Wie sieht die Realität aus? In Hamburg arbeiten gerade noch 45 Prozent der Arbeitnehmer in tarifgebundenen Betrieben. In manchen Branchen, vor allen Dingen im Einzelhandel und in der Pflege, sind es noch viel weniger. Deshalb fordern die Gewerkschaften zu Recht die Stärkung der Tarifbindung und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unterstützen diese Forderung, und der rotgrüne Hamburger Senat tut es auch.
"Untrennbar mit der sozialen Marktwirtschaft verbunden sind die Sozialpartnerschaft, die Tarifautonomie und die Tarifbindung. Tarifverträge sind unsere Basis der sozialen Marktwirtschaft."
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Vorschläge für die Stärkung der Tarifbindung, insbesondere eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, vorzulegen. Initiiert wurde er unter anderem von Hamburg. Die ursprüngliche Vorlage von Hamburg, Bremen, Brandenburg und Thüringen war allerdings noch sehr viel konkreter und verbindlicher. Das wurde geändert, um die Unterstützung des CDU-regierten Nordrhein-Westfalen zu gewinnen. Das ist einerseits ein bisschen ärgerlich, andererseits aber realpolitisch ein wichtiges Signal, dass es auch in der CDU noch Kräfte gibt, die die soziale Marktwirtschaft erhalten wollen.
In Hamburg arbeiten wir seit acht Jahren für die Stadt der guten Arbeit. Neben Mindestlohn, Abbau von Leiharbeit und Befristungen, Mitbestimmung und viel mehr sind Tariftreue und Tarifbindung für uns zentrale Ziele. Die Tarifautonomie ist vor 100 Jahren zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften im Stinnes-Legien-Pakt vereinbart und bei der Gründung der Bundesrepublik im Grundgesetz verankert worden. Diese demokratische Errungenschaft ist heute wieder bedroht. Es ist Zeit, für ihren Erhalt zu streiten. Die SPD ist dazu bereit. – Danke schön.
Sehr geehrte Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir feiern derzeit 70 Jahre Grundgesetz. Mit der Aufnahme der Tarifautonomie in den Grundrechtsteil haben sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes deutlich für eine am Sozialstaat ausgerichtete Wirtschaftspolitik entschieden. Man hätte die Tarifautonomie auch irgendwo im Gemischtwarenteil des Grundgesetzes unterbringen können. Sie aber gerade in den Grundrechtsteil aufzunehmen hat für mich eine besondere Bedeutung, und ich glaube, auch für unseren Sozialstaat ein sehr, sehr hohes Gewicht.
Das Grundrecht der Tarifautonomie als Ausdruck der sozialen Marktwirtschaft hat allerdings seit den 1990er-Jahren ein Stück weit an Bedeutung verloren. Wir haben ein komplett neues Unternehmensgebiet und eine Volkswirtschaft, die sich von der Konzernsituation hin zu vielen, vielen mittelständischen Playern entwickelt hat, die nach und nach, aus welchen Motiven auch immer, für gewisse Haustarifverträge gesorgt haben. Damit hat sich das Leitbild, das Artikel 9 unseres Grundgesetzes für die Tarifautonomie im Bilde hatte, ein Stück weit anders als gedacht entwickelt. Die soziale Marktwirtschaft und die Tarifautonomie haben einen maßgeblichen Wert für unsere heutige demokratische Gesellschaft. Die soziale Marktwirtschaft, auch getragen durch die Tarifautonomie, hat in den letzten 50 Jahren dazu geführt, dass wir innerhalb der Bundesrepublik Deutschland einen Mittelstand haben, bei dem jeder, möge er auch noch so viel oder so wenig Geld verdienen, immer noch der Auffassung ist, er sei Teil des Mittelstandes. Das ist eine Errungenschaft, um die uns viele, viele Länder, auch in Europa, beneiden.
Diese gesellschaftliche Mitte hat einen Anspruch auf eine faire Entlohnung. Dort, wo die Mechanismen des Marktes nicht mehr greifen, hat der Staat eine gewisse gesellschaftliche und gesellschaftsordnungspolitische Regelfunktion. Deswegen sind wir in der CDU der festen Überzeugung, dass auch hier über Tarifverträge der Staat als öffentlicher Arbeitgeber eine Leitbildfunktion hat, und sind der Auffassung, dass das von Herrn Rose und der SPD angemeldete Thema gerade in der heutigen Zeit von elementarer Bedeutung ist. Es entspricht dem Leitbild Ludwig Erhards, einen gewissen Bauch innerhalb der Gesellschaft zu haben, der die gesamte Gesellschaft trägt, und dass jeder in dieser Gesellschaft die Möglichkeit hat, mit seiner Arbeit am Leben und an den Grundrechten in dieser Gesellschaft teilzuhaben und sich in der Gesellschaft zu entwickeln. Mein Mitarbeiter hat diese Gemengelage in einer Redevorbereitung mit einem so treffenden Satz beschrieben, dass ich diesen nicht verändert habe und ihn gern zitieren möchte:
"Und wo schrankenloses Wirtschaftsstreben gefordert wird, dort wirken wir mahnend darauf hin, dass menschenwürdige Verhältnisse in einer sozialen Marktwirtschaft geschaffen werden müssen."
