Protocol of the Session on January 18, 2017

(Christiane Blömeke)

dem Erleben des Traumas, herausstellt. Für manche Menschen beginnt die Latenzphase erst, wenn sie einen positiven Asylbescheid erhalten. Erst dann ist für sie die Flucht und damit das Erleben des Traumas wirklich vorbei, und sie müssen nicht mehr fürchten, zurückgeschickt zu werden. Vor diesem Hintergrund geht unserer Meinung nach der FDP-Antrag in die richtige Richtung. Er ist aber nicht ausreichend, denn es gibt noch offene Fragen.

Was ist mit den Zehntausenden geflüchteter Menschen, die schon längst hier sind? Was ist mit den Menschen, die erst in den nächsten Wochen oder Monaten eine Belastungsstörung entwickeln werden? Die FDP hat in ihrem Antrag richtig erkannt, dass Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen mit allen Begleitsymptomen eine enorme Belastung darstellen und Menschen daran hindern, ihren Alltag gut zu bewältigen. In Berlin gibt es ein sehr ausgetüfteltes System, wie man Menschen mit Traumata erfasst und ins Regelsystem überführt.

Ein Screening ist jedoch keine Behandlung. Was passiert nach einem positiven Screening-Befund? Aus einer psychologischen Untersuchung ergeben sich keine Behandlungskapazitäten. Vom ethischen Standpunkt aus müssen wir die Frage stellen, ob man jemandem diese Belastung zumuten kann, ohne ihm eine längerfristige Psychotherapie anbieten zu können. Denn wir müssen auch das gravierende Versorgungsproblem berücksichtigen, was Psychotherapieplätze für geflüchtete Menschen angeht. Im Mai letzten Jahres haben wir mit unserem Antrag ein interdisziplinäres psychosoziales Behandlungszentrum nach den erfolgreichen Vorbildern in anderen Städten gefordert; es wurde von diesem Senat abgelehnt.

(Kazim Abaci SPD: Die Bürgerschaft hat es abgelehnt!)

Kurze Zeit später waren sich die Regierungsfraktionen sicher, die Lösung des Problems gefunden zu haben, nämlich ein koordinierendes Zentrum, ich betone, koordinierendes Zentrum, kein Behandlungszentrum, für die Beratung und Behandlung von Folteropfern und traumatisierten Flüchtlingen. Sie waren sich sogar so sicher, dass das die Lösung sei, und es nicht mit uns im Ausschuss beraten haben. Es sind jetzt zehn Monate nach dem Beschluss vergangen, und wir haben immer noch keine konkrete Planung erhalten. Das, finde ich, ist wirklich ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Was sagt der Senat jetzt in diesem Bericht? Er sagt, Hamburg – Zitat –:

"verfügt […] bereits über eine gute Infrastruktur zur psychosozialen Beratung und Behandlung von Opfern von Gewalt […]"

Vielen Dank, dass die Behörde sich unter Ausschluss der Abgeordneten diese Meinung gebildet hat. Aber es ist ein reines Wunschdenken und hat wirklich nichts mit der Versorgungssituation vor Ort zu tun. Aus der Erfahrung mit Beratungsstellen und Therapeuten, die mit Geflüchteten arbeiten, wissen wir, dass verschiedene Anlaufstellen akute Krisenintervention anbieten; zum Beispiel wenn jemand suizidal ist, gibt es vielleicht auch eine Abklärung der Indikation, aber es gibt keine Therapieplätze für eine langfristige Psychotherapie. Somit bekommen die meisten Geflüchteten keine Therapieplätze und damit auch keine Versorgung. Dagegen müssen wir dringend etwas tun.

