Protocol of the Session on November 15, 2000

(Andreas Bluhm, PDS: Ja, genau.)

Die Praxis bringt Erkenntnisse hervor, die sich nicht im Turm von Babel durch statistische Erhebungen gewinnen lassen. Aber dies hier nur am Rande.

(Andreas Bluhm, PDS: Das kann man doch schnell machen.)

Meine Damen und Herren! Die sinnvollste Alternative, die sowohl Abitur- als auch Schulentwicklungsplanung unter einen Hut gebracht hätte, die wurde von der SPD 1996 nicht favorisiert. Es kann Zweifel bestehen, dass der Autor der Kabinettsvorlage von damals diese Variante als die beste aller Alternativen gesehen hat. Weil es an dem ist, möchte ich aus der Kabinettsvorlage einmal wörtlich z i t ieren: „Unterricht im Rahmen von Ganztagsbetreuung. An vier Tagen in der Schulwoche – freitags nur vormittags Unterricht – könnten Unterrichtsstunden, Pausen, außerunterrichtliche Angebote, Hausaufgabenbetreuung und Mittagstisch pädagogisch sinnvoll über eine Zeitspanne von etwa 8 bis 16 Uhr verteilt werden. Die Einführung von Ganztagsschulen würde zusätzlich Kosten für die sozialpädagogische Begleitung im Umfang von acht Stunden wöchentlich erfordern. Jedoch wäre dies eine Möglichkeit, dem Schülerrückgang zu begegnen und die immer größer werdenden Schulregionen über 100 Quadratkilometer schülerfreundlicher und lernpsychologisch sinnvoller zu gestalten.“ So weit das Zitat aus der Kabinettsvorlage.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Angebot hätten wir in Mecklenburg-Vorpommen bildungspolitisch sowohl für die Haupt- und Realschüler als auch für die Gymnasiasten etwas schaffen können. Dieser Ansatz beinhaltet einiges von dem, was ich gerade versucht habe zu erläutern. Es ist der einzige Ansatz, in dem von „pädagogisch sinnvoll“, von „Schülerfreundlichkeit“ und von „lernpsychologisch sinnvoll“ die Rede ist. Was damals als richtig erschien, das muss ja nun heute nicht unbedingt falsch sein.

Zugegeben, die Ganztagsschule stand bisher nicht im Wahlprogramm der CDU,

(Sylvia Bretschneider, SPD: Sie entdecken für einiges Ihre Vorlieben.)

aber das Wahlprogramm ist kein Fünfjahresplan und schon gar nicht eine Gesetzmäßigkeit. Sie werden es vielleicht bemerkt haben, die Ganztagsschule wird von der CDU nicht erst seit heute favorisiert. Schon in unserem Antrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus nimmt diese Beschulungsform eine zentrale Rolle ein.

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Wir kommen nicht umhin, den Menschen im Land ein Angebot zu unterbreiten

(Dr. Margret Seemann, SPD: Auf einmal?)

und für sie die dramatischen Umbrüche aufgrund der demographischen Entwicklung plausibel zu machen. Wir müssen den Menschen ein Angebot machen, bei dem sie sich sicher sein können, dass sie weiterhin Familie und Beruf miteinander vereinbaren können, dass ihre Kinder in einem weiter entfernten Schulort jenseits der vertrauten heimischen Umgebung gut betreut sind und vor allem auch gut lernen können.

(Andreas Bluhm, PDS: Das könnte glatt aus einer Rede von mir sein.)

Eine optimale Organisation der Ganztagsschule hätte zur Folge, dass der gesamte Unterricht entzerrt werden könnte, dass mehr Raum geschaffen wird für Fordern und Fördern. Ganztagsschule darf nicht heißen, dass wie gewohnt vormittags unterrichtet und nachmittags betreut wird. Wer eine solche Sicht der Ganztagsschule hat, der sollte dann bitte die Finger davon lassen. Und, meine Damen und Herren, bei der Organisation der Ganztagsschule muss auch den Eltern Raum gegeben werden, die für sich selber in Anspruch nehmen, ihre Kinder am Nachmittag zu betreuen. Das heißt, die Ganztagsschule ist eine Angebotsschule und keine Pflichtschule. Das ist besonders für die kreisfreien Städte von besonderer Bedeutung, die durch eingrenzbare Schulwege Möglichkeiten bieten, die Betreuung der Kinder anderweitig zu organisieren. Aber dieser Facettenreichtum erfordert ein Höchstmaß an organisatorischem Geschick,

(Andreas Bluhm, PDS: Ja.)

erfordert motivierte Lehrer, erfordert ein entsprechendes Stundenpotential,

(Andreas Bluhm, PDS: Ja.)

erfordert eine entsprechende materielle Ausstattung der Schulen und vieles andere mehr. Unterm Strich gesagt: Dieses Konzept kostet Geld.

(Harry Glawe, CDU: So ist es. – Andreas Bluhm, PDS: Ja, dann müssen Sie doch auch sagen, woher. – Zurufe von Sylvia Bretschneider, SPD, und Dr. Margret Seemann, SPD)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Geld kostet auch das 13. Schuljahr.

