Sehr verehrte Frau Präsidentin, sehr verehrte Volksvertreter m/w/ d! Wem schadet diese Debatte? Erstens dem Vertrauen des Volkes in die parlamentarische Demokratie. Es glauben immer noch viele daran, dass Volksvertreter Entscheidungen treffen gemäß der Überzeugungskraft der im Parlament, im Plenum und in Ausschüssen vorgetragenen Argumente. Im Hinterzimmer unter Ausblenden des wichtigsten Problems getroffene Absprachen mit anschließender Debatte erschüttern diesen frommen Glauben.
Zweitens leidet die Bildung. Entscheidungen stehen den unmittelbar Betroffenen zu, das heißt, Schülern, Lehrern, Eltern. Bei der Qualitätsent
wicklung von Gebrauchsgütern hat dieses Prinzip sich gegenüber einer Planwirtschaft als überlegen erwiesen. Wir diskutieren ja auch nicht über das Betriebssystem und die Bildschirme von Mobiltelefonen.
Oft greift der Souverän ein in die Ausgestaltung des Schulgebäudeaufenthaltszwangs, kurz Schulzwang oder fälschlich Schulpflicht genannt – zuerst der Soldatenkönig, dann Friedrich der Große, danach Friedrich Wilhelm I. als Reaktion auf die 48er-Revolution und zuletzt Schicklgruber. Immer ging es darum, gehorsame Untertanen zu erziehen. Immer weiter wurde die Schraube gedreht. Eine demokratische Legitimierung ändert daran nichts, denn in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2006 heißt es, die allgemeine Schulpflicht diene der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags. Dieser Auftrag richtet sich auch auf die Heranbildung verantwortungsvoller Staatsbürger. Bildung war für die Herrschenden stets nur schmückendes Beiwerk oder ein Vorwand für die Indoktrination. In Preußen wurde der Kampf gegen die verbreiteten frei organisierten Winkelschulen genau damit begründet, dass dort zwar Lesen, Schreiben und Rechnen gut gelernt wurden, nicht aber Religion und die Treue zum Landesvater. Die Misere der Schulbildung hängt unmittelbar mit dem Schulzwang zusammen. Kinder reagieren auf Druck ausweichend oder widerborstig. Lehrer sind mit gleichgültigen, oft feindseligen Schülern konfrontiert. Zynisch ist es, diesen als Lösung Fortbildung anzubieten. Was fördert den Bildungserfolg? Polizisten, die die Kinder abholen? Strafgelder – übrigens in Hamburg ausnehmend hoch –? Kindesraub? In PISA-Erfolgsländern ist dies als grotesk erkannt worden.
In Österreich, Dänemark, Großbritannien, Finnland wird Bildungserfolg kontrolliert, aber einen Schulzwang gibt es dort nicht. Selbst traditionell autoritäre Länder wie Russland haben diesen Weg verlassen. Als erster Schritt ist zu begrüßen, dass entgegen dem Trend zur zeitlichen Ausdehnung des Freiheitsentzugs durch Schulgebäudeanwesenheitszwang dieser jetzt nur noch von Montag bis Donnerstag durchgesetzt wird. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in den Bundesgesetzen gibt es übrigens auch keinen Schulzwang. Sie, die hamburgischen Volksvertreter, haben es also in der Hand, die Bildung der Kinder zur Freiheit in Hamburg zu fördern. Treten Sie heraus aus den sich lichtenden Reihen der Schulzwangsstaaten wie Volksrepublik China, Schweden und Nordkorea. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, sehr geehrte Präsidentin! Wir haben schon gehört, dass im Jahr 2000 der PISA-Schock Deutschland wachgerüttelt hat, weil er zwei Dinge festgestellt hat. Erstens: Im internationalen Vergleich sind die Lernstände der Schülerinnen und Schüler in Deutschland nicht auf dem Niveau, das es braucht. Und zweitens: In Deutschland gibt es, anders als in anderen Ländern, eine sehr stark ausgeprägte soziale Ungleichheit, die sich in unterschiedlichen Bildungserfolgen oder -misserfolgen niederschlägt. Das hat die Politik durchaus wachgerüttelt. Seitdem gab es nahezu eine Inflation von Vorschlägen, was alles jetzt zu tun wäre. Insbesondere die Schulstrukturen sind immer wieder genannt worden. Muss überall ein dreigliedriges oder ein zweigliedriges Schulsystem eingeführt werden, braucht es die Primarschule oder eine Schule für alle? Aber nicht nur das waren Vorschläge. Mehr Lehrkräfte, kleinere Klassen, Sitzenbleiben abschaffen oder nicht, G8 oder G9 einführen oder nicht, äußere oder innere Differenzierung, das alles gehörte zum Werkzeugkasten der Schulpolitik. Nicht alles, was da vorgeschlagen wurde, war richtig, und einiges, was hätte richtig sein können, hat sich nicht entfalten können, weil es dafür auch in Deutschland politische, aber auch kulturelle Akzeptanz braucht, um so etwas durchzusetzen.