Deshalb geht der FDP-Antrag in die richtige Richtung, und wir möchten ihn an den Gesundheitsausschuss überweisen, damit wir umfassend darüber beraten können. Aber wir möchten auch gern eine nachhaltige und ganzheitliche Lösung anstreben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Celik. – Es spricht Dr. Baumann von der AfDFraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir wissen, dass das Problem der wirklichen Integration einer so großen Zahl von Flüchtlingen in diesem Land großenteils noch ungelöst ist. Das Problem der bloßen Versorgung dieser Menschen allerdings scheint demgegenüber großenteils gelöst zu sein. Von der Unterkunft über das Essen bis zur gesundheitlichen Versorgung ist man mit einer gewissen Gründlichkeit und einem riesigen Geldaufwand schon weit gekommen. Das gilt auch für alle Formen der Gesundheitsversorgung, die in Deutschland sowieso auf Weltspitzenniveau liegt.

Allein für die medizinische Versorgung der Flüchtlinge, wenn wir das richtig zusammengezählt haben, kommen schon über 80 Millionen Euro in den Jahren 2015 und 2016 zusammen. Auch in Sachen psychologisch-ärztlicher Versorgung ist in Hamburg alles Erdenkliche am Start. Schon in der Erstaufnahmeeinrichtung stehen psychiatrische Sprechstunden ausreichend zur Verfügung; das hat der Senat, aufgelistet nach den einzelnen Standorten, veröffentlicht. Diese sind dazu da, um psychische Auffälligkeiten früh zu diagnostizieren, um bei psychologischen Krisen frühzeitig einzugreifen und fachärztliche Beratung zu vermitteln. Sollten aktuelle Krisen mit Suizidgefahr, Eigenund Fremdgefährdung drohen, gibt es entsprechende Beratung und Behandlung im psychiatrischen Dienst. Ärzte entscheiden also bereits jetzt in Erstaufnahmen umfassend mittels Screening

(Deniz Celik)

Tests je nach den Umständen des Einzelfalls, und es ist vernünftig, das so zu machen.

Auch zu weiteren psychologischen Behandlungen steht Flüchtlingen alles zur Verfügung; im Prinzip alle psychiatrischen Einrichtungen beziehungsweise kinderund jugendpsychiatrischen Versorgungseinrichtungen, alle Krankenhäuser mit angeschlossenen fachpsychiatrischen Abteilungen sowie niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten. Überdies wird schon in Erstaufnahmen vonseiten der Leitung, vom Sozialdienst und in allgemeinmedizinischen Sprechstunden über die Angebote eingehend informiert. Informationen werden darüber hinaus auf vielfältigem Wege weitergeleitet, zum Beispiel durch Auslegen und Aushändigen von Flyern in den verschiedensten Sprachen, die auf Beratungsstellen verweisen. Es gibt präventive Beratungsgespräche aller Art. Das heißt, bei allen Verhaltensauffälligkeiten und Problemen persönlicher Art ist die volle Versorgungslogistik bereits sichergestellt wie kaum irgendwo sonst auf der Welt.

Ein generelles kostenintensives Prophylaxe-Screening, wie die FDP es jetzt fordert, ist angesichts dessen unnötig. Ganz zu schweigen davon – man muss das auch kurz erwähnen –, dass ein Teil der Migranten 2015 und 2016, wie wir wissen, eher Wirtschaftsflüchtlinge sind und nicht vor Bürgerkriegen geflohen sind.

(Zurufe von der LINKEN)

Sie müssen nur Zeitung lesen, das hat mit Unterstellung nichts zu tun. Ich weiß nicht, welche Gazetten Sie lesen, woher Sie Ihre Informationen bekommen.

(Martin Dolzer DIE LINKE: Sie haben gar keine Ahnung!)

Dass Sie einen Kehlkopf haben, wissen wir, Herr Dolzer, das haben wir jedes Mal bemerkt.

Ein Großteil sind Wirtschaftsflüchtlinge. Trotzdem müssen wir denen, die aus Bürgerkriegsgegenden kommen, helfen; das ist überhaupt kein Thema. Aber Ihr Geschrei ist so etwas von daneben.

Wozu also noch zusätzliche Kosten verursachen, wo doch schon breiteste Versorgung angewendet wird, wie man es im Weltspitzenvergleich sieht?

