Protocol of the Session on August 27, 2014

Wenn Erbil und die kurdische Region im Irak an die IS-Kämpfer fallen, dann sind nicht nur die Menschen in Erbil bedroht, sondern auch die Flüchtlinge, für die das die einzige Zufluchtsgegend darstellt, die ihnen zur Verfügung steht. Selbst gemessen an den Taliban und an al-Qaida ist die Brutalität der IS von einem bislang unbekannten Ausmaß. Es ist insgesamt eine sehr schwierige und sehr extreme Situation.

Das heißt, dass auch die Bundesregierung vor einer sehr schwierigen außenpolitischen und verteidigungspolitischen Entscheidung steht. Aber die Außen- und Verteidigungspolitik wird nicht in Hamburg, sondern in Berlin und anderswo gemacht. Die Menschen, die vor Bürgerkrieg und politischer Verfolgung flüchten, müssen und wollen wir aufnehmen, darüber gibt es keinen Dissens. Hamburg kann und wird selbstverständlich seinen Teil dazu beitragen. Das hat Hamburg früher gemacht, das macht Hamburg auch jetzt und wird es ebenfalls in der Zukunft so machen.

(Beifall bei der SPD)

Dass dieses Thema auch in Hamburg ein wichtiges Thema ist, haben wir in einem Gespräch mit den Vertretern der Jesiden, Christen und Kurden,

mit meiner Kollegin Frau Steppat, mit Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, und auch mit dem Bundestagsabgeordneten Herrn Bartke behandelt. Dieses Gespräch hat noch einmal gezeigt, dass wir auch hier sicherheits- und ordnungspolitisch aufpassen und präventiv handeln müssen. Aber das haben wir auch. Frau Özdemir, ich weiß nicht, ob Sie nicht mitbekommen haben, dass bei der BASFI eine Beratungsstelle zur Prävention gegen islamische Extremisten existiert, und mit dieser Beratungsstelle mehrere Behörden – Schulbehörde, Innenbehörde und Sozialbehörde – zusammenarbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Es ist in der Tat so, dass diejenigen, die aus diesen Kämpfen zurückkommen, auch für uns eine Bedrohung darstellen. Insofern sind wir alle gefragt, die Sicherheitsorgane und der Verfassungsschutz; dazu haben Sie sich auch geäußert. Wir alle sind gefragt, die Augen aufzuhalten und aufzupassen. In diesem Zusammenhang ist es sehr erfreulich, dass sich viele muslimische Verbände von diesen Extremisten distanziert haben.

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Man kann sagen, dass der Vertrag, den wir mit den Muslimen und Aleviten in Hamburg geschlossen haben, ein richtiger und wichtiger Meilenstein in einer interreligiösen und interkulturellen Gesellschaft und eine wichtige Grundlage für diese Distanzierung der muslimischen Verbände ist.

(Beifall bei der SPD)

Zum Thema Schnackenburgallee. Dieser Vorfall ist nicht neu, er war vor mehreren Monaten,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Der ande- re war neu!)

und da wurde sofort gehandelt. Der Wachdienst wurde ausgetauscht, das ist auch durch die Presse gegangen. Das Thema ist richtig und wichtig, aber wir müssen von einer Dramatisierung absehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Erkalp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor unseren Augen werden in Syrien und im Irak täglich Tausende von Menschen umgebracht. Die islamistischen Kämpfer der ISIS möchten einen rein islamischen Staat und nach ihrer Definition eigentlich nur Moslems der sunnitischen Art. In nur wenigen Wochen hat die ISIS im Nordirak viele Gebiete erobert und beschreitet dabei einen erschreckenden, harten Weg gegen die Zivilbevölkerung der Jesiden. Die Jesi

den sind in islamischen Ländern oftmals nicht als gleichberechtigte Menschen akzeptiert. Ihre Verfolgung fällt im Nordirak teilweise sogar noch drastischer aus als bei allen anderen Minderheiten, weil sie von den sunnitischen Fanatikern nicht einmal als Schrift- oder Buchreligion anerkannt werden. Tausende jesidische Familien werden auseinandergerissen, verfolgt, getötet, und auch vor Kindern wird nicht haltgemacht. Teilweise sind Familien ohne Verpflegung und mit schlechter Kleidung zehn Tage unterwegs und müssen dann flüchten bis in die Berge hinein, bis sie es irgendwann schaffen, sicher ins Kurdengebiet zu kommen. Der Schock ist umso größer, wenn dann der Vater, die Mutter oder andere Familienmitglieder es nicht geschafft haben. Die Jesiden im Nordirak erfahren heute eine der schlimmsten Zeiten in ihrer mehrere tausend Jahre alten Geschichte.

