Protocol of the Session on April 27, 2016

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen deutlich konstatieren – das gehört zur Wahrheit dazu –, dass das Zwei-Säulen-Modell einzig und allein eine politische Entscheidung war und pädagogisch-wissenschaftlich mit nichts zu begründen ist. Das kann man in den Protokollen der Enquete-Kommission sehr gut nachlesen. Es geht einfach nicht, dann außen vor zu lassen, dass man jetzt nur versucht, vor diesem Hintergrund Schulformen zu retten beziehungsweise nicht zu schwächen, sondern es muss uns darum gehen – und das kommt mir viel zu kurz in dieser Debatte –, dass es um die Zukunfts- und Bildungschancen unserer Kinder geht. Darüber reden wir viel zu wenig. Deswegen müssen wir doch auch konstatieren: Es gibt nicht zwei Begabungstypen, die in diese beiden Säulen passen oder in eine äußere und innere Leistungsdifferenzierung, sondern es gibt sehr viele Begabungen und Leistungsstärken und -schwächen und Ziele und Vorstellungen und Wünsche unserer Schülerinnen und Schüler. Deswegen brauchen wir eine Schule, die darauf Antworten gibt, und deswegen ist es keine ideologisch geführte Debatte, wenn wir darum ringen, welche Schule wir in Hamburg brauchen, damit alle Kinder und Jugendlichen dieselben Bildungschancen bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Senator Rabe, Sie sagen im Interview in der "Zeit" – ich zitiere wörtlich –:

"Wir brauchen die Stadtteilschulen aber, spätestens um die vielen Schüler aufzufangen, die es am Gymnasium nicht schaffen."

Mir fällt keine wirksamere Antiwerbung für Stadtteilschulen ein, die den Eltern über die tatsächliche Ungleichwertigkeit dieser beiden Säulen die Augen öffnet. Ich finde es fatal, was Sie da sagen. Ich gehe davon aus, dass Sie Ihr Interview vorgelegt bekommen und es autorisiert haben und Sie es offenbar richtig finden, was Sie da gesagt haben.

Die bittere Wahrheit ist doch: Die Stadtteilschulen übernehmen all die sozialen Aufgaben in dieser Stadt. Sie haben die größte Aufgabe in der Inklusion, es klang schon an. Sie übernehmen die meisten Aufgaben in der Beschulung geflüchteter Kinder. Sie fördern und unterstützen Kinder, die vom Elternhaus ihre Chancen nicht bekommen. Aus all dem wird ihnen ein Strick gedreht, und jetzt wird noch gesagt, sie förderten aber die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler nicht genug. Wir müssen endlich verstehen, dass die beiden Säulen sich zueinander verhalten wie kommunizierende Säulen. Deshalb kann man doch nicht den Stadt

(Dr. Stefanie von Berg)

teilschulen alles vorwerfen, was nicht klappt in diesem System,

(Kazim Abaci SPD: Machen wir doch gar nicht!)

und die Gymnasien außen vor lassen. Ich höre von niemandem in diesem Saal, dass sich auch die Gymnasien im 21. Jahrhundert im Zeichen von Inklusion und geflüchteter Kinder und Jugendlicher, die in dieser Stadt sind, weiterentwickeln müssten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen doch feststellen: Hamburg ist eine sozial gespaltene Stadt. Diese soziale Spaltung bildet das Zwei-Säulen-Modell exakt ab und es verstärkt diese Spaltung, anstatt sie zu kompensieren. Das schaffen die Stadtteilschulen nicht allein. Da sind die Gymnasien in der Pflicht, auch ihre Aufgaben zu machen. Deswegen können wir diese Debatte nicht führen, ohne zu sagen, dass die Gymnasien Verantwortung übernehmen müssen für Inklusion, dass sie Verantwortung übernehmen müssen für die Beschulung geflüchteter Kinder, dass sie Verantwortung übernehmen müssen für die Kinder, die in Klasse 5 bei ihnen angemeldet werden, und dass diese nicht zurückgeschult werden nach Klasse 6.

(Beifall bei der LINKEN)

Was sollen die Stadtteilschulen noch alles leisten? Nach Klasse 6 kommen über 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler von Gymnasien zurück. Auch das müssen die Stadtteilschulen noch schaffen und integrieren. Ich finde es wirklich einen Skandal, wie Sie auf der einen Seite sagen, Sie schätzten die Arbeit der Stadtteilschulen, wie Sie diese aber auf der anderen Seite allein lassen, indem Sie die Gymnasien außen vor lassen und überhaupt keine Erwartungen mehr an die Gymnasien stellen vor lauter Angst, es könnten wieder irgendwelche Walter Scheuerls aus der Erde sprießen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es unverantwortlich, Frau Prien, wenn Sie sagen, Inklusion finde an den Stadtteilschulen statt, davor hätten Sie Respekt, aber die Gymnasien seien außen vor. Ich frage Sie: Haben Sie keinen Anspruch für Ihre eigenen Kinder, dass sie auch am Gymnasium soziales Lernen lernen?

