Protocol of the Session on May 16, 2001

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Monty Schädel, PDS)

Redet er von Alkohol, von Nikotin, von Spielsucht, von illegalen Drogen nach dem Betäubungsmittelgesetz? Und das dann noch in fünf Minuten zu differenzieren, das geht doch gar nicht.

(Harry Glawe, CDU: Sie haben gar nicht zugehört. Sie haben doch gar nicht zugehört.)

Sie setzen ein Thema auf die Tagesordnung, was gar nicht in dieser Form verhandelbar ist.

(Harry Glawe, CDU: Sie müssen mal zuhören.)

Das heißt, Sie wollen dieses Thema gar nicht oder Sie haben kein anderes.

(Heiterkeit bei Gesine Skrzepski, CDU: Doch, Rentenreform, das wäre hochaktuell. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Barbara Borchardt, PDS: Zum Beispiel, zum Beispiel. – Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS)

Darüber hinaus ist mir aufgefallen, dass unser geschätzter Kollege, Thomas Duck möchte ich ihn mal nennen, wieder einmal völlig vorbeigeredet hat an der Sache. Das Thema heißt Sucht- und Drogenprävention. Und Thomas Duck redet von Schleusern und OK, also organisierter Kriminalität, von verdachtsunabhängigen Kontrollen, von vielem mehr. Kein Wort zur Prävention! Wieder einmal völlig vorbei. Was machen Sie eigentlich mit dem Thema? Warum reden Sie darüber?

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Um irgendwelche alten Statements vorzutragen oder wollen Sie sich wirklich diesem Thema zuwenden?

Und ein letzter Gedanke: Wir leben nicht in Amsterdam, wir leben auch nicht in einem Ballungsgebiet, wir leben in einem Flächenland. Und ich habe mir vor dieser Debatte von der Polizeiabteilung noch einmal bestätigen lassen, dass die Häufigkeitszahlen in unserem Land die Hälfte des Bundesdurchschnitts haben bei illegalen Drogen. Das ist keine Verharmlosung, aber das ist ja nur ein Bereich.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Das heißt, wir müssen uns diesem Thema schon zuwenden. Aber das Thema Freigabe oder Nichtfreigabe stellt sich doch so in unserem Land überhaupt nicht wie in einer Stadt wie Amsterdam. Verstehen Sie das doch!

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD – Herbert Helmrich, CDU: Ihr Koalitions- partner sagt was anderes.)

Sie bauen doch Buhmänner auf, die gar nicht stehen. Und das, bitte schön, behandeln Sie, wenn es geht, differenziert und mit ordentlichen Argumenten in einer klaren instrumentellen Form, dann können wir uns dem zuwenden, aber so ist das Thema verfehlt, das Problem bleibt.

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Wir müssen später in angemessener Form gründlich, Herr Glawe, und differenziert weiter darüber reden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS – Harry Glawe, CDU: Das war ja voll daneben jetzt.)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Koplin von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Koplin.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Dr. Körner, ich muss ehrlich gestehen, dass ich die Situation ein Stückchen weit anders sehe als Sie. Es ist in der Diskussion deutlich geworden, dass das Thema bedrückend ist, dass es ernsthaft ist, dass es uns umtreibt

und von permanenter Aktualität ist. Und ich kann den Kollegen von der CDU natürlich nicht vorwerfen, dass wir nicht über den Bericht reden, wenn wir selber nicht den Antrag gestellt haben.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD, und Barbara Borchardt, PDS)

Was ich Ihnen seitens der CDU aber vorwerfe, ist im Grunde genommen, dass Sie – zumindest zu 80, 90 Prozent Ihrer Darstellung – in der Beschreibung der Situation stehen bleiben und dann erklären, wir müssen eine Wertediskussion haben, und dann hören Sie auf. Und wäre nicht der Beitrag von Herrn Helmrich, der jetzt leider nicht mehr im Raum ist,

(Barbara Borchardt, PDS: So wichtig ist das Thema. – Monty Schädel, PDS: Er geht seiner Sucht frönen.)

gewesen, dann wäre nicht mal der Anstand da gewesen, denjenigen zu danken, die sich auf dem Gebiet der Sucht- und Drogenprävention tagtäglich mühen in einer anerkennenswerten Arbeit, denn es ist eine Arbeit, die der des Sisyphus gleichkommt, der ja den Stein immer wieder den Berg hoch zu rollen hat in dieser Zeit.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Und dann wäre auch nicht der Anstand da gewesen anzuerkennen, dass diese Landesregierung wertvolle Aktivitäten der Vorgängerregierung aufgenommen und sie weiterentwickelt hat. Frau Dr. Seemann sprach vom Genussmobil und vom Fifty-Fifty-Taxi. Das sind aus meiner Sicht Beispiele für neue Akzente, die diese Regierung setzt.

