Protocol of the Session on January 15, 2020

"Geheime staatliche Tätigkeit widerspricht an sich dem in der deutschen Verfassung angelegten Prinzip der offenen Gesellschaft."

Und – Zitat –:

"Der Rechtsstaat muss deshalb um des Spannungsfeldes zwischen Freiheit und Si

(Antje Möller)

cherheit willen damit leben, dass seine Nachrichtendienste partiell nicht kontrollierbar sind."

Das Wörtchen "partiell" kann man streichen. Geheimdienste sind nicht zu kontrollieren, auch dann nicht, wenn der PKA ein paar neue Kontrollrechte erhält. Deshalb sind wir gegen den vorliegenden Gesetzentwurf.

Um die wichtigsten Kritikpunkte zu nennen: Das V-Leute-System, also Werbung und Einsatz von Spitzeln, bleibt zentral. Die Erfahrung aus dem NSU-Komplex zeigt, dass die V-Leute-Praxis die Naziszene nicht schwächt. Das Prinzip "Quellenschutz vor Aufklärung" sabotiert Ermittlungen gegen sie; das ist in den NSU-Untersuchungsausschüssen wie auch durch die unermüdliche Aufklärungsarbeit der Nebenklägerinnen im Münchener NSU-Prozess unbestreitbar geworden.

Dem Verfassungsschutz soll der Einsatz der Quellen-TKÜ ermöglicht werden, um laufende verschlüsselte Kommunikation überwachen zu können. Das ist an sich schon ein starker Eingriff in die Grundrechte. Da die Technik, die dafür einsetzbar ist, aber absehbar mehr kann, als sie rechtlich darf, drohen Eingriffe in die Privatsphäre in unüberprüfbarem Ausmaß. Zukünftig nimmt der Verfassungsschutz nicht mehr nur Kinder und Jugendliche ab 14 in den Blick und in seine Datenbanken, sondern bereits Zwölfjährige und aus Gründen des Kindeswohls sogar Kinder jeden Alters. In der Begründung ist von Kindern aus islamistischen Rückkehrerfamilien die Rede, tatsächlich ist die Norm allgemein gefasst, sodass auch Daten junger Menschen gespeichert werden können, die sich antifaschistisch organisieren. Das Deutsche Institut für Menschenrechte warnt vor diesem Eingriff in Kinderrechte und den Gefahren für die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen.

Schließlich soll es für das Landesamt leichter werden, Daten an andere staatliche Stellen und an nicht staatliche Stellen, zum Beispiel Sportvereine, weiterzugeben, wenn es dies zum Schutz, so heißt es, von schutzbedürftigen Personen, insbesondere Minderjährigen, für angezeigt hält. Der Verfassungsschutz allein ist es, der nach undurchschaubaren Kriterien über die Verfassungsfeindlichkeit von jemandem entscheidet. Er hat es in der Hand, auch Jugendliche, auch Kinder zu stigmatisieren.

Der Gesetzentwurf bedeutet einen großen Machtzuwachs für einen Geheimdienst, der nicht kontrollierbar ist. Wollen Sie wirklich, und hiermit wende ich mich besonders an Sie von den GRÜNEN, durch den Ausbau geheimer, unkontrollierbarer, aber folgenreicher staatlicher Tätigkeit das im Grundgesetz angelegte Prinzip einer offenen Gesellschaft untergraben? Wir wollen das nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erhält nun der Abgeordnete Jarchow für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war nicht drauf vorbereitet, eine solche grundsätzliche Debatte über den Verfassungsschutz zu führen, sondern ich wollte mich eigentlich auf die Novelle konzentrieren, freue mich aber darüber, dass wir das hier heute ansatzweise tun.

Liebe Christiane Schneider, auch wir sind für eine sehr offene, liberale Zivilgesellschaft. Wir glauben aber trotzdem, dass es auch dann möglich sein sollte, einen Verfassungsschutz zu haben, der sich erstens im Rahmen dieser Zivilgesellschaft vernünftig verhält und zweitens auch kontrolliert wird. Ich verstehe aus Ihrer Sicht jedoch auch die hohe Skepsis gegenüber Geheimdiensten; gerade aus der historischen Betrachtung wird das deutlich.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU und bei Daniel Oetzel FDP)

Wir sehen die Novelle weiterhin als einen lange überfälligen Schritt in die richtige Richtung. Erfreulicherweise werden endlich viele Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung und vorliegende Rechtsprechung angemessen umgesetzt. Nichtsdestoweniger sehen wir aber unverändert nach der im Dezember auch der Bürgerschaft formal zugeleiteten Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten und auch der im Innenausschuss erfolgten Expertenanhörung einige gravierende Mängel. Diesen Mängeln können auch die in letzter Minute eingereichten Nachbesserungen der Regierungsfraktionen nur unzureichend abhelfen. Dennoch werden wir diesen zustimmen.

