Protocol of the Session on February 2, 2000

Danke, Herr Dr. Rißmann.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Glawe von der Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Forensische Psychiatrie war seit Monaten in den Schlagzeilen. Zwei Ausbrüche haben dafür gesorgt, dass etliche Dinge auf den Tisch kamen, die in der jüngsten Vergangenheit nicht so waren, wie man sich das eigentlich vorstellen musste. Es besteht weiter Handlungsbedarf. Es geht darum, Sicherheitsmängel in der inneren Organisation zu überarbeiten, die Rechtssicherheit für Ärzte und Pflegepersonal zu verbessern, die Dienstordnungen und Hausordnungen in Kraft zu setzen, Therapie, aber auch Kontrolle auszuüben, die Lockerungsphasen, die ja die Ärzte festlegen, klar zu definieren. Und, meine Damen und Herren, es geht auch darum, die Zusammenarbeit zwischen Landeskriminal

amt, Justiz, Innenministerium und Sozialministerium konkret und unwiderruflich auf ein starkes Niveau zu bringen.

Und, Frau Ministerin, es ist natürlich so, Therapie ist wichtig und richtig, nur wir wissen auch, dass es therapieresistente Patienten gibt. Wir wollen uns nichts vormachen, es wird immer in diesen Einrichtungen dazu kommen, dass manche ein Leben lang dort sein müssen. Es geht darum, die Sicherheit und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung auch durch Gesetzesänderungen zu verbessern, um den Staat und die, die die Gesetze umsetzen müssen, in einen besseren Rechtszustand zu bekommen.

Meine Damen und Herren! Änderungen im Abschnitt 7 des Gesetzes sollen sowohl im Bereich der Betroffenen als auch in dem der Besucher Sicherheitsstandards möglich machen, die uneingeschränkt dem Zweck der Unterbringung und dem geordneten Zusammenleben in den Einrichtungen dienen. Dem untergeordnet sind selbstverständlich Maßnahmen, die die Entweichung aus der Einrichtung ausschließen sollen. Nach den Ergebnissen der letzten Wochen und Monate kann ich den Eindruck nicht los werden, dass einige Insassen der Forensik, die rechtmäßig nach dem Strafgesetzbuch verurteilt sind, es dem Staat beweisen wollten und einige dabei sind, die es uns erst noch beweisen wollen. Der Therapiegedanke ist in der forensischen Psychiatrie zwar unbestritten wichtig, aber die Pflicht zur Kontrolle und damit auch die sicherheitsrelevanten Aspekte dürfen dadurch nicht in den Hintergrund gedrängt werden. Daher hat die CDU-Fraktion umgehend nach den Vorkommnissen die Änderung des Gesetzes beantragt.

Meine Damen und Herren! Es bleibt festzustellen, dass die Sozialministerin Frau Bunge am Anfang den Ereignissen hinterherlaufen musste.

(Dr. Martina Bunge, PDS: Soín Quatsch.)

Das ist einfach so, das ist nicht mal negativ besetzt. Sie wissen, dass wir alle bemüht waren, den ersten Ausbruch in eine vernünftige Phase hineinzubringen, dass wir weitere öffentliche Diskussionen dazu eigentlich vermeiden wollten,

(Torsten Koplin, PDS: Sie haben die aber erst angeheizt. – Zuruf von Heike Lorenz, PDS)

nur sind wir fünf Tage später, nachdem wir uns darauf verständigt hatten, vom zweiten Ausbruch alle wieder eines Besseren belehrt worden.

Meine Damen und Herren! Es ist auch eine Tatsache, dass Sie als Koalitionäre dieses Gesetz nicht geschrieben haben, dass das die Mitarbeiter im Sozialministerium getan haben, und Ihr Beitrag belief sich bis jetzt auf die Kürzel PDS und SPD.

Meine Damen und Herren! Unser Dringlichkeitsantrag im Dezember hat zumindest eins bewirkt, er hat auch Sie zum Handeln ermuntert. Und es ist gut so, dass jetzt auch Ihrerseits ein Gesetz auf dem Tisch liegt, das weiter gehender ist als das unsrige. Hätten Sie aber damals zugestimmt,

(Torsten Koplin, PDS: Hätten wir die Sorgfaltspflichten vernachlässigt.)

hätten wir heute schon ein Gesetz in Papier und Tüten, denn wir hätten die Zeit nutzen können, um in den Ausschüssen die Anhörung vorzubereiten und das Gesetz in

eine Form zu bringen, dass man es heute hätte schon verabschieden können.

