Um noch einmal auf das Thema der gestiegenen angezeigten Fälle von sexuellen Übergriffen zu kommen. Es gab schon einen Zwischenruf von Frau Güçlü: Es sind die Männer, die diese Straftaten begehen,
und nicht die Regierung und nicht sonst jemand. Es sind aber vor allem mutige Frauen, die sich zunehmend trauen, diese Dinge zur Anzeige zu bringen. Das hat etwas mit einem veränderten Klima im Umgang mit sexuellen Übergriffen zu tun, und das ist gut und richtig.
Deshalb ist es weiterhin umso wichtiger, jeden sexuellen Übergriff auch zu verfolgen – erstens: ihn anzuzeigen, zweitens: ihn zu verfolgen, und drittens: ihn aufzuklären – und eigentlich brauchen wir an der Stelle weiterhin sehr viel Präventionsarbeit, so wie bei der Jugendkriminalität. Dort sieht man eine Entwicklung, die in eine viel bessere Richtung geht. Ich erhoffe mir auch bei diesem Thema sehr viel mehr Aufmerksamkeit, um beispielsweise einmal zu schauen, was nebenan passiert. Gerade sexuelle Übergriffe sind oft nur möglich, weil Unbeteiligte eben nicht hinsehen. Das ist aber eine völlig andere Debatte.
Jetzt noch einmal zur Polizeilichen Kriminalitätsstatistik. Eigentlich habe ich die Anmeldung der AfD nicht verstanden. Ich habe aber verstanden, dass das wieder einmal eine Gelegenheit war, um zu sagen, auch das "Hamburger Abendblatt" schreibe nur das, was der Senat ihm vorgibt.
Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Ich muss ehrlich sagen: Die Art und die Intention der Anmeldung finde ich langweilig wie kalte Füße.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik sagt erst einmal über den konkreten Zustand in der Gesellschaft und die Zahl der Straftaten überhaupt gar nichts aus. Sie ist vor allem gut im Mehrjahresvergleich, da kann man nämlich Tendenzen erkennen. Die
Zahl der Wohnungseinbrüche war gestiegen, daraufhin ist diese Sonderkommission gebildet worden. Das war eine richtige Maßnahme, und das schlägt sich nieder. Nach einem Vierteljahr kann man das nicht direkt beurteilen, aber das ist schon ein Ergebnis der PKS, wie sie im Frühjahr vorgestellt worden ist.
Was erfasst eigentlich die Polizeiliche Kriminalstatistik? Auch ich will noch einmal darauf eingehen; es ist jetzt mehrfach gesagt worden. Sie erfasst nur bekannt gewordene Straftaten und nicht das Dunkelfeld, also nicht die Kriminalität, sondern nur die Fälle, die die Polizei bearbeitet. Und wenn sich die Zahl der Tatverdächtigen für bestimmte Delikte erhöht, dann kann das auch – es ist mehrfach gesagt worden – auf die positive Entwicklung des Anzeigeverhaltens zurückgeführt werden, wie – und auch das ist schon gesagt worden – nach Silvester 2015/2016. Da hat sich das Anzeigeverhalten entwickelt und natürlich steigt dann die Zahl der bekannt gewordenen Straftaten.
Es kann aber auch auf Zunahme von Kontrollen zurückzuführen sein. Ich erinnere: Es gab einmal ein Gefahrengebiet in Ottensen zum Thema Betäubungsmitteldelikte. Als dieses Gefahrengebiet mit verdachtsunabhängigen Kontrollen eingerichtet wurde, ist die Zahl der registrierten Straftaten um 58 Prozent, glaube ich, gestiegen, und als das Gefahrengebiet beendet wurde, ist sie wieder gesunken. Man kann also nicht sagen, dass durch das Agieren der Polizei die Straftaten beeinflusst wurden, sondern es sind mehr Straftaten bekannt geworden, und als die Kontrollen nachgelassen haben, ist nicht etwa die Zahl der Delikte zurückgegangen, sondern die Zahl der bekannt gewordenen Delikte.
