Protocol of the Session on September 11, 2019

Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein FDP (fortfahrend) :* Nein, jetzt bin ich eigentlich fertig.

Gut, dann nicht. – Herr Nockemann erhält das Wort für die AfD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dolzer, über die Links-Fraktion kann man sich ja in den meisten Fällen in den Debatten wirklich nur wundern. Aber wenn Sie jetzt sagen, man müsse die Gerichtsverfahren im Bereich Asyl attraktiver machen für die Anwälte,

(Heiterkeit bei Dr. Alexander Wolf AfD)

dann leben Sie in einer völlig falschen Welt, in einer wirklich völlig falschen Welt.

(Zuruf von Martin Dolzer DIE LINKE)

Sie verkennen hier die Realität. Gerade Asylverfahren vor Gericht sind für einen Rechtsanwalt ja quasi wie so eine Art Gelddruckmaschine. Das sind überwiegend Routinefälle, da kann man das Geld fast hektografieren.

(Martin Dolzer DIE LINKE: Was haben Sie für ein zynisches Weltbild! – Ekkehard Wy- socki SPD: Das ist doch Blödsinn! – Milan Pein SPD: Das ist doch alles Quatsch, was Sie sagen!)

Seit Jahren und seit Jahrzehnten wird von der Politik immer wieder ein neuer Stellenzuwachs gefordert im Bereich der Verwaltungsgerichte, und zwar auch immer und immer wieder mit der Argumentation, Asylverfahren stiegen an. Bei Ihnen, Herr Dolzer, war fast jeder dritte Satz: Asylverfahren steigen an, die Fälle steigen an, die Gerichte werden arbeitsunfähig in allen anderen Bereichen. Ja, da kann ich nur fragen: Warum ist das denn so? Es gibt keinen Rechtsweg durch alle Instanzen. Gerade im Bereich Asyl muss doch einmal gefragt werden: Wieso können sich eigentlich Asylbewerber, die im Verfahren vor dem BAMF abgelehnt worden sind, über Jahre, über Jahrzehnte durch alle Instanzen klagen? Beim Oberverwaltungsgericht gibt es die Berufungszulassung. Warum ist das denn so?

(Zuruf)

Ja, stellen Sie Ihre Frage.

Bis vor einigen Jahren war es doch noch so, dass auch nicht in allen europäischen Ländern unbe

dingt ein Gerichtsverfahren über dem Abschluss des normalen Asylverfahrens gestanden hat. Das ist doch erst eingeführt worden. Das heißt, man schafft künstlich den Bedarf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Forderung nach neuen Richterstellen trifft insbesondere beim Bürger auf der Straße deswegen im Bereich Verwaltungsgerichtsbarkeit und für Asylfälle auf Unverständnis, weil wir hier für bürokratische Verfahren immense Summen ausgeben, und am Ende steht genau nichts. Dann hat der Asylbewerber, der abgelehnt worden ist, zwar seine Klarheit darüber, dass er nicht in diesem Land bleiben darf – aber was passiert? Nichts passiert, weil viele Bundesländer einfach unwillig sind, aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzuführen. Und deswegen sage ich: Die Problematik in diesem Bereich liegt ganz woanders. Dass es auch anders geht, das zeigen uns andere europäische Länder.

(Urs Tabbert SPD: Welche denn?)

In der Schweiz beispielsweise gab es bis vor einigen Jahren die sogenannten Asylausschüsse, da gab es gar kein Gerichtsverfahren danach. Das ist alles eingeführt worden. Muss man das machen? Eigentlich muss man das doch nicht machen. Vor allem, weil wir ja wissen, dass egal, wie und mit welcher Begründung ein Asylverfahren im negativen Bereich ausgeht, es trotzdem vor Gericht geht, es trotzdem so weit kommt, dass alle Instanzen durchgeklagt werden.

