Diese Bewertung entspricht weder den Erwartungen der Beamten noch den realen Anforderungen im Polizeivollzugsdienst. Sie orientiert sich nicht an den tatsächlichen fachlichen und dienstlichen Anforderungen, sondern

nur an dem, was die Finanzministerin bis 2006 glaubt finanziell für die Polizei leisten zu können.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist genau der Punkt.)

Beim Streifendienst hält sich das noch in Grenzen, auf die wichtige mittlere Führungsebene wirkt sich das aber völlig demotivierend aus. Auch das ist leider das Ergebnis von Plänen, mit denen kein Polizist mehr auf die Straße kommt, die Polizei aber weiter demotiviert wird.

Nunmehr bahnt sich ein neues Problem an. Die Polizeidienststellen sollen aus angeblichen Kostenersparnisgründen zentral verwaltet werden. Wir hörten es gestern. Mit der Verwaltung der Liegenschaften aller Polizeidienststellen werden die Arbeiter und Angestellten mit übernommen. Und hier fürchten wir den Abbau von Stellen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

Dabei handelt es sich um spezialisierte Fachkräfte, die für die Wartung, Reparatur, Logistik und Sicherheit sowie für den Einsatz bei Großlagen unentbehrlich sind. Wenn dieser für die Einsatzbereitschaft der genannten Polizeitechnik unentbehrliche Dienst jetzt auch noch ins Visier der Finanzministerin gerät, wird das katastrophale Folgen für die Einsatzbereitschaft der gesamten Landespolizei haben. Die Pläne der Landesregierung sind eine Schwächung der rückwärtigen Dienste. Diesen neuen Plänen können wir nicht zustimmen. Doch seit der gestrigen Rede von Frau Kollegin Gramkow habe ich die Hoffnung, dass wenigstens das thematisiert wird. Und wenn die Finanzministerin Geld braucht, dann soll sie mal beim Holter-Ministerium streichen. Da wird nur für unsinnige Projekte und für Vetternwirtschaft Geld zum Fenster herausgeworfen.

(Peter Ritter, PDS: Wie zum Beispiel Jugend- und Schulsozialarbeit. Das ist ja für Sie unsinnig.)

Sicherheit muss oberste Priorität für uns haben.

(Peter Ritter, PDS: Sie sind ein Sicherheitsexperte! Mann, Mann, Mann! Und das am Freitagmittag!)

Und wir werden nicht umhinkommen, den Begriff „Sicherheit“ neu zu definieren. Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern müssen nach den Ereignissen der vorigen Woche in der Lage sein, neue Fahndungsmethoden logistisch schnell umzusetzen und große Fahndungsaktionen über einen längeren Zeitraum zu fahren. Wir müssen uns auf die Bekämpfung von Katastrophen aller Art vorbereiten.

Die Landespolizei spielt auch bei der Terrorismusbekämpfung sowie bei der Katastrophenbekämpfung zukünftig eine herausragende Rolle. Zukünftig wird die Polizei also neue Aufgaben übernehmen müssen, die Belastungen für jeden einzelnen Vollzugsbeamten werden steigen. Das ist so.

Deshalb verbietet sich:

1. jeglicher Abbau von Polizeivollzugsstellen sowie die weitere Demotivierung der Beamten durch unnötige Aktionen

2. der Rückzug der Polizei aus der Fläche und aus einzelnen Regionen durch eine – und das sehen wir heute – verfehlte Organisationsstruktur, mit der kein Polizist mehr auf die Straße kommt, es werden eher weniger Polizisten auf der Straße zu sehen sein

3. eine Neuorganisation nach den heutigen Plänen, die insgesamt auch keine Stärkung der Polizei, sondern langfristig eher zu einer Destabilisierung im Gesamtbereich der inneren Sicherheit führt

Mit unserem Antrag wollen wir zeitnah nochmals auf die schon jetzt erkennbaren Probleme hinweisen. Ich darf Sie als Koalitionäre und den Innenminister bitten, die Pläne, Ihre eigenen Pläne wirklich einmal einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Wir bieten Ihnen an, da mitzuwirken. Und ich glaube, es wären auch nochmals Gespräche mit der Gewerkschaft der Polizei sinnvoll, auf die Probleme haben wir hingewiesen. Suchen Sie mit uns und der Gewerkschaft bitte einen Weg, die vorhandenen Probleme nochmals anzusprechen und notwendige Änderungen in Ihren Plänen vorzunehmen! Ansonsten sehen wir da – wie man so schön sagt – schwarz. Die Polizei muss in diesem Lande gestärkt werden und der Innenminister ist hier zuallererst in der Pflicht. Unsere Unterstützung dabei haben Sie! Ich darf Sie aus diesem Grunde bitten, unserem Antrag zu folgen. – Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Minister Dr. Gottfried Timm: Schwacher Beifall!)

Danke, Herr Thomas.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Innenminister Herr Dr. Timm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst einmal darf ich den Abgeordneten der Opposition herzlich dafür danken, dass es mir möglich ist, auch heute umfassend über die qualitative Entwicklung der Landespolizei hier in diesem Hohen Haus sprechen zu können.

Meine Damen und Herren von der CDU, eine alte Weisheit sagt: Stillstand bedeutet Rückschritt. Dass Sie das auch erkannt haben, zeigt mir der frenetische Beifall,

(Heiterkeit bei Siegfried Friese, SPD)