Protocol of the Session on January 20, 2016

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Heiterkeit bei der AfD)

Dass Sie da so lachen, das passt, denn anstatt sich ernsthaft mit dem Thema Geflüchtete zu beschäftigen, hat die AfD wieder einmal auf die rechtspopulistische Trommel gehauen, und zwar mit Stigmatisierung und ähnlichen Methoden, und das ist nicht richtig.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Umso wichtiger ist es, das Thema Geflüchtete ganzheitlich zu betrachten. Leider geht es im neuen Jahr für die Flüchtlinge nahtlos so weiter, mit endlosen Schlangen vor den zuständigen Behörden, Wartezeiten auf Asylverfahren von bis zu einem halben Jahr, unwürdiger Unterbringung in Unterkünften und nun wieder mit populistischen Forderungen nach strengen Grenzkontrollen und Obergrenzen sowie gewalttätigen Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Wir brauchen aber im Jahr 2016 endlich eine Flüchtlingspolitik, die die Aufnahme und Integration von Schutzsuchenden in den Fokus stellt, und nicht eine noch restriktivere Abschottung.

(Beifall bei der LINKEN)

Langfristig hilft ohnehin nur eine Überwindung der Fluchtursachen. Die Grenzen – da hat Herr Gözay recht – werden nicht geschlossen werden können.

Also müssen wir an der Ursache und nicht am Symptom ansetzen. Und dabei ist es notwendig, dass die EU umdenkt von einer Politik, die sehr viele geostrategische Ideen und weniger die Themen Frieden, Menschenrechte und eine faire Handelspolitik im Mittelpunkt hat. Nur wenn wir da umdenken, werden Menschen zum Beispiel aus dem Mittleren Osten oder Nordafrika nicht mehr fliehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frieden und stabile Länder sind nämlich der richtige Schutz vor Flüchtlingen, beziehungsweise dann müssen wir uns gar nicht vor Flüchtlingen schützen, sondern davor, dass die Welt derart destabil ist und bleibt oder noch destabiler wird.

Die meisten Flüchtlinge kommen momentan aus Syrien und fliehen hauptsächlich vor dem menschenfeindlichen sogenannten Islamischen Staat. Ich möchte einmal Professor David Graeber von der London School of Economics zitieren. Er sagt dazu:

"Hätte die Türkei die gleiche absolute Blockade für IS-Gebiete praktiziert, die sie bei den kurdisch gehaltenen Teilen Syriens anwendete, das blutbefleckte Kalifat wäre wohl längst zusammengebrochen und die Paris-Attacken wären wahrscheinlich nie geschehen. Und wenn die Türkei heute das Gleiche täte, würde der Islamische Staat wahrscheinlich in wenigen Monaten zusammengebrochen sein. Aber hat ein einziger westlicher Regierungschef Recep Tayyip Erdogan bisher wirklich ernsthaft dazu aufgefordert, dies zu tun?"

Das fragt sich David Graeber zu Recht, denn da müssten wir ansetzen. Wir müssen unsere Politik, die europäische Politik, die deutsche Politik und auch die hamburgische Politik daraufhin überdenken, wie wir mit den weltweiten Konflikten umgehen. Wenn wir uns dabei an Menschenrechten und Frieden orientieren, dann werden auch weniger Flüchtlinge kommen.

Jetzt bombardiert die türkische Regierung kurdische Städte, unter anderem mit Leopard-Panzern, und verletzt täglich Menschenrechte. Wenn wir da nicht aufpassen und Druck ausüben, werden in den nächsten Wochen und Monaten noch Hunderttausende Menschen aus der Türkei als Flüchtlinge zu uns kommen. Genau da müssen wir ansetzen und nicht bei Grenzkontrollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn die Grenzkontrollen beheben das Problem nicht. Auch 3 Milliarden Euro an die Türkei werden das Problem nicht beheben, sondern dieses Geld sollte man vielleicht lieber in der Europäischen Union darin investieren, um wirklich eine würdige Flüchtlingspolitik voranzubringen, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich zu integrieren, und

(Murat Gözay)

um langfristig darauf hinzuwirken, dass die Menschen nicht mehr vor Krieg, Folter und Tod fliehen müssen.

Leider ist es so, dass nicht nur die AfD sich für weitere Restriktionen einsetzt, sondern auch Teile der CDU. Da finde ich Herrn Westenbergers Argumentation wirklich wohltuend, weil er sich von einem humanistischen Standpunkt aus auf die Seite derjenigen in der CDU gestellt hat, die sich nicht für die Schließung der Grenzen einsetzen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Ich appelliere auch an die CDU, dass genau dies notwendig ist. Lassen Sie Ihre Partei nicht abgleiten, indem Sie versuchen, rechtspopulistische Forderungen umzusetzen, um bei den Wählern zu punkten oder sich weiter abzuschotten.

(Beifall bei der LINKEN – André Trepoll CDU: Helfen Sie uns, wählen Sie uns!)

Ich werde Sie trotzdem nicht wählen.

Herr Westenberger ist wirklich ein Humanist, und das achte ich sehr. Aber einige Ihrer Redebeiträge gehen auch in eine ganz andere Richtung; besonders die Vorstöße der CSU in Bayern finden wir furchtbar. Wir denken, dass ein offener gesamteuropäischer und ganzheitlicher Ansatz gefordert ist. Dazu gehören die Überwindung der Fluchtursachen und die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Da gebe ich dem Kollegen Herrn Gözay recht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Jetzt hat das Wort Herr Jarchow von der FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir führen diese Debatte schon das zweite Mal in diesem Hause. Sie gehört eigentlich mehr in die Bundespolitik als in die Landespolitik, würde ich denken.