(Karin Prien CDU: Was soll das denn?)

Dass sie auch lernen, mit Unterschiedlichkeit umzugehen, mit Vielfältigem? Ich wäre wirklich interessiert daran, von Ihnen dazu eine Antwort zu hören. Ich habe Interesse daran, dass meine Kinder lernen, dass es viele unterschiedliche Kinder gibt, dass es Kinder gibt mit sonderpädagogischem Förderbedarf, dass es Kinder gibt aus anderer Herren Länder, und das findet im Moment allein in der Stadtteilschule statt und das muss auch an Gymnasien stattfinden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau von Treuenfels-Frowein von der FDP-Fraktion bekommt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich lese in dieser Anmeldung etwas anderes. "Stärken statt schlechtreden" stand da. Aha. Da haben wir es wieder: Die Opposition ist schuld.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Ihre Fraktionsvor- sitzende!)

Aber so einfach ist das dieses Mal nicht. Was eine Krise ist, das bestimmen nicht Sie, Frau von Berg, sondern das tun die Schulleiter der Stadtteilschulen, die sich sehr oft zu Wort melden. Schuld an diesem Problem sind nämlich nicht wir, sondern das ist, wenn überhaupt, Ihre völlig vermurkste Schulpolitik.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

Die Probleme an den Stadtteilschulen existieren doch nicht deshalb, weil wir sie ansprechen. Das ist billige Parteirhetorik, mit der Rot-Grün nur weiteren Frust in Bezug auf die Politik schürt. Damit kommen Sie keinen Schritt weiter.

(Beifall bei der FDP und bei Andrea Oel- schläger AfD)

Die Probleme der noch jungen Schulform Stadtteilschule sind allgemein bekannt. Um nur zwei zu nennen: erstens die Einführung der Inklusion mit der Brechstange. Sie setzen Kinder mit Förderbedarf einfach in Regelklassen, ohne genügend Personal, Räume, Konzepte und Sonderpädagogen, und dann wundern Sie sich, dass die Stadtteilschulen laut um Hilfe rufen, wie es immer wieder passiert. Zweitens: die unfaire Verteilung der Flüchtlingskinder. Da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Boeddinghaus. Die Hauptlast bei der Beschulung von Flüchtlingskindern tragen die Stadtteilschulen aus ohnehin sozial benachteiligten Vierteln. Das haben meine Anfragen gezeigt und das geht so nicht.

(Beifall bei der FDP)

Die Liste ließe sich fortführen, aber ich will auf etwas anderes hinaus. Herr Rabe, am Freitag wurde Ihr sogenannter Weckruf veröffentlicht, die Stadtteilschulen müssten sich endlich zum Leistungsprinzip bekennen. Klasse, das finde ich richtig gut, das ist genau mein Reden. Es ist komisch, dass ich Ihnen nicht so recht abnehmen kann, was Sie sagen, weil Sie nämlich andernorts – darauf werden wir heute in der Schuldebatte noch zurückkommen – eigentlich das Leistungsprinzip an Hamburgs Schulen schleichend beerdigen. Außerdem zeigt diese Äußerung, wenn wir schon von Schlechtreden sprechen, dass gerade Sie als

(Sabine Boeddinghaus)

Schulsenator die Stadtteilschulen öffentlich kritisieren. Sie bemängeln, dass der Fokus der Stadtteilschule auf den Leistungsschwächeren liege. Da wundert man sich nicht, wenn die Leistungsstarken lieber aufs Gymnasium gehen. Unsere Idee ist, dass man die Stadtteilschulen und deren Ruf stärkt, indem man erstens die Lehrer klar darauf hinweist, in den Beratungsgesprächen, wenn es um Gymnasium oder Stadtteilschule geht, nicht nur zu sagen: Es tut mir leid, Ihr Kind kann leider nicht aufs Gymnasium gehen, aber es gibt ja auch noch die Stadtteilschule, sondern dass sie auf deren Vorteile deutlich hinweisen. Das zum Beispiel könnte man den Lehrern sagen. Ich habe Kinder in den Klassen gehabt, das habe ich vermisst.

