Protocol of the Session on April 5, 2001

Nun kann gesagt werden, mit der in Vorbereitung befindlichen Übertragung der Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers auf den örtlichen wäre sozusagen die Sache geklärt und es wäre ein Stoß ins Leere. Zum einen verweise ich darauf, dass die Rechtslage ja so noch nicht besteht, zum anderen sage ich, dass der Prozess dieser Prüfung, die wir hier anstreben, begleitet sein muss von einer Definition qualitativer Standards, die wir dringend – und nach Paragraph 93 BSHG auch vorgeschrieben – brauchen. Es scheint also durchaus lohnenswert, fließende Grenzen zwischen den stationären, teilstationären und ambulanten Hilfen herzustellen, und das aus mehreren Gründen:

1. Die Hilfeleistung könnte sich noch konsequenter an der Lebenslage der Hilfeberechtigten ausrichten. Selbsthilfekräfte könnten sich noch intensiver entwickeln.

2. Eine während der stationären Unterbringung und vor Ablauf der 18-monatigen Frist erzielte Stabilisierung der Persönlichkeit hin zu mehr Selbstbestimmung, hin zum Abbau sozialer Schwierigkeiten könnte dem Betroffenen helfen und verstärkt werden, indem die für ihn zur Verfügung stehenden Hilfen problemlos in eine teilstationäre oder ambulante Betreuung überführt werden.

3. Die Zäsur in der Lebenssituation des Betroffenen könnte nach Ablauf der Hilfegewährung geringer ausfallen, wenn diese nicht alleinig in einer stationären Einrichtung erfolgt.

4. Eine an der Situation des Betroffenen orientierte wahlweise Hilfegewährung innerhalb des Zeitraums der Hilfen würde der Entstehung oder Verfestigung von Abhängigkeitssymptomen, die durch stationäre Betreuung entstehen können, entgegenwirken.

Sehr geehrte Damen und Herren, was spricht also gegen die Vision einer stationären Hilfe mit einem relativ begrenzten Platzangebot, zum Beispiel in einem Haupthaus und mehreren kleinen WGs oder Einzelwohnungen? Damit würde die stationäre Hilfe nicht mehr die Sackgasse sein, als die sie oft noch von vielen Betroffenen betrachtet wird, sondern sie wäre eine individuelle Hilfe mit echten Alternativen. Damit bestünde eine thematische Nähe zum betreuten Wohnen, die Chance zu einer sinnvollen Vernetzung von stationärer und ambulanter Hilfe. Damit diese Vernetzung jedoch gelingt, muss auch der Kostenträger von der Erforderlichkeit des Ineinandergreifens der Hilfeform überzeugt sein.

Sehr geehrte Damen und Herren, Sie sehen, es gibt gute Gründe zu prüfen, inwiefern wir die Hilfeberechtigten nach Paragraph 72 BSHG zielgenauer unterstützen, begleiten und betreuen können. Es gibt gute Gründe zu prüfen, inwiefern wir das Geld, das wir landesseitig einsetzen, sozialpolitisch noch wirksamer werden lassen. Die Prüfung muss aus unserer Sicht einzig und allein solchen sozialpolitischen Grundsätzen folgen wie:

der Selbstbestimmung und Teilhabe der Hilfesuchenden, die so zu berücksichtigen sind, dass keinerlei Fremdbestimmung erzeugt wird. Die Hilfeberechtigten sind als mündige Bürgerinnen und Bürger zu respektieren.

der sich an der Lebenswelt der Betroffenen orientierenden Angebote, die an den Bedürfnissen, Fähigkeiten und der Bereitschaft der Hilfeberechtigten ansetzen.

der Förderung der Selbständigkeit und der Selbstverantwortung.

Dabei geht es keinesfalls um eine versteckte Bereinigung der Trägerlandschaft. Nein, im Gegenteil, mehr denn je bedarf die Hilfe für Wohnungslose zahlreicher engagierter, hochqualifizierter und motivierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die geschilderten flexiblen Rahmenbedingungen im Sinne der ihnen anvertrauten Menschen anzuwenden verstehen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Herr Koplin.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Glawe von der Fraktion der CDU.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Herr Glawe, Sie schon wieder?!)

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen!

Dr. Schoenenburg, ich schon wieder! Ich kann nichts dafür,

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

aber ich will es dieses Mal auch kurz machen.

(Vizepräsidentin Kerstin Kassner übernimmt den Vorsitz.)