(Zuruf von Heike Lorenz, PDS)

Ich darf hier nur mal eine Zahl nennen: Ein ganzes 13. Schuljahr kostet 50 Millionen DM. Das sind in zehn Jahren immerhin 500 Millionen DM, die nur die Einführung des 13. Schuljahres kostet. Geld kostet auch die Regionalschule. Eins ist aber auch gewiss:

(Sylvia Bretschneider, SPD: Ja, Bildung ist uns eben was wert, Frau Schnoor. – Heiterkeit bei Eckhardt Rehberg, CDU: Liebe Frau Bretschneider!)

Schafft man die Verknüpfung mehrerer bildungspolitischer Vorhaben, lässt sich an der einen oder anderen Stelle sicherlich auch Geld sparen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Keine Frage ist, dass die gymnasiale Ausbildung – und nicht nur die – einer inhaltlichen Überarbeitung bedarf. Eine Forderung, in der ich uneingeschränkt dem Kollegen Bluhm Recht gebe, ist die nach der Ausrichtung der Bildung auf lebenslanges Lernen. Das darf aber nicht dazu führen, dass das Primat des Basiswissens dem Primat der Methodenkenntnisse weicht – mitnichten. Es darf aber hinterfragt werden, ob die eine oder andere mathematische Spezifikation aus der gymnasialen Oberstufe dorthin gehört oder ob dies nicht vielleicht schon Stoff des Grundstudiums Mathematik darstellt,

(Andreas Bluhm, PDS: Ja, könnte sein.)

zumal die Professoren an den Hochschulen gerade über das Fehlen simpler Grundvoraussetzungen bei den Studenten klagen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Wohl wahr.)

Da liegt, meine Damen und Herren, viel Potential versteckt.

Zu überdenken ist auch das Kurssystem in der gymnasialen Oberstufe. Es ist zu hinterfragen, ob das Kurssystem die gesteckten Erwartungen erfüllt oder ob nicht vielleicht hier schon Elemente von dem gefordert werden, die erst mit Aufnahme des Studiums verbunden werden. Das sind nur einige Fragestellungen, die wir mit dem Thema eines verkürzten gymnasialen Bildungsganges mit diskutieren müssen.

(Andreas Bluhm, PDS: Ja.)

Nur, wenn Sie heute damit nicht anfangen wollen, wann dann?

Herr Bluhm, ich bemühe Sie ein letztes Mal und dann lasse ich Sie für heute in Ruhe. Sie sprachen im April 1999 auch davon, dass Sie nicht unbedingt auf die KMK warten wollen, ehe dieser schwerfällige Tanker sich in die richtige Richtung bewegt.

(Harry Glawe, CDU: Das hörte sich heute aber anders an. – Andreas Bluhm, PDS: Nee, nee, nee! – Wolfgang Riemann, CDU: Ja!)

Heute hörte es sich anders an. Sie wollten damals Ihre Bildungspolitik planmäßig umsetzen. Meine Damen und Herren, der Plan ist zwar erfüllt, aber schön geredet. Auch das ist bekannt.

(Harry Glawe, CDU: Einen vor, zwei zurück.)

Aber bleiben Sie beim Kern der Aussage!

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Lieber Herr Bluhm, machen Sie doch mal eine Plankorrektur. Das kennen Sie doch.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Birgit Schwebs, PDS: Ha, ha!)

Ihre Fünfjahrespläne wurden doch auch immer korrigiert, wenn die Konsumbedürfnisse der Menschen in der damaligen DDR für die Regierenden der SED zu einer Bedrohung wurden.

(Irene Müller, PDS: Gott sei Dank! – Zuruf von Birgit Schwebs, PDS)

Warten Sie also nicht auf die KMK, sondern fällen Sie endlich eine mutige Entscheidung,

(Harry Glawe, CDU: Sonderschicht am Wochenende.)

wenn es nur dem Umstand geschuldet ist, Ihre desolate bildungspolitische Bilanz ein wenig aufzubessern und der Versuchung zu entfliehen, immer wieder alte Reden zu bemühen und mir meine bereits allseits bekannte Bilanz immer wieder vorzuhalten. Also, meine Damen und Herren, nutzen Sie die Chance, die wir Ihnen wiederholt bieten. Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Danke, Frau Schnoor.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Bretschneider für die SPD-Fraktion. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ja eine Faustregel in der Bildung, dass etwas, was ständig wiederholt wird, sich einprägt und dann auch zum Erfolg führt. Ich bin eigentlich optimistisch, was die Opposition angeht. Frau Schnoor hat ja dargestellt, dass man auf den Oppositionsbänken sehr gut lernen kann.

(Wolfgang Riemann, CDU: Und in der Regierung verliert man die Lernfähigkeit. – Zuruf von Dr. Henning Klostermann, SPD)

Das gönne ich der CDU auch aus vollem Herzen. Gerade in Fragen der Bildungspolitik, glaube ich, ist das ganz, ganz wichtig für unsere Opposition.