Protocol of the Session on March 1, 2017

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb ist es doch genau richtig, an der Stelle darauf zu achten, wo genau welche Vorwürfe sind, und dann mit den Mitteln, die unser Rechtsstaat dafür hat, dagegen vorzugehen. Genau das tun wir, das ist die Differenzierung, die ein freiheitlicher Rechtsstaat von uns verlangt. Ich würde mir wünschen, dass CDU, FDP und AfD endlich zu dieser Differenzierung, die uns gemeinsam einen sollte, zurückkehren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Von der GRÜNEN Fraktion bekommt Herr Dr. Tjarks das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist noch gar nicht lange her, da gab es in der Türkei, man muss leider sagen, wieder einmal, einen Militärputsch, und diesen nimmt die türkische Regierung jetzt, wie wir alle wissen und sehen, zum Vorwand, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihrem Land bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln. Ich glaube, da sind wir uns alle einig, in dieser Situation muss Deutschland, muss aber auch Hamburg Haltung zeigen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei André Trepoll CDU)

In diesen Tagen sehen wir, dass die Pressefreiheit weltweit unter Druck ist; auch hierzulande, muss man sagen, gibt es immer wieder einzelne Parteien, die unliebsame Medienvertreter ausschließen.

(Dr. Andreas Dressel)

Die Türkei ist aber trauriger Spitzenreiter dieser Entwicklung, und wir stellen fest, es gibt 775 annullierte Presseausweise, 130 Journalistinnen und Journalisten sind im Gefängnis, 150 Medienhäuser sind geschlossen. Ich glaube, auch hier gilt, und da sind wir uns einig: Das ist inakzeptabel, das wollen wir nicht hinnehmen, und das müssen wir auch klar so sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Thomas Kreuzmann CDU und Michael Kru- se FDP)

Das gilt natürlich auch für den Fall, der in diesen Tagen besonders prominent berichtet wird, das ist der Fall Deniz Yücel. Dieser Fall stößt nämlich in eine neue Dimension vor. Wenn das Vorgehen gegen die nationale Presse schon schlimm genug ist, ist das jetzt ein massiver Einschüchterungsversuch der internationalen Presse. Das Ziel dieses Vorgehens ist doch klar erkennbar: Wenn ein internationaler Journalist festgehalten wird, denken alle anderen internationalen Journalistinnen und Journalisten beim Schreiben an diesen Fall, das führt zu der erwünschten Selbstzensur. Und genau das ist inakzeptabel und genau deswegen müssen wir jetzt auch als Bundesrepublik Deutschland und als Hamburg hier deutlich sein. Wir fordern an dieser Stelle die Freiheit für Deniz Yücel.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, verein- zelt bei der CDU und der LINKEN und bei Katja Suding FDP)

Wenn wir uns jetzt mit Deutschland beschäftigen und den Auswirkungen, die wir haben in Bezug auf große türkischstämmige Teile auch unserer Bevölkerung, muss ich sagen, kann ich eine gewisse Bigotterie, Herr Trepoll, in Ihrer Rede nicht ganz verhehlen. Denn es war doch, und Herr Dressel hat es schon gesagt, Frau Merkel, die den Flüchtlingsdeal mit Herrn Erdogan eingetütet hat. Wir haben da zwar eine andere Meinung als Sie, aber das Problem ist doch, dass sie sich damit in eine fatale Schicksalsgemeinschaft mit diesem Herrn begeben hat und aus dieser Schicksalsgemeinschaft auch selbst erkennbar nicht hinaus will, weil sie glaubt, ihr Amt sei damit verbunden. Und es war Frau Merkel, die im Vorwahlkampf zu diesem Verfassungsreferendum, das sozusagen den Abgesang der Demokratie in der Türkei endgültig besiegeln wird, in die Türkei gefahren ist. Es ist doch völlig klar, dass eine Presse, die total zensiert ist, dort schöne Bilder für Herrn Erdogan produzieren wird. Es war Frau Merkel, die gesagt hat,

(Dennis Gladiator CDU: Eine billige Ablen- kung!)

Herr Böhmermann dürfe von Herrn Erdogan hier belangt werden, weil sie es persönlich zulasse.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ja, da schütteln Sie den Kopf.

