Protocol of the Session on April 5, 2001

Herr Riemann soll auch noch zum Zug kommen. Bitte sehr.

Frau Polzin, ich musste mit 17 die Erweiterte Oberschule in Güstrow verlassen

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Es geht um Riemann eigentlich.)

und bin verurteilt worden. Ich musste mich dann mit 21 auch noch ein Jahr an der Seite der Arbeiterklasse bewähren,

(Minister Dr. Wolfgang Methling: Hat nichts gebracht.)

weil ich in der Jungen Gemeinde war. Sind Sie mit mir einer Auffassung, dass mir die DDR dort Lebenszeit gestohlen hat

(Heiterkeit bei Abgeordneten der PDS – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ja, das ist zum Lachen für euch Sekretäre. Das ist zum Lachen!)

in der Ausbildung und dass mir die DDR auch meinen Berufswunsch gestohlen hat, den ich nicht wahrnehmen konnte, weil ich eben wegen versuchter Republikflucht verurteilt wurde?

(Zuruf von Monty Schädel, PDS)

Ich will die Entschädigung nicht, nicht von der Bundesrepublik und nicht von diesem Land, weil das nicht daran schuld ist,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Was ist das für eine Frage? – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Wo ist die Frage?)

aber ich meine, dass junge Menschen, denen Lebenszeit gestohlen wurde, denen der Berufswunsch gestohlen wurde, durchaus einen Anspruch auf Entschädigung haben.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Hat er nur eine Meinung oder hat er auch eine Frage?)

Sind Sie da mit mir einer Auffassung?

Herr Riemann, Ihre Frage kommt mir sehr gelegen, weil Sie im Grunde ein sehr typisches Beispiel sind für diese Frage. Sie haben sehr richtig gesagt, dass Ihnen in früher Jugend Unrecht widerfahren ist und dass Sie einen wirklichen Knick in Ihrer Biografie dadurch hatten. Sie stellen aber jetzt, denke ich, in Ihrer ganzen Persönlichkeit

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

ganz deutlich dar, dass es sehr schwierig ist, in diesem Zusammenhang eine nachträgliche Beeinträchtigung zu sehen,

(Beifall Irene Müller, PDS)

das muss ich schon mal ganz deutlich sagen. Und da ich dieses Thema wirklich nicht zum Klamauk verkommen lassen möchte, möchte ich es einfach mit dieser Antwort so weit bewenden lassen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Vielen Dank, Frau Polzin.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Nitz von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rolf Schwanitz wies in einer schriftlichen Anfrage die Bundesrepublik darauf hin, dass die argentinische Regierung mit dem Gesetz 24043 den Opfern politischer Haft – und jetzt hören Sie zu, weil wir so sehr viel über Mittel reden, und wir sind ja so ein armes Land – umgerechnet 4.200 DM pro Haftmonat zugesteht und den Hinterbliebenen sogar noch eine erhöhte Entschädigung.

Sehr geehrter Herr Minister Sellering, es geht nicht um finanzielle Wiedergutmachung. Ich glaube nicht, dass irgendjemand ermessen kann, was dort wirklich kaputtgemacht wurde. Das Geld ist in der Tat nur symbolisch materialisierte Hilfe, materialisierte Anerkennung und setzt ein Zeichen. Und ich denke, wir reden gern und oft über Zivilcourage, fordern Zivilcourage und fördern, dass man mit dem breiten Strom schwimmt. Ich will Ihnen versuchen zu erklären, warum Sie eigentlich gar nicht anders können, als hier zuzustimmen, auch wenn alles richtig wäre, was bisher gesagt wurde.

Wer als Schüler verfolgt wurde, leidet oftmals heute noch. Und dass die Politik bisher versagt hat an dieser Stelle, das stellt ja gar keiner in Abrede. Nur dass wir selbst bei diesem Thema bei Schuldzuweisungen bleiben, anstatt zu gucken, wie man dort weiterkommt, das erschüttert mich eigentlich sehr. Hier muss ganz einfach an dieser Stelle korrigiert werden und jemand muss diese eigentlich schon seit längerem anstehende Forderung der Opferverbände einbringen und wir tun das hier sehr gerne. Der Zeitpunkt ist auch deshalb gut und günstig, weil derzeit das 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz im Bundestag am 17. oder 16. Juni, wenn ich richtig informiert bin, behandelt wird. Auch da ist es wichtig, von hier aus ein Zeichen zu setzen.