(Beifall Monty Schädel, PDS – Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Und wenn wir über den Drogengebrauch und das Suchtverhalten reden, dann sollten wir auf keinen Fall immer über das Phänomen an sich sprechen, sondern wir sollten vor allen Dingen auch über Ursachen sprechen. Und die Hanfpflanze, der Spielautomat oder die Tablette an sich gesehen, können nichts dafür,

(Beifall Annegrit Koburger, PDS, und Monty Schädel, PDS)

dass sie zur Droge führen. Sucht kommt nicht von Drogen, behaupte ich. Sucht kommt von zerstörten Träumen, von unterdrückten Sehnsüchten und Tränen sowie von erfrorenen Gefühlen. Und insofern bedarf es bei der Sucht- und Drogenprävention verschiedener Strategien, weil sie natürlich verschiedene Ursachen hat.

Und dann lassen Sie uns darüber reden, wie wir die Persönlichkeiten stark machen. Es ist eine Frage der Persönlichkeit, es ist eine Frage der Familienpolitik – das hatte ich übrigens von Ihnen erwartet, weil Sie sich doch oftmals von der CDU aufspielen als die Gralshüter des Themas Familienpolitik –

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

und es ist natürlich eine Frage der Gesellschaftspolitik, und zwar einer sehr kritischen Gesellschaftspolitik. Mein Kollege Herr Schädel hat darauf hingewiesen, dass diese Gesellschaft in hohem Maße suchtfördernd agiert, indem wir ein ausgeprägtes konsum- und wohlstandsorientiertes Leben sozusagen oftmals suggeriert bekommen oder suggerieren, oder dass wir es mit einer Doppelmoral zu

tun haben, die einerseits die Drogen verdammt und kriminalisiert und andererseits Alkohol und Zigaretten umwirbt.

Ich denke, aus dem Thema lässt sich ganz Konkretes auch für uns, für unser Verhalten und Agieren hier im Landtag ableiten. Wir sollten nach allen Kräften den Initiativen der Landesregierung Unterstützung angedeihen lassen, absichern, dass die Projekte in dem erwähnten Bericht eine Rolle spielen, und wir sollten sie mit Blick auf die Rolle der Schulen unterstützen. Ich möchte zumindest seitens der PDS dafür werben, dass die an einigen Schulen existierenden Schlichtergruppen der Schülerinnen und Schüler auch anderenorts gebildet werden, denn es geht immer um Konfliktbewältigung oder Unfähigkeit zur Konfliktbewältigung. Das ist der wahre Hintergrund von Sucht- und Drogenkonsum, von Süchten. Es geht um das Unvermögen, Konflikte zu bewältigen.

(Beifall Dr. Margret Seemann, SPD)

Und nicht zuletzt gilt es aber auch für uns Landespolitikerinnen und Landespolitiker, unsere eigene politische Kultur zu beachten. An der Art und Weise, wie wir hier im Parlament Konflikte austragen und lösen, orientieren sich Bürgerinnen und Bürger, insbesondere Jugendliche. Vor einigen Tagen sind mir zehn Gebote, von Jugendlichen aufgeschrieben, in die Hände gefallen, die ich für erwähnenswert halte, denn sie sind Ansprüche auch an uns Politikerinnen und Politiker, an Lehrerinnen und Lehrer und die Eltern, und die möchte ich mal nennen:

1. Nehmt unsere Bedürfnisse, Wünsche und Meinungen ernst.

2. Verlangt nichts von uns, was ihr nicht selber zu tun bereit seid.

3. Gebt auch mal zu, dass ihr ebenso wie wir nicht alles könnt und wisst.

4. Gewöhnt uns nicht die Neugierde ab, indem ihr unsere Fragen ins Lächerliche zieht.

5. Gebt uns eine Chance, eigene Erfahrungen zu machen und dabei eure Hinweise zu prüfen.

6. Versteckt eure eigenen Schwächen und Unsicherheiten nicht hinter Drohungen.

7. Sagt uns, wenn es euch beschissen geht, wir brauchen Menschen und keine scheinbar perfekten Roboter.

8. Sorgt für Vertrauen im Schulzimmer und im Elternhaus ohne Rangplätze, ohne Supergewinner und ohne ewige Verlierer.

9. Drückt euch nicht um Gefühle, zeigt und lebt sie uns vor.

10. Lasst uns unsere Träume und Ideale, denn der so genannte Ernst des Lebens erfasst uns sowieso.

Abschließend: Man kann keinen verbogenen Schatten biegen, ohne den Stab gerade zu biegen, der den Schatten wirft. Das trifft auch für die Sucht- und Drogenpolitik zu.