Außerdem enthält die PKS – auch darauf will ich einmal hinweisen – nur Tatverdächtige und nicht Straftäter. Im Schnitt werden bundesweit nur ein Drittel der Verdächtigen am Ende verurteilt. Folglich ist die Mehrheit der Erfassten erst einmal unschuldig, statistisch gesehen. In diesem Zusammenhang will ich auf einen anderen Gesichtspunkt des Anzeigeverhaltens hinweisen, weil die Intention der AfD klar ist: Es geht mal wieder auf die Ausländer, es geht mal wieder auf die Geflüchteten. Dazu möchte ich den Kriminologen Christian Pfeiffer in Bezug auf das Anzeigeverhalten zitieren:
"Wenn Max von Moritz attackiert wird, liegt die Anzeigequote bei 13 Prozent. Wenn Max aber von Mehmet angegriffen wird, steigt sie auf 27 Prozent."
Es gibt mehrere Untersuchungen, die genau das belegen, und ob dann immer tatsächlich Max der Angegriffene war und Mehmet der Täter, ist auch mehr als fraglich. Also sagt die Zahl der Tatver
dächtigen und der Anteil zum Beispiel von Geflüchteten oder von Menschen ohne Pass nicht besonders viel aus.
Ich will noch einen dritten Faktor nennen, das ist natürlich die Sozialstruktur. In der Kriminalstatistik tauchen, seit es sie gibt, gemessen an ihrer Zahl überproportional viele junge Männer auf, und viele aus Vierteln, die als benachteiligt gelten. Das ist schon so, seit es diese Statistik gibt. Ich könnte Ihnen jetzt seitenweise – ich habe nicht so viel Zeit – Klagen über die Jugend vorlesen,
über die jungen Männer, aus dem 19. Jahrhundert, aus dem 20. Jahrhundert und so weiter. Und der Anteil alleinstehender junger Männer an den Geflüchteten ist überproportional hoch. Das sagt nicht etwas über Geflüchtete aus, sondern dass eine bestimmte Alterskohorte, eine bestimmte soziale Kohorte, ein besonders hohes Kriminalitätsrisiko auf sich vereint. Die Geflüchteten repräsentieren also einen wesentlichen gesellschaftlichen Ausschnitt, von dem seit jeher überproportional viele Straftaten bekannt geworden sind. Von daher bringt uns die Debatte wirklich nicht weiter – und schon gar nicht in der Art, wie Sie von der AfD sie führen oder Sie von der CDU, die in dieselbe Kerbe geschlagen haben. Das bringt uns nicht weiter.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich denke, eins eint uns doch alle: dass wir ein Interesse daran haben, dass die Kriminalität möglichst gering ist in dieser Stadt und in diesem Land. Natürlich wird bei einem solchen Thema die Opposition immer sagen, es reiche nicht, und der Senat wird darauf verweisen, wie toll die Zahlen seien. Einmal abgesehen von diesem Schwarzer-Peter-Spiel freut es mich natürlich, wenn eine Soko Castle diesen Erfolg hat, den sie hat. Das sehe ich völlig unabhängig davon, wer gerade Innensenator ist. Mich freut es einfach, dass es so ist; wir haben es ja auch begleitet. Auf der anderen Seite darf man natürlich nicht vergessen, dass das einen gewissen Preis hat. Wir haben in diesen Bereich so viel Personal gesteckt, dass es in anderen Bereichen fehlt; das wird uns die Polizei immer wieder bestätigen. Das dürfen wir nicht vergessen.