(Zuruf)

Ja, ich weiß, es gibt eine europäische Grundrechtecharta. Das ist mir auch alles klar. Kommen Sie mir nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, dort gilt das nämlich nur für Strafverfahren und Zivilverfahren, aber nicht für asylrechtliche Verfahren.

Sicherlich unterstützen wir den Stellenzuwachs bei den Verwaltungsgerichten, insbesondere deswegen, weil die Verwaltungsgerichte nach eigenen Angaben auch notleidend werden in den Bereichen, in denen es um komplexe bauordnungsrechtliche, bauplanungsrechtliche Verfahren geht. Deswegen sagen wir Ja. Und wir wissen auch, dass die Verwaltungsgerichte in aller Regel ein Bollwerk gegen staatliche Willkür sind. Deswegen erfüllen sie eine wesentliche Funktion in diesem Staat und deswegen sind auch wir für die Stärkung der Verwaltungsgerichte; den Bereich Asyl klammern wir da erst einmal aus.

Wir stimmen auch der Schaffung neuer Stellen im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit zu. Die entsprechende Argumentation ist bereits mehrfach wiederholt worden, ich werde mich daran nicht beteiligen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

(Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein)

Das Wort erhält jetzt Justizsenator Till Steffen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben seit 2015 eine Stärkung der Justiz auf allen Ebenen durchgeführt. Und weil das gerade noch einmal eingefordert wurde, sage ich dazu: Das ist auch aus einem Guss, denn es umfasst Personal, es umfasst die Sicherheit an den Gerichten, es umfasst die Gebäude. Wir haben einen sehr umfassenden Sanierungs- und Modernisierungsprozess angestoßen bei den Gerichten, in dem wir zusätzliche Räumlichkeiten schaffen und natürlich für moderne Bedingungen sorgen. Es ist der größte Transformationsprozess der Hamburger Justiz seit mindestens 20 Jahren und tatsächlich ein sehr großes Unternehmen.

Mich verwundert, dass gerade die FDP hier quasi sozialistische Fünfjahrespläne fordert, wir also im Einzelnen voraussagen können sollen, was wann passiert. Das ist dem Rechtsstaat tatsächlich nicht immanent, weil er reagiert und sich deswegen auf unterschiedliche Situationen einstellen muss. Und genau das tun wir durch unsere Art, das zu steuern.

(Beifall bei Dr. Carola Timm GRÜNE)

Dieser Verstärkungsprozess kommt in einer wichtigen Zeit, das sage ich auch im Lichte des Redebeitrags, den wir eben gehört haben, denn wir erleben hier immer wieder Angriffe auf den Rechtsstaat in unserer Republik, wir erleben die Verächtlichmachung von Anwälten. Und – das muss ich sehr deutlich sagen, Herr Nockemann – wenn Asylbewerber nicht erfolgreich sind mit ihrem Asylantrag, dann ist es ihr gutes Recht, vor Gericht zu gehen, das zu überprüfen, und das tun sie häufig mit großem Erfolg. Die Quote der erfolgreichen Klagen in Asylverfahren ist sehr hoch, und das heißt, sie setzen erst vor Gericht ihr Recht durch. Und deswegen brauchen sie fachlich gute Unterstützung durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Ewald Aukes FDP und Richard Seelmaecker CDU)

Wir erleben Angriffe auch an anderer Stelle: Es wird die Unabhängigkeit der Gerichte infrage gestellt, rechte Parolen werden salonfähig, Hassgewalt nimmt zu. Wir brauchen einen wehrhaften Rechtsstaat, der die Menschen ernst nimmt und der sich eben nicht nur mit der Situation der Juristinnen und Juristen in der Justiz auseinandersetzt.

Das Gute ist, dass das nicht nur ein Justizthema ist, sondern dass sich viele Menschen engagieren für Demokratie und Rechtsstaat, für den Schutz unserer Werte, Schutz unserer Vielfalt. Aber da

braucht es tatsächlich als Rückgrat die Gerichte – leistungsfähige, handlungsfähige Gerichte, die im Zweifelsfall auch in der Lage sind, Schwächeren beizustehen, wie man das am Beispiel der Asylverfahren sehen kann.

