Protocol of the Session on May 11, 2016

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wenn Sie schon auf Brandenburg abheben, Herr Wolf, dann müssten Sie sich kundig machen. Brandenburg hat nämlich die Primarschule, die in Hamburg leider abgelehnt wurde.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP: Gott sei Dank!)

Dort haben Eltern, die meinen, ihre Kinder würden in der sechsjährigen Primarschule nicht klarkommen, die Möglichkeit, ihre Kinder nach der vierten Klasse einen Eignungstest absolvieren zu lassen, um aufs Gymnasium zu wechseln. Sie müssen

(Dr. Stefanie von Berg)

schon richtig recherchieren und nicht Birnen mit Äpfeln vergleichen.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Wie allgemein bekannt ist, ist Bayern nicht in der Lage, selbst so viele Abiturientinnen und Abiturienten auszubilden, wie sie in Bayern gebraucht werden, sondern muss diese aus anderen Bundesländern importieren. Insofern ist Bayern kein Vorbild für uns in Hamburg.

Frau Prien, ich nehme Ihnen übel, dass Sie versuchen, diesen AfD-Antrag im Windschatten des gestrigen Antrags dafür zu nutzen, den Elternwillen nonchalant zu untergraben und durch Eignungstests und Zugangsbedingungen für das Gymnasium das Gymnasium wieder klein und fein als Eliteschule herauszuarbeiten. Das finde ich wirklich schlimm, und das müssten wir vielleicht an anderer Stelle noch einmal diskutieren. Ich bin froh, dass beide Anträge nicht an den Ausschuss überwiesen werden. Ich hätte diese Anträge auch dann nicht überwiesen, wenn sie nicht die AfD, sondern eine andere Partei gestellt hätte, Herr Wolf, da brauchen Sie also gar nicht wieder auf Ihre Opferrolle abzuheben. Der Antrag ist inhaltlich nicht diskutabel.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

In der Hoffnung, dass Sie vielleicht doch lernfähig sind, möchte ich noch auf eine Erkenntnis hinweisen. Der Bildungsforscher Bos hat die Grundschulstudie IGLU gemacht, aus der sehr deutlich hervorgeht, dass die Empfehlungen der Grundschullehrerinnen und -lehrer bis zu 50 Prozent falsch sind und sich überhaupt nicht an der wirklichen Leistung und an den wirklichen Potenzialen der Kinder orientieren. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass bei gleicher Leistung viel mehr Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern aufs Gymnasium kommen als Kinder aus Arbeiterhaushalten oder HartzIV-Haushalten oder Migrantenhaushalten – all diese Schubladen, die wir immer gern bedienen. Von daher ist die Unterstellung, Grundschulempfehlungen seien etwas Wertvolleres und Valideres als die Elternempfehlungen, wirklich falsch. Deswegen lassen Sie uns dabei bleiben, dass die Eltern entscheiden. Ich allerdings werde diese Debatte auch in Zukunft führen, weil wir natürlich erwarten, dass die Schulen, die die Eltern für ihre Kinder wählen, sich dann allesamt für diese Kinder verantwortlich fühlen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Das Wort bekommt Frau von Treuenfels-Frowein von der FDPFraktion.

Was ich an dem Antrag von Ihnen beiden gut und richtig finde, ist, dass Sie wie wir konstatieren, dass das Leistungsniveau an Hamburgs Schulen nicht nur nachlässt, sondern zu wünschen übrig lässt. Dieses Problem wird nicht dadurch behoben, dass alle Abitur machen und gute Noten bekommen. Denn wir wissen, dass es dann, wenn die Jugendlichen an die Hochschulen oder in die Ausbildung kommen, ein böses Erwachen gibt. Um dieses Problem brauchen wir nicht herumzureden.

Ich finde es schwierig, wenn Sie sagen, Sie hielten solche Anträge für nicht diskussionswürdig, oder wenn Sie sagen, es würde in Schubladen gedacht. Wenn Sie Begriffe wie Bildungsbürgertum benutzen, dann sind das für mich auch Schubladen. Aber es stört mich gar nicht, wenn Sie so etwas sagen.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

Aber ziemlich schwierig finde ich, wenn von vornherein gesagt wird, darüber spreche man überhaupt nicht, das Wort Eignungstest habe etwas Elitäres und sei etwas für ganz Schlimme. Mein Gott, darüber kann man doch reden. Ich finde es auch nicht richtig und komme gleich dazu, warum ich das nicht richtig finde. Aber das wieder so ideologisch abzufeiern ist doch langsam langweilig, oder nicht?

