Protocol of the Session on October 18, 2000

Nun etwas Konkretes zur Situation in MecklenburgVorpommern: Es wurden erfreulicherweise in Mecklenburg-Vorpommern zum Stichtag 30. Juni 1999 in zwölf Tagesstätten 268 Plätze vorgehalten. Zugleich existieren acht Übergangswohnheime mit 161 Plätzen. An eine Aufstockung der Platzzahlen ist derzeit nicht gedacht. Für die Betreuung beziehungsweise Unterbringung in Tagesstätten sowie in Übergangswohnheimen hat das Land auch im Haushaltsjahr 2000 erhebliche Sozialhilfemittel aufgewandt.

Lassen Sie mich nun zum eigentlichen Wohnungslosenbericht kommen.

Externe landesspezifische wissenschaftliche Untersuchungen zur Wohnungslosenproblematik lagen der Landesregierung nicht vor. Um genauere Kenntnisse über Häufigkeit und Ausmaß der Wohnungslosigkeit zu erhalten, hat die Landesregierung an die Landkreise und kreisfreien Städte Fragebögen versandt. Ich möchte allen Landkreisen und kreisfreien Städten danken, denn der Rücklauf war vollständig.

Als „wohnungslos“ im Sinne der Erhebung – wie im Übrigen auch auf Basis der Definition des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge – wird betrachtet, wer weder über Wohneigentum noch über mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt. Die Auswertung der Fragebögen lässt Folgendes zu:

Erstens. Die Erhebung von Daten zur Situation der Wohnungslosen war grundsätzlich schwierig, da sich die Wohnungslosen in unterschiedlichen Unterbringungsformen finden lassen. Zum Teil versorgen sich diese Menschen ohne staatliche Hilfe vorübergehend selbst und entziehen sich somit einer Erfassung.

Zweitens. Eine durch sichere Angaben unterlegte Auswertung der veranlassten Erhebung von Daten zur Wohnungslosigkeit bei den Landkreisen und kreisfreien Städten ist nicht möglich. Das heißt, es lagen Daten und Informationen vor, die gar nicht beziehungsweise nicht flächendeckend verfügbar sind. Damit waren also eine Vergleichbarkeit und eine durchlässige Analyse nicht möglich.

Dennoch lassen sich Schlussfolgerungen ziehen, die ich im Einzelnen an den Ergebnissen darstellen möchte.

Es kann aufgrund der Leerstände die Feststellung getroffen werden, dass Wohnraum ausreichend in Mecklenburg-Vorpommern vorhanden ist. Deshalb sollten die Kommunen nach Möglichkeiten suchen, die absolute Anzahl der Zwangsräumungen durch geeignete Maßnahmen zu reduzieren, was natürlich nur in

enger Zusammenarbeit mit Wohnungsunternehmen und anderen Vermietern möglich ist.

Oftmals sind Bevölkerungskreise von Wohnungslosigkeit bedroht, die noch nicht im Sozialhilfebezug stehen. Das ist auch ein Ergebnis der Untersuchung.

Die Problematik, was Wohnungslosigkeit betrifft, ist in den östlichen Landesteilen ausgeprägter als in den westlichen Landesteilen. Das verwundert angesichts der differenzierten und der höheren Arbeitslosigkeit in den östlichen Landesteilen sicherlich nicht.

Durch Sozialhilfe- beziehungsweise Wohngeldbezug kann der Erhalt des Wohnraums gesichert werden. Betroffene müssen das wissen, um rechtzeitig Hilfe zu bekommen und damit Wohnungslosigkeit zu verhindern. Ich möchte hier noch mal auf den Rechtsanspruch verweisen, was die Sozialhilfe und das Wohngeld betrifft.

Tendenziell ist den Erhebungsbögen zu entnehmen, dass Familien mit Kindern sowie Alleinerziehende – und das dürften insbesondere Frauen sein – im Bedarfsfall mit Wohnraum versorgt werden können.

Dort, wo durch kommunale Fachstellen, wie zum Beispiel in Stralsund, Beratung und Hilfen angeboten werden, ist sowohl die Prävention als auch die zügige Versorgung mit Wohnraum zu Notfällen gegeben.