Bei der Präsentation der Statistik kürzlich wurde neben einigen erfreulichen Entwicklungen – eine habe ich genannt – doch auch ein in manchen Teilen besorgniserregendes Gesamtbild präsentiert. In vielen Bereichen sind einige Zahlen sehr hoch
und präsentieren uns eine Rechnung für über ein Jahrzehnt personellen Kahlschlag bei den Sicherheitsbehörden, den wir zahlreichen Innenministern in Bund und Ländern zu verdanken haben – die im Übrigen, Herr Lenders, überwiegend von der CDU gestellt wurden. Dies hat zur Folge, dass die eigentliche Kriminalitätsbekämpfung immer mehr zum Nebengeschäft wird. Dies gilt besonders für zwei Kriminalitätsfelder, die ich hier einmal herausgreife, Betrugsdelikte und organisierte Wirtschaftskriminalität, wo die kriminalpolizeilichen Ermittlungen nicht nur aufwendig sind, sondern auch über lange Zeiträume und mit strategischen Ansätzen betrieben werden müssen, um Erfolg versprechend zu sein. Hinter den Zahlen in der Polizeilichen Kriminalstatistik verbirgt sich dazu eine viel dramatischere Lage insofern, als Zahlen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität nicht auftauchen, weil es den Behörden an Ressourcen fehlt, um sie wenigstens aufzudecken. Das heißt, die Dunkelziffer ist relativ hoch. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es aber eine prioritäre Aufgabe von Sicherheitsbehörden sein, Kriminalität dort zu bekämpfen, wo das Gemeinwohl besonders gefährdet ist, und nicht nur dort, wo es besonders offensichtlich ist.
Bekanntlich ist die PKS eine Eingangsstatistik, deshalb darf man sich durch diese Zahlen nicht davon ablenken lassen, dass die Sicherheit des Staates, vor allen Dingen der Bevölkerung, nur zu gewährleisten ist, wenn es insgesamt eine funktionierende Strafverfolgung gibt. Wenn Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sowie die Zivilgerichte bei Geltendmachung von Schadenersatz durch Kriminalitätsopfer wegen chronischer Überbelastung versagen, haben Kriminelle zumindest zeitweilig leichtes Spiel. Gleiches gilt für Maßnahmen der Resozialisierung, an denen wir alle ein Interesse haben, denn weniger Rückfallquote bedeutet weniger Straftaten und weniger Opfer.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich, dass wir hier noch einmal Gelegenheit haben, zusammen die aktuelle Kriminalitätsentwicklung und die Leistung der Hamburger Polizei in der Kriminalitätsbekämpfung zu würdigen. Die Veröffentlichung der PKS liegt in der Tat schon drei Monate zurück, aber inzwischen haben wir aktuelle Zahlen aus den ersten vier Monaten 2017 und insofern ergibt sich vielleicht ein etwas vollständigeres und aktuelleres Bild.
Wichtig ist, dass wir das mit angemessener Ernsthaftigkeit und Seriosität diskutieren. Wenn man das tut, kommt man gar nicht umhin zu erkennen, dass das Jahr 2016 ein wirklich sehr gutes, erfolgreiches Jahr für die Kriminalitätsbekämpfung in unserer Stadt war.
Es war im Übrigen ein Jahr mit einer Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr, wie wir sie in den zurückliegenden Jahren nur sehr selten hatten. Wir hatten im Vergleich zu 2015 nicht nur eine leicht sinkende Zahl von Straftaten – 1,9 Prozent sind übrigens 5 000 Taten weniger, das sollte man nicht kleinreden –, wir hatten auch nicht nur eine leicht erhöhte Aufklärungsquote um 1 Prozent, sondern wir hatten eben auch Erfolge in vielen relevanten Deliktfeldern, über die wir ein Jahr zuvor noch intensiv gestritten und uns sehr viele Gedanken gemacht haben, wie wir dort eigentlich vorankommen. Wir hatten insbesondere 16,6 Prozent weniger Wohnungseinbrüche, 8,8 Prozent weniger Taschendiebstähle, 11,2 Prozent weniger beim Raub, Rückgänge auch bei der Gewaltkriminalität und der Jugendkriminalität. Das ist ein Erfolg,
und es ist das Ergebnis hervorragender Polizeiarbeit. Es ist schlicht unanständig, das hier kleinzureden.
Dazu gehören Konzepte, Schwerpunkteinsätze, Sokos und vieles andere mehr. Das ist Polizeiarbeit, und es zeigt, dass wir gerade in den Delikten, die für das Sicherheitsgefühl der Menschen in der Stadt eine besondere Bedeutung haben, als Polizei wirkungsvoll arbeiten können und handlungsfähig sind.