(Katja Suding FDP: Aber das soll doch die- ser Fragebogen! Sie widersprechen sich selbst!)

Frau Suding, Sie können gern eine Frage stellen. Dann höre ich mir das gern an.

Was soll also, liebe FDP, dieser Antrag? Ist es vielleicht – man kann kurz darüber nachdenken – doch auch ein Beschäftigungsprogramm für bestimmte Ärzte, Herr Dr. Schinnenburg? Die FDP ist als Partei doch bisweilen dafür bekannt, dass sie in der Lage ist, ihre Klientel zuverlässig mit Lobby

stoff zu beliefern; die Hoteliers danken doch heute noch dafür.

(Beifall bei der AfD – Katja Suding FDP: Jetzt drehen Sie aber durch!)

Vielen Dank, Herr Dr. Baumann. – Als Nächster spricht der fraktionslose Abgeordnete Dr. Flocken.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Abgeordnete! Gewaltsame Verletzungen und gewaltsamen Tod gibt es länger als die Menschheit und über menschliche Dramen und posttraumatische Zustände wird seit Urzeiten erzählt. Den Zusammenhang abzustreiten, wäre absurd. Dennoch hat die Medizin dieses Thema lange Zeit nicht entdeckt. Auch die moderne Psychiatrie kam fast 100 Jahre ohne den Begriff der PTBS aus.

Die PTBS verdankt ihre Erfindung dem Vietnamkrieg. Vor 40 Jahren gab es in den USA 3,5 Millionen Heimkehrer. Diese sahen sich mehreren Schwierigkeiten ausgesetzt. Erstens dem Vorwurf der Kriegsverbrechen; dass My Lai ein Einzelfall war, glaubt kaum einer. Dann der Schmach der Kriegsverlierer, die umso schwerer wog, als ein militärtechnisch grotesk unterlegener Gegner die Supermacht geschlagen hat.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Thema!)

Ja, ich spreche gerade über die Entstehung des Begriffs PTBS.

Drittens sind es die normalen Probleme, die Soldaten zu allen Zeiten überall auf der Welt hatten, um ins Zivilleben zurückzukehren. Einer halben Million amerikanischer Soldaten ist diese Rückkehr ins Zivilleben nicht gelungen. Ihnen wurde durch einen medizinisch attestierten Opferstatus eine gewisse Form der Würde und natürlich eine finanzielle Kompensation gegeben, was besonders wichtig ist in einem Land, wo es ein Sozialsystem, wie wir es kennen, kaum gibt, sehr wohl aber ein von Juristen dominiertes Kompensationssystem. Dazu kam die therapeutische Aufmerksamkeit, die natürlich nie zu einer Heilung führen konnte und durfte, denn dann wäre die finanzielle Grundlage entfallen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Thema!)

Außerdem wurde aus dem Kessel der politischen Kriegsdiskussion Dampf abgelassen.

Jetzt zur Situation hier. Ein Psychiater, der heute auf die Kriterien der ICD-10 oder auch des DSM-IV oder aktuell V im Zusammenhang mit der posttraumatischen Belastungsstörung pocht, muss sich zwei Konflikten stellen: einerseits dem wissenschaftlich-erkenntnistheoretischen, bei dem zunehmend die Grundlagen der Diagnose PTBS infrage gestellt werden. Die Fragen der Komorbiditäten werden gestellt, die Frage der Vollsymptomatik oh