Im Rahmen der Vermittlung von Hilfe zur Selbsthilfe durch Tagesstätten kann bei Problemfällen auf das Ziel der Wiedererlangung der Mietfähigkeit hingewirkt werden.

Erfreulicherweise haben zahlreiche Kreise und kreisfreien Städte kommunale Wohnungsprogramme aufgelegt.

Das ist ein Beleg dafür, wie auf kommunaler Ebene Wohnungs- und Sozialpolitik sinnvoll vernetzt werden können und Wohnungslosigkeit bereits im Vorfeld vermieden werden kann. Die Landesregierung empfiehlt daher den Kommunen, soweit es noch nicht geschehen ist, ämterübergreifend die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, um eine aktive und präventive Rolle zu übernehmen, um Wohnungslosigkeit zu vermeiden.

Wir sind der Auffassung, dass in Auswertung des Berichtes zusätzliche Wohnungsbauprogramme oder Forschungsprojekte nicht erforderlich sind. Es sind einzelne Maßnahmen notwendig, die meine Kollegin Bunge einleitet. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Koplin von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Koplin.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Fast auf den Tag genau 18 Monate ist es her, dass wir die nun vorliegende Unterrichtung in Auftrag gaben und uns hier über Sinn und Unsinn eines solchen Vorhabens stritten. 18 Monate, Sie geben mir bestimmt Recht, das ist noch nicht allzu lange her. Es ist aber die Zeit, die ein Wohnungsloser mit so genannten besonderen sozialen Schwierigkeiten nach Paragraph 72 BSHG als Chance zur Resozialisierung erhält. Diese 18 Monate sind die Zeit für seine Chance auf ein anderes Leben. Das erwähne ich eingangs, weil wir nicht allein

über die Unterrichtung reden, sondern über die Schicksale von Menschen.

Die CDU verwies damals – ich glaube, Herr Dr. Born sprach – darauf, dass wir es hier mit einem Problem zu tun haben, das dort angepackt werden sollte, wo es vorhanden ist, nämlich in den Kommunen, und dass mit Berichten allein nichts zu ändern sei. Grundsätzlich haben diese Aussagen sicher ihre eigene Logik. Aber lassen Sie uns anhand des vorgelegten Materials schauen, ob sie auch auf die uns hier beschäftigende Thematik zutrifft.

Ein solch umfangreiches Material liegt zum Thema Wohnungslosigkeit erstmals in unserem Land vor.

(Beifall Heike Lorenz, PDS)

In den Jahren 1994 und 1995 erfolgte durch das damalige Innenministerium eine Abfrage der Kommunen zur selben Thematik, damals allerdings lediglich aus ordnungsrechtlicher Sicht. Allein der Wechsel der Zuständigkeit – denn der vorliegende Bericht wurde unter Federführung des Sozialministeriums erstellt – veranlasst mich zu der Erkenntnis, dass auch in Mecklenburg-Vorpommern ein Umdenken erfolgte. Und ich denke, das hätten Sie zumindest würdigen sollen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Meine Damen und Herren, Wohnungsnotfall ist in der Lesart der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfen jeder Fall, der von Wohnungslosigkeit bedroht oder bereits betroffen ist. Wenn wir diese Fälle nicht mehr allein als Fälle verstehen, sondern beginnen, die damit eigentlich gemeinten Menschen zu sehen, mit all den Problemen, die dazu geführt haben, dass sie heute als so genannter „Fall“ registriert werden, dann verstehe ich als Sozialpolitiker das als den Anfang eines langen Weges. Aber wir haben mit dem Bericht begonnen, ihn zu beschreiten, und das ist wichtig.

Insofern gilt unser Dank all denen, die diesen Bericht erstellt haben: den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien, aber in ganz besonderer Weise denen in den Kommunen, die, wie auf Seite 4 der Drucksache zu lesen ist, alle wenigstens den Versuch einer Beantwortung der im Fragebogen enthaltenen Fragen unternommen haben.

