Protocol of the Session on September 24, 2014

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir kommen zu Punkt 8 der heutigen Tagesordnung, Drucksache 20/12733, Große Anfrage der SPD-Fraktion: Keiner darf verloren gehen! – Jugendberufsagenturen in Hamburg.

[Große Anfrage der SPD-Fraktion: Keiner darf verloren gehen! – Jugendberufsagenturen in Hamburg – Drs 20/12733 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Schwieger von der SPD-Fraktion. Er bahnt sich seinen Weg durch die herausströmenden Abgeordneten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf der einen Seite habe ich ein gewisses Verständnis dafür, dass sich der Saal nach dieser aufgeregten Debatte etwas leert, auf der anderen Seite finde ich das ein Stück weit schade bei dem Thema: Wie bringen wir unsere Jugendlichen in eine Ausbildung hinein?

(Beifall bei der SPD)

Jede und jeder wird gebraucht, das ist das Motto der Jugendberufsagentur. Kein Jugendlicher darf verloren gehen. Ziel von SPD-Fraktion und Senat ist es, den lückenlosen Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung sicherzustellen. Jeder Jugendliche, der in Hamburg die Schule verlässt, soll die Chance auf eine berufliche Ausbildung erhalten. Mit der erfolgreichen Gründung der Jugendberufsagentur sind wir diesem Ziel einen bedeutenden Schritt nähergekommen.

(Beifall bei der SPD – Glocke)

(Jens Kerstan)

Herr Schwieger, gestatten Sie dem Abgeordneten Stemmann eine Zwischenfrage?

Nein, Herr Stemmann kann sich nach Herrn Roock noch einmal zu Wort melden.

Herr Stemmann, Sie haben heute kein Glück.

(Gerhard Lein SPD: Ist das heute eine Glücksfrage?)

Wir haben mit der Jugendberufsagentur eine zentrale Anlaufstelle für junge Menschen geschaffen, eine Anlaufstelle, die umfassend informiert und Beratung und Unterstützung aus einer Hand bietet. Zwischen September 2012 und Dezember 2013 haben in allen sieben Hamburger Bezirken Jugendberufsagenturen ihre Arbeit aufgenommen. Die SPD-Fraktion möchte mit der vorliegenden Großen Anfrage eine erste Zwischenbilanz ziehen.

Das Beratungsangebot der Jugendberufsagentur richtet sich an alle Hamburger Jugendlichen. Betroffenen, die eine intensivere Beratung oder Betreuung mehrerer Stellen brauchen, bietet die Jugendberufsagentur umfassende Leistungen unter einem Dach. Das ist die Besonderheit der Jugendberufsagentur. Hier finden Jugendliche Rat und Hilfe, von Informationen zur Berufswahl über Studienfragen bis hin zu verzwickten Lebenslagen. Erste Erfolge sind bereits sichtbar. Waren es in früheren Jahren noch mindestens 900 bis 1000 Jugendliche mit unbekanntem Verbleib, ist die Zahl der Fälle aktuell auf null zurückgegangen, ich betone: auf null.

(Beifall bei der SPD)

Kein Jugendlicher darf verloren gehen – das ist mit der Gründung der Jugendberufsagentur gelungen. Je nach Standortgröße suchen monatlich zwischen 500 und 2000 Jugendliche ihre bezirkliche Jugendberufsagentur auf. Hier wurden insgesamt rund 2730 Jugendliche beraten, größtenteils mehrfach. Zudem wurden im Bereich der Berufsorientierung rund 9980 Beratungsgespräche in den Stadtteilschulen sowie in den regionalen Standorten geführt. Sollte der Kontakt der Beratungsfachkräfte zu einem Jugendlichen ohne erkennbaren Grund abbrechen, wird von allen Partnern der Jugendberufsagentur eine aufsuchende Beratung angeboten. Im Zeitraum von April 2013 bis Juni 2014 gab es so über 10 000 Kontaktaufnahmen. Die Erfahrung mit der aufsuchenden Beratung macht deutlich, wie wichtig es ist, den Kontakt zu den Jugendlichen nicht abbrechen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Ihnen die Hand zu reichen, sie zu unterstützen, das ist unsere Aufgabe. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich für die gute und professionelle Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Jugendberufsagentur bedanken.