(Zuruf von Götz Kreuzer, PDS)

Es gibt sehr viele verschiedene Einzelschicksale mit den unterschiedlichsten Auswirkungen, die alle davon gekennzeichnet sind, dass die Benachteiligung bis heute fortwirkt. In vielen Fällen sind diese Menschen bereits anerkannt als Opfer politischer Willkür, gesellschaftlicher Irrtümer, aber sie erhalten nichts. Es ist eine Lücke im Gesetz, genau wie ich es gestern auch im Zusammenhang mit den Zwangsausgesiedelten und den Zivildeportierten jenseits von Oder und Neiße gesagt habe.

Es muss noch mal wiederholt werden: Es geht hier nicht in erster Linie um Geld.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Nur um Geld!)

Und auch die Summe wäre nach den bisherigen Einschätzungen und Erkenntnissen, die es durchaus gibt, überschaubar. Erinnert sei noch mal: Argentinien als nicht so reiches Land wie Deutschland gewährt eine weitaus höhere Summe als wir.

Ich möchte jetzt auch nicht weiter über Indikatoren und Modalitäten sprechen. Das hieße wahrscheinlich, den Rahmen zu sprengen. Aber, liebe Kollegen, gestatten Sie

mir, Ihnen eine einfache Geschichte einfach vorzulesen, die ist aktueller, als Sie denken: Man stelle sich einen Schulhof vor, Krawall, Fröhlichkeit, Gerangel, kurz: Lebensfreude. Abseits ein kleines Mädchen, mal ist ein kleiner Junge dabei, der Bruder. Sie sind immer allein. Ihr Glaube ist stärker als die allzu deutsche Eigenschaft, sich anzupassen. Das ist unwissenschaftlich und zurückgeblieben, sagt man. Manche lachen sie aus. Das müssen wir fördern, das Auslachen, sagt der Apparat. Er hat es getan. Er hätte es gar nicht tun müssen. Sie waren so eifrig, die Lacher, beim Ausgrenzen. Schwester und Bruder wurden ausgelacht, sie sind zurückgedrängt, zurückgeblieben, eiskalt zurückgelassen worden,

(Monty Schädel, PDS: Das ist wie in der heutigen Zeit.)

staatsfern abgesondert, in eine Oppositionsrolle gedrängt, die oft gar nicht gewollt war, immer verdächtigt, immer hinterfragt. Die anderen marschierten die gut gelernten markigen Lieder singend an ihnen vorbei. Sie sagen heute, es war nicht so schlecht, das Singen, das Laufen, das Fußball spielen und das Schwimmen im Klassenkampf. Wir waren doch wer. Man war doch eine große Gemeinschaft. Der Einzelne musste sich einfügen, sich unterordnen, erst mal was leisten, also die Klappe halten, die Zähne zusammenbeißen, nur nicht denken. Es ging ja schließlich allen so, also war es in Ordnung. Die haben es weit gebracht, sieht man manch Anwesen, manch Reisevideo, manche Rente. Das System hat es nicht weit gebracht. Es war schlimm, weiß man heute und hört es nicht gern. Man sieht auch gar nicht so gern hin, dass da noch andere sind, auch heute aus dem Kollektiv ausgeschlossen. Wir haben doch so schön mitgesungen, fleißig mitgemacht, nun stört manche Erinnerung eben.

Und nun kommen wir wieder zu dem Geschwisterpaar. Aus den Kindern sind inzwischen ältere Leute geworden, sie sind allein, sehr bitter, verschlossen, etwas wunderlich – mag sein. Die kamen doch noch nie klar, sagt man in so Runden, weißt du noch, mit dem Kollektiv damals auf dem Zeltplatz. Das waren noch Zeiten, als nicht nur das Geld zählte. Warum sind sie heute dazu gezwungen, dass nur das Geld zählt? Aber sie kommen klar. Wenn so unbequeme Fragen kommen, wehrt man sich, kollektiv, versteht sich, und zeigt oft: Schaut sie euch doch an, unsere großen Revolutionäre, damals mit den komischen Kerzen! Als Erste rausgeflogen sind sie. War doch klar, dass die sich nicht anpassen können. Kennen wir alles. Immer wieder dieses komische Wir. Und außerdem, da war doch mal was mit der Polizei und so. Na ja, die kannten eben ihre Pappenheimer.

