Meine Damen und Herren, ich habe mich aufgrund der Komplexität der Problematik nur auf zwei Kernprobleme Ihrer strukturellen Änderungsbemühungen bezogen und den Versuch unternommen, von der fachlichen Seite zu verdeutlichen, wie problematisch Ihre Vorhaben sind. Die Argumente sprechen vielmehr und deutlich für eine strukturelle Kontinuität der Schullandschaft und dafür, dass im Jahr 2000 das fortgesetzt wird, was 1994 abrupt unterbrochen wurde, nämlich die inhaltliche Ausgestaltung der Bildungsgänge. Denn das ist ein Irrtum von Professor Prüß, wenn er meint, dass mit dem Schulgesetz 1996 ein langsamer Korrekturprozess in der Gestaltung des Schulwesens eingesetzt hat.
Der Korrekturprozess hat hinsichtlich einer Umleitung der Schülerströme – und nur da –eingesetzt. Es hat kein Korrekturprozess hinsichtlich einer inhaltlichen Ausgestaltung der Bildungsgänge stattgefunden, mitnichten. Allein die politisch initiierte Umleitung von Schülerströmen durch den freigesetzten Elternwillen ist noch kein Argument für die Historisierung des gegliederten Schulwesens. Und da irrt Professor Prüß ein zweites Mal, wenn er in Güstrow in einem pauschalen Rundumschlag behauptet, die Lehrer in den neuen Bundesländern wollen die Einheitsschule. Dem ist zum Glück nicht so.
Im Gegenteil, es gibt auch andere Stimmen im deutschlandweiten Bildungsdschungel, wie Professor Schwanitz in seinem viel beachteten Buch „Bildung – Alles, was man wissen muss“
aus dem Jahre 1999, die da sagen: „Inzwischen kann man sagen, dass von den Ergebnissen her die CDU diesen Streit gewonnen hat....“
„Und auch die Hoffnung, dass die Unterlegenheit im Intellektuellen durch eine Überlegenheit in sozialer Kompetenz ausgeglichen wird, hat sich nachweislich nicht erfüllt. Die Untersuchungen sind hier nicht kontrovers,...“
Meine Damen und Herren, die Menschen im Land sind müde von der ewigen Diskussion um die Strukturen. Die wenigsten verstehen die wahren Hintergründe, weil jede Partei zuerst das Wohl der Kinder in den Vordergrund ihrer Argumentation stellt, aber die Umsetzung seiner ureigensten, leider oft ideologisch bedingten Vorstellungen meint.
Die aktuelle Schulpolitik konterkariert geradezu den Anspruch des Wohlwollens gegenüber den Kindern. Da müssen die Klassen in den Realschulen zusammengelegt werden, damit je Realschule eine Stelle eingespart werden kann. Da werden die Grundschullehrer dem Gleichheitsanspruch gemäß kollektiv auf 19 Stunden runtergesetzt,
(Andreas Bluhm, PDS: Also das war, glaube ich, Herr Seite, der das Schulkonzept unterschrieben hat.)
Die Schulleiter müssen auch in Teilzeit, was Schulverwaltung vor Ort nahezu unmöglich macht, von Schulprofilierung gar nicht zu reden. 1.500 Versetzungen schaffen bedenklich instabile Kollegien vor Ort, ganz zu schweigen von zahllosen Lehrern, die an zwei oder mehr Schulen unterrichten, so dass sich wirkliche Schüler-Lehrer-Beziehungen von vornherein gar nicht entwickeln können. Die Schulämter sind nicht in der Lage, Beratungsaufgaben wahrzunehmen, weil sie nach der Umstrukturierung mit der Personalverwaltung, das heißt mit der Umsetzung des Lehrerpersonalkonzepts heillos überfordert sind. Ganz zu schweigen von der Lehrerfort- und -weiterbildung. Erst – das ist heute schon mal gesagt worden – halbieren sie den Ansatz und beschweren sich dann, dass keiner hingeht. Pro Kopf und Jahr stehen nunmehr für Lehrer in Mecklenburg-Vorpommern etwas mehr als 4 DM zur Verfügung. Nur mal als Vergleich: In einem gut gehenden größeren Unternehmen würde eine gleiche Personalebene etwa 10.000 bis 15.000 DM für die Fort- und Weiterbildung pro Kopf und Jahr zur Verfügung haben.
Bildungstheoretische, entwicklungspsychologische und schulpraktische Bedenken hinsichtlich Einheitsunterricht in Klasse 5 und 6, Unklarheiten in der Personalentwicklung, mangelhafte Ausstattung an den Schulen, in der unteren Schulaufsichtsbehörde und in der Lehrerfort- und -weiterbildung – ich denke, das sind nur einige Probleme,
die wir aber heute lösen müssen. Überdies haben Sie, Herr Minister, weder Zeit noch Mittel für eine Umstrukturierung des Schulsystems. Lassen Sie uns gemeinsam die weitere inhaltliche Ausgestaltung der bestehenden Bildungslandschaft anpacken! Hier haben wir jede Menge Aufgaben, um ein solides Fundament für die Bildung und Zukunft unseres Landes zu schaffen, und dann werden wir sicherlich irgendwann auch mal wieder Gelegenheit finden, um zu träumen, aber, wie gesagt, Herr Bluhm, nicht in Ihre Richtung. – Vielen Dank.
