Protocol of the Session on February 3, 2000

In der Anhörung zur UN-Konvention über die Rechte des Kindes am 1. September 1999 hier im Sozialausschuss machten Kirchen, Kinderschutzbund und Jugendverbände vor allem eins deutlich: Wir brauchen die Betei

ligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungsprozessen. Kinder und Jugendliche dürfen nicht Objekte politischer Entscheidung sein. Erwachsene müssen anerkennen, dass junge Menschen natürliche Experten ihrer eigenen Angelegenheiten sind. Und wenn das so ist, dann ist die Umsetzung der Rechte gemäß dieser Konvention in ihrer Unteilbarkeit und Universalität nur möglich durch Beteiligung junger Menschen.

Der Sprecher des Landesjugendringes erneuerte die nun schon Jahre alte Forderung dieses Dachverbandes, die Kommunalverfassung unseres Landes zu ergänzen um eine verpflichtende Regelung zur Einbeziehung junger Menschen in die Entscheidung der Gemeinden, analog zur Regelung Schleswig-Holsteins. Die dortigen Erfahrungen zeigen eindeutig, dass eine solche Regelung nicht nur kinder- und jugendfreundlich, sondern auch sehr gemeindefreundlich ist. Hier werden wir als Landtag, denke ich, demnächst gefordert sein.

Nun hat das Sozialministerium die EU- und Bundesinitiativen auch zu seinem Anliegen gemacht und will mit dem Landeswettbewerb familienfreundlichen Gemeinden Aufforderung und Ansporn geben, damit sich in den Lebensorten Mecklenburg-Vorpommerns ein stärkeres Bewusstsein und Verständnis für die Bedürfnisse der Familien mit Kindern ausprägt und damit einhergehend die Öffentlichkeit sensibilisiert wird. Das ist verdienstvoll, zumal eine Dokumentation fortgeschrittener Erfahrungen im Internet erfolgen soll, was die Nachnutzung ganz gewiss anregen wird.

In den Kriterien für die Bewertung stellt die Partizipation der Betroffenen leider nur ein untergeordnetes Element dar – als letzter Anstrich unter dem Stichwort Verwaltung. Wir meinen, hier kann man nachlegen. Aus diesem Grund bitten wir die Landesregierung mit diesem Antrag, insbesondere solche Erfahrungen aufzugreifen und die Konstituierung regionaler Zirkel zu unterstützen, analog zum Bundesmodellprojekt, da wir ja nicht direkt Beteiligte sind.

Es ist kaum möglich, die vielen Initiativen von Städten und Gemeinden aufzuzählen, die sich um echte Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche bemühen. Zur Verdeutlichung der Vielfalt hier nur stichpunktartig einige Projekte: Kinderparlamente zum Beispiel in Güstrow, das Skater-Parlament in Güstrow, das Agenda-21-Büro in Bützow, Jugendratsversammlungen, Jugendrathäuser, Jugendsprechstunden beim Bürgermeister, das Projekt „Brücken bauen“ im Landkreis Parchim. Viele weitere könnte man anführen. Und wahrscheinlich könnte jeder von uns aus seinem Wahlkreis noch fünf, sechs, acht, ein Dutzend Beispiele hinzufügen. Es lohnt sich also, diesen Faden aufzunehmen und zu versuchen, ein Netz zu spannen. Ich bin ganz sicher, dass noch viele neue Ideen gerade von Kindern und Jugendlichen selbst geboren werden, die jedem die Chance geben, sich einzumischen. Diese Art von Kinderfreundlichkeit, diese Art von Jugendfreundlichkeit, diese Art von Familienfreundlichkeit sollte ein Markenzeichen von Mecklenburg-Vorpommern als Region in Europa werden.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Glawe von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Glawe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle reden gerne von der Bedeutung der Familie und der Kinder – ein edles Thema, bei dem kaum jemand widersprechen kann. Wenn die Demoskopen gefragt werden, dann erscheint dieses Thema nach Rangplatz 10. Fragt man anders herum in Deutschland und redet von Werten, dann steht dieses Thema weit oben. 90 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger sagen, dass Familie und Kinder eine ganz wichtige Bedeutung im Leben haben. Sie haben in dieser Rangfolge die Priorität vor Arbeit, vor Freunden, vor Freizeit, vor Religion oder Politik. Der Trend geht nach oben. Wo immer sie fragen, wünschen sich junge Menschen ein erfülltes Leben in Treue und Partnerschaft, mit Kindern und Familie. Sie wollen deshalb auf ein selbstgestaltetes Leben nicht verzichten. Aber in der Realität, im täglichen Leben sieht es oft anders aus.

Kinder- und familienfreundliche Städte sind das heutige Thema. Ich denke, das ist eigentlich unstrittig und richtig. Wichtig ist, dass in den Kommunen die Augen geschärft werden für Jugend, für Familie, für Kindertagesstätten, für Schulen, für Verkehrspolitik. Es gibt auch gute Ansätze, zum Beispiel das Programm „Soziale Stadt“. Es hat aber den Nachteil, dass diese „Soziale Stadt“ im EUBereich nur für Oberzentren ab einer Einwohnerzahl über 200.000 Einwohner zählt. Das heißt, die große Fläche, …

(Dr. Arthur König, CDU: Da haben wir nur eine.)

Ja, ja.

… in der die meisten Bürger der Bundesrepublik Deutschland – auch in Mecklenburg-Vorpommern – leben, wird nicht bedient.