Meine Damen und Herren! Wie kamen diese Ausbrüche in der Öffentlichkeit an? In der Forensischen Klinik Ueckermünde, Außenstelle Berndshof, bitten zwei Männer mit einem Zettel an der Tür höflich um Ruhe, sie wollen umräumen. Tatsächlich verbarrikadieren sie die Tür mit einem Schrank. Sie setzen den Türspion blind und sägen sich gleichzeitig aus diesem Raum heraus. Zwei Männer, denen die Ärzte ein hohes Maß an Aggressivität bescheinigt haben, beunruhigen mehrere Tage die Anklamer, denn sie sind in Anklam zu Hause. Anklam befand sich am Tage nach dem Ausbruch fast im Ausnahmezustand.

Meine Damen und Herren! Die Reaktionen der Anklamer auf diesen Ausbruch waren eindeutig. Ich darf ein Zitat bringen: „Ich denke mal, man sollte mit härteren Maßnahmen durchgreifen, damit endlich mal auf diesem Gebiet ein bisschen mehr passiert, damit die Leute sich sicherer fühlen.“

(Dr. Martina Bunge, PDS: Haben Sie denn aufgeklärt vor Ort?)

„Ich finde es irgendwie schon ein bisschen eigenartig, dass da nichts getan wird für die Sicherheit.“ So weit, so gut. Meine Damen und Herren, ich habe nur Bürger zitiert, das ist nicht mein eigenes Gedankengut. Aber ich denke, der Fairness geschuldet ist es auch richtig, den Bürger hier mal zu Wort kommen zu lassen.

Meine Damen und Herren! Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Sicherheit. Daher ist es wichtig, dass das Landeskriminalamt als sicherheitstechnischer Berater, das Justizministerium, das Innenministerium und das Sozialministerium als Fachaufsicht sich um Kompetenzen und Zuständigkeiten nicht streiten, sondern sicherstellen, dass durch Koordinierung eine lückenlose Kette von Aufsicht und Krisenmanagement entsteht. Das kann auch nicht sein, denn wir haben neu gebaut. Ich meine schon, hier sind alle gefordert, insbesondere das Sozialministerium als Fachaufsichtsbehörde.

(Dr. Martina Bunge, PDS: Das tut weh!)

Meine Damen und Herren, ich denke der Worte sind genug gewechselt. Wir sollten ein Gesetz, das den Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke genügt, einbringen und, wenn es geht, auf der nächsten Landtagssitzung verabschieden. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke, Herr Glawe.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion von Gesetzentwürfen zur Änderung des Psychischkrankengesetzes betrifft ein hoch sensibles Politikfeld, weil Fragen und Probleme der Sozialtherapien, der Kriminologie, der Rechtsprechung, der inneren Sicherheit und vor allem des Verfassungsrechts und der darin enthaltenen Würde des Menschen aufeinandertreffen. Insofern gibt es mindestens zwei Betrachtungsebenen bei der gewollten Änderung des Psychischkrankengesetzes. Die eine Ebene ist die fachliche Beurteilung der Entwürfe, die andere ist die politische

Wertung dessen, was den Anlass der Änderung umgab. Und bei Letzterem komme ich im Unterschied zu der von mir sehr geschätzten Sozialministerin nicht umhin, bei Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, ein Defizit an politischer und moralischer Integrität zu konstatieren.

(Beifall Annegrit Koburger, PDS)

Sie haben unmittelbar nach den Ausbrüchen aus der Forensischen Klinik Ueckermünde Tag für Tag den Medien einseitig Interpretationen, Mutmaßungen und vorverurteilende Schuldzuweisungen geliefert, sowohl an das Sozialministerium als auch an das Innenministerium, und damit Unruhe in der Klinik und im Land gestiftet. Sie haben noch vor Bekanntwerden näherer Details der Vorgänge, noch vor Abgabe der Schwachstellenanalyse der Sozialministerin mangelnde Wahrnahme der Rechtsaufsicht vorgeworfen und das auch hier heute wiederholt.

(Harry Glawe, CDU: Korrekt!)

Anschließend erklärten Sie vor der Belegschaft der Klinik während der Sozialausschusssitzung vor Ort, wie notwendig es wäre, wieder Ruhe in die Debatte zu bekommen. Ärzte und Pflegerinnen hätten unter den Veröffentlichungen zu leiden, was wohl Tatsache ist, und stünden unverantwortlicherweise unter Anspannung und Druck.

(Harry Glawe, CDU: Richtig.)

Offensichtlich ist das Phänomen der Doppelmoral in der CDU nicht auf Herrn Kanther eingegrenzt.