240 neue Stellen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften, das ist eine beispiellose Personaloffensive im Namen des Rechtsstaats. Wir haben auch bisher schon reagiert mit der Zentralstelle Staatsschutz, momentan stark beschäftigt mit IS-Rückkehrern, mit der Stärkung der Strafjustiz am Landgericht, am Oberlandesgericht und bei der Staatsanwaltschaft. Das betrifft dann Themen wie Vermögensabschöpfung, also die wichtige Forderung, dass Verbrechen sich nicht lohnen darf, das enthält das Thema Einbruchdiebstahl, das enthält die Frage, wie wir mit wesentlich komplexer gewordenen Verfahren umgehen. Und wir haben das Thema Asylverfahren; es wurde schon dargestellt, dass wir dort einen großen Aufwand betreiben müssen.

Wir haben auch das Sozialgericht gestärkt, wie auch schon in der Vergangenheit. Aber wir müssen feststellen, dass wir mit den Verstärkungen, die wir bisher betrieben haben … Auch das steht einer Planbarkeit, wie auch Sie sie eingefordert haben, Herr Seelmaecker, entgegen: Gegen Jens Spahn hilft kein Plan. Diese Hauruck-Gesetzgebung, die dort fabriziert wurde, war nicht vorhersehbar. Sie war auch nicht klug. Das müssen jetzt die Sozialgerichte ausbaden.

Und tatsächlich beschränken wir uns nicht auf die Personalverstärkungen. Sie haben recht, wir müssen natürlich auch an anderer Stelle anfassen. Und das tun wir. Es gibt einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Abrechnungspraxis, das sogenannte MDK-Reformgesetz. Das wäre eine große Chance, dort etwas zu tun, ist leider aber an diesem Punkt auch wieder mangelhaft. Wir haben im Bundesrat dazu einen Antrag eingebracht, der Hamburg sehr, sehr helfen würde, dass nämlich in diesen Abrechnungsfällen ein verpflichtendes Schlichtungsverfahren vorgeschaltet wird, bevor die Gerichte bemüht werden. Da wäre es sehr, sehr hilfreich, wenn Sie Ihre Kontakte innerhalb von CDU und SPD nutzen würden, damit dieser Vorstoß erfolgreich ist. Das würde den Sozialgerichten sehr, sehr helfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Also, durch Bundespolitik verursacht. Wir sehen es auch bei der Praxis in den Asylverfahren; viele Verfahren werden mangelhaft durchgeführt, und die Anhörung muss erst nachgeholt werden. Die Bundespolitik macht uns hier zum Teil das Leben schwer. Wir sind immer schnell dabei mit konkreter Hilfe für die Gerichte. Dadurch können wir das im Wesentlichen abfangen. Deswegen brauchen wir diese Stärkung der Justiz, und die Initiative der Ko

alitionsfraktionen kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Dafür meinen herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster erhält das Wort Richard Seelmaecker für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nur kurz zwei Punkte. Zunächst zu Ihnen, Herr Nockemann: der Rechtsanwalt und die Gelddruckmaschine. Bei einem Auffangwert von 5 000 Euro, der hier anwendbar ist, sind es 940 Euro, die ein Rechtsanwalt verdient.

(Dirk Nockemann AfD: Wofür, ist die Frage!)

Wofür? Da will ich Sie gern aufklären. Dafür, dass Sie einen Asylbewerber vor Gericht vertreten, dass Sie also einen Termin wahrnehmen, dass Sie die Akte durcharbeiten, mit ihm sprechen, ihn aufsuchen, die Korrespondenz führen; all diese Dinge. Ich finde es wirklich verräterisch, dass Sie sagen, das sei eine Gelddruckmaschine. Erstens ist es keine Gelddruckmaschine. Und zweitens, wenn Sie sagen, es koste ja auch die Steuerzahler so viel Geld: Zwei Drittel der Anträge auf Verfahrenskostenhilfe der Asylbewerber werden abgelehnt. Das heißt, ein Drittel derjenigen, die vom Gericht dann höchstwahrscheinlich bescheinigt bekommen, dass sie recht haben, bekommen die staatliche Fürsorge, auf die sie einen Anspruch haben, und dann sind die Gebühren auch noch erheblich geringer als das.

