Protocol of the Session on July 12, 2000

Was die auf dem Verordnungsweg eingeführten Personal- und Sachstandards betrifft, könnte das Parlament ja im Laufe des Experiments sogar einige Aufklärung darüber bekommen, was die Administration aus den gesetzli

chen Ermächtigungen gemacht hat. Hier ist nicht der Platz für Sarkasmus, ich will es lassen.

Es ist zu beklagen, dass die seit Jahren erhobenen Vorwürfe über zu enge landesrechtliche Regelungen bisher so wenig konkretisiert sind und auch der politische Mut fehlte, die konkreten Vorschriften zu benennen, sie neu zu regeln oder abzuschaffen.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

So bleibt jetzt scheinbar nur der Weg über das Experimentiergesetz. Mit zeitlicher Begrenzung und regelmäßiger Berichterstattung an das Parlament sollen die Risiken des Experimentes eingegrenzt werden. Nebenwirkungen werden nicht ausgeschlossen. Solche sind vorhersehbar und meines Erachtens so gravierend, dass sie nicht hingenommen werden können. Sie ergeben sich aus der Logik des Gesetzes und aus seiner Entstehung.

Erinnern wir uns: Der Bedarf an einer Standardöffnung wurde sehr gern begründet gerade anhand der Kindertagesstätten, gerade mit den angeblich nicht ausräumbaren Vorschriften zum Abstand der Kleiderhaken, obwohl sich in keinem Protokoll zur Begehung der Betriebserlaubnis eine solche Feststellung findet. Kleiderhaken, Handtuchhaken und so weiter werden nur dann bemängelt, wenn sie in Augenhöhe der Kinder oder ungeschützt in den Raum ragen und damit Verletzungsgefahr besteht. Und dass dieser Schutz beibehalten wird, das wollen wir wohl alle.

(Erhard Bräunig, SPD: Dafür brauchen wir keine Vorschriften, das können wir selber entscheiden.)

Das ist auch überhaupt nicht der Punkt, an dem sich die Kommunen über Gebühr belastet fühlen.

Zweiter Gegenstand der Diskussion: Nachrüstung von Schamwänden in Kindergärten. Da will ich mal einflechten, ich denke schon, diese Forderung ist wohl legitim. Sogar bei „Big Brother“, bei der Überwachung des Containers, wurde jedenfalls dieser Bereich noch als Intimbereich gezählt.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ja, naja. Die sind ein bisschen größer hier. – Angelika Gramkow, PDS: Das hat aber auch nichts geschadet.)

Drittens: Es geht um zulässige Raumgrößen und Freiflächen, auch die Normen bei Treppenhäusern beispielsweise. Das ist tatsächlich auch ein Problem. Wir wissen da aber, alle vorhandenen Anlagen haben Bestandsschutz. Wir wissen auch, dass das Landesjugendamt von Anfang an immer die Prüfung von Ausnahmemöglichkeiten einbezogen hat und dass in vielen Fällen auch Kompromisse erreicht werden konnten. Trotzdem will ich das Problem an dieser Stelle nicht wegreden.

Es bleibt aber eigentlich ein anderer Bereich, der, wenn ich es mal so sagen darf, hinsichtlich seiner Einsparpotentiale einzig interessante, und das ist das Personal. Mit der Diskussion um die Kleiderhaken wurde also die Festung „Standards für Kindertagesbetreuung“ sturmreif geschossen und nun auf das Personal gezielt. Es sollte aber nicht nur die Gewerkschaften, sondern uns alle umtreiben, wenn Fachkräfte durch Ungelernte abgelöst werden, wenn Fortbildung eingeschränkt wird, wenn Personalschlüssel unterschritten werden.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS – Erhard Bräunig, SPD: Kein Mensch will das! – Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Ich unterstelle nicht, dass dieses Gesetz dies tut. Bitte hören Sie weiter zu! Dieses Gesetz tut das nicht, aber es öffnet eine Tür.

Meine Damen und Herren! Die Schelte an die Gewerkschaften, denke ich, ist verfehlt. Der Bericht des Innenausschusses widmet sich seitenlang den Ausführungen der kommunalen Spitzenverbände. Das ist richtig so. Sie repräsentieren die Kommunen, aber auch in ihrer Arbeitgeberfunktion. Schlicht vergessen wurden die Vertreter der Arbeitnehmerseite.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Na, die haben aber auch gepennt.)

Wir haben unser Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht.

Den Gewerkschaften nun zu sagen, sie hätten ja Zeitung lesen und sich selbst einmischen können, ist unangebracht, meines Erachtens. Es wäre eine angebrachte Überschreitung der Mindeststandards in diesem Verfahren gewesen, die Vertreter der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes förmlich anzuhören. Aber – beinahe hätte ich es vergessen – Verfahrensstandards sind ja gar nicht Gegenstand des Standardöffnungsgesetzes.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

So viel zur Entbürokratisierung!