(André Trepoll CDU: Absoluter Blödsinn! Peinlich! – Zurufe von der CDU)

Ich möchte Ihnen einmal sagen, dass ich von Frau Merkel bisher keine Haltung wahrgenommen habe zu der Frage, ob Herr Erdogan in Deutschland für das Verfassungsreferendum trommeln kann. Ich habe dazu keine Meinung wahrgenommen, Herr Trepoll, die sie hier eingefordert hat. Sie müssen an dieser Stelle den Eiertanz Ihrer Bundesspitze einmal ein bisschen beenden.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und ver- einzelt bei der LINKEN)

Ich möchte dann nur anführen, dass sich Frau Merkel zu dieser Frage schon einmal eingelassen hat.

(Karin Prien CDU: Sprechen Sie doch mal zu Hamburg! – Joachim Lenders CDU: Ken- nen Sie das Thema?)

Ich möchte sagen, Frau Merkel hat sich zu dieser Frage schon einmal eingelassen, ob ausländische Vertreter, politische Vertreter hier in Deutschland reden sollen. Das war 2008 und betraf Barack Obama. Ich sage Ihnen, was sie gesagt hat, sie hat ihr Befremden darüber geäußert, dass dieser Mann hier sprechen soll, nämlich derjenige, der die freie Welt angeführt hat. Und zu Herrn Erdogan sagt sie keinen Ton.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Das Thema ist nicht Frau Merkel!)

Das ist die Wahrheit, vor der wir hier stehen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Cansu Özdemir DIE LINKE)

Wenn man hier Themen behandelt, die die Außenpolitik betreffen, die doch eigentlich Sache des Bundestages sind – ich nehme da einmal Ihre Worte, Herr Trepoll, und nicht Sache der Bürgerschaft, das haben Sie gesagt –,

(André Trepoll CDU: Peinlichste Rede seit Langem!)

und wenn Sie dann einmal über Ihren eigenen Parteitellerrand schauen, dann erlaube ich mir einmal den leisen Hinweis, ich würde mich freuen, wenn Sie die Meinung differenziert betrachten. Rot-Grün kann das, weil das eine gute Politik erfordert.

(Zurufe von der CDU)

Ja, wir können es, denn wir schaffen es, mit den moderaten Kräften zu reden und sie zu ermutigen, diese Gesellschaft zusammenzuhalten, und gleichzeitig den Hardlinern die Rote Karte zu zeigen. Sie können das nicht. Das ist der Unterschied zwischen uns.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Von der Fraktion DIE LINKE bekommt Frau Schneider das Wort.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Wenn wir uns umsehen, dann sind Nationalismus, und keineswegs nur der türkische,

(Zuruf: Richtig!)

und demokratiefeindliche Entwicklungen und Einstellungen zentrale Probleme in vielen westlichen Gesellschaften, in den USA, ich sage nur Trump, in Frankreich, wo nicht ganz auszuschließen ist, dass der extrem rechte Front National als stärkste Kraft aus den Präsidentschaftswahlen hervorgeht, in den Niederlanden, wo kurz vor den Wahlen die Wilders-Partei in den Umfragen vorn liegt, in Deutschland, wo die AfD kürzlich in Koblenz zusammen mit Le Pen und Wilders das Jahr der Patrioten ausgerufen hat und ungefähr zur gleichen Zeit das Wort Volksverräter zum Unwort des Jahres erklärt wurde. Ein Wort, das eine unheilvolle Geschichte hat und in dem der Vernichtungswille mitschwingt. Das alles ist sehr beunruhigend.