Wir sehen weiterhin gravierende Mängel im Gesetz bei den Prüfungsbefugnissen der Datenschutzbehörde und noch mehr bei den mangelnden effektiven Abhilfebefugnissen. Diese erscheinen uns, wie schon bei der Polizeirechtsnovelle, nicht nur politisch falsch, sondern auch europarechtlich fragwürdig. Bei Überwachungsmaßnahmen wie dem verdeckten Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen, Bildaufzeichnungen oder verdeckt eingesetzten Personen sieht die Novelle keine grundsätzlich nachträgliche Benachrichtigungspflicht vor. Hier sehen wir gesetzlich eine grundsätzliche Pflicht als besser an, von der dann in Einzelfällen begründet abgewichen werden könnte – etwas, was sicher im geheimdienstlichen Bereich des Öfteren vorkommen wird.

Die Causa Sebastian Block zeigte hier exemplarisch den Bedarf für eine nachgelagerte, aber gesetzlich grundsätzliche Pflicht konkret auf. War es doch erst das Gerichtsverfahren anlässlich einer

(Christiane Schneider)

Jahre später erfolgten nachträglichen Benachrichtigung, das dem Senat die Möglichkeit gab, sein Handeln zu überprüfen und die Rechtswidrigkeit seines Handelns nachträglich zu erkennen und vor dem Gericht dann auch anzuerkennen.

Bei der Ermächtigung zum Einsatz von QuellenTKÜ wird im Gesetz die Monofunktionalität der zur Infiltration der anzugreifenden IT-Systeme und -Endgeräte verwendeten Software nicht sichergestellt und die Zertifizierung dieser Monofunktionalität entsprechend den bekannten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nur unzureichend geregelt. Die Expertenanhörung hat auch ergeben, dass die vom Verfassungsgericht vorgegebene Monofunktionalität in der Praxis gar nicht klar zu gewährleisten ist. Das haben dann auch die Kollegen von der CDU erkannt; leider ziehen sie aus unserer Sicht daraus die falschen Konsequenzen. Dem Ganzen durch zusätzliche Ermächtigung zur Onlinedurchsuchung zu begegnen ist aus unserer Sicht noch grundrechtsfeindlicher, und davon raten wir dringend ab.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LIN- KE – Dennis Gladiator CDU: Verfassungs- rechtlich bestätigt!)

Wenn aber kurzfristig in der Praxis innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens technisch keine Quellen-TKÜ einsetzbar ist, sollte zuerst einmal zumindest die Entscheidung zu den laufenden Verfassungsbeschwerden abgewartet werden, um dann eine möglichst valide und praxisfeste Ermächtigungsnorm zu schaffen. Der Senat hat in den letzten Jahren mehrfach bewiesen, dass er Gesetzgebungsvorlagen binnen Wochen oder sogar Tagen oder sogar Stunden vorzulegen vermag, wenn er einen Eigenbedarf für Ermächtigung hat oder sich aussichtslose Gerichtsverfahren abzeichnen.

Ein grundsätzliches Problem besteht aus unserer Sicht ebenfalls in Sachen Kostentransparenz bei haushaltsrelevanten Regelungen. Auch hier werden im Gesetz umfangreiche ressourcenintensive Prüfungsbefugnisse des Datenschutzbeauftragten etabliert, wieder ohne Darstellung der haushaltsrechtlichen Folgen in der Drucksache.

Angesichts dieser beschriebenen Mängel können wir der vorliegenden Gesetzesnovelle nicht zustimmen; wir werden uns der Stimme enthalten. Das gilt auch für die Initiative der CDU, die Trennung von Geheimdienst und Polizei nach dem Vorbild eines nationalsozialistischen Reichssicherungshauptamtes aufweichen zu wollen; dem werden wir ebenfalls nicht zustimmen.

(Zurufe und Heiterkeit)

Ich habe das gelesen.

Wir sind gespannt, ob die aus unserer Sicht nötigen Nachbesserungsetappen zu diesem Gesetz in

der kommenden Legislaturperiode geschehen werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort erhält nun der Abgeordnete Nockemann für die AfD-Fraktion.

Verehrtes Präsidium, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die AfD ist seit jeher ein glühender Verfechter unserer Verfassung und unseres Rechtsstaates.

(Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN)

Ja, gerade aus Ihrer Ecke ist das richtig.