(Beifall bei der SPD)

Mit der Jugendberufsagentur haben wir ein wichtiges Instrument geschaffen, um zukünftig mehr Jugendliche für die Ausbildung fit zu machen und erfolgreich in eine Ausbildung zu vermitteln. Darüber hinaus haben wir weitere Maßnahmen ergriffen, um Jugendliche beim Übergang von der Schule in den Beruf besser zu unterstützen. Diese Maßnahmen zur Verbesserung haben wir umgesetzt: eine Weiterentwicklung der verbindlichen Berufs- und Studienorientierung, die Einführung der dualisierten Ausbildungsvorbereitung Av-Dual, die Weiterentwicklung der Produktionsschulen, die Einführung des Hamburger Ausbildungsmodells Berufsqualifizierung (BQ), die Reform der Höheren Handelsschulen, die Einführung der Höheren Technikschule, die Einführung des Modells Dual Plus.

Meine Damen und Herren! Wir wollen es schaffen, dass mehr Jugendliche nach dem Schulabschluss sofort einen Ausbildungsplatz bekommen. Senator Rabe hat bereits im Juni die wichtigsten Aufgaben benannt. Nun gilt es, das Konzept zur Berufs- und Studienorientierung konsequent umzusetzen und so die Berufsorientierung der jungen Menschen deutlich zu verbessern. Wir müssen passgenauer vermitteln. Wir müssen auf die Hamburger Wirtschaft einwirken, mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Es ist klar, dass die vielfältigen Reformanstrengungen nicht sofort greifen und eine gewisse Anlaufzeit benötigt wird. Auch die eben genannten Aufgaben sind nicht neu. Neu ist, dass wir nun Instrumente an der Hand haben, die es uns ermöglichen, diese Aufgaben besser als früher zu erfüllen.

Der Landesausschuss für Berufsbildung sieht in seinem Bericht 2013/2014 in der Jugendberufsagentur bereits heute ein Erfolgsmodell. Dem schließe ich mich ausdrücklich an. Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir werden am Ball bleiben, um allen Jugendlichen den erfolgreichen Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu ebnen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Ploog von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Keiner darf verloren gehen – ein wichtiges, ein anspruchsvolles Ziel, hinter dem auch meine Fraktion steht, und zwar nicht erst seit heute, sondern schon seit Langem. Man muss sich fragen, Herr Kollege Schwie

ger, warum Ihre Fraktion im Jahre 2011 mit der eigenen Mehrheit verhindert hat, dass die Drucksache 20/106 beschlossen wurde, in der meine Fraktion die Einrichtung einer Jugendberufsagentur angeregt hatte.

(Beifall bei der CDU)

Später haben Sie das dann, offenbar aufgrund besserer Einsichten, aufgenommen. Das war sicher kein Fehler, das war eine gute Tat von Ihnen; dazu herzlichen Glückwünsch. Wir haben also anregend dazu beigetragen. Nun sollten wir uns darüber nicht lange streiten, denn wichtiger für uns alle ist, dass niemand verloren geht, weder in der Schule noch in der Berufsausbildung. Das ist konkret damit gemeint. Jeder Jugendliche, jedes Mädchen, jeder Junge, jeder, der in Hamburg die Schule verlässt, soll unmittelbar im Anschluss an den Schulabgang die Möglichkeit einer beruflichen Ausbildung bekommen. Das ist nicht neu, es hat zu allen Zeiten gegolten, und es war immer auch Auftrag für die Politik, die Abläufe besser und günstiger zu gestalten, damit das lückenloser erfolgen kann. Die Solidarität mit den jungen Menschen auf diesem wichtigen Gebiet ist ein Gebot für die Politik, für uns alle in diesem Hause. Ich habe es auch immer so verstanden, dass wir das als eine gemeinsame Aufgabe, als ein gemeinsames Ziel aufgefasst haben.

Sie haben die nun eingetretenen Verbesserungen, die wir nicht nur akzeptieren, sondern sehr begrüßen, dargestellt; ich muss das nicht wiederholen. Es geht nicht nur darum, eine Berufsausbildung im Anschluss an die Schulausbildung zu ermöglichen, sondern es geht auch darum, die jungen Menschen so zu qualifizieren, dass sie in dem langen Arbeitsleben, das vor ihnen liegt, möglichst nicht arbeitslos werden, sondern über Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich in der Beschäftigung stehen.

