Protocol of the Session on February 15, 2017

Vielen Dank, Herr Dolzer. – Gibt es weitere Wortmeldungen? – Herr Dr. Wolf von der AfD-Fraktion.

Ich mache es kurz.

(Beifall bei Arno Münster SPD)

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Damen und Herren! Eine Entschädigung für erlittene Haftstrafen für Verurteilte nach Paragraf 175 StGB halten wir grundsätzlich für angemessen. Die weitergehend geforderte zusätzliche moralische Entschuldigung des Staates oder moralische Aufarbeitung durch zivilgesellschaftliche Institutionen halten wir nicht für erforderlich und für überzogen. Daher werden wir uns zu diesem Antrag enthalten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Gibt es weitere Wortmeldungen?

Dem ist nicht so. Dann kommen wir zu den Abstimmungen.

Wer möchte zunächst die Drucksache 21/7795 an den Ausschuss für Wissenschaft und Gleichstellung überweisen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist die Überweisung abgelehnt.

Wer möchte die Drucksache 21/7795 an den Ausschuss für Justiz und Datenschutz überweisen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieses Überweisungsbegehren angenommen.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 23. Es handelt sich um die Drucksache 21/7783, einen Antrag der AfD-Fraktion: Bei der Richterwahl Gewaltenteilung sicherstellen.

[Antrag der AfD-Fraktion: Bei der Richterwahl Gewaltenteilung sicherstellen – Drs 21/7783 –]

Die AfD-Fraktion möchte diese Drucksache an den Ausschuss für Justiz und Datenschutz überweisen.

Wer wünscht zu diesem Thema das Wort? – Herr Professor Kruse von der AfD-Fraktion, Sie haben es.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Gewaltenteilung ist ein normatives wichtiges Element unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats. Auch wenn es in der Praxis mit der Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive nicht weit her ist, gilt das für die Judikative nicht, und das ist gut so. Das Ausmaß der Unabhängigkeit der Judikative, also aller Gerichte, von der politischen Sphäre, also Legislative, Exekutive, Parteien und Politiker, ist geradezu ein Gradmesser dafür, ob man ein bestimmtes Land als Rechtsstaat bezeichnen kann. Wer das für eine wohlfeile Sentenz aus einer Sonntagsrede hält, dem empfehle ich einen Blick in die USA, wo ein neu gewählter Präsident Probleme hat, vom Wahlkampfmodus auf Regierungsmodus umzuschalten. Und wer zeigt ihm die Grenzen des Rechts? Unabhängige Richter aus Seattle und San Francisco. Ich vermute, jeder hier im Saal hat das mit Befriedigung zur Kenntnis genommen.

(Beifall bei der AfD)

Sowohl in den USA als auch in Deutschland kann man nach meiner Auffassung – und ich vermute, auch nach Ihrer – die inhaltliche Unabhängigkeit der Richter nicht infrage stellen; in der Türkei und vielen anderen Ländern der Welt, wahrscheinlich den meisten, sieht das schon ganz anders aus. Bezüglich der budgetären Unabhängigkeit, also der finanziellen, insbesondere stellenmäßigen Ausstattung der Justiz, kann man auch in Deutschland

und manch anderen Ländern gelegentlich Fragezeichen setzen. Aber die Justiz dadurch zu disziplinieren, ist sicher nicht Ihre Intention, Herr Senator Steffen, wenn von personeller Unterbesetzung der Hamburger Gerichte die Rede ist. Das hat sicher andere Gründe.

Das eigentliche Problem ist die mangelnde personelle beziehungsweise persönliche Unabhängigkeit. Richter werden bisher in Deutschland – und Hamburg ist dabei keine Ausnahme – von Gremien gewählt, die ganz oder überwiegend von Parteipolitikern besetzt sind, also von Personen, die auch in der Legislative und Exekutive die Macht haben. Im Hamburger Richterwahlausschuss sind neun von 14 Mitgliedern selbst Angehörige der Exekutive oder der Legislative oder sind von diesen abhängig oder werden von diesen gewählt. Damit ist eine Gewaltenteilung zwischen Judikative einerseits und Legislative und Exekutive andererseits nicht gewährleistet. Im Hamburgischen Verfassungsgericht werden sogar alle neun Mitglieder von der Hamburgischen Bürgerschaft gewählt. Die politische Mehrheit der Bürgerschaft entscheidet also über diejenigen Personen, die gegebenenfalls die Entscheidungen der Bürgerschaft und/oder des Senats unter Verfassungsgesichtspunkten überprüfen und analysieren sollten. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.

(Beifall bei der AfD)

Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt, also ebenfalls ausschließlich durch Parteipolitiker. Dabei ist mehrmals durch den politischen Kuhhandel auch nach außen hin deutlich geworden – sonst passiert so etwas natürlich immer nur hinter verschlossenen Türen –, dass die Parteien sehr wohl auch bei der Richterwahl parteipolitische Eigeninteressen berücksichtigen. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Böckenförde spricht dabei von Parteipatronage und personeller Machtausdehnung der Parteien, übrigens ein sehr gängiger Terminus in der politikwissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema und darüber hinaus. Stellen wir uns einmal vor, Herr Trump oder die Republikanische Partei würden in den USA Richter nach parteipolitischer Opportunität auswählen können.