Meine Damen und Herren! Die großen Themen der Jugendlichen sind doch: Wo ist ein Kino, wo sind Schwimmbäder, wo sind Begegnungsstätten, wo kann ich mich auch abends treffen, wo kann ich Freizeit gestalten? Und es ist ein Irrweg gewesen, dass man sich nur immer mit den Angeboten für die Jugendlichen beschäftigt hat.

(Beifall Heike Lorenz, PDS: Das stimmt.)

In vielen Kommunen ist es nicht gelungen, die Angebote so zu gestalten, dass auch Jugendliche sie verwalten und damit Eigenverantwortung übernehmen. Denn nur wenn wir das schaffen, denke ich, wird man auch das, was man hat, achten, man wird es pflegen und man wird es an den nächsten Jugendlichen weitergeben.

Es gibt auch noch ein weiteres Problem und das sind einige Dinge, die will ich hier noch einmal nennen. Eine ganz entscheidende Frage wird sein: Wie schaffen wir letzten Endes Arbeit, Arbeit für die Bürger, Arbeit für Jugendliche? Denn wenn ich eine soziale Sicherheit erreicht habe, fällt es mir auch leichter, insgesamt die Rahmenbedingungen für Kinder, für Tagesstätten, für das Wohnumfeld, für Verkehrspolitik zu organisieren.

(Beifall Heike Lorenz, PDS)

Letzten Endes ist der Faktor Arbeit wichtig, um die Sozialpolitik in einer Region, in einem Land besser zu gestalten. Dies gelingt uns zur Zeit eher nicht. Sie kennen die Probleme. Ich sage nur: Die Schlüsselzuweisungen an die Kommunen werden reduziert, dadurch kann man nicht

so gestalten, wie man möchte. Schulneubauten werden kaum vom Land unterstützt.

(Angelika Gramkow, PDS: Das ist nicht wahr, Herr Glawe. – Heinz Müller, SPD: Onkel Harrys Märchenstunde.)

Sie werden kaum unterstützt. Das wissen Sie ganz genau. Die Kita-Förderung ist auch ein Trauerspiel in diesem Land.

(Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS – Angelika Gramkow, PDS: Das ist mit 6 Millionen DM mehr gefördert worden im letzten Jahr. – Zuruf von Rudolf Borchert, SPD)

Und ich sage, Sie tun viel zu wenig dafür. Das wissen Sie auch ganz genau. Sie lassen die Kommunen im Stich.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Sylvia Bretschneider, SPD: Oh, Herr Glawe, jetzt reicht es aber! Hören Sie auf, so ein Zeug zu erzählen! Das glaubt sowieso keiner mehr.)

Das ist so, wenn Sie sich mit den Daten auseinander setzen würden.

(Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Sie versagen in der Verkehrspolitik. Sie haben den Transrapid beerdigt.

(Beifall Rudolf Borchert, SPD, und Angelika Gramkow, PDS – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS: Ja.)

Sie beerdigen den A3XX. Sie sind dabei, den Standort Lubmin zu beerdigen.

(Heiterkeit bei Rudolf Borchert, SPD – Volker Schlotmann, SPD: Das Raum- programm der NASA ist gestorben. – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Meine Damen und Herren, Voraussetzung ist Wirtschaftskraft im Land Mecklenburg-Vorpommern, um alle Dinge, die Sie hier heute angesprochen haben, auch Netzwerke für Kinder und Jugendliche, für Familien, auszubauen und mit Leben zu erfüllen.

(Volker Schlotmann, SPD: Das war wohl aus der Bauernzeit, Herr Glawe.)

Ich sage Ihnen, Sie beschäftigen sich zur Zeit mit Nischenprojekten. Sie sind nicht am Leben, Sie sind nicht da, wo der Puls ist,

(Zurufe von Rudolf Borchert, SPD, und Sylvia Bretschneider, SPD)

Sie sind nicht da, wo die Menschen Antworten von Ihnen erwarten und deswegen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. – Danke schön, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS – Sylvia Bretschneider, SPD: Das ist sehr schade.)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Bretschneider von der SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nichts Neues aus der CDU. Wen wundert es?! Es ist natürlich sehr bedauerlich im Interesse der Betroffenen, dass Sie nicht einmal bereit

sind, sich hier für die Belange der Kinder und Jugendlichen offiziell zu positionieren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Ich bedauere das zutiefst, aber wie gesagt, es ist nichts Neues.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, dass ich Ihnen eine Äußerung eines zehnjährigen Kindes vorlese, die neben einer Reihe anderer zu sehen ist in der Ausstellung zu den Kinderrechten auf dem Flur der SPD-Fraktion, die gestern eröffnet wurde.

(Volker Schlotmann, SPD: Genau, laden Sie sie mal ein!)

Ich zitiere: „Ich wohne in Rostock. Kinder müssen zu den Rechten etwas sagen. Kinder dürfen draußen toben, was sie zu Hause nicht können. Ich finde, das muss sich ändern. Und ich finde, dass die Kinder im Ausland nicht mehr so schlecht behandelt werden. Und es soll keinen dritten Weltkrieg geben. Und es soll kein Nikotin und Alkohol mehr geben. Und ich wünsche mir, dass Mutti wieder zurückkommt. Mein letzter Wunsch ist, dass Papa wieder Geld kriegt.“

(Martin Brick, CDU: Das ist aber rührend.)

Ich denke, dass das bemerkenswert ist. Die Äußerungen, die von den CDU-Bänken kommen, bestärken mich in der Auffassung, dass viele Erwachsene überhaupt nicht bereit sind zu realisieren, dass Kinder durchaus – auch in diesen Altersgruppen – sehr anspruchsvolle Vorstellungen vom Leben haben und sehr intensiv das wahrnehmen und über das nachdenken, was sie umgibt.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)