Herr Vierkant, ich hätte doch ganz gerne von Ihnen gewusst, wie Sie sich entsprechend Ihres Antrages, den Sie hier gestellt haben, Qualitätssicherung und -entwicklung an allgemein bildenden Schulen in Mecklenburg-Vorpommern vorstellen.
Sie haben hier nichts anderes getan, als – legitim – eine Liste von Ihnen wohlwollenden Zitaten zu verlesen,
dass Sie auch von uns heute – vielleicht auch erst morgen, wenn wir es nicht schaffen, im Internet rechtzeitig zu klicken – eine Liste mit wohlwollenden Zitaten zur natürlich begründeten Einführung einer schulartenunabhängigen Orientierungsstufe in Mecklenburg-Vorpommern bekommen werden.
Und dann, denke ich, steht aus, was Sie für Qualitätssicherung in diesem Land tun wollen, da Sie im Wesentlichen dafür verantwortlich sind, dass wir heute Defizite und Probleme auf diesem Gebiet haben.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und Annegrit Koburger, PDS – Georg Nolte, CDU: Das Gegenteil ist der Fall. – Jürgen Seidel, CDU: Ha, ha! – Zuruf von Jörg Vierkant, CDU)
Nach dem Auftreten des Bundeskanzlers auf der CeBIT – und Herr Rehberg hat das ja, er verlässt nun leider den Saal,
sehr intensiv ausgeführt – haben wir nun eine Diskussion um die so genannte Greencard. Sie wird uns voraussichtlich längere Zeit und unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten begleiten. Und ein Gesichtspunkt davon ist die Bildungspolitik.
Professor Martin Wirsing führt den jetzigen Zustand auf eine falsche Weichenstellung in der Bildungspolitik der frühen 90er Jahre zurück. Das konnten Sie gestern in der Zeitung lesen. Damit meint er zwar zuerst die Hochschulen, aber das Problem liegt viel tiefer. Es passt deshalb genau zum Thema „Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung an den Schulen unseres Landes“.
Das Problem fehlender Fachkräfte ist so neu nicht, denn auch im Bereich der Ingenieurwissenschaften ist seit längerer Zeit ein Engpass vorhanden, der immer größer wird. Die Wahl der Studienrichtung und damit des Berufes hängt zuerst von dem Angebot des Arbeitsmarktes ab. Hier gibt es offensichtlich einen großen Fehler der Wirtschaft, perspektivische Entwicklungen doch tatsächlich falsch eingeschätzt zu haben. Es ist ein unschönes Beispiel für den Zusammenhang von Ursache und Wirkung.
Es wird dabei jedoch übersehen, dass Interessen für einen Beruf viel früher entstehen, nämlich in der Schule. Vorhandene Interessen müssen erkannt, gefördert und entwickelt werden. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird ein tendenzielles Interesse für den Schüler zur Gewissheit. Das ist es. Das will ich. Ich will das, was mir am meisten Spaß macht. Die Schule muss deshalb in die Lage versetzt werden, vielmehr als bisher auf unterschiedliche Begabungen zu reagieren, und das, ohne den allgemeinen Bildungsanspruch zu vernachlässigen.
Es gibt eine wissenschaftlich fundierte grobe Einteilung der unterschiedlichen Begabungen. Sie umfasst natur
w i ssenschaftlich-technische, geisteswissenschaftlichsprachliche, künstlerisch-kreative Grundbegabungen, die sich dann weiter innerhalb dieser Gruppe klassifizieren lassen. Das Erkennen der Begabungen durch Eltern und Lehrer setzt voraus, dass an der Schule Bedingungen vorhanden sind, die eine Prüfung der Richtungen ermöglichen.
Für den naturwissenschaftlich-technischen Bereich ist das mit den Fächern Mathematik, Chemie, Physik, in Verbindung mit Informatik und AWT möglich. Gerade dieser Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer war zu DDRZeiten sehr gut ausgestattet,
zugegeben, zu Lasten anderer und eigentlich genauso wichtiger Wissensbereiche. Wenn dann allerdings – und, Herr Vierkant, ich kann es Ihnen nicht ersparen – 1992 in unserem Land die Stundentafeln im Vergleich zum damaligen Gymnasium, vorher EOS, Erweiterte Oberschule, in Mathematik um 333 Stunden, in Physik um 74 Stunden, in Chemie um 111 Stunden gekürzt werden und das Fach Polytechnik mit einem Stundenanteil von 962 Stunden ersatzlos wegfällt, wenn das passiert in einem Land, dann wurde diese Aufgabe konterkariert. Und die Folgen sind jetzt auch an den Hochschulen Mecklenburg-Vorpommerns sichtbar.
(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Jörg Vierkant, CDU: Dafür waren die Schüler acht Jahre am Gymnasium und nicht nur zwei Jahre wie an der EOS.)