Zur Umwandlung stationärer Einrichtungen nach Paragraph 72 Bundessozialhilfegesetz: Herr Koplin, es ist ja schön, wenn Sie große Reden halten und große Dinge aus der Landesarmutskonferenz hier vortragen. Entscheidend ist, denke ich, …

(Gabriele Schulz, PDS: Das sind Tatsachen, Herr Glawe!)

Ja, Tatsachen. Ich will nur mal sagen, was Tatsachen sind.

(Irene Müller, PDS: Da sind wir aber mal gespannt. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeord- neten der PDS – Dr. Gerhard Bartels, PDS: Woher wollen Sie das wissen? – Zuruf von Birgit Schwebs, PDS)

Das Sozialgesetzbuch lässt sich vom Grundsatz her davon leiten, nämlich von den Besonderheiten eines Einzelfalles. Das heißt, wenn eine Person in Not geraten und Sozialhilfeempfänger ist, …

(Torsten Koplin, PDS: Darum geht’s.)

… dann besteht für ihn auch das Recht auf Hilfe. Und dann ist zu klären, wer zuständig ist, erste Frage. Ich bin dann vielleicht auch zuständig,

(Torsten Koplin, PDS: Politik immer.)

aber in dem Falle eher mit der Frage, ob ich örtlicher oder überörtlicher Träger der Sozialhilfe bin. Und da ich weder Angestellter einer Kreisverwaltung noch Landesbediensteter bin, gehe ich davon aus, dass ich das eher politisch begleite.

(Zuruf von Annegrit Koburger, PDS)

Und dann sind Sie, Frau Ministerin, zuständig oder mein Landrat Molkentin in Nordvorpommern.

Meine Damen und Herren, Art, Form und Maß der Sozialhilfe richten sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles und vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, nach der Art des Bedarfes und nach den örtlichen Verhältnissen. Und da sind wir bei einem Thema. Es geht also um die örtlichen Verhältnisse, es geht um den Hilfe

bedarf. Dann kann nach einem Hilfeplanverfahren, wenn man diesen erstellt hat, entschieden werden, ob es eine ambulante Form wird, eine stationäre oder eine teilstationäre Form der Betreuung.

Meine Damen und Herren, das hat also nichts damit zu tun, was Sie unterstellen wollen, dass irgendwelche Personen bevorteilt, benachteiligt oder sozusagen in stationären Einrichtungen gehalten werden und ihre Freiheit sozusagen nicht ausleben können. Das ist, denke ich, nicht Grundsatz.

Herr Koplin, eines will ich Ihnen noch ins Stammbuch schreiben:

(Torsten Koplin, PDS: Bitte.)

Es kann nicht sein, dass wir hier sozusagen Prüfaufträge erteilen, die völlig normal sind im Regierungshandeln, denn dazu gibt es eine Verordnung. Und diese tritt erst am 1. August diesen Jahres in Kraft.

(Annegrit Koburger, PDS, und Torsten Koplin, PDS: 1. Juli!)

Na gut,

(Zuruf von Irene Müller, PDS)

erst im Juli, sechs Monate nach Verkündung. Also nach meiner Meinung wäre das denn der 1. August, aber vielleicht wäre es auch der 1. Juli, da will ich mich jetzt nicht streiten.

Meine Damen und Herren, was will ich sagen? Entscheidend ist, denke ich, dass auch die Beteiligung der Fachausschüsse oder zum Beispiel der Liga stattfindet. Die hat bisher nicht stattgefunden. Und auf der anderen Seite gebe ich Ihnen auch Recht, Sie haben es ja selbst ausgeführt, zurzeit wird gerade verhandelt über einen höheren kommunalen Verband – Zusammenlegung von überörtlichen und örtlichen Trägern der Sozialhilfe. Das sind schwierige Verhandlungen. Da müssen Daten erhoben werden. Da werden alle Dinge zusammengetragen. Da muss man sich über Dinge verständigen, die zukunftsweisend sind.

(Irene Müller, PDS: Sie sollten Referent bei der Sozialministerin werden.)

Sie belasten jetzt einen nach dem anderen. Und deswegen meine ich eigentlich, die Dinge, die Sie hier einfordern, werden sowieso gemacht.

(Zuruf von Irene Müller, PDS)

Die gehören zum laufenden Geschäft einer Kreisverwaltung, zum laufenden Geschäft auch im Sozialministerium. Deswegen meine ich eigentlich, dass dieser Antrag überflüssig ist, und wir werden ihn ablehnen. – Danke schön.