Protocol of the Session on May 8, 2019

Dann kommen wir zum gemeinsamen Antrag von GRÜNEN, SPD, CDU und LINKEN aus Drucksache 21/16981.

Wer möchte sich diesem anschließen? – Wer möchte dies nicht? – Und wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag angenommen worden.

Die Fraktionen der SPD und GRÜNEN möchten den gemeinsamen Antrag nun nachträglich an den Verfassungs- und Bezirksausschuss überweisen.

Wer möchte diesem Überweisungsbegehren folgen? – Wer möchte das nicht? – Wer enthält sich? – Dann ist dieses Überweisungsbegehren angenommen worden.

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt 15, Drucksache 21/16955. Das ist der Bericht des Kulturausschusses: Realisierung einer würdigen Dokumentations- und Gedenkstätte im Stadthaus.

[Bericht des Kulturausschusses über die Drucksache 21/11843: Realisierung einer würdigen Dokumentationsund Gedenkstätte im Stadthaus (Antrag der Fraktion DIE LINKE) – Drs 21/16955 –]

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Ja, Herr Hackbusch war Erster und erhält das Wort für die Fraktion DIE LINKE.

Das beruhigt mich.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute ist der 8. Mai, der 74. Jahrestag der Befreiung Deutschlands durch die alliierten Truppen. Ein Tag von besonderer Bedeutung, denn dieses Land, das durchaus eine besondere soziale und liberale Geschichte aufzuweisen hatte, wurde zum Zentrum des größten Verbrechens der Menschheit. Es wurde, was fast genauso bedeutend ist, im Gegensatz zu vielen, ja fast allen anderen Ländern nicht von einer Opposition von innen gestürzt oder zumindest hart angegriffen, sondern musste von außen befreit werden.

Das Stadthaus dort drüben bei der Stadthausbrücke war eines der Zentren der Morde mitten in Hamburg. Es war das Zentrum der Gestapo für Norddeutschland und auch über Jahrzehnte das Zentrum der Polizei, die hier den Korpsgeist herausbildete, mit dem allein das Hamburger Polizeibataillon 101 in Polen mehrere Tausend Menschen umgebracht hat. Es war gleichzeitig das Haus, in dem die blutigen Verhöre derjenigen stattfanden, die diesem Terrorregime Widerstand leisteten. Es gehört zu der unvorstellbaren Kultur der Nachkriegszeit, dass hier kein Erinnerungsort errichtet wurde. Stattdessen residierte hier über Jahrzehnte die Baubehörde. Nur durch den energischen Einsatz der Gewerkschaft ÖTV und des Personalrats gab es immerhin eine Erinnerungstafel.

All das sollte im Jahre 2008 anders werden. Mit dem Verkauf des Gebäudes wurde von den Erwerberinnen und Erwerbern der Firma Quantum versprochen und durch eine Senatsdrucksache festgelegt, an diesem Ort ein würdiges Gedenken und einen Lernund Gedenkort von mindestens 750 Quadratmetern zu errichten. Quantum hat sich besonders mit diesem Konzept gegenüber anderen Bewerbern durchgesetzt – so berichten es die damaligen Zeitungen –, obwohl es weniger Geld geboten hat als andere Bewerber. Ein Gedenkort für den Widerstand sollte es werden, politisch absolut notwendig. Auch wenn die allermeisten Deutschen Täter waren oder weggeschaut haben, gab es doch viele Menschen, die Widerstand leisteten. Ihrer zu gedenken, ist deshalb auch so notwendig und bedeutend.

(Beifall bei der LINKEN und bei Michael Westenberger CDU)

Joist Grolle, lange Jahre Bildungssenator in Hamburg und danach Vorsitzender des Vereins für Hamburgische Geschichte, nannte im Jahre 2009 den Umgang mit dem Stadthaus eine Bewährungsprobe für die Erinnerungskultur Hamburgs und

(Farid Müller)

hoffte, die Stadt werde diese bestehen. Wir müssen gegenwärtig feststellen, dass die Stadt diese Bewährungsprobe nicht bestanden hat.