Interessant dabei ist, wie aus einer Studie der Bundesagentur für Arbeit hervorgeht, dass die sogenannten jungen Arbeitslosen auch im späteren Berufsleben häufiger arbeitslos sind. Die Untersuchung hat gezeigt, dass rund die Hälfte aller Einsteiger in das Erwerbsleben in den ersten acht Jahren der beruflichen Tätigkeit gar nicht oder maximal einen halben Monat arbeitslos sind. Aber, und um diese Menschen müssen wir uns wieder mehr kümmern – Sie haben es in Ihrer Rede auch erwähnt –, 10 Prozent der Einsteigerinnen und Einsteiger in das Erwerbsleben sind allein in den ersten acht Berufsjahren mehr als 20 Monate arbeitslos und in den Folgejahren ebenso überdurchschnittlich lange ohne Beschäftigung. Zwischen der Jugendarbeitslosigkeit und der späteren Arbeitslosigkeit, so hat die Studie ergeben, besteht der Zusammenhang nicht in einer weniger guten Qualifikation – die hat damit überhaupt nichts zu tun –, sondern Jugendarbeitslosigkeit und spätere Arbeitslosigkeit stehen in einem kausalen Zusam

menhang. Beides folgt einer eigenen Gesetzmäßigkeit, die es vielleicht noch weiter zu entdecken gilt. Die Studie jedenfalls hat ergeben, dass ein Tag Arbeitslosigkeit in der Jugend im Schnitt zu bis zu zwei Tagen Arbeitslosigkeit während der ersten acht Jahre der beruflichen Tätigkeit führt. Nun soll man sich nicht an ein oder zwei Tagen festhalten, das wäre wenig, aber das kumuliert. Das verdoppelt sich also und steigt in den folgenden Jahren weiter an. Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen muss es deshalb ebenso höchste Priorität haben, Jugendarbeitslosigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen.

(Beifall bei der CDU und bei Sabine Steppat und Silke Vogt-Deppe, beide SPD)

Das, Herr Kollege Schwieger, habe ich bei Ihnen auch so verstanden. Ich war sehr froh, dass wir diese Erkenntnisse aufgreifen konnten. Ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiges Ziel.

Schon in frühen Jahren in das Ghetto der Arbeitslosigkeit zu geraten, muss furchtbar sein. Da müssen wir wirklich helfen. Das ist eine große Herausforderung für uns alle. Ich glaube schon, dass die Jugendberufsagenturen eine hervorragende Arbeit leisten und zur Lösung der Probleme sehr gut beitragen. Die Anforderungen werden künftig noch erheblich zunehmen. Angesichts der aufwachsenden Zahl ausländischer Jugendlicher werden die Anstrengungen steigen müssen; wir haben darüber vorhin in der Aktuellen Stunde schon etwas gehört. Diese jungen Leute – niemand weiß, wie lange sie bei uns bleiben wollen oder werden – müssen zur Schule, müssen eine Berufsausbildung bekommen. Das stellt unsere Gesellschaft vor enorme Herausforderungen. Ich glaube, dass wir dort alle solidarisch zusammenwirken werden. Dazu gehört auch, dass die Schulen ihre Stundenausfälle drastisch reduzieren. Dazu zählt aber auch, dass die Zusammenarbeit von Arbeitsagentur und Jobcenter verbessert und noch stärker miteinander verzahnt wird.

Wenn wir die aktuelle Momentaufnahme des Ausbildungsmarkts betrachten, ergibt sich folgendes Bild – das nur, damit man weiß, dass nicht alles von alleine läuft –: Im August hatten wir 2724 Bewerberinnen und Bewerber in Hamburg, die einen Ausbildungsplatz suchten. Das waren 13,5 Prozent oder, in absoluten Zahlen, 326 Personen mehr als im Monat Juli. Freie Ausbildungsstellen hingegen hatten wir nur 1994. Das waren 454 weniger als im Juli. Das ging also auseinander. Insofern ein Appell an die Arbeitgeber in Hamburg, an die Wirtschaft, sich hier noch stärker anzustrengen.