Aber heute sind wir schlauer. Das sage ich auch in Richtung Linkspartei. Bei einigen Punkten, die Sie zitieren, ist mir durchaus aufgefallen, dass Sie recht haben, wenn Sie darüber berichten, wie schwer das Parlament sich damals mit dem ZweiSäulen-Modell getan hat. Aber wir wissen seitdem, auch durch die Wissenschaft, dass die vielen Punkte, über die wir immer wieder streiten, tatsächlich nicht alle so wichtig sind, wie wir geglaubt haben, und andere viel wichtiger waren und lange Zeit nicht ernst genommen worden sind. Immer wieder beweisen Studien sehr einfach, dass schlicht und ergreifend guter Unterricht zu 85 Prozent den Bildungserfolg prägt oder auch verhindern könnte, wenn er eben kein guter Unterricht ist, und zwar völlig losgelöst von der Frage, in welcher Schulstruktur und unter welchen Rahmenbedingungen sich das abspielt, und dass gut ausgebildete Lehrkräfte, die mit Freude und Spaß ihren Beruf ausüben, ebenfalls ein sehr wichtiger Faktor sind. Das alles hat sich in den letzten Jahren in der Wissenschaft immer stärker herausgebildet und ist auch in der Politik aufgenommen worden, denn wir sind keine tauben und blinden Wesen, die ständig wiederholen, was wir früher einmal gedacht haben. Und da, sage ich Ihnen, liebe Frau Boeddinghaus, ist über Ihren Beitrag die Zeit ein bisschen hinweggegangen, auch wenn Sie zu Recht gesagt haben, dass früher auch die GRÜNEN und die SPD es mit
dieser Schulstruktur nicht leicht gehabt haben. Aber heute wissen wir, dass diese Schulstruktur eine wunderbare Grundlage dafür ist, um das zu tun, was Schülerinnen und Schülern deutlich nützen kann, und das ist die Entwicklung und Verbesserung von Unterricht. Um das aber hinzubekommen, braucht es eine Stabilität und müssen wir verhindern, dass wie früher alle naslang Elternräte in Sondersitzungen bis tief in die Nacht sich die Köpfe über diesen oder jenen Weg heißreden oder dass die Lehrerinnen und Lehrer von morgens bis abends über Schulstrukturen nachdenken, debattieren und vieles mehr. Nein, wir erkennen zum ersten Mal, dass das sogar blockiert. Und wenn es um die soziale Gerechtigkeit im Bildungssystem geht, wenn es einem wirklich darum geht, etwas zu tun für diejenigen, die unseren Rückenwind dringend brauchen, dann können wir das besser erreichen, wenn wir jetzt die Lehrerinnen und Lehrer ernst nehmen und ihnen Rückenwind geben bei ihrer verantwortungsvollen und guten Aufgabe, sie dabei nicht allein lassen. Wenn Sie sagen, dass das Ungeheuer der Hamburger Straße immer wieder in die Schulen reingrätscht, dann sage ich Ihnen offen: Genau das ist es: nicht allein lassen, aber auch nicht ständig gängeln,
sondern im Dialog sagen: Wir kümmern uns, wir gucken hin, wir nehmen das ernst, und wir geben auch Rückenwind.