Kommen wir zu den Christen. Seit mehr als zwei Jahren werden Christen in Syrien verfolgt und nun auch seit einigen Wochen im Irak. Sie werden gebrandmarkt, gejagt, entführt, vergewaltigt und getötet. Die ursprünglichen syrischen Revolutionäre sind immer mehr der ISIS gewichen oder haben sich ihr angeschlossen. Es ist der Heilige Krieg, in dem Christen getötet werden dürfen, so behaupten sie es zumindest. Es macht ihnen Spaß, sie kommen aus Europa, aus dem Westen, aus Amerika. Doch welche Gruppen und Völker verbergen sich hinter diesen Christen, die wir bisher nur als Christen bezeichnen? Zu den Christengruppen gehören vor allem syrisch-orthodoxe Christen, in Deutschland auch bekannt als Aramäer. Es sind griechisch-katholische, melkitisch-griechisch-katholische, armenisch-apostolische, armenisch-katholische, syrisch-katholische, assyrisch- und chaldäisch-katholische Christen. Die häufigsten dieser Kirchen sind mit der katholischen Kirche uniert.

Die Berichte über entkommene oder geflohene Menschen sind kaum zu ertragen. Frauen und Töchter werden vor den Augen ihrer Männer und Söhne vergewaltigt, zwangsislamisiert und nicht selten als Sklavinnen einfach mitgenommen. Ihre Männer sterben oft an Ort und Stelle vor den Augen ihrer Angehörigen. Und nicht selten werden christliche Frauen und Mädchen durchgereicht und müssen sich einer fünfzig- bis hundertfachen Massenvergewaltigung ergeben. Einige von ihnen sterben später mit einem übergroßen Holzkreuz, einem Kruzifix, das durch den Mund in den Schädel gerammt wird. Häuser von Christen, von christlichen Familien, werden mit dem arabischen "N" für Nazarener beschmiert. Im Arabischen ist dies eine negative Christendeutung, und dadurch werden die Christen schneller gefunden. Wenn ich darf, möchte ich Ihnen dieses Zeichen einmal zeigen. Diese Zeichen werden an die Wände, Häuser und Geschäfte geschmiert. Ich denke, wir alle kennen diese Art der Verfolgung aus Deutschland. Das ist eine Verfolgung, die es nicht geben darf.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Hunderte Kirchen und Klöster, teilweise über 1600 Jahre alt, sind zerstört. Bücher aus den Anfängen des Christentums sind verbrannt worden, kurz gesagt: Es wird versucht, die Geschichte und die Religion der Christen auszulöschen. Die ethnische Säuberung ist damit eigentlich in vollem Gange, ähnlich wie bei den Jesiden.

Zur Abschreckung wirbt die ISIS mit Filmaufnahmen im Internet. Mal werden etliche Lkw-Ladungen mit völlig verängstigten jungen Männern und Vätern gezeigt, die wie Tiere ein- und ausgeladen werden und dann wie Tiere erbarmungslos erschossen werden. Und sie wissen alle, dass sie in ein bis zwei Minuten sterben werden. Ich habe es mir bis vor Kurzem nicht zugetraut, das anzuschauen, ich wollte es auch nicht ansehen. Aber ich habe vor drei Wochen hineingeschaut, und seitdem gehen mir die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Es ist einfach Wahnsinn, wie Menschen mit anderen Menschen umgehen, nur wegen des Glaubens. Meist schneiden sie den Christen mit bloßen Fleischermessern die Köpfe ab, sie werden geschächtet und die Menge jubelt im Hintergrund. Die Köpfe werden auch manchmal aufgespießt, das ist alles ganz normal. Natürlich ist immer die Handy-Kamera dabei. In vielen Videos kann man die Volkszugehörigkeit und die Ethnie der Menschen nicht erkennen. Es sind Jesiden, Christen, Aleviten, Sunniten und Kurden. Die Ursprungsländer des Christentums in den sieben Jahrhunderten vor dem Islam, die heutige westliche Zivilisation, die hier mit auf den Weg gebracht wurde, drohen völlig wegzufallen, genauso wie seine indigenen Völker wie zum Beispiel die Aramäer, die Chaldäer, die Assyrer, aber auch die Jesiden.