Dieser Erfolg ist umso bemerkenswerter, weil viele Rahmenbedingungen, mit denen wir es zu tun haben, mit denen Polizei es zu tun hat, das nicht unbedingt hätten erwarten lassen. Hamburg ist nach wie vor eine wohlhabende Stadt im Zentrum Europas, mit hoher Attraktivität, eben auch für insbesondere reisende Täter, und wir haben jedes Jahr, auch in 2016, eine zunehmende Zahl von Tatgelegenheiten, tatbegünstigenden Situationen allein dadurch, dass wir einfach mehr Menschen in der Stadt haben. Wir haben mehr Bewohner, wir haben mehr Besucher und Touristen, wir haben mehr Veranstaltungen in der Stadt, mehr Menschen auf der Straße, und wir haben auch mehr Flüchtlinge. Das gehört auch dazu.
Die Erfolge sind übrigens auch bemerkenswert – Herr Nockemann, es ist nicht so, dass überall die Zahlen zurückgehen –, als dass wir diesen Erfolg gegen eine bundesweite Entwicklung bei den Gesamtzahlen erreicht haben. Bundesweit hat die Zahl der Straftaten nämlich zugenommen.
Nun ist es mit Vergleichen aber immer so eine Sache. Da sie hier wieder bemüht worden sind, vielleicht zur Aussagekraft nur ein paar Anmerkungen. Mit Flächenstaaten – das wissen aber, glaube ich, eigentlich auch alle – lassen sich unsere Zahlen aus einem großstädtischen Umfeld nicht vergleichen. Die anderen Großstädte, gerade die, die wirklich ein wenig vergleichbar sind mit Hamburg, haben wir im Blick, aber auch dort muss man genau hinsehen. Wir haben unterschiedliche Größe, Demografie, Bevölkerungszusammensetzung, eine andere Struktur von Tatgelegenheiten, anderes Anzeigeverhalten, übrigens auch eine andere polizeiliche Praxis in der Aufnahme von Straftaten und in der statistischen Erfassung. Wenn man aber unbedingt Vergleiche anstellen will, dann kann man schon einmal darauf hinweisen, dass Hamburg zum Beispiel deutlich erfolgreicher ist als Berlin, dass wir die einzige Großstadt sind, in der Gewaltkriminalität aktuell zurückgeht. Es ist im Übrigen auch nicht so, Herr Nockemann, dass die Wohnungseinbrüche überall zurückgehen, sondern das viel gepriesene München hatte einen Zuwachs von 9 Prozent; darauf sollte man dann vielleicht auch einmal aufmerksam machen.
Wir wissen aber natürlich, das ist gar keine Frage, dass wir noch Baustellen haben. Das geht in der Kriminalitätsbekämpfung in einer Großstadt auch gar nicht anders. Sexualstraftaten sind angesprochen worden. Wir wissen, dass der Zuwachs maßgeblich auf den Silvestereffekt zurückzuführen ist. Trotzdem ist das ein Deliktfeld, das wir im Blick haben müssen. Wir haben ein Problem bei Fahrraddiebstählen. Wir haben eine Reihe anderer Delikte, die sich so entwickeln, dass man darauf besondere Sorgfalt verwenden muss. Und natürlich haben wir in der Tat ein Problem bei nicht deutschen Straftätern, das ist gar nicht zu leugnen, und da gibt es auch den Anteil der Flüchtlingskriminalität, wo wir noch Arbeit vor uns haben; ohne Zweifel.
Wir wissen aber ebenfalls, und das gehört dazu, dass natürlich die Flüchtlingskriminalität auch vor dem Hintergrund einzuordnen ist, dass wir dort eine besondere demografische Zusammensetzung nach Alter und Geschlecht haben, was dazu beiträgt, die Zahlen ein bisschen erklärbarer zu machen, dass wir eine besondere Lebenssituation haben und andere Umstände, die man mit einwerten muss. Insofern geht es hier darum, Integration voranzutreiben, aber eben Straftaten, auch unter Flüchtlingen, bei Flüchtlingen, durch Flüchtlinge, konsequent zu verfolgen und – es wundert mich, dass es gar nicht angesprochen wurde bisher – natürlich auch Straftäter abzuschieben. Auch das ist in diesem Kontext wichtig. Wir haben im 1. Quartal 2017 knapp 100 Straftäter abgeschoben. Das ist eine Zahl, die man vorzeigen kann.