(Dr. Bernd Baumann)

ne Trauma, die Frage der Abgrenzung zu Angstreaktionen und depressiver Verstimmung sowie dass Kritiker zunehmend eine widersprüchliche Begrifflichkeit monieren, die hohle Worte so weit aufbläst, dass sie mit Ideologie aufgefüllt werden können. Das stammt nicht von mir. Auf der anderen Seite gibt es die praktischen Probleme, denen sich ein solcher Psychiater stellen muss. Erstens: Eine leichtfertig gestellte Diagnose durch Nichtfachleute, unabhängig von den Kriterien der ICD-10 und DSM-IV. Zweitens: Es werden Fragebögen benutzt, also ein Top-Down-Verfahren. Den Leuten wird also nicht die Gelegenheit gegeben, einfach einmal zu reden. Drittens: Diese Fragebögen öffnen einer Simulation Tür und Tor. Die geforderten Auf-Antworten sind online verfügbar und werden auch von Helferinnen und Helfern zur Verfügung gestellt. Einem sorgfältig arbeitenden Psychiater ist natürlich der Aspekt, wie jemand etwas sagt, viel wichtiger. Viertens: Ein Opferstatus wird durch äußere Belohnung, also durch den Asylstatus, fixiert. Fünftens: die Kapazität. Die Wartezeit für eine Psychotherapie beträgt für einen gesetzlich Versicherten in Hamburg trotz der Entstehung von Spezialambulanzen ein Jahr. Es entsteht also ein weiterer Pull-Faktor. Sechstens: die moralische Erpressung. Skeptiker sind Unholde, die Profiteure der Asylindustrie sind die Guten. Und siebtens: Die Behandlung einer PTBS setzt ein Ende des Traumatisierungsprozesses voraus. Schon Ende 2015 habe ich darauf hingewiesen, dass Menschen, die durch faschistische Gewalt, Krieg und Bedrohung gegangen sind, diese Bedrohung in den Asylheimen und, wie ich es schon vorhergesehen habe, auch auf den Straßen wiederfinden. – Danke schön.

Vielen Dank, Herr Dr. Flocken. – Es hat sich Frau Güçlü, fraktionslose Abgeordnete, gemeldet.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Herrn Dr. Flocken nicht verstanden. Vielleicht kann jemand dolmetschen und mir sagen, was er eigentlich sagen wollte.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Es ist besser, wenn wir es nicht wissen!)

Worum geht es eigentlich? Den Antrag der FDP finde ich spannend, und er wäre es wert, zumindest an den Gesundheits- oder Sozialausschuss überwiesen zu werden, denn er benennt tatsächlich ein wichtiges Problem.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP)

Ich glaube, diejenigen, die das abstreiten, sind nicht ganz aufrichtig.

(Sylvia Wowretzko SPD: Hat aber niemand gemacht!)

Wir reden über Menschen, die vor Krieg fliehen, die etwas erlebt haben, was die Psyche verarbeiten muss und sich manch einer von uns trotz dramatischer Fernsehbilder nicht annähernd vorstellen kann. Wir alle wissen, dass selbst bei Trennung und Scheidung oftmals eine therapeutische Behandlung Sinn macht. Worüber reden wir hier eigentlich? Ob es tatsächlich notwendig ist, dass Menschen, die Furchtbares erlebt haben, medizinisch-psychologische Hilfe bekommen? Ich bin sprachlos, denn es liegt nahe, ohne dass man Psychologe oder Therapeut ist, zu erkennen, dass eine Großzahl der Menschen, die im Übrigen keine Wirtschaftsflüchtlinge sind – Herr Baumann, Sie werfen immer mit Zahlen um sich, ohne in irgendeiner Form einen Beleg zu bringen –, psychologische Hilfe brauchen. Ob das tatsächlich in Form dieses Fragebogens nun der Weisheit letzter Schluss ist, kann dahingestellt sein. Aber dass wir uns dieses Themas annehmen müssen, kann doch kein vernünftig denkender Mensch anzweifeln. Frau Wowretzko, es hat sich zwar alles sehr schön angehört, aber wir wissen auch, dass Sie das schöngeredet haben. Insofern kann ich mir nur wünschen, dass Sie sich das noch einmal überlegen und diesen Antrag zumindest überweisen, sodass man ihn vernünftig beraten und gemeinsam zu einer menschlich vertretbaren Lösung finden kann. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Güçlü. – Es hat sich Frau Blömeke von der GRÜNEN Fraktion zu Wort gemeldet.