Und natürlich ist besonders beunruhigend die Entwicklung in der Türkei hin zu einem autoritären Staat, in dem Grund- und Menschenrechte nicht mehr gelten, in dem zum Feind erklärt wird und als Feind behandelt wird, wer sich Erdogan entgegenstellt oder auch nur Kritik äußert oder auch nur als Journalist gute Arbeit macht. Deshalb auch von mir: Free Deniz und all die anderen aus politischen Gründen Inhaftierten.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜ- NEN und bei Katja Suding FDP)

Diese Entwicklung in der Türkei hindert die Bundesregierung nicht – und das sage ich vor allem, aber nicht nur in Richtung CDU, die diese Aktuelle Stunde angemeldet hat –, die Waffenexporte in die Türkei fortzusetzen und 2016 sogar zu steigern. Was ist hier mit den Werten, die Sie immer im Munde führen? Das hindert die Bundesregierung nicht, den ohnehin mehr als problematischen Deal mit Erdogan zulasten von Geflüchteten fortzusetzen. Das hindert auch den Landesvorsitzenden der CDU nicht, mit der Organisierung einer Propagandatour für Journalisten mit der AKP gute Geschäfte zu machen. Und das hindert auch ein Mitglied der CDU-Bürgerschaftsfraktion nicht, im Herbst an einer solchen Propagandatour teilzunehmen,

(Kazim Abaci SPD: Herr Trepoll, was sagen Sie dazu?)

das Erdogan-Regime zu hofieren und seine demokratiefeindlichen Maßnahmen, Verhaftungen, Massenentlassungen und seine Armeeeinsätze gegen Zivilisten damit zu legitimieren. Darf ich Sie einmal nach den Werten fragen, um die es dabei ging?

Ich finde, Sie sollten nicht mit doppelter Zunge reden.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Aber natürlich ist die Entwicklung in der Türkei auch deshalb besonders beunruhigend, weil Erdogan in Deutschland und anderswo lebende Menschen türkischer Herkunft für seinen Kurs in einen autoritären Staat in Anspruch nimmt und weil das die Integration in dieser Gesellschaft stark belastet. Dabei wirbt er nicht nur über AKP-nahe und andere türkisch-nationalistische Netzwerke, die übrigens bis in die CDU hineinreichen,

(Dirk Nockemann AfD: Ei, ei!)

sondern auch über DITIB, also über eine Religionsgemeinschaft. Das seit je bestehende und bei Aufnahme von Verhandlungen über den Vertrag bekannte Problem, dass DITIB organisatorisch und finanziell eng mit dem türkischen Staat verbunden ist, wird in solchen Zeiten hochbrisant. Ich will Sie daran erinnern, dass es die CDU war, die ausdrücklich darauf bestanden hat, dass DITIB in die Verhandlungen um den Vertrag einbezogen wurde.

Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Schon in der letzten Runde vor vier Wochen, als es um die Zukunft des Vertrags ging, haben wir gesagt, DITIB muss einen Schnitt machen und sich aus der Abhängigkeit des türkischen Staates befreien. Wir konstatieren, dass gemäßigte Kräfte in DITIB diesen Weg beschreiten wollen. Das wird nicht leicht, und die, die solche Reformen anstreben, brauchen Unterstützung. Nun hat gestern die Innenbehörde erklärt, dass sie die DITIB-Moschee in Wilhelmsburg durch den Verfassungsschutz beobachten lässt, um zu prüfen, ob dort – ich zitiere –:

"[…] Extremisten derart aktiv sind, dass wir von verfassungsfeindlichen Strukturen oder Teil-Strukturen ausgehen müssen."

DITIB-Nord hat mit dem Rücktritt des MoscheeVorsitzenden eine erste Konsequenz gezogen. Das war notwendig, aber die Probleme dürften damit nicht gelöst sein. Es ist kein Geheimnis, dass ultranationalistische Netzwerke oder auch faschistische Organisationen wie die Grauen Wölfe DITIB-Moscheen als Stützpunkte nutzen oder zu nutzen versuchen. Das kann eine demokratische Gesellschaft nicht dulden, und das darf auch DITIB nicht dulden. Auch das ist unsere klare Erwartung an DITIB.

Wir haben, das dürfte Sie nicht überraschen, Probleme damit, dass Ultranationalisten oder militante Rechte vom Verfassungsschutz als V-Leute geworben und bezahlt werden. Aber wir sind der Meinung, dass solche ultranationalistischen und demokratiefeindlichen Strukturen, soweit sie sich in

DITIB-Moscheen breitgemacht haben oder breitzumachen versuchen, aus diesen Moscheen herausgedrängt werden müssen, auch mithilfe von Sicherheitsbehörden.