(Beifall Annegrit Koburger, PDS)

Erst als unverkennbar wurde, mit welcher Intensität die beteiligten Ministerien arbeiteten, um der Ausgerissenen habhaft zu werden und nach Schwachstellen geforscht wurde, änderten Sie ihre Taktik. Plötzlich taten Sie so, als werde nun getan, was Sie schon immer gefordert hatten,

(Dr. Martina Bunge, PDS: Da haben sie noch die Kurve gekriegt.)

gar von Vereinbarungen zwischen Ihnen, der Klinik und dem Sozialministerium war die Rede. Das sah dann ganz und gar danach aus, als wollten Sie auf den in die richtige Richtung fahrenden Zug aufspringen. Trittbrettfahrer sagt der Volksmund dazu.

(Harry Glawe, CDU: Sie waren doch gar nicht dabei, Sie wissen das doch gar nicht. Sie sind doch erst Tage später gekommen.)

Die PDS möchte Ihnen nicht – auch Ihnen persönlich, Herr Glawe, nicht – das Bemühen um die Lösung der Sicherheitsprobleme absprechen. Aber am konkreten Fall haben Sie versucht, die Vorgänge parteipolitisch zu instrumentalisieren.

(Beifall Heike Lorenz, PDS – Harry Glawe, CDU: Das stimmt doch gar nicht.)

Das halten wir für politisch falsch und moralisch verwerflich, vor allem aber für sachlich und menschlich in hohem Maße unangemessen, weil Sie die Ängste beziehungsweise das Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger für Ihre politischen Interessen auszunutzen versuchten.

(Harry Glawe, CDU: Das ist ja unerhört, was Sie da vortragen.)

Im Vorfeld der heutigen Debatte wurden Sie nicht müde zu erklären, wir würden uns nur aus vordergründig poli

tisch formalen Gründen einen eigenen Gesetzänderungsantrag vorlegen. Hier lohnt nur die fachlich korrekte Betrachtung der Anträge:

Der Antrag der Koalitionäre ist präzise, weitreichender und eindeutig nach dem Prinzip der Beachtung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit abgefasst. Wir grenzen, wie in unserem Antrag auf Novellierung des Paragraphen 37 formuliert, klarer die Zuständigkeiten zwischen den kreisangehörigen Behörden und dem Sozialministerium bei der Wahrnahme der Aufsichtspflichten ab.

Wir benennen im Paragraphen 39 eindeutig die Veranlasser möglicher Durchsuchungen, nämlich die ärztliche Leitung, die auch ohne begründeten Verdacht eine Durchsuchung anordnen kann.

(Harry Glawe, CDU: Haben wir auch drin.)

In Paragraph 40 werden rechtlich mögliche weitere Einschränkungen, wie besondere Sicherungsmaßnahmen bei der Gefahr von Gewalttätigkeit, Überwachung von Besuchen und Telefongesprächen, die Kontrolle von Postsendungen und die Wegnahme von Gegenständen, benannt. Dieser Paragraph wird in der Anhörung hinterfragt, ob die genannten Einschränkungen von Grundrechten verhältnismäßig sind. Damit wollen wir Rechtssicherheit schaffen für die handelnden Personen und zugleich die Voraussetzung für ein geordnetes Zusammenleben der Betroffenen.

In diesem Zusammenhang einige grundsätzliche Positionen der PDS zur Thematik: Die sozialtherapeutischen Anstalten sollen Verurteilte, bei denen die Wiederholung erheblicher Straftaten auf eine Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeitsentwicklung schließen lässt, nachhaltige Veränderungen ihrer Einstellung und ihres Verhaltens ermöglichen. Die besonderen Mittel einer sozialtherapeutischen Anstalt sind erforderlich bei wiederholt oder wegen schwerwiegender Straftaten verurteilten Tätern, die wegen nachteiliger Einflüsse auf ihre Persönlichkeitsentwicklung nicht in der Lage sind, ihre Lebensverhältnisse mit von der Gesellschaft akzeptierten Mitteln zu gestalten, die sich ungeeignete Bewältigungsformen für Konflikte zu Eigen gemacht haben und denen die Zuversicht in den Erfolg rechtmäßigen Verhaltens verloren gegangen ist. Behandlungsziel muss die beharrliche Aneignung neuer, die schrittweise Differenzierung vorhandener und die nachdrückliche Korrektur falscher Lebensbewältigungstechniken sein. Wer solche Ziele nicht verfolgt, will lediglich einseitige persönlichkeitsverletzende Sozialkontrolle ausüben.

(Harry Glawe, CDU: Unbestritten, unbestritten, da sind Sie nicht alleine.)