Der Beirat zu diesem Gedenkort hat auf der Expertenanhörung im Kulturausschuss einvernehmlich trotz unterschiedlicher Auffassungen zum weiteren Vorgehen festgestellt, dass er die Versprechungen als nicht erfüllt sieht. Die DGB-Vorsitzende Katja Karger stellte fest, dass auf diesen 70 Quadratmetern das, was die Fachleute unter einem Lern- und Gedenkort verstehen, nicht hergestellt werden könne. Wolfgang Kopitzsch, ehemaliger Polizeipräsident und Bundesvorsitzender des Arbeitskreises ehemals verfolgter Sozialdemokraten, bezeichnete es als schwer erträglich, wie der Senat mit diesem Thema umgeht. Professor Dr. Nachama, der Leiter der Gedenkstätte Topografie des Terrors in Berlin und von der Investorengruppe Quantum zu der Zeit des Kaufs als beratender Experte benannt, bezeichnete die Herunterrechnung der vertraglichen Verpflichtung durch den Investor für einen Gedenkort von 750 Quadratmetern auf circa 70 Quadratmeter als Betrug. Nach diesem Betrug muss man sich überlegen, ob man in dieser Stadt mit diesem Investor, der auch noch in der Lage ist, eine unsägliche Werbemethode für diesen Komplex aufzubauen, überhaupt noch vernünftig zusammenarbeiten kann. Ich finde, die Bürgerschaft hier muss kritisch diskutieren, inwieweit dieser Investor sich nicht völlig disqualifiziert hat für irgendeine Zusammenarbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Fraktion findet es schockierend, dass dieser Senat samt Kultursenator erst durch internationale Proteste etwas aufgewacht ist. Er will und erfüllt diese Bewährungsprobe bisher nicht. Wir werden die Proteste im Zusammenhang mit dem Stadthaus sicherlich weiter ausführen. Sie können gleich hinübergehen und sich an diesen Protesten, die gegenwärtig stattfinden, beteiligen. Ich denke, wir sollten das weiterhin kritisch beäugen.

Wir haben ein Petitum eingereicht, das Sie hoffentlich unterstützen. Im Kulturausschuss fanden wir dafür keine Mehrheit. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Hackbusch. – Als Nächste erhält das Wort Frau Vértes-Schütter für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Verbrechen der NS-Diktatur sind in ihrer Brutalität und ihrem Ausmaß unvergleichbar und singulär. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen dafür ein, denjenigen entschieden entgegenzutreten, die diese Verbrechen leugnen, kleinreden oder zu relativieren versuchen und

darüber an den Grundfesten der Demokratie rühren.

(Beifall bei der SPD und bei Phyliss Demirel GRÜNE, Norbert Hackbusch DIE LINKE, Nebahat Güçlü fraktionslos und Jens Meyer FDP)

Weil die Werte unserer Demokratie immer wieder neu erlernt werden müssen, kommt der Erinnerungskultur eine immer wichtigere Bedeutung zu. Heute können nur noch wenige Überlebende von Verfolgung und Terror berichten. Damit werden die Orte des Erinnerns und des Lernens immer bedeutsamer. Unsere Geschichte muss von einem Erinnerungs- noch stärker zu einem Erkenntnisprojekt werden. Orte des Erinnerns müssen gleichzeitig Orte des Lernens werden, wenn wir historische Erfahrungen für die Gegenwart nutzen wollen.

(Beifall bei der SPD und bei Phyliss Demirel, René Gögge, beide GRÜNE, und Nebahat Güçlü fraktionslos)

Damit ist der vielfach formulierte Anspruch, auch am Stadthaus einen angemessenen Lernort zu schaffen, richtig und aktuell. Das Stadthaus war Sitz der Polizeibehörde und als Hauptquartier der Gestapo eine Zentrale des Terrors und der Gewalt mit Bedeutung weit über Norddeutschland hinaus. An dieser Stätte des Grauens wurden viele Männer und Frauen erniedrigt und gefoltert. Es bedarf eigentlich keiner besonderen Betonung: Die Schaffung eines angemessenen Gedenkortes hat für uns eine ganz besondere Bedeutung.