Die Stadtteilschule muss als echte Alternative zum Gymnasium gelten und da haben wir ein gutes Argument, nämlich das Abitur im Rahmen des G9. Wenn zugleich der Unterricht in den Kernfächern bis zum Abitur außendifferenziert stattfinden könnte, hätten wir hier schon viel erreicht.

Stattdessen twittert Herr Rabe fröhlich weiter – ich zitiere –:

"Seltsame Diskussion. Fast jeder will für die eigenen Kinder das Abitur und alle beschweren sich über den Abiwahn."

Ich habe mir überlegt, was das denn heißen soll. Das einzig wirklich Seltsame daran, finde ich, ist Ihre Politik. Wenn bei Ihnen nämlich alle das Abitur bekommen können so wie Bonbons, die wir an alle verteilen, dann ist die Studierberechtigung nicht mehr Studierbefähigung. Dahin dürfen wir nicht kommen.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Jörn Kruse AfD)

Die Folge dieser Gleichmacherei ist wie immer Ungerechtigkeit. Denn wenn Sie alle Kinder in einen Topf werfen, ob hochbegabt, ob Flüchtlingskind, ob mit Förderbedarf, ob gymnasialgeeignet oder angehender Facharbeiter, dann werden Sie keinem dieser Kinder wirklich gerecht. Nichts anderes tun Sie mit den Stadtteilschulen, wie auch Ihr neuester Plan für einen Einheitsschullehrer an den Stadtteilschulen deutlich zeigt. Da werden wir noch hinkommen und dann werden wir sehr genau darauf achten.

Unabhängig davon, dass die Stadtteilschule auch zum Abitur führt – das soll sie auch, dazu steht hier übrigens, glaube ich, jeder im Haus –, bleibt doch, und dazu stehen wir, ihre Kernaufgabe, die Vorbereitung auf die mittleren Abschlüsse. Hier muss die Stadtteilschule gestärkt werden. Daran müssen wir sehr intensiv arbeiten und nicht immer nur sagen, sie sei genauso viel wert wie das Gymnasium; daran muss wirklich gearbeitet werden.

(Beifall bei der FDP)

Wie man sieht, ist nicht die Opposition das Problem, jedenfalls sind wir hier nicht das Problem, nicht wir reden Probleme herbei, sondern Sie lassen die Stadtteilschulen im Stich.

(Arno Münster SPD: Sie sind das Problem!)

Wir weisen darauf hin und Sie behaupten, wir seien für die Probleme verantwortlich. Das nenne ich ziemlich scheinheilig in der Politik. Das gefällt uns gar nicht. Lösen Sie also die Probleme an den Stadtteilschulen, anstatt die Opposition dafür verantwortlich zu machen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Dr. Wolf von der AfD-Fraktion bekommt nun das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen! Es bereitet wirklich keine Freude, regelmäßig mit dem Gefühl vor Ihnen zu stehen, dass man es doch vorher wissen konnte, wissen musste, welche Fehlentwicklungen sich aus Ihrer Politik ergeben. Wieder einmal war Ihnen eine gleichmacherische Utopie wichtiger als die konkreten Ergebnisse Ihrer Politik, hier der Bildungspolitik. Auf dem Weg zur von der linken Seite des Hauses eigentlich gewollten Einheitsschule hat man sich bei totaler Kapitulation der CDU auf halber Strecke getroffen. Heraus kam eine Einheitsschule light, genannt Stadtteilschule,

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Das ist ja der Oberideologe hier!)

und die bekommt jetzt genau die Probleme, die die Gleichmacherei in der Bildungspolitik immer mit sich bringt: Eltern, die die Möglichkeit dazu haben, fliehen.

(Dr. Anjes Tjarks GRÜNE: Wie in Finnland oder USA!)

Die, die es nicht können, werden mit ihren Problemen allein gelassen mit der Folge, dass Hamburger Abschlüsse im Bundesvergleich immer weniger wert sind. Ihre Experimente auf Kosten der Kinder sind unverantwortlich. Die eigentliche Ursache für den Mangel an leistungsstarken Schülern auf den Stadtteilschulen ist doch die viel zu große Heterogenität in Leistungsvermögen und Leistungswillen. Diese Spreizung haben Sie jetzt ebenfalls aus ideologischen Gründen noch vergrößert. Zum einen, indem Sie eine Inklusion betreiben – das wurde vorhin gesagt – mit der Brechstange, die von den Stadtteilschulen verkraftet werden muss. Zum anderen kommt Ihre Politik der grenzenlosen Zuwanderung jetzt in den Klassenzimmern an.