(Heiterkeit – Zuruf von Dr. Andreas Dressel SPD)

Wie kann man das Problem lösen und Gewaltenteilung herstellen? Antwort: Indem die Richterwahlgremien keine Politiker der Legislative und der Exekutive als Mitglieder haben. Dazu schlagen wir vor, eine Justizversammlung zu bilden, in die jede juristische Vereinigung in einem revolvierenden Verfahren eine bestimmte Anzahl von Mitgliedern entsendet. Zu diesen Vereinigungen könnten zum Beispiel gehören: Richterbund, Rechtsanwaltskammer, Notarkammer, Vereinigung der Deutschen

(Vizepräsident Detlef Ehlebracht)

Staatsrechtslehrer, Bundesverband der Unternehmensjuristen und so weiter. Es kommt nur darauf an, dass sachkundige Juristen die Gremien stellen. Diese Justizversammlung wählt die Mitglieder des Landesverfassungsgerichts in Hamburg und die Präsidenten der jeweils höchsten Gerichte jeder Sparte sowie die Mitglieder des Richterwahlausschusses. Dieser Justizversammlung dürften keine Personen angehören, die jetzt oder in den letzten Jahren Mitglieder von Parlamenten auf Bundesoder Landesebene waren oder sind oder Spitzenpositionen in der Exekutive hatten oder haben, zum Beispiel Regierungschefs, Minister, Staatssekretäre oder hohe politiknahe Beamte, oder von diesen durch ein Arbeitsverhältnis oder auf andere Weise abhängig sind.

Wir würden uns freuen, wenn wir das mit Ihnen konstruktiv im Ausschuss diskutieren könnten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Professor Kruse. – Ich bitte diejenigen, die einen Wortbeitrag leisten möchten, dies dem Präsidium deutlich anzuzeigen, und gebe jetzt Herrn Tabbert von der SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon etwas irritierend, wenn eine Partei, die seit Wochen darüber diskutiert, ob sie den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Thüringer Landtag, Herrn Höcke, wegen völlig absurder und abwegiger verharmlosender Äußerungen zum Dritten Reich aus ihrer Partei ausschließen sollte, hier antritt, um uns Nachhilfe in Sachen Gewaltenteilung zu erteilen,

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der CDU und bei Christiane Blömeke GRÜNE)

und dazu auch noch – ich habe Ihren Antrag durchgelesen – die Errungenschaften der Aufklärung preist. Das ist alles schön und gut, lieber Herr Kruse, aber mit der Aufklärung sollten Sie lieber einmal in den eigenen Reihen anfangen.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und ver- einzelt bei der CDU)

Ich sehe übrigens, dass meine Uhr hier nicht läuft; insofern kann ich mich nicht an der Redezeit orientieren. Sie können sie gern anstellen. – Danke.

(Dr. Jörn Kruse AfD: Kommen Sie mal zum Thema!)

Ich komme zum Thema.

Bei Ihrer Schilderung des hamburgischen Richterwahlausschusses, der meines Erachtens in seiner Zusammensetzung bundesweit Vorbildcharakter hat – nicht jedes Bundesland hat einen so fein austarierten Richterwahlausschuss wie Hamburg,

sondern Kollegen fragen mich schon, wie wir das in Hamburg machen, weil sie das auch in ihrem Bundesland einführen wollen –, haben Sie den Eindruck erweckt, als gebe es hier ständig eine Mehrheit von neun Mitgliedern, die aus Regierung und Parlament kommen, gegen die anderen fünf. Ich bin Mitglied in diesem Ausschuss und kann Ihnen sagen, wie es dort läuft.

(Dirk Nockemann AfD: Aha!)

Sie haben vergessen zu erzählen, dass die bürgerlichen Mitglieder, die Sie in der Bürgerschaft gewählt haben, nach einem Proporz der Fraktionen gewählt werden.

(Dirk Nockemann AfD: Auch das noch!)

(Dirk Nockemann AfD: Das ist doch totaler Filz!)

Herr Nockemann, es wird Sie sogar womöglich beruhigen, wenn Sie Rot-Grün so schlimm finden, dass drei Senatsvertreter, drei bürgerliche Mitglieder der SPD plus eines der GRÜNEN – Sie können es ausrechnen – sieben von 14 Stimmen haben. Das ist keine Mehrheit.

(Dirk Nockemann AfD: Das wäre ja noch schöner, Herr Tabbert! Wollen Sie auch noch die Mehrheit haben?)

Nein, das will nicht.

Sie finden es vielleicht überraschend, dass ich als Mitglied einer Regierungsfraktion das sogar gut finde. Ich erinnere mich allerdings noch an Zeiten, als wir einen Justizsenator Kusch hatten und zuweilen sehr froh waren, wenn Herr Kusch und seine damals vorhandene CDU-Mehrheit es nicht vermochten, entsprechende Richterwahlentscheidungen im Alleingang durchzuboxen.

(Zuruf von Dirk Nockemann AfD)

Wann nämlich ist ein System gerecht? Jetzt werde ich einmal eine demokratietheoretische Anleihe bei meinem politischen Lieblingsphilosophen John Rawls machen: Gerecht ist ein politisches System dann, wenn man es unter einem Schleier des Nichtwissens,

(Zuruf von Dr. Bernd Baumann AfD)

unter Unwissenheit, welche Position man in dem System hat, als gerecht empfindet. Ich empfinde es nach wie vor als gerecht, ein solches System des Richterwahlausschusses zu haben, bei dem die drei Richter oder die zwei Rechtsanwaltsvertreter bei strittigen Entscheidungen zwischen Regierung und Opposition das Zünglein an der Waage sind.

Zu Ihrem Modell, Herr Kruse. Es ist interessant, einmal darüber nachzudenken. Ich will es auch gar