(Beifall bei der SPD und bei Phyliss Demirel, René Gögge, Murat Gözay, alle GRÜNE, und Nebahat Güçlü fraktionslos)

Wer den heute zur Debatte angemeldeten Bericht des Kulturausschusses liest, wird feststellen, dass es hier keinen wirklichen Dissens gibt, wohl aber in der Frage, wie wir mit einer Vertragssituation umgehen, an der juristisch leider nichts zu machen war. Mit dem von Ihnen, Herr Hackbusch, im Kulturausschuss kurzfristig vorgelegten Petitum hätten wir nicht nur den Senat verpflichtet, etwas umzusetzen, was dieser nicht umsetzen kann. Darüber hinaus wären auch die Absprachen mit Quantum obsolet geworden, die über Jahre verhandelt und auch abgerungen wurden. Wir haben auf diesem Weg auch schon einiges erreicht, wie die künstlerische Gestaltung eines Denkmals oder die Einrichtung einer wissenschaftlichen Stelle zur Begleitung des Projekts.

Ich will das an dieser Stelle nicht vertiefen, weil über die Beratung in verschiedenen Sitzungen vor allem deutlich geworden ist, dass vieles im Fluss und bei Weitem noch nicht abschließend geklärt ist. Wir haben noch einiges an Vorschlägen aus dem Beirat und aus der Wissenschaft zu erwarten. Das betrifft die Frage, welche Kooperationen im Rahmen des Gesamtkonzeptes zur Erinnerung an

(Norbert Hackbusch)

das nationalsozialistische Unrecht möglich sind, das wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Es betrifft damit auch Standortfragen für einen Ort, der an den Widerstand erinnert, und auch die Frage, wie es möglich ist, einen Lernort etwa für Schulklassen zu entwickeln. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es noch kein abschließendes Konzept. Die Mitglieder des Beirats stellen sich diesem schwierigen Prozess. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass wir dafür außerordentlich dankbar sind.

(Beifall bei der SPD und bei Phyliss Demirel, René Gögge, Murat Gözay, alle GRÜNE, und Nebahat Güçlü fraktionslos)

So wird zurzeit auch auf Initiative des Beirats geprüft, ob es eine Chance gibt, den Polizeiführungsbunker unter dem Bürgermeister-Petersen-Platz zu nutzen. Ich denke, wir tun gut daran, den laufenden Prozess weiterhin gemeinsam parlamentarisch zu begleiten, so wie im Kulturausschuss verabredet. Ich würde mich freuen, wenn wir, wie in der Vergangenheit praktiziert, auch in dieser Frage die Erinnerungskultur in unserer Stadt gemeinsam voranbringen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos und Jens Meyer FDP)

Vielen Dank, Frau Dr. Vértes-Schütter. – Als Nächster erhält das Wort Herr Wersich für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kollegen! Die Erinnerung an die NS-Verfolgung im Stadthaus, an die Morde an Gegnern und Ausgegrenzten dort wurde lange vernachlässigt. Es ist vor allem privaten Akteuren, Mitarbeitern der Baubehörde und Initiativen zu verdanken, dass hier ein Gedenken und dieser Platz als ein zentraler Ort des Verbrechens im öffentlichen Bewusstsein blieben. Auch wir als CDU – ich nenne namentlich Andreas Wankum, der sich in den vergangenen Wahlperioden bei dem Thema sehr engagiert hat – haben das immer mitverfolgt.