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Westenberger, ja, ein interessanter Satz Ihres Mitarbeiters, muss man sagen. Die SPD hat als Thema zu dieser Aktuellen Stunde im Grunde einen Evergreen angemeldet, einen Evergreen der Sozialund Arbeitspolitik. Das Grundgesetz – Sie haben es erwähnt, Herr Westenberger – haben wir als 70-jähriges gefeiert, allerdings ist das Prinzip der Tarifautonomie tatsächlich so alt wie das Frauenwahlrecht, nämlich 100 Jahre. Das macht vielleicht deutlich, dass es ein essenzieller Bestandteil der Grundfesten des friedlichen Miteinanders in dieser Republik war und ist.
Es gab damals tatsächlich einen Wendepunkt in den Beziehungen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber und ist eine Grundlage der bis heute noch funktionierenden Sozialpartnerschaft. Tarifverträge regeln die fairen Löhne, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Arbeitszeiten, Urlaubstage. Leider entwickelt sich aber die heutige Wirtschaft in großen Teilen in eine völlig andere Richtung. Trotzdem muss man immer wieder betonen, dass Beschäftigte mit einem Tarifvertrag wirtschaftlich deutlich besser dastehen als die Beschäftigten in Betrieben ohne Tarifbindung. Der DGB hat einmal ausgerechnet, dass man in Hamburg mit Tarifvertrag 24,43 Euro brutto, ohne Tarifvertrag 21,07 Euro brutto verdient.
Herr Westenberger, Sie haben recht mit der Mitte der Gesellschaft, aber Sie haben unrecht damit, dass nur die Mitte der Gesellschaft einen Anspruch auf Tarifverträge hat. Wir brauchen Tarifverträge auch in den Lohnbereichen, die sich weit unter diesen Durchschnittslöhnen bewegen. Wir freuen uns deshalb – Herr Rose hat es auch schon gesagt –, dass es tatsächlich gelungen ist, den Lohntarifvertrag für die Sicherheitsdienstleistungen für allgemeinverbindlich zu erklären. All die Negativbeispiele zähle ich nicht noch einmal auf. Was man aber immer wieder sagen muss, ist, dass diese lediglich 45 Prozent der Beschäftigten, die einen Tarifvertrag haben, wesentlich weniger sind als noch vor
ein paar Jahren. Es zeigt sich also, dass dieses Konkurrenzprinzip des – ja, man muss das Wort einmal nehmen – kapitalistischen Wirtschaftens tatsächlich weiterhin gilt und immer mehr Arbeitgeber den eigenen Vorteil darin suchen, Tarife zu unterlaufen. Deshalb ist aus unserer Sicht das, was jetzt im Bundesrat als Entschließung durchgegangen ist, tatsächlich etwas zögerlich. Ich habe Herrn Rose so verstanden, dass auch er sich da mehr gewünscht hätte. Ich glaube, wir brauchen zusammen mit den Gewerkschaften noch ein paar mehr Impulse, die deutlich zeigen, dass Schluss damit sein muss, dass Allgemeinverbindlichkeit in dem Tarifausschuss blockiert werden kann, dass Schluss sein muss mit dem Vetorecht von Arbeitgebern, die in der Regel diejenigen sind, die schlicht dadurch, dass es überhaupt zu Gesprächen kommt, die Allgemeinverbindlichkeit eines ausgehandelten Tarifvertrags verhindern. Hier muss man sich, glaube ich, klarer positionieren. Das ist im Bundesrat vielleicht ein bisschen unüblich, aber es geht bei dieser Entschließung aus unserer Sicht, aus grüner Sicht, zu viel um Auswerten, Sondieren, Prüfen. Wir würden gern, wie es in anderen Bundesländern auch der Fall ist, gemeinsam mit dem Koalitionspartner und dem DGB daran arbeiten, um den Druck zu erhöhen, damit wir zu konkreten Regelungen kommen, die ermöglichen, dass weitere Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden.
In 2018 waren es lediglich 26, 1992 immerhin noch 205. Vielleicht sollte das wieder die zukünftige Zielzahl sein. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute über die Stärkung der Tarifbindung sprechen, denn die weißen Flecken in der Tariflandschaft werden immer größer. Deshalb finden wir auch jede Initiative zur Stärkung der Tarifbindung gut und wichtig, auch wenn die Bundesratsinitiative vage und unkonkret bleibt. Aber statt sich über den Klee zu loben, hätte ich mir eine ehrliche Debatte darüber gewünscht, wer die politische Mitverantwortung dafür trägt, dass die Abnahme der Tarifbindung in Deutschland immer mehr zunimmt.