Bruder und Schwester kamen nie auf einen grünen Zweig. Die Wege, die ihnen damals versperrt wurden, konnten sie einfach nie wieder beschreiten. Es war zu viel passiert, zu viel vorgefallen, sie waren in eine Verteidigerrolle gedrängt und hatten sich auch persönlich verändert.

Herr Helmrich hat es schon gesagt, nach den beruflichen Rehabilitierungsgesetzen können sie bei ihrer beruflichen Förderung unterstützt werden. Die Zeitgrenze für das BAföG ist außer Kraft für diesen Personenkreis, aber aus Altersgründen greift das alles nicht. Und in dem Gesetz ist die Frage „Was wäre, wenn?“ ausgeschlossen, deshalb die symbolische Gewährung einer Summe je nach Schwere des Schicksals bis zu 10.000 DM, wie Sachsen es für sich auch beschlossen hat. Sachsen hat versucht, die Gerechtigkeitslücke auf Bundesebene zu schließen. Das ist nicht gelungen und so hat man diesen

Weg gewählt, den verfolgten Schülern noch ein Stück Wiedergutmachung zukommen zu lassen. Und noch mal der Hinweis: Es geht nicht in erster Linie um das Geld. Darüber kann man reden. Auch über den Weg, wie man es umsetzen will, kann man reden, nur, man muss es tun und deshalb dieser Antrag und die Bitte, ihn auch zu überweisen, um darüber reden zu können.

Die Geschichte, die ich Ihnen vorgelesen habe, ist unspektakulär und die handelnden Personen begegnen uns täglich. Ich bitte Sie hier an dieser Stelle, in dieser Zeit, in diesem Raum, dass wir, um ein klein wenig mehr Gerechtigkeit herzustellen, unabhängig vom politischen Bekenntnis an dieser Aufgabe mitarbeiten. Und wenn Sie helfen wollen, stimmen Sie bitte zu. Wenn Sie nicht zustimmen, nehmen Sie dem Landtag die Möglichkeit zu helfen, und das können Sie aus meiner Sicht ernsthaft nicht wollen. Über das Wie, wie gesagt, kann man sich ganz bestimmt einigen. Es geht nicht um Wählerpotential und es geht auch nicht darum, irgendjemandem die Vergangenheit um die Ohren zu schlagen. Wie wollen Sie eine Brücke bauen, wie es immer gesagt wird, wenn es nicht einmal ein Gespräch über die Opfer dieser tragischen Irrwege geben darf,

(Zuruf von Monty Schädel, PDS)

nur Gespräche? Das Mindeste ist doch, dass man zur Kenntnis nimmt und Aufmerksamkeit widmet. Das können Sie nicht nicht wollen.

(Monty Schädel, PDS: Ich habe das aber auch in diesem Staat erlebt. Genau dasselbe!)

Und wenn am Ende eines langen Weges jeder sagen kann, das und jenes habe ich schlimm falsch gemacht,

(Monty Schädel, PDS: Ich habe das in diesem Staat erlebt, obwohl ich so jung war. Genau dasselbe, in diesem Staat!)

aber ich helfe mit, es wieder gutzumachen oder dafür zu sorgen, dass es nie wieder passiert, darf meiner Ansicht nach unser Volk auch einen kurzen Augenblick stolz auf sich sein. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege.

Ich schließe die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion der CDU auf Drucksache 3/1996(neu) zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Finanzausschuss zu überweisen. Wer diesen Vorschlag unterstützt, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen bitte. – Danke. Stimmenthaltungen? – Vielen Dank. Der Überweisungsvorschlag ist angenommen mit den Stimmen der CDU-Fraktion, mehrheitlich den Stimmen der SPD-Fraktion, einigen Stimmen der PDS-Fraktion, bei einigen Gegenstimmen der PDS-Fraktion und Stimmenthaltungen in der SPDund PDS-Fraktion.

Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Professor Dr. Eggert hat gemäß Paragraph 43 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung um das Wort zur Abgabe einer persönlichen Erklärung gebeten.

Bitte schön, Herr Professor Eggert, Sie haben das Wort.