Was mich in Anlehnung an das, was wir vorhin schon diskutiert haben oder was ich vorhin schon gesagt habe, daran so stört, Herr Dr. Baumann, ist dieser populistische Ansatz. Wir sind uns darüber im Klaren, dass wir in den nächsten Jahren nicht weiterhin so viele Flüchtlinge werden aufnehmen können wie bisher. Ich glaube, das ist Konsens in diesem Land. Nur, den Leuten jetzt vorzugaukeln, wir schließen eben einmal die Grenzen und das Problem sei erledigt, ist einfach weltfremd. Welchen Effekt haben wir dann? Einen Rückstau. Das heißt, solange wir nicht in der Lage sind, die Außengrenzen der EU zu schließen und dort vernünftige Bedingungen in den Lagern herzustellen, werden wir dieses Problem nicht lösen, indem wir hier die Grenzen schließen.

Auch das Schließen der Grenze allein bedeutet nicht, dass die Leute nicht ins Land kommen. Es gibt grüne Grenzen. Das hat auch Schweden gemerkt als ein Land mit einer mehrere Hundert Kilometer langen Seegrenze, über die jetzt auch die Einwanderer über Russland hineinkommen. Insofern greift die Lösung, eben einmal die Grenzen zu schließen und somit die Sache zu erledigen, zu kurz und ist populistisch. Sie trifft vielleicht die Meinung vieler in der Bevölkerung, die sich damit nicht so genau auseinandersetzen, aber wir sollten dabei doch etwas differenzierter denken.

(Beifall bei der FDP, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Sie haben auch etwas zu den wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen Maßnahme gesagt. Diese haben Sie relativ kleingeredet. Sie haben gesagt, Binnenmarkt habe es auch vorher schon gegeben. Stimmt, den gab es auch vorher schon. Jetzt haben wir den Euro, den Binnenmarkt und Schengen, und ich würde Sie einfach auf das verweisen, was die EU-Kommission in Person des Kommissionspräsidenten Juncker vor wenigen Tagen dazu gesagt hat, welche wirtschaftlichen Auswirkungen eine Grenzschließung in Deutschland pro Tag haben könne – nämlich in Höhe von Milliarden von Euro. Insofern sollten wir auch das nicht kleinreden, zumal – ich wiederhole mich – eine Grenzschließung unser Problem als solches nicht löst. Unser Problem liegt sehr viel tiefer. Wir werden es sicherlich sehr viel früher lösen müssen.

Herr Dolzer, Ihr Ansatz ist ehrenwert. Wir werden allerdings in der Kürze der Zeit nicht alle Probleme in Syrien und in anderen Staaten, die es betrifft, lösen können. Wir werden uns sicherlich erst einmal auf die europäische Außengrenze konzentrieren müssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Farid Müller GRÜNE)

Schönen Dank, Herr Jarchow. – Herr Dr. Baumann von der AfD-Fraktion, Sie haben das Wort.

Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt einiges gehört, und das meiste war – ich sage es einfach einmal so – erwartbar.

(Karin Prien CDU: Bei Ihnen gar nicht!)

Sie haben nicht groß die Argumente aufgegriffen. Wir haben jetzt nur wirklich ein riesiges Problem im Land. Ich sage nur etwas zum Populismus. Herr Jarchow, ganz im Ernst: Sind die Schweden populistisch? Die Dänen? Die Finnen? Die Norweger? Die Franzosen? Die Belgier? Die Holländer? Die Tschechen? Die Polen? Und jetzt die Österreicher? Österreich hat heute, 14.20 Uhr, massive Grenzkontrollen eingeführt. Sind die alle populistisch? Und nur Herr Jarchow und die FDP oder

(Martin Dolzer)

die CDU sind klug, die das im Bund angeregt haben? Glauben Sie das wirklich? Das kann doch wohl nicht wahr sein. So viel zum Populismus.

(Heiterkeit bei André Trepoll CDU und ver- einzelt bei der FDP)

Jetzt haben Sie noch die EU-Kommission angeführt. Ja, Sie lachen noch. Viele im Land, meine Damen und Herren, lachen nicht mehr. Das ist genau das Problem. Wenn ich Ihr Lachen sehe, ist das so etwas von unangemessen. Das größte Problem, das wir in der Nachkriegszeit vor Ort haben, hat schlimme Auswirkungen auf die verschiedenen Stadtteile und Bereiche.

(Milan Pein SPD: Hören Sie auf, hier herum- zuschreien!)

Lassen Sie uns wieder auf die Argumente zurückkommen, meine Damen und Herren!

(Heiterkeit bei den Fraktionen – Zuruf: Was wollen Sie denn sagen?)

Die EU-Kommission ist gerade genannt worden. Herr Juncker ist ein kleiner isolierter Mensch mit einer kleinen Kommission. Nun sind nur noch Frau Merkel und die Deutsche Regierung dabei, ansonsten steht keiner mehr im ganzen weiten Europa dahinter. Die EU-Kommission ist nicht mehr Europa, ist nicht Nord-, nicht West-, nicht Süd-, nicht Osteuropa. Die haben sich von der Kommission bei diesem Thema so etwas von entfremdet.

(Zuruf von Carsten Ovens CDU)

Wenn Sie gleich die Rede halten wollen, melden Sie sich doch bitte, Herr Ovens. Ich bin gespannt auf Ihre Argumente. Von dahinten kann ich Sie schlecht verstehen.

Jetzt noch einmal zu dem Kernargument.

(Glocke)

Vizepräsidentin Christiane Schneider (unterbre- chend): Einen Augenblick, Herr Dr. Baumann. Ich möchte bitten, dem Redner zuzuhören oder den Raum zu verlassen, damit es hier ein bisschen ruhiger wird.

(Carsten Ovens CDU: Der soll nicht so schreien!)