Ja, wir haben eine Tarifautonomie, aber die Politik setzt die Rahmenbedingungen. Seit 1998 regieren die Sozialdemokraten, und sie haben es versäumt, die Tarifbindung zu stärken. Im Gegenteil, mit der Agenda 2010 haben sie die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften geschwächt. Leiharbeit, befristete Beschäftigung, Ausweitung des Niedriglohnsektors haben die Belegschaften gespalten
und die Verhandlungsmacht geschwächt. Deshalb wären etwas mehr Selbstkritik und auch ein klares Signal für eine Politikwende mehr als angebracht.
Wenn wir das Prinzip gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit stärken wollen, müssen wir in Zukunft einfache Tarifverträge allgemeinverbindlich erklären. Unsere Bundestagsfraktion hat vor zwei Monaten im Bundestag beantragt, dass es in Zukunft ausreichen muss, wenn eine Tarifpartei, in der Regel die Gewerkschaft, eine Allgemeinverbindlichkeit beantragt. Das haben Sie, CDU und SPD, im Bundestag leider abgelehnt, und das ist keine gute Perspektive für die Beschäftigten.
Wenn wir von guten Perspektiven für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sprechen, schneidet auch Hamburg, die vermeintliche Stadt der guten Arbeit, nicht sehr überzeugend ab. Die Bürgerschaft hat vor zwei Jahren einen Beschluss für einen tariflichen Mindestlohn in Höhe von 12 Euro beschlossen. Aber seit dem Beschluss zeigt sich, dass die Geschäftsführer der stadteigenen GmbH extrem unwillig sind bei der Umsetzung der Vorgabe. Bei der Elbkinder Servicegesellschaft kommt der Mindestlohn erst im Jahr 2022. Zu diesem Zeitpunkt sind die 12 Euro schon längst überholt. Das sind keine guten Perspektiven für die Beschäftigten und ein Armutszeugnis für die Regierungspolitik.
Nein, Hamburg ist noch nicht die Stadt der guten Arbeit, und die Vorstöße, um die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern, blockieren die Regierungsfraktionen immer wieder. Mehrfach haben Sie, SPD und GRÜNE, unsere Vorstöße abgelehnt, den Hamburger Mindestlohn auch ins Vergabegesetz zu schreiben. Das hätte doch die Wirkung für Tausende Beschäftigte in dieser Stadt, zum Beispiel auch für die Kolleginnen und Kollegen der Wach- und Sicherheitsdienste, deren Tarifvertrag, als übrigens einziger in Hamburg, vorgestern als allgemeinverbindlich erklärt wurde. Ändern Sie Ihre Politik und schaffen Sie endlich gute Perspektiven für Tausende Beschäftigte in dieser Stadt.
SPD und GRÜNE lehnen zudem beständig ab, die Tarifsteigerung bei TV-L-Erhöhungen an Zuwendungsempfängerinnen und -empfänger weiterzugeben. Dies hatten wir auch in den HaushaltsplanBeratungen beantragt. So schwächt man Tarifbindungen und fördert sie nicht. Welchen Sinn hat die Tarifbindung für Zuwendungsempfängerinnen- und -empfänger, wenn die daraus resultierenden Lohnkostensteigerungen nicht von der Stadt refinanziert werden? So treibt der Senat die sozialen und kul
turellen Einrichtungen zum Personalabbau, zur Arbeitsverdichtung und im äußersten Fall zur Tarifflucht. Das sind keine guten Perspektiven für die Beschäftigten in diesen Einrichtungen. Deshalb müssen Sie Ihre Politik auch in diesem Bereich unverzüglich ändern.
Herr Rose, Ihr Nachfolger hat sich in genau dieser Sache an die Fraktionen in der Bürgerschaft gewandt. Nun erwartet dieser Senat also in dieser Aktuellen Stunde auch, dass wir alle diese Initiative begrüßen und feiern, weil er im Bundesrat dafür gestimmt hat, zu prüfen, wie die Tarifverträge einfach und allgemeinverbindlicher gestaltet werden können. Das ist zwar gut, aber das reicht nicht. Es gibt viele unerledigte Hausaufgaben in dieser Stadt, die Sie jetzt endlich angehen müssen. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die senatstragenden Parteien rühmen sich in der Aktuellen Stunde dafür, dass Hamburg, vertreten durch den Senat, eine Bundesratsinitiative mitgetragen hat. Kern der am 7. Juni beschlossenen Entschließung des Bundesrates ist es, Tarifverträge künftig leichter für allgemeinverbindlich erklären zu lassen mit dem erklärten Ziel, dass dieses in Zukunft auch deutlich häufiger passieren soll.
Was für Laien scheinbar harmlos daherkommt, ist aber nichts anderes als billige Klientelpolitik des Senats.
(Dirk Kienscherf SPD: Für die Arbeitnehmer! Machen wir gern! – Erster Vizepräsident Dietrich Wersich übernimmt den Vorsitz.)