Aus dem "Arabischen Frühling" ist am Ende ein schrecklicher Winter geworden. Die Kurden sind in diesen Tagen definitiv die Helden. Sie helfen allen unterdrückten Menschen in beiden Ländern, zumindest, wenn man es bis dahin geschafft hat. Aber auch die Kurden haben unter ihren Leuten viele Verluste zu beklagen.

Ich komme zum Ende. Wir sollten und wir müssen etwas tun. Humanitäre Hilfe, medizinische Hilfe, Entwicklungshilfe, monetäre Hilfe, Bedarfsanalyse zusammen mit Regierung und Region, Kurdistan und dem Irak. Und wir befürworten im Grunde Waffenlieferungen an die Regierung der Region Kurdistan/Irak. Für diesen speziellen Fall der unmenschlichen Minderheitenverfolgung durch die ISIS muss es eine Ausnahme geben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Jetzt hat Frau Möller das Wort.

(David Erkalp)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! 51,2 Millionen Flüchtlinge zählte der UNHCR Ende 2013. Das ist die höchste Zahl von Flüchtlingen seit 1945. Er veröffentlichte diese Zahlen im Juni und warnte damals vor allem vor einem weiteren Anstieg der Flüchtlinge und Vertriebenen aus Syrien. Die Situation im Irak könnte man zu der Zeit beinahe noch als unauffällig beschreiben. Jetzt kommen wahrscheinlich allein aus diesem Kriegsgebiet weitere 1 Million flüchtende Menschen dazu. Eine Terrorarmee tötet Tausende in einem Krieg, der sich gegen die zivile Bevölkerung wendet. Die archaische Art dieser Kriegsführung, verbunden mit Geld scheinbar im Überfluss, war so bisher nicht bekannt und bringt uns natürlich als internationale Staatengemeinschaft an die Grenzen des Handelns.

Ich sehe den Fokus der heutigen Debatte jedoch im humanitären Bereich. Die bedrängten Familien, Männer, Frauen, Alte und Junge brauchen vor allem Nahrung und Unterkunft an sicheren Orten. Die Karikatur aus der "Süddeutschen Zeitung" von gestern, vielleicht haben Sie sie gesehen, zeigt eine Flüchtlingsfrau mit kleinen Kindern und einen Mann mit Rakete in der Hand, der die Frage stellt: Kannst du daraus was kochen? Dies wirft die Frage auf, was wir in Hamburg tun können. So wie es eben schon vom Kollegen der SPD gesagt wurde, waren wir als Fraktionen wohl alle im Gespräch mit dieser kleinen Delegation aus Vertreterinnen und Vertretern von Jesiden, der deutsch-syrischen, christlichen Gemeinden und Kurdinnen und Kurden, die ihre Sorgen um Familienangehörige und Bekannte deutlich gemacht haben. Sie senden selbst Lastwagen mit Hilfsgütern, die dann in der Türkei steckengeblieben sind, oder bieten Unterkunft innerhalb ihrer Gemeinde.

Deswegen sollten wir versuchen, uns in der Bürgerschaft gemeinsam auf einen Aufruf zur humanitären Unterstützung zu verständigen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Wir sollten in einem Appell an die Menschen in dieser Stadt und an die Wirtschaft um Unterstützung bitten. Ich glaube, es muss schnelle und konkrete Hilfe geben. Es gibt zwei Aufgaben, zwei Wege notwendigen Handelns, denn man darf sich nichts vormachen. Die Konflikte, die sich in der Welt abspielen, spiegeln sich ebenso in Hamburg unter den Flüchtlingen wider. Da ist ein Großteil von Menschen, die vor allem zur Ruhe kommen wollen, aber gleichzeitig die Konflikte, die es dort gab, hierher mitbringen.

Man darf sich auch nichts darüber vormachen, dass es innerhalb der Flüchtlinge genauso Antisemitismus und Vorbehalte gegenüber Christen gibt, ebenso Konflikte zwischen Ethnien und Staaten. Das ist, so profan es auch klingen mag, so etwas wie gelebter Alltag. In der Regel äußert sich dieses dann in verbalem Streit, aber nicht in Gewalt.