Was ich viel entlarvender finde, Herr Senator Steffen hat es völlig zu Recht angeführt: Sie haben ein völlig verqueres Bild, wenn Sie sagen, diese Leute hätten keinen Anspruch darauf, sich einen Rechtsanwalt zu nehmen.

(Dirk Nockemann AfD: Habe ich gar nicht behauptet!)

Meine Damen und Herren! Mir ist es völlig egal und der CDU ist völlig egal, ob Sie Asylbewerber sind oder Konzernchef oder Staatsrat und hier angeklagt – jeder in diesem Staat hat einen Anspruch darauf, sich einen Rechtsanwalt zu nehmen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Dafür sind die Herren und Damen Kollegen da. Auch die AfD ist gut beraten an der Stelle, nicht steuernd eingreifen und sagen zu wollen, was gerecht ist und was nicht gerecht ist bei der Rechtsverfolgung.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Und zu guter Letzt zur Frage der Planbarkeit. Natürlich lassen sich einige Dinge nicht planen. Wenn man eine Flüchtlingswelle hat, die dann verfahrenstechnisch abgebildet werden muss, kann man

das nicht vorhersehen, das ist völlig unbenommen. Aber wir haben viele andere Dinge im Bereich der Justiz, an die man strukturell heranmuss. Wenn Sie beispielsweise wissen, dass die Amtsgerichte die Ausbildungskammern sind für die Justizmitarbeiter, die dann später auf alle Gerichte verteilt werden, dann sind das Dinge, die wir nachhaltig über Jahre immer wieder haben, und darum müssen wir uns kümmern. Da gibt es also genügend Probleme, die wir noch langfristig besser strukturell lösen können, und dabei müssen auch dicke Bretter gebohrt werden, denn das Beamtenrecht macht es dort schwierig, mit Anreizen zu arbeiten, weil das Beamtenrecht nun einmal so ist, wie das Beamtenrecht ist.

Schlichtungsverfahren ist ein sehr gutes Verfahren, das ist definitiv zu unterstützen. Wir müssen allerdings auch sehen: Das eine ist Bundesrecht. Das ist völlig in Ordnung, wir wollen es gern unterstützen, das ist genau richtig. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen: Was können wir in Hamburg vor Ort tun? Und das ist manchmal ganz einfach, zum Beispiel, mit den Beteiligten an den Verfahren einfach einmal zu sprechen. Denn da streiten sich die Träger, die Krankenhäuser und die Krankenkassen. Und wie es häufig ist, wenn zwei sich streiten, hilft manchmal ein vermittelndes Gespräch – im Übrigen auch von der Politik –, um sie wieder an einen Tisch zu bekommen und sich zu fragen: Müssen wir alle Fälle vors Gericht schleppen oder können wir das nicht auch vernünftig regeln? Vielleicht hilft es da auch, sich einmal strukturell anzuschauen, wer am härtesten davon betroffen ist; die größeren Krankenhauskonzerne weniger als die kleineren Krankenhäuser, die dann nämlich auf ihr Geld warten, in den Verhandlungen mit den Krankenkassen aber ganz anders auftreten müssen und ihr Recht vielleicht nicht so durchsetzen können. Das können wir dann vielleicht auch durch Gespräche direkt mit den Beteiligten lösen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Immer wenn ich das direkte Gespräch mit den Beteiligten gesucht habe, habe ich eigentlich auch vernünftige Lösungsvorschläge bekommen. – Danke.