Sie – eben die Kommunen – sind laut Kommunalverfassung verantwortlich für die Daseinsvorsorge, für alle, die sich in ihren Territorien aufhalten, also auch für die Personengruppen, die einer Hilfe durch die Gesellschaft bedürfen. Die Kommunen sind es, die tagtäglich für die Bewältigung des Alltags, für Geborgenheit, sozialen Ausgleich und Frieden, manchmal auch eben für das Dach über dem Kopf des Einzelnen sorgen müssen.

Nun frage ich in unsere Runde und insbesondere in Richtung der Opposition, die vor Monaten hier, wie gesagt, die Auffassung vertrat, dass dieses Thema in den Kommunen zu behandeln sei: Geht es uns nichts an, wenn in unserem Land mehr als 2.000 Menschen ohne mietvertraglich gesicherten Wohnraum leben und damit auf Obdachlosenunterkünfte angewiesen sind? Sollten wir es nicht wissen, wenn mehr als 6.000 weitere Personen von Wohnungslosigkeit bedroht und auf die Hilfe der Kommunen angewiesen sind, um ihre Wohnung erhalten zu können?

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich auf eine Kernaussage der Unterrichtung eingehen: Als Haupt

ursache für belastete Mietverhältnisse werden Mietschulden benannt. Sie sind immerhin zu 72 Prozent Anlass des drohenden Wohnungsverlustes – Seite 6 der Drucksache. Die Mietschulden werden an dieser Stelle der Unterrichtung vor dem Hintergrund geringer Haushaltseinkommen und steigender Wohnkosten erklärt.

Dieser Hintergrund enthält aus unserer Sicht zwei Parameter:

Zum einen die geringen Haushaltseinkommen. Sie haben ihre Ursachen in fehlenden Arbeitsplätzen, also in Arbeitslosigkeit, geringfügiger oder Teilzeitbeschäftigung, unter- oder gar nicht bezahlter Arbeit, Wohngeld- beziehungsweise Sozialhilfebedürftigkeit. Dieses Problem durchzieht alle Bundesländer gleichermaßen. Unser Land unternimmt große Anstrengungen zur Schaffung beziehungsweise Erhaltung von Arbeitsplätzen, aber auch Fördergelder hierfür müssen regelmäßig auf ihren zielgenauen Einsatz hin überprüft werden.

Zum anderen die steigenden Wohnkosten. Im November 1999 kam das Wissenschaftszentrum Berlin in einer Studie über die Entwicklung der Wohnverhältnisse in Ost und West unter anderem zu folgenden Aussagen: „… neue, nur von einem Teil der Haushalte bezahlbare Mietwohnungen gelangten überdurchschnittlich auf den Markt, preiswerte Standardangebote verschwanden demgegenüber häufiger vom Markt. … Am nachteiligsten verlief diese Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern, bei durchschnittlicher Einkommensentwicklung entwickelten sich die Mieten überdurchschnittlich“.

Während in der Unterrichtung auf Seite 27 davon ausgegangen wird, dass preiswerter Wohnraum ausreichend vorhanden sei, wird im Berichtsteil des Bauministeriums diese These durch die Feststellung relativiert, dass sich dank der Förderpolitik ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen der Zahl der Haushalte und der verfügbaren Wohnungen entwickelt habe, auch wenn regional noch Engpässe bei preiswerten Wohnungen bestünden. Wenn diese relativ ausgewogene Darstellung, die ich durchaus teile, eine Entspannung am Wohnungsmarkt beschreiben soll, dann lässt aber auch hier eine differenzierte Betrachtung nicht den Schluss zu – und dieser ist auch nicht gezogen worden –, dass die Wohnungsprobleme gelöst seien.

Den Wohnungsmarkt als solchen gibt es nicht. Wohnungsversorgung findet auf Teilmärkten statt, die räumlich, qualitativ beziehungsweise preislich und sozial differenziert sind. Und zwischen diesen Teilmärkten findet nur ein sehr begrenzter Ausgleich statt. Leerständen und Überversorgung auf der einen Seite stehen Knappheit und Versorgungsengpässe auf der anderen Seite gegenüber. Das erlebe ich in einer Stadt wie Neubrandenburg sehr bewusst. Wie sollte es da in einem ganzen Land anders sein?