Trotzdem gibt es diese Entwicklung und die Tendenz, die eben schon dargestellt wurde. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es eine Radikalisierung von Jugendlichen im westlichen Europa gibt und damit natürlich auch in Hamburg.

Wir hatten schon eine Debatte zum Thema Erstarken des Salafismus unter Jugendlichen. Dort hat der Senat sehr deutlich gemacht, dass er ein Präventionsprogramm auflegen will. Dieses gibt es inzwischen, aber die Frage ist, inwieweit tatsächlich die Gruppen, die Menschen, die in dieser Stadt auch in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind, mit hineingenommen werden in die Schulen, in die Jugendeinrichtungen und natürlich in die kirchlichen Gemeinden, in die jüdische Gemeinde ebenso wie in die islamischen Gemeinden. Hier kann man nur zusammen mit viel Bildung und Aufklärung wirklich Prävention leisten.

Das wäre der zweite Weg. Meiner Meinung nach liegt der erste dicht dabei, nämlich konkrete humanitäre Hilfe zu leisten für die Menschen, die an einen relativ sicheren Ort haben flüchten können und dort Unterstützung brauchen, Nahrung und Unterkunft. Gleichzeitig darf man die Eltern und Familien, in denen es Jugendliche gibt, die sich aus relativ moderater religiöser Erziehung heraus möglicherweise radikalisieren, nicht aus den Augen verlieren und muss diese auch unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Jetzt hat Frau Kaesbach das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Vorredner haben es benannt, die Vorgänge rund um die radikale Gruppe der ISIS in Syrien und im Irak sind sehr besorgniserregend und sehr erschreckend. Es ist eine große politische Herausforderung für die Bundesregierung. Es ist aber auch eine Herausforderung für die Bundesländer, was den Zustrom der Flüchtlinge betrifft. Genauso besorgniserregend ist das Vorgehen der Salafisten in den Bundesländern und in Hamburg. Sie versuchen immer mehr, unter jungen Menschen Anhänger für ihren Radikalismus zu gewinnen.

Ebenfalls steht uns das Problem der Rückkehrer ins Haus, von dem aber nicht nur religiöse Minderheiten, sondern wir alle betroffen sein werden. Dies gilt es ebenfalls anzupacken und zu lösen. 36 Islamisten sind laut Mitteilung des Hamburger Verfassungsschutzes aus Syrien nach Hamburg zurückgekehrt. Es darf nicht zu einem Vorfall wie in Belgien oder Übergriffen wie in Frankreich kommen. Dafür lassen sich die Instrumente, die wir dem Senat bei der Bekämpfung des religiösen Extremismus nahegelegt haben, auch nutzen.

Zu diesen Themen haben wir, wie vorhin schon gesagt wurde, als Bürgerschaft bereits eine gute Herangehensweise beschlossen. Wenn ich Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen darf, meine Damen und Herren von der LINKEN: Noch vor der Sommerpause hat die Bürgerschaft einstimmig einen Antrag meiner Fraktion beschlossen, um die Ausbreitung radikal islamistischen Gedankenguts einzudämmen und die Toleranz und Akzeptanz in unserer Gesellschaft zu fördern. Wir haben durch die Annahme unseres Antrags gemeinsam den Senat aufgefordert, effektive Maßnahmen gegen den Salafismus und religiösen Extremismus zu ergreifen. Dieses Problem wird also bereits angegangen, auch wenn es natürlich einige Zeit braucht, bis alle Projekte greifen. Und wenn Sie, meine Damen und Herren von der Links-Fraktion, sich solche Sorgen um den ausufernden Flüchtlings-Extremismus machen, dann hätten Sie unserem Antrag auch zustimmen können statt sich zu enthalten.