Die AfD hat immer einen starken Staat befürwortet. Dass diese Verfassung angesichts eines zunehmenden Extremismus von rechts und links und auch aus dem religiösen Bereich geschützt werden muss, ist völlig unstrittig. Voß, der Leiter des Hamburger Amtes für Verfassungsschutz, hat kürzlich von einer zunehmenden Militanz aus dem linksextremistischen Bereich gesprochen. Ich glaube, da fielen sogar die Worte: Wir müssen aufpassen, dass es keinen neuen Linksterrorismus in dieser Stadt gibt.

Zum Schutz der Verfassung bedarf es notwendiger und angemessener Grundlagen und Regelungen, sodass man bereits im Vorfeld konkreter Gefahren reagieren kann. Was wir nicht wollen, um das einmal sehr deutlich zu sagen …

(Christiane Schneider DIE LINKE: Was Sie nicht wollen!)

Was wir nicht wollen, Frau Schneider, ist eine Verfassungsschutzbehörde, die ihre Aufgabe darin sieht, eine Partei aus dem politischen Betrieb fernzuhalten. Oder anders ausgedrückt: Was wir nicht wollen, ist eine politische Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes.

(Beifall bei der AfD)

Leider liegt es in der Natur der Sache, dass mit zunehmenden Regelungs- und Eingriffstatbeständen immer auch ein wenig persönliche Freiheit verloren geht. Der Hamburger Gesetzgeber hat allerdings darauf geachtet, dass ein angemessener Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Rechtsgütern hergestellt wird. Der Hamburger Verfassungsschutz soll in Zukunft mehr Kompetenzen zur Weitergabe von Informationen bekommen. Wir sehen das zwar einerseits mit Sorge, begrüßen aber andererseits diese Regelungstatbestände. Der Verfassungsschutz soll schneller sensible Informationen an öffentliche und auch an nicht öffentliche Stellen weitergeben können. Paradebeispiel ist der Fußballverein, der davon erfährt, dass sein Jugendtrainer ein Islamist ist. Wir halten das für gut und für richtig.

(Carl-Edgar Jarchow)

Da die Gefahr einer Unterwanderung von Sicherheitsbehörden durch politische oder religiöse Extremisten nachhaltig und real ist, halten wir zum Beispiel auch die Regelung, dass jeder angehende Polizeibeamte sich einer Prüfung durch den Verfassungsschutz unterziehen muss, für angemessen. Der diesbezügliche Regelungstatbestand ist mit Umsicht formuliert.

Auch was die Speicherung und Verarbeitung der Daten von Minderjährigen angeht – wir hatten vorhin die entsprechenden Altersgrenzen vernommen –, sind wir der Auffassung, dass hier eine vernünftige und nachvollziehbare Regelung vorliegt.

Dann kommen wir zu dem Bereich Quellen-TKÜ bei Messenger-Diensten. Wir halten es deswegen für erforderlich, weil auch Verschlüsselungen hier nicht gegen ein Abhören beziehungsweise durch eine Prüfung des Verfassungsschutzes helfen. Wir finden das richtig, das war auch längst überfällig.

Was allerdings fehlt, und das hat auch die CDU gerade schon erwähnt, ist die Onlinedurchsuchung, und zwar präventiv. Diese ist nach Auffassung einiger Sicherheitsexperten erforderlich, und sie ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch gemessen an der Verfassung nicht zu kritisieren. Es gibt also keine verfassungsrechtlichen Bedenken, Frau Schneider; Sie sehen das immer anders. Denn ohne die präventive QuellenTKÜ beziehungsweise ohne die Onlinedurchsuchung darf nur die laufende Kommunikation überwacht werden, und das ist absolut unzureichend.

Frau Möller, Sie haben gesagt, die Onlinedurchsuchung würde die Republik nicht retten. Ich würde das etwas anders formulieren. Ich würde sagen, die Onlinedurchsuchung führt zu mehr Waffengleichheit zwischen den Sicherheitsbehörden und den Verfassungsfeinden; und das ist gut so. Auch die organisierte Kriminalität darf künftig beobachtet werden; auch das ist ein guter und richtiger Schritt. Wir unterstützen – ich hoffe, das ist klar und deutlich geworden – hier den Gesetzgeber, wir unterstützen aber auch den CDU-Antrag, weil er zur Vervollständigung der gesetzlichen Grundlagen dringend erforderlich ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Wenn es keine weiteren Wortmeldungen gibt, und das ist der Fall, dann kommen wir zu den Abstimmungen.

Wir beginnen mit dem CDU-Antrag aus Drucksache 21/19681.