Die Tendenz zum Absenken von Personalstandards – und hier sage ich eben, die Tendenz, die eintreten kann – ist nicht nur das Problem der Fachlichkeit in den Einrichtungen. Es ist ein Problem des Arbeitsmarktes und auch der Volkswirtschaft. Und ich höre es ja schon: „Gemach, gemach, schön ruhig! Das wird doch alles gar nicht massenhaft vorkommen.“ Ich will es hoffen, aber ich will es auch nicht darauf ankommen lassen. Und ich weiß nicht, wozu dieses Signal raus muss, dass Kindertageseinrichtungen der Bereich sind, wo man schon mal anfangen könnte, die Ausnahmegenehmigung zu beantragen.

Nun könnte ich ja eigentlich völlig gelassen sein im Bereich Kindertageseinrichtungen, denn es ist ja davon auszugehen, dass in diesem Bereich vom Procedere sowieso alles beim Alten bleibt, denn es gilt natürlich der schöne alte Satz, dass die Spezialregelung vor der Generalregelung steht. Insofern wird das Innenministerium natürlich die Antragsteller an das Landesjugendamt verweisen müssen, denn im Kita-Gesetz ist bereits die Möglichkeit der Ausnahme geregelt.

Um es klar zu sagen: Ich unterstelle den Gemeinden nicht den Generalangriff auf die Kinder und Beschäftigten,

(Heiterkeit bei Herbert Helmrich, CDU)

dennoch wird dieser scheinbare Ausweg in Zeiten leerer Kassen heute nicht nur eröffnet, sondern von uns auch noch überdeutlich gewiesen, und das ist mein Problem. Ich unterstelle der Kommunalaufsicht – und ich komme zum Abschluss – nicht a priori Erpressung, aber faktisch hat sie ab heute auch das Standardöffnungsgesetz zu berücksichtigen bei der Beantwortung der Frage, ob die Gemeinden nun alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, ihre Ausgaben ohne Kreditaufnahmen zu decken. Und im Falle der kreisfreien Städte halte ich diese Konstellation für besonders problematisch, da hier die kommunale Auf

sichtsbehörde, also die Kreditgenehmigungsbehörde, gleichzeitig die Behörde ist, die die Ausnahmegenehmigung nach Standardöffnungsgesetz zu erteilen haben wird.

(Zuruf von Erhard Bräunig, SPD)

Mein Fazit: Wenn heute das Standardöffnungsgesetz beschlossen wird – und das wird ja so kommen –, dann kann das für keinen Parlamentarier, der die Kommunen wirklich ernst nimmt,

(Erhard Bräunig, SPD: Das versteht keiner.)

eine Erleichterung sein,

(Erhard Bräunig, SPD: Das versteht keiner.)

sondern der Beginn eines weiteren, wiederum ziemlich langen, vermute ich, Arbeitsprozesses. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank, Frau Lorenz.

Gäbe es in diesem Parlament einen Preis fürs Schnellsprechen, Sie hätten ihn jetzt gewonnen. Allerdings empfehle ich, damit alles für die Abgeordneten auch besser nachvollziehbar ist, dass man sich dann, wenn man es braucht, längere Redezeit einräumen lässt. Ich denke, das ist immer möglich, dass wir das hier so machen.

(Beifall Dr. Armin Jäger, CDU)

Das Wort hat jetzt der Innenminister. Bitte sehr, Herr Dr. Timm, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Befürworter und Kritiker dieses Gesetzentwurfes! Seit vier Jahren – nicht erst seit eineinhalb Jahren – ist dieser Gesetzentwurf in Vorbereitung, und zwar auch in der öffentlichen Debatte. Ich weiß, wovon ich spreche, weil ich weiß, dass bereits 1996 eine ganze Reihe von positiven Voten für dieses Gesetzgebungsverfahren abgegeben worden sind und einige Landtagsabgeordnete meinten, das ginge so nicht. Aber dass erst in den letzten Tagen die Gewerkschaften sagen, sie hätten jetzt erst gehört, dass es dieses Gesetzgebungsverfahren gäbe, verwundert mich nun doch, denn wir haben ja – wie gesagt – seit vier Jahren diese Debatte. Insofern kann sich eigentlich keiner beschweren, er sei überrascht worden.

Und wo Neuland betreten wird, meine Damen und Herren, da gibt es eben keine ausgetretenen Pfade, auf die man sich verlassen kann. Wo Neuland betreten wird, da muss man den Mut aufbringen, auch eine Wegstrecke zurückzulegen, die ungepflastert ist, wenn man das Ziel vor Augen hat.

(Angelika Gramkow, PDS: Sehen Sie, Herr Dr. Timm!)

Und das Ziel, Frau Gramkow, dieses Gesetzentwurfes, dieses Gesetzes, wenn es dann verabschiedet ist, ist Folgendes: Es soll den Kommunen und Dritten im Einzelfall eine Ausnahme von einer bestimmten Norm ermöglicht werden, wenn eine Aufgabe, die zu erfüllen ist, kostengünstiger erfüllt werden kann. Ich sage nachher noch einmal im Einzelnen, was es bedeutet mit Blick auf die Einwendungen der Bedenkenträger bei diesem Gesetzentwurf.