Wenn wir diesen wichtigen Auftrag ernst nehmen, für jene etwas zu tun, die es in der Tat von den familiären Verhältnissen, von ihren Startbedingungen her schwerhaben, dann ist es der Auftrag, endlich die Dinge, die uns an dem Wichtigen hindern, einmal sein zu lassen, auch wenn sie Spaß machen, auch wenn das im politischen Bereich immer wieder die Dinge sind, mit denen man in die Zeitung kommen kann. Aber genau das ist der Grund für die soziale Ungerechtigkeit, dass wir uns viel zu häufig an den falschen Stellschrauben abkämpfen. Und an der Stelle möchte ich deshalb zum Ende sagen: Ich bin sehr dankbar für diesen Kompromiss, der dort gefunden wurde. Ich weiß schon – weil ich auch in einer Volkspartei bin, bei der im Moment die Nerven blank liegen –,
was es bedeutet, wenn auch die CDU sagt, Rationalität und der Blick für das Ganze und der Blick für die Schülerinnen und Schüler seien ihr wichtiger als die Hoffnung, vielleicht mit irgendeinem großartigen Event im Wahlkampf zu reüssieren. Deswegen möchte ich mich im Ernst bei allen ausdrücklich dafür bedanken. Ich will nicht darum rechten, welche Forderungen welche Partei zu
welchem Zeitpunkt zuerst gehabt hat. Insgesamt wird ein Kunstwerk daraus, das eines bestätigt: Politik ist lernfähig, und Politik hat, zumindest in der großen Mehrheit, die klare Orientierung daran, dass es nützt und dass es Schülerinnen und Schülern gut geht und dass wir hier vorankommen, um soziale Ungerechtigkeit zu überwinden. Das kann mit diesem Schulfrieden weiterhin möglich sein. Dafür vielen Dank. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Lang anhaltender Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der FDP, vereinzelt bei der CDU und bei Dr. Jörn Kruse fraktionslos)
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Vieles ist schon erwähnt worden, und ich will darauf verzichten, es zu wiederholen. Deutlich wird, dass wir mit dem Schulfrieden auf dem richtigen Weg sind. Das kann man auch daran erkennen, dass es Nachahmungen gegeben hat – ich erinnere nur an die Bemühungen um den Justizfrieden und vieles andere. Selbst Frau Stöver findet die verlässliche Struktur einzigartig; das will ich bemerken. Weitgehend haben alle Redner darauf verzichtet, ihren eigenen Anteil so stark herauszustellen, dass sie sagen, sie seien die Allergrößten gewesen, sie hätten das super verhandelt. Ich glaube, die Gespräche haben in einer angenehmen Atmosphäre stattgefunden. Dafür möchte ich mich bei allen bedanken. Insbesondere möchte ich die sehr konstruktive Rolle unseres Kollegen Weinberg betonen, der uns damit in allen diesen Gesprächen sehr gutgetan hat, und ich hoffe, dass die CDU ihre Zustimmung auf dem Parteitag nächste Woche dazupacken wird.
Ich will aber doch noch eine kurze Bemerkung machen. Frau Stöver hat gesagt, wir hätten uns auf dem Weg zur Einheitsschule befunden. Ich muss ehrlich sagen, dass wir nie auf dem Weg zur Einheitsschule waren und die Opposition nicht unser Bremser war.
Mit dem Schulfrieden ermöglichen wir Hamburgs Lehrerinnen und Lehrern auch in Zukunft, Qualität in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen. Das ist in Wirklichkeit die Botschaft, die wir alle verkünden können. Und was der Senator zur sozialen Gleichheit gesagt hat, nämlich dass wir den Schulen den Platz lassen werden, das auch in Zukunft weiterhin anzugehen, ist genau das, was uns in dieser Diskussion angetrieben hat.
Was Anjes Tjarks zu Leistungen und Rankings der Schülerinnen und Schüler in Hamburg gesagt hat, spricht für sich. Wer sieht, wie sich das nach oben
entwickelt hat, weiß doch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich möchte betonen, dass Frau Boeddinghaus' Bemerkungen dazu unglaublich waren, weil es deutlich macht, dass der Zettelkasten, mithilfe dessen Sie Ihre Reden schreiben, vermutlich etwas veraltet ist
und eine Situation des Schulsystems abbildet, die wir in Hamburg seit vielen Jahren nicht mehr haben.