(Beifall bei der FDP)

Auf zwei Punkte, die zur Sprache gekommen sind, möchte ich kurz eingehen. Erstens: Das Elternwahlrecht soll erhalten bleiben, nicht nur, Frau Prien, weil die Eltern dies erwarten, sondern weil wir es richtig finden und dahinterstehen. Was sollen die Eltern tun? Sie werden beraten, nachdem ihre Kinder die vierte Klasse absolviert haben. Allerdings, das haben wir schon immer gesagt, werden sie nicht ausführlich beraten. Der Nachklapp eines Gesprächs, wie Sie gerade angeführt haben, reicht nicht. Als meine Kinder in dem Alter waren, wurde gesagt, sie kämen aufs Gymnasium, Glück gehabt, sie müssten nicht auf eine Stadtteilschule. Das halte ich für völlig falsch. Es gibt bestimmt Kinder, denen man empfehlen kann, erst einmal auf eine Stadtteilschule zu gehen, weil sie das Gymnasium nicht schaffen würden. Dort ist es auch nicht so schlecht, wie vielleicht manche denken, auch dort kann es gut sein. Diese Beratung müsste eigentlich sein; das haben wir neulich schon gesagt und dazu stehe ich auch.

Zweitens: Für die Kinder, die aufs Gymnasium kommen, gibt es eine Beobachtungsstufe. Das finde ich völlig richtig. Nach zwei Jahren weiß man, wohin der Weg führt. Man kann einem Kind mit neun oder zehn Jahren noch nicht sagen, welches sein Bildungsweg ist und diesen fest zementieren, sodass kein Weg mehr daran vorbeiführt. Ich finde

(Sabine Boeddinghaus)

zwar nicht, dass Leistung Stress ist, aber ich finde, dass Leistung zu früh festgelegt ist.

Ein wichtiger Punkt ist, warum die Gymnasien jetzt vermehrt abschulen. Die Union und wir reichen immer umschichtig Anträge ein, weil man nicht mehr sitzenbleiben kann. Natürlich schieben die Gymnasien einen Kandidaten, der zwei Fünfen hat, lieber auf die Stadtteilschule zurück, als ihn, ohne dass er sitzenbleiben kann, bis zur zehnten Klasse oder Reifeprüfung durchzuziehen, wo dieser arme Mensch dann spätestens versagt. Das wollen wir ihnen ersparen. Deswegen appelliere ich noch einmal an Sie, dieses so gut wie gescheiterte Nachhilfeprogramm wieder abzuschaffen. Lassen Sie die Kinder auf freien Wunsch die Klasse wiederholen, dann entspannt sich das Ganze nämlich. Das wäre unsere Idee.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das ist eigentlich schon alles gewesen, was ich dazu zu sagen habe. Ich bin sehr enttäuscht, dass wir so etwas nicht im Ausschuss diskutieren. Wie immer gibt es viele Fragen unterschiedlichster Art. Es werden Anträge gestellt und jeder sagt irgendetwas dazu. Es hat sich herausgestellt, dass wir über Eignungsprüfungen sprechen wollten und, wie ich finde, auch sollten. Ich halte es auch für richtig, noch einmal über den Antrag von Frau Prien zu sprechen, auch wenn ich ihn in Teilen ablehne. Ich finde es deprimierend, dass wir darüber hier nicht sprechen können, sondern nur versuchen, irgendwie unsere fünf Minuten zu füllen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Joachim Len- ders CDU und Dr. Alexander Wolf AfD)

Nun bekommt Frau Heyenn, die fraktionslose Abgeordnete, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Prien, Ihr Antrag ist scheinheilig. Wenn Sie in Ihrem Antrag fordern, dass beim Übergang von der vierten Klasse in die weiterführenden Schulen die Unterstützung der Eltern gewährleistet sein müsse, dann wollen Sie Eltern von bestimmten Kindern suggerieren und dazu bringen, ihr Kind nicht auf das Gymnasium zu schicken. Das und nichts anderes meinen Sie mit Unterstützung der Eltern.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD – Kazim Abaci SPD: Richtig!)