Das Kapitel „Wohngeld – Mieten“ ist sehr kurz gefasst. Das Wohngeld soll einkommensschwache Haushalte entlasten. Zum 1. Januar 2001 tritt ein neues Wohngeldrecht in Kraft. Aber auch hier hält sich nach zehn Jahren das Prinzip: Was für den Westen gut ist, muss es für den Osten des Landes noch lange nicht sein. Für die neuen Bundesländer wird es bis zum Jahr 2002 keine Veränderungen der so genannten Höchstbetragstabelle geben. Während die förderfähigen Miethöchstbeträge für die westlichen Bundesländer im Durchschnitt um 20 Prozent angehoben worden sind, gilt für die neuen Bundesländer

weiterhin die in Paragraph 8 Wohngeldgesetz festgelegte Tabelle, in der lediglich Baujahr und Heizungsart, nicht aber weitere Kriterien einer Mietregion zu Unterschieden im Betrag führen.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Landesarmutskonferenz hat sich im Jahr 1999 mit dem Thema Wohnungslosigkeit befasst. Die PDS-Fraktion hat sich mit einer Arbeitsgruppe der Landesarmutskonferenz, die den Namen „Runder Tisch gegen Wohnungslosigkeit“ trägt, über die Unterrichtung ausgetauscht. Seitens der Vertreterinnen und Vertreter der Landesarmutskonferenz gab es neben der Wertschätzung über die Tatsache, dass eine Unterrichtung angefertigt wurde, jedoch auch kritische Bemerkungen, die nicht vorenthalten werden dürfen: so die Kritik darüber, dass vor der Erstellung des Erfassungsbogens, der Grundlage für die Unterrichtung an den Landtag ist, mit den Kommunen beziehungsweise den Fachkräften der Landesarmutskonferenz keine Verständigung über dessen Inhalte, über einheitliche Definitionen und mögliche Erfassungsmodi erfolgte, so die berechtigte Kritik, dass der Unterrichtung weder eine geschlechtsspezifische noch altersspezifische Erfassung des Phänomens Wohnungslosigkeit zugrunde liegt. Vorgetragen wurde seitens der Landesarmutskonferenz aber auch die Sorge, dass das bisherige pauschalierte Wohngeld für Sozialhilfeempfänger durch das neue Wohngeldgesetz reduziert wird, was dazu führt, dass ohne Möglichkeit der Einflussnahme seitens der Kommunen automatisch deren Sozialhilfeausgaben steigen können.

Sehr geehrte Damen und Herren, die PDS-Fraktion ist der Auffassung, dass sich aus der Unterrichtung weiterer Handlungsbedarf ableitet.

(Beifall Heike Lorenz, PDS)

Und darum geht es. Herr Glawe – Sie haben es im Gegensatz zu mir, denn ich höre Ihnen immer sehr aufmerksam zu, nicht für nötig gehalten, mir zuzuhören, wenn ich das richtig beobachtet habe –, uns geht es darum, dass wir erst auf Fakten basierend Handlungen zur Vermeidung und Verhinderung von Wohnungslosigkeit herbeiführen können.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und den Bericht – und da bin ich, denn ich habe Sie ja schätzen gelernt, wenn wir in Talkrunden aufeinandertreffen, zumindest an dieser Stelle hier enttäuscht – als „tränendrüsendrückend“ zu diffamieren und das Berichtsersuchen von SPD/PDS-Koalition schlecht zu reden ist aus meiner Sicht gegenüber den Betroffenen schäbig und niederträchtig.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Wir werden zum Beispiel die Frage zu verfolgen haben – und da sind wir gewillt und das können wir nur auf Grundlage dieser Unterrichtung, die uns jetzt vorliegt –, ob sich nicht auch unser Land der Anregung des Deutschen Städtetages anschließen sollte, dass stationäre Einrichtungen für Wohnungslose bis auf ein notwendiges Mindestmaß zugunsten teilstationärer und ambulanter Angebote umstrukturiert werden. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seemann von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Frau Seemann.

(Vizepräsidentin Kerstin Kassner übernimmt den Vorsitz.)