Es ist mit der Aufgabe der Baubehörde und dem Verkauf des Gebäudes dann tatsächlich möglich geworden, an dieser Stelle einen Gedenkort zu errichten. Auch aus unserer Sicht ist bedauerlich, dass von den ursprünglich vereinbarten Bruttoflächen von 750 Quadratmetern jetzt netto ein doch relativ kleiner Teil übrig geblieben ist. Aber es wäre nach meiner Auffassung dem Ort und dem Thema gegenüber unangemessen, jetzt nur einen Streit über Brutto- und Nettoflächen zu führen. Das versperrt den Blick auf das Wesentliche.

(Beifall bei Dennis Gladiator CDU und bei Farid Müller GRÜNE und Daniel Oetzel FDP)

Die Konfrontation mit der Geschichte ist für uns wichtiger als die Quadratmeterzahl und ebenso die Tatsache, dass das Stadthaus damit aus der Nichtbeachtung herausgeholt wurde. Wir sehen auch keine unangemessene Kommerzialisierung in dem Projekt, in dem ein Café und eine qualitativ hochwertige inhabergeführte Buchhandlung realisiert sind. Es sind Orte, die lebendig sind. Sich an solchen Orten zu erinnern, das zu kombinieren, heißt, Erinnerung in den Alltag hineinzuholen. Das ist gut.

(Beifall bei der CDU, der FDP und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Gut ist, dass die inhaltliche Betreuung von angemeldeten Gruppen von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und später auch vom Dokumentationszentrum im Lohsepark übernommen wird, womit eine qualifizierte Begleitung der Aktivitäten vor Ort gewährleistet wird. Es ist wichtig, dass die dem Eigentümer auferlegte Realisierung des Denkortes in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutzamt und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erfolgt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch ganz besonders Herrn Professor Garbe für seinen Einsatz in der Angelegenheit danken.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und bei Phyliss Demirel und René Gögge, beide GRÜNE)

Erwähnt worden ist, dass auch der Wettbewerb noch läuft mit 25 Künstlern, die ein Kunstwerk im öffentlichen Raum errichten sollen, also einen Störer mitten im öffentlichen Raum, der auf diesen Ort und die Geschichte hinweist. An dieser Stelle auch von meiner Seite und unserer Fraktion der Dank an den Beirat für seine Arbeit, der die Idee dieses Denkmals entwickelte.

Ich glaube, ehrlich gesagt, Herr Hackbusch, auch wenn das von meiner Seite vielleicht nicht mit ganz so viel Enthusiasmus oder Schärfe gegen andere vorgetragen wird, dass unsere parlamentarische Beratung und Begleitung des Projekts über viele Jahre hinweg wichtig und gut war. Auch ich habe den Eindruck, dass wir mitunter den Senat zum Jagen getragen haben. Gemeinsam mit den Akteuren wünsche und erhoffe ich mir für die Zukunft eine konstruktive weitere Entwicklung des Denkortes im Stadthaus. Sich klarzumachen, wohin Rassenwahn, Ausgrenzung, Nationalismus geführt haben, ist heute wichtiger denn je. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Wersich. – Als Nächster erhält das Wort Herr Müller von der GRÜNEN Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der heutige 8. Mai ist sicherlich

(Dr. Isabella Vértes-Schütter)

ein gutes Datum, um über solche Fragen zu sprechen. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, Herr Hackbusch, ob Ihre Art des Einstiegs in die Debatte all dem Rechnung trägt. Vielleicht werden wir das noch im Laufe dieser Minuten bewerten.

Wir alle wissen, dass dieses Haus in Hamburg viele Jahrzehnte lang bewusst nicht als Täterort behandelt wurde, wie wir uns das vielleicht aus heutiger Sicht gewünscht hätten. Ein paar mutige Behördenmitarbeiter – das ist heute schon genannt worden – haben sich dann erfolgreich getraut, dort am Eingang wenigstens eine Opfergedenktafel zu erstreiten. Seitdem wurde und wird mehr über dieses Haus und seine Geschichte im Dritten Reich diskutiert, und das ist gut so.