Wenn Sie von diagnostischen Verfahren sprechen, wollen Sie den Eltern von bestimmten Kindern rückmelden, ihr Kind werde den Leistungsanforderungen und, wie ich gelesen habe, auch der Haltung des Gymnasiums nicht gerecht und es sei besser, es gleich auf die Stadtteilschule zu schicken. Genau das wollen Sie. Diese differen

zierte Rückmeldung soll laut Ihres Antrags in der vierten Klasse stattfinden. Waren es nicht Sie, die gemeinsam mit Herrn Dr. Scheuerl für den uneingeschränkten Elternwillen auf die Straße gegangen sind? Und jetzt fordern Sie genau das Gegenteil.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LIN- KEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Sie zitieren im zweiten Absatz Ihres Antrags die Evaluation der sogenannten besonderen Aufnahmeverfahren des LI vom 21. Februar 2011. Dort ist zu lesen, die Evaluation des LI halte diese Aufnahmeverfahren für machbar und sie seien der Elternschaft gut vermittelbar. Das Problem ist nur, dass Sie eine ganze Menge Sätze dieser Evaluation weggelassen haben, denn der Text geht weiter. Darin steht nämlich auch – ich zitiere –:

"Die Effekte in der Klassenzusammensetzung sind allerdings empirisch nicht eindeutig belegbar […]"

Und weiter:

"Die Bedeutung der Verfahren ist nach Schulform und Standort gleichwohl unterschiedlich. Einer Selektion nach Leistungsmerkmalen sind an Gymnasien Grenzen gesetzt."

Und etwas später:

"[…] dass sich das Verfahren wegen seiner Ansprüche als abschreckend erweist."

Das alles haben Sie weggelassen. Das LI kommt zu dem Schluss, dass diese Verfahren auch abschreckend sein können.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und bei Ne- bahat Güçlü fraktionslos)

Wenn Sie sagen, na und, kann ich Ihnen nur Folgendes sagen: Wenn Sie schon so ein Gutachten zitieren und daraus nur das zitieren, was Ihnen passt, dann ist das unseriös.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktions- los)

Dann ist in dieser Evaluation die Rede von Pilotschulenkultur. Genannt werden das Gymnasium Klosterschule und die Stadtteilschule Harburg, die programmatisch von hoher Attraktivität seien. In der Zusammenfassung steht:

"Gelingt es, noch mehr Schulen mit ähnlicher pädagogischer Prägung Hamburg weit attraktiv zu machen, dann werden Besondere Aufnahmeverfahren überflüssig."

Auch das haben Sie weggelassen, und das ist unseriös.

(Karin Prien CDU: Ach Quatsch!)

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

Mit Ihrem Vorstoß wollen Sie, ohne es explizit zu sagen, den Elternwillen einschränken. Damit verstoßen Sie gegen den Volksentscheid von 2010. Die Geister, die Sie riefen, wollen Sie so schnell wie möglich wieder loswerden. Die Hamburger Eltern werden das aber nicht mitmachen, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktions- los)

Frau Heyenn, auch für Sie als fraktionslose Abgeordnete gilt natürlich der parlamentarische Sprachgebrauch, und ich bitte Sie, sich daran zu halten. Den Anfängerfehler, es zu wiederholen, werde ich nicht machen. – Das Wort bekommt Senator Rabe.

Ich möchte die Debatte nicht unnötig in die Länge ziehen, aber vier Anmerkungen seien gestattet. Erstens: Es ist richtig, dass Hamburg bei den internationalen Vergleichsstudien als Bundesland in der Regel in der unteren Hälfte, häufig im unteren Drittel liegt. Das ist ein Problem, mit dem wir uns ernsthaft auseinandersetzen müssen. Aber, Herr Wolf, was gibt Ihnen die Sicherheit, dass das ein entscheidender Baustein ist? Das Problem unserer vielen Bildungstests ist, dass wir gar nicht genau wissen, was nun eigentlich der Grund dafür ist, dass ein Land vorn und ein Land weniger weit vorn liegt. Deswegen sage ich ganz offen: Vorsicht vor Schnellschüssen. Wir könnten eine ganze Reihe von Verschiedenheiten zu Bayern, aber auch zu Finnland feststellen, aber wir können nie sicher sein, dass es das ist, was zu einem höheren Lernzuwachs führt. Deswegen rate ich zu Vorsicht und nicht dazu zu sagen, die Bayern hätten einen Aufnahmetest, die Bayern seien beim Abitur besser als Hamburg, also brauche man auch einen Aufnahmetest. Es kann viele andere Dinge geben. Hier brauchen wir in der Tat eine seriöse, aber auch vorsichtige Debatte.