Im Moment läuft das Ausbildungsgeschäft auf Hochtouren. Viele Bewerber machen sich zu spät auf den Weg; ein Zeichen, dass man den jungen Leuten dazu an den Schulen noch einige Tipps geben muss. Sie unterschätzen den Aufwand, den es erfordert, eine Lehrstelle oder einen Ausbildungs

platz zu erhalten. Sie unterschätzen die Wichtigkeit von Berufsorientierung und Berufswahl ebenso wie den Aufwand der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Es ist ja nicht so, dass derjenige, der sich um einen freien Ausbildungsplatz bewirbt, diesen auch gleich bekommt; es gibt erhebliche Konkurrenz. Schriftliche Bewerbung, Praktikum, Auswahlverfahren, schließlich die Zusage – all das steht noch als ungelöstes Problem vor diesen jungen Leuten. Ich will das gar nicht pauschalisieren, aber ich glaube, es ist weiterhin eine große Herausforderung für die Schulen, die jungen Leute hier fit zu machen und ihnen zu helfen, auf diesem Weg voranzukommen.

Die CDU-Fraktion unterstützt, wie sicher das ganze Haus, diese Bemühungen sehr. Im Interesse unserer Jugend wünscht meine Fraktion der Jugendberufsagentur in Hamburg beste Erfolge. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Dr. von Berg von der GRÜNEN Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es gibt ein schönes englisches Sprichwort, das heißt: "The proof of the pudding is in the eating". Es geht also um nichts weniger als nachzuforschen, ob der Erfolg der Jugendberufsagentur tatsächlich auch schon bewiesen werden kann. Dieser misst sich übrigens nicht daran, ob man alle Jugendlichen erfasst hat, sondern der Erfolg ist die Vermittlung in die Berufsausbildung oder in einen Anschluss, das heißt, kein Abschluss ohne Anschluss.

(Vizepräsidentin Antje Möller übernimmt den Vorsitz.)

Das soll also der Proof sein. Nun habe ich den vermeintlichen Proof in den Händen, das ist die Große Anfrage der SPD. Allein, den Proof für den Pudding habe ich nicht gefunden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Martina Kaesbach FDP)

Ich habe dafür lieber noch einmal in anderen Berichten nachgelesen und mir zum Beispiel den HIBB-Jahresbericht, die Statistik der Arbeitsagentur – das hat offensichtlich auch mein Kollege Herr Ploog gemacht –, den Ausbildungsreport und die Stellungnahmen des Landesausschusses für Bildung angesehen. Und natürlich habe ich, wie es bei uns im Parlament so üblich ist, auch noch ein paar Schriftliche Kleine Anfragen gestellt.

Was habe ich nun gefunden? Im HIBB-Jahresbericht ist deutlich abzulesen, dass die Ausbildungsgarantie, das heißt, ein wesentliches Versprechen im Arbeitsprogramm des Senats, nicht erfüllt wird.

Ich will es kurz darlegen. Eigentlich soll an den Abschluss dieser Anschluss erfolgen, tatsächlich gibt es aber ein wahnsinnig aufgeblähtes Av-Dual, in denen dann auch Schülerinnen und Schüler landen, die eigentlich ausbildungsreif sind, die einen mittleren Schulabschluss haben und berufsorientiert sein sollten, die also, nachdem sie schon zehn Jahre in der Stadtteilschule verbracht haben, jetzt noch weiter ins Av-Dual gehen müssen, obwohl sie in eine Berufsausbildung gehen sollten und auch könnten. Man könnte dann sagen, sie könnten doch in das Hamburger Ausbildungsmodell gehen und eine Berufsqualifizierung machen. Von diesen etwa 400 Plätzen ist aber nur die Hälfte belegt. Hier wird die Ausbildungsgarantie nicht umgesetzt, aber das ist doch ein zentrales Versprechen. Ich finde, das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Dora Hey- enn DIE LINKE)

Wenn ich mir den Ausbildungsreport ansehe, dann geht ganz klar daraus hervor, dass 39 Prozent aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger im Übergangssystem landen und nicht in der Ausbildung. Das sind immer noch viel zu geringe Zahlen, es gibt wirklich keinen Grund zum Jubeln.

(Beifall bei den GRÜNEN)