Das vom Innenausschuss des Landtages erarbeitete Standardöffnungsgesetz gibt jetzt den kommunalen Körperschaften des Landes die Möglichkeit, von landesrechtlichen kostenintensiven Vorschriften, soweit sie Personalund Sachstandards betreffen, im Einzelfall Befreiungen zu beantragen. Es werden also in gewissem Umfange Freiräume für die kommunalen Körperschaften und auch für Dritte, die kommunale Aufgaben übernommen haben, geschaffen. Damit werden neue Handlungs- und Gestaltungsspielräume – vor allem im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung – frei, die durch die landesrechtlichen Vorgaben in Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften eingeschränkt sind.

Wenn behauptet wird, wie ich es in der Zeitung von heute lese, dieses Gesetz diene der Stärkung der Bürokratie, dann haben einige diesen Gesetzentwurf fehlverstanden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Es dient dem Abbau von Bürokratie. Und das, glaube ich, wird jeder unterschreiben, der es gelesen hat.

Keinesfalls, meine Damen und Herren, werden mit dem Standardöffnungsgesetz landesrechtliche Vorgaben ausgehebelt. Die Möglichkeit der Befreiung von Standards stellt eine Ausnahme dar, die nur für den jeweiligen Antragssteller – und eben nur für diesen und damit nicht landesweit – gilt und auch nur dann bewilligt wird, wenn die Sicherstellung der Aufgabenerfüllung gewährleistet ist. Das ist der entscheidende Punkt, Herr Klostermann und Frau Lorenz. Die Aufgabe, die per Gesetz zu erfüllen ist, muss erfüllt werden. Wenn sie erfüllt werden kann mit einer Ausnahmeregelung bei einem bestimmten einzelnen Standard, dann gibt es die Ausnahmeregelung. Die gibt es dann nicht, wenn die Aufgabe nicht erfüllt wird.

(Zuruf von Dr. Henning Klostermann, SPD)

Das ist – ich sage es mal vorsichtig aus meiner Sicht – derzeit ein Missverständnis in der öffentlichen Debatte, als ginge es darum, Aufgaben abzuschaffen. Darum geht es nun gerade nicht. Es geht darum, die Aufgabenerledigung einfacher sicherzustellen. Das ist das Ziel des Gesetzes. Letztlich geht es darum, die Kommunen im Einzelfall von kostenintensiven Standards zu befreien.

Einen Anlass zur Dramatik oder für emotionale Debatten gibt es, das ist auch meine Meinung, bei diesem Gesetzentwurf nicht. Denn bevor, meine Damen und Herren, von einer kommunalen Körperschaft ein Ausnahmeantrag gestellt werden kann, ist dieser von der jeweiligen Vertretung – der Gemeindevertretung, dem Kreistag – zu beschließen, da es sich hierbei um eine wichtige Angelegenheit nach Paragraph 22 Kommunalverfassung handelt. Das bedeutet, dass vor Ort und auch öffentlich vor Ort bereits eine gewissenhafte Abwägung stattfindet, ob eine Abweichung von einer landesrechtlichen Vorschrift zur Aufgabenerledigung zweckmäßig und machbar ist. Da die kommunale Körperschaft im Antrag darstellen muss, wie sie die Aufgabe erfüllt, ist dies ein Vorhaben, das sehr überlegt im Einzelfall durch die kommunalen Mandatsträger und die Verwaltung abgewogen werden muss. Ich bin mir sicher, dass die Kommunen dieses Gesetz auch so überlegt anwenden werden.

Meine Damen und Herren! In der Vergangenheit wurde oft über die Frage der Benehmens- oder Einvernehmens

regelung diskutiert. Hierzu möchte ich Folgendes sagen und das sage ich auch denen, die diesem Gesetz kritisch gegenüberstehen: Diese Benehmensregelung gewährleistet eine einheitliche Gestaltung der Ausnahmepraxis, indem das Verfahren bei einer Landesbehörde, nämlich der obersten Rechtsaufsichtsbehörde im Innenministerium, konzentriert wird. Dies führt zu einer Erleichterung für die kommunalen Aufgabenträger, die die Anträge nur bei einer Behörde zu stellen brauchen. Durch die Beteiligung der Fachressorts, meine Damen und Herren, und das ist der entscheidende Punkt bei der Benehmensregelung, wird sichergestellt, dass der Antrag auch materiell dahin gehend geprüft wird, ob eine ordnungsgemäße Aufgabenerledigung gewährleistet bleibt. Meine Damen und Herren, Herr Klostermann, Frau Lorenz! Das ist der entscheidende Punkt. Sie wiegen den Kopf, ich sage es noch einmal: Es wird immer geprüft, ob die Aufgabenerledigung gewährleistet bleibt, und nur dann wird im Einzelfall eine Ausnahme erteilt. Deswegen, sage ich Ihnen, kann aus meiner Sicht