Der Schulstrukturfrieden ist der richtige Weg, die stark steigenden Schülerzahlen bis 2030 weiterhin mit voller Kraft anzugehen. Das ist unsere Hauptaufgabe für Hamburgs Schulpolitik. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ein Dank an Frau Boeddinghaus für die Analyse des Zwei-Säulen-Modells und die Erklärung, wie dieses entstanden ist. Aber dazu, dass wir von der CDU einen Schulfrieden mit Vorbehalt vortragen würden, kann ich nur sagen, dass die CDU eine lebendige Partei ist und dass uns die 76 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger, die sich laut Umfrage für eine Rückkehr zu G9 an Gymnasien aussprechen, wachgerüttelt haben. Denn es hat deutlich gemacht, dass in der Bildungspolitik in Hamburg nicht alles in Ordnung ist und dass wir Verhandlungen über Qualität oder über eine richtige Lösung führen müssen. Warum ist in der Bildungspolitik nicht alles richtig? Das galt es für uns als CDU aufzuarbeiten, und da gibt es nach wie vor zwei Strömungen, die nach der richtigen Lösung fragen: Ist es die Strukturänderung oder ist es die Qualität? Die CDU hat das aufgegriffen und auf ihrem Parteitag im Dezember 2018 über eine notwendige Qualitätsoffensive, aber auch über die Option einer Rückkehr zu G9 an Gymnasien, wie sie in vielen Bundesländern der Fall ist, diskutiert. Allerdings wurde vor dem Hintergrund, dass in Hamburg an Stadtteilschulen G9 und an Gymnasien G8 parallel angeboten werden, eine offene Diskussion vereinbart, die wir bis zum 19. August führen. An dieser Stelle zitiere ich gern den Kollegen Trepoll, der am 16. Januar sagte, die Frage nach einem längeren Lernen, auch an Gymnasien, sei nicht unbedingt eine Strukturfrage, sondern eine Qualitätsfrage. Diese Grundlage machen wir uns zu eigen. Dieser 16. Januar war im Prinzip der Auftakt zur Schulfriedensverhandlung. Wie ich schon sagte, hat uns das Momentum, dass wir auch über G9 diskutieren und dieses in Erwägung ziehen, dazu gebracht, in diese Schulfriedensverhandlungen
einzusteigen. Diese haben also am gleichen Tag begonnen. Wir haben dann den Auftrag der Partei, uns für die Attraktivität und die qualitative Verbesserung des Zwei-Säulen-Modells bestmöglich einzusetzen, um eine für die Stadt anstrengende Strukturveränderung zu verhindern, umgesetzt.
Das Ergebnis ist die gestern vorgestellte Rahmenvereinbarung zwischen den Regierungsfraktionen, CDU und FDP zur Verlängerung des Schulstrukturfriedens um weitere fünf Jahre. Voraussetzung der Fortsetzung sind aus Sicht der CDU die vorgeschlagenen Verbesserungen von Lehrinhalten und der Lehrqualität an Hamburger Schulen. Die vorliegenden Vorschläge und Ergebnisse sind eine gute Grundlage dafür. Auf unserer Mitgliederversammlung werden wir schlussendlich hierüber beraten und empfehlen, die Vereinbarung anzunehmen.
Vielleicht ein letzter Satz zu der Frage, warum André Trepoll nicht hier ist. Auch die CDU ist eine Familienpartei, wir leben Familie, und Herr Trepoll ist gestern und heute sehr aktiv und praktisch bei der Schulpolitik. Die Einschulung unserer Kinder ist bekanntlich auch in Hamburg ein großes Ereignis. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis, so, wie ich es auch habe.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Boeddinghaus, ich war ziemlich erschüttert über das, was Sie vorgebracht haben.
Das war ein Zerrbild von Schulwesen, das jede Fähigkeit von Differenzierungsmöglichkeiten und Differenzierungssicht hat bar vermissen lassen.
Sie haben völlig negiert, dass wir Verbesserungen, beispielsweise in der Integration, erreicht haben. Ich erinnere an unsere Diskussion zum Thema Berufsbildungsbericht, an die sehr erfolgreichen Integrationsbemühungen und auch an die Erfolge, die im beruflichen Bereich gemacht wurden. Und das ist an den anderen Schulen genauso. Das gilt für die gute Inklusion, das gilt für die Ganztagsschule, und das gilt für das Fördern von Schülerinnen und Schülern in den Schulen, das wir vorangebracht haben. Auch die Schulautonomie hat einen hohen Wert. Die Schulen haben weiterhin die Möglichkeit