Nun zu den Übergriffen in der zentralen Erstaufnahme Schnackenburgallee. Da gibt es Vorwürfe von Christen, dass es Übergriffe von Muslimen gegeben habe. Wie aus einigen der Schriftlichen Kleinen Anfragen zu diesem Thema hervorgeht, kann in der öffentlichen Unterbringung jeder Einwohner seine Religion diskriminierungsfrei ausüben und erhält dabei die notwendige Unterstützung und Hilfe. Der vorgeworfene Übergriff auf Christen in der öffentlichen Unterbringung ist nicht strukturell, sondern die strafbare Tat Einzelner. Dieser Fall wird nun von der Staatsanwaltschaft Hamburg bearbeitet. Die Justiz wird in diesem Fall zu einem diskriminierungsfreien Ergebnis kommen und die Täter bestrafen, sollten sich die Tatvorwürfe als begründet erweisen. Selbstverständlich ist sowohl in der Gesellschaft im Allgemeinen als in der öffentlichen Unterbringung im Besonderen ein interkultureller Dialog notwendig, damit Animositäten, die vielleicht zwischen benachbarten Bevölkerungs- oder Glaubensgruppen im Heimatland bestanden, nicht in Hamburg verfestigt werden. Das ist ein Anliegen, das wir unterstützen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei Uwe Lohmann SPD)

Das Wort hat Innensenator Neumann.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir in diesen Wochen auf die Krisenherde rund um unser Land und um Europa schauen, dann scheint die Welt wahrhaft aus den Fugen geraten zu sein, seien es die Angriffe auf Israel und Gaza, die Annektion der Krim oder die Kämpfe im Osten der Ukraine. Krieg in Europa 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs, vor Jah

ren noch unvorstellbar und etwas, was wir für unmöglich gehalten haben. Ganz besonders erschüttern uns die Nachrichten aus dem Irak und aus Syrien. Mit unvorstellbarer Brutalität ist die Terrorgruppe ISIS auf dem Vormarsch, ermordet Frauen, Männer und Kinder und zu Zehntausenden sind Menschen auf der Flucht. Erschüttert ist jeder, der diese Nachrichten liest und der vor allem diese Bilder sieht.

Aber Erschütterung allein reicht dabei nicht aus. Deshalb hilft Deutschland dabei, akute Not zu lindern durch Notunterkünfte, Lebensmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter, die unsere Bundeswehr nach Erbil fliegt. Aber letztlich setzt die Wirksamkeit unserer humanitären Hilfe ein sicheres Umfeld voraus, und dazu muss der brutale Vormarsch der ISIS gestoppt werden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Die kurdischen Peschmergas stehen im Kampf gegen die ISIS vor einem Gegner, der ihnen an Brutalität, an Hemmungslosigkeit, aber auch an technologischer Ausrüstung zum Teil weit überlegen ist. Um sich diesem Feind wirkungsvoll entgegenstellen zu können, fordern diese kurdischen Kämpfer von uns nicht nur humanitäre, sondern auch militärische Unterstützung. Für Konflikte wie diesen gibt es aber keine Schwarz-Weiß-Lösungen. Es steht auf der einen Seite unser Prinzip, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, denn Waffen bergen immer Gefahren, und sie können in die falschen Hände gelangen. Andererseits gilt es aber auch, Menschenleben zu schützen und die Sicherheit der Menschen in der Region zu festigen. Wir dürfen uns diesen Herausforderungen nicht entziehen, sondern müssen diese Widersprüche aushalten, abwägen und entscheiden. Leicht machen dürfen wir es uns niemals, weder durch ein kategorisches Ja noch durch ein vorschnelles Nein. Verantwortung tragen wir am Ende für unser Nichthandeln genauso wie für unser Handeln.

In Krisengebiete wie die Ukraine, Syrien und Libyen liefern wir keine Waffen, und das aus guten Gründen. Vieles spricht aber dafür, dass die Krise im Nordirak, in Syrien ganz anders gelagert ist. Einerseits ist die ISIS eine völlig neuartige Form der Bedrohung, eine rücksichtslose Terrortruppe, die ein wachsendes Territorium kontrolliert, andererseits steht ihr mit der kurdischen Regionalbehörde eine relativ stabile Struktur gegenüber. Die Kurden sind in der Region das wichtigste Bollwerk gegen diese Mörderbanden von ISIS. Und werden sie überrannt, sind nicht nur Tausende von Menschenleben, sondern auch die Stabilität der gesamten Region in akuter Gefahr, verbunden mit erheblichen Sicherheitsrisiken auch für uns hier in Europa. Die Bundesregierung hat deshalb den Beschluss gefasst, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern die militärische Ausrüstung der

(Martina Kaesbach)