Protocol of the Session on June 22, 2011

sondern Sie versuchen damit auch, sich vor Ihrer politischen Verantwortung für die Senatsentscheidungen zu drücken. Süffisant haben Sie in der Landespressekonferenz die Haushaltslage als großes Geschenk für die Demokratie bezeichnet, denn jetzt müsse es gesellschaftliche Diskussionen geben, wer mehr und wer weniger bekommen sollte. Wir fragen uns, wo diese gesellschaftliche Diskussion stattgefunden hat, bevor Sie ganz persönlich im Alleingang vor der Wahl versprochen haben, 20 Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um zukünftig das Mittagessen in den Kitas zu verschenken? Wo war diese gesellschaftliche Diskussion, als Sie entschieden haben, dass 40 Millionen Euro da sind, um die sozial ausgestatteten Hamburger Studiengebühren abzuschaffen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sozial ausge- stattet? Das ist wohl ein Witz!)

ohne dass davon die Qualität von Forschung und Lehre und damit auch die Ausbildung der Studenten auch nur mit 1 Cent profitieren?

(Glocke)

Ich komme zum Schluss: Hier, Herr Bürgermeister, galt Ihr Machtwort, weil Sie an die Macht wollten,

(Dirk Kienscherf SPD: Das war unser Wahl- programm!)

und ich kann den Senat nur auffordern, sich in Zukunft deutlich mehr anzustrengen, um den hohen Erwartungen gerecht zu werden, die Sie in der Stadt geschürt haben, und sich mehr anzustrengen für Hamburgs Zukunft. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kerstan, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion nutzt die heutige Bürgerschaftssitzung, um noch einmal die ersten 100 Tage zu feiern. Das sei Ihnen gegönnt. Sie machen es gerade noch rechtzeitig, bevor es zu spät ist, denn wenn man sich das anschaut, sind die ersten Risse schon ersichtlich und auch die Geschlossenheit fängt schon an zu bröckeln.

(Thomas Völsch SPD: Freuen Sie sich man nicht zu früh!)

Insofern kann ich diesen Wunsch, noch einmal unbeschwert zu feiern, ganz gut verstehen, und das sei Ihnen auch gegönnt.

Bei den Energienetzen haben wir eben schon darüber gesprochen. Altbürgermeister sind dagegen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Aber wir leben im Hier und Jetzt!)

der Widerstand in der Partei steigt und SPD-Kreisverbände sammeln gegen den erbitterten Widerstand des Bürgermeisters für ein Volksbegehren, das er nicht möchte. Das finde ich einerseits ganz positiv, denn es zeigt, dass es in der SPD noch Kräfte gibt, die sich den Bürgern verpflichtet fühlen und nicht den Atomkonzernen. Das ist ein guter Punkt.

(Zurufe von der SPD)

Zum anderen steht Ihnen natürlich die Stunde der Wahrheit im Herbst bevor, wenn es um den Haushalt geht

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist jetzt gleich!)

und bei der Konkretisierung des Haushalts natürlich auch die verschiedenen Wahrheiten auf den Tisch kommen, über die Sie nicht so gerne reden.

(Karin Timmermann SPD: Das merkt man bei Ihnen besonders!)

Das sieht man dann natürlich im Bereich Wissenschaft. Aus dem Versprechen im Wahlkampf, Sie wollten Wissenschaft und Forschung stärken, ist nach 100 Tagen SPD-Senat die größte Einsparung für die nächsten vier Jahre bis 2015 geworden, die dieser Bereich jemals erlebt hat.

(Dirk Kienscherf SPD: Meinen Sie Ihre Ein- sparung?)

Das wäre in der Tat eine sehr fatale Weichenstellung, die Sie dort in einem zentralen Zukunftsbereich dieser Stadt vornehmen. Und wenn Herr Dressel eben sagte, die paar Universitätsprofessoren sollten sich nicht so anstellen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das habe ich nicht gesagt! Zuhören hilft!)

dann zeigt das doch eines: Die Selbstgefälligkeit der SPD ist schon etwas beunruhigend. Sie haben anscheinend vollkommen vergessen oder gar nicht zur Kenntnis genommen, dass zwischen 10 000 und 15 000 Studenten gegen Ihre Pläne demonstriert haben, und das in den ersten 100 Tagen. Das muss man als ein neuer Senat erst einmal hinbekommen, dass 15 000 Menschen auf die Straße gehen, um gegen Ihre falsche Weichenstellung zu protestieren.

(Dirk Kienscherf SPD: Wie viele haben Sie denn abgewählt?)

Dass Sie das so abtun, zeigt nur eines: Sie sind da auf dem falschen Dampfer. Selbstgefälligkeit wird Sie aus dieser Krise nicht herausbringen, meine Damen und Herren von der SPD.

(Beifall bei der GAL)

Sie bedienen sich Taschenspielertricks in dem Bereich und sagen, der Etat steige doch, aber es ist immer ein bisschen schwierig, solche Argumente gegenüber Oppositionsfraktionen zu verwenden, die diesen Haushalt, den Sie aufgestellt haben, jetzt selbst noch einmal einbringen. Sie haben da eine schöne Operation linke Tasche, rechte Tasche vorgenommen.

(Andy Grote SPD: Wie viele Etatsteigerun- gen haben Sie denn für die Hochschulen vorgesehen?)

Die Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst waren in der Tat nicht im Wissenschaftsetat eingestellt, sie waren im Haushaltsplan der Finanzbehörde eingestellt. Und was ist jetzt passiert? Im Haushaltsplan haben Sie eine kleine Veränderung vorgenommen. Sie stellen gar kein zusätzliches Geld zur Verfügung. Sie buchen es einfach nur aus dem Etat der Finanzbehörde in den Etat der Wissenschaftsbehörde und stellen sich hier mit stolzgeschwellter Brust hin und sagen, der Etat steige doch und da würden sich die 10 000 Studenten irren.

(Andy Grote SPD: Das ist doch das dassel- be Geld! Wo wollten Sie denn mehr ausge- ben, Herr Kerstan?)

Das zeigt nur eines: Gutem Regieren, Vertrauen und Transparenz fühlen Sie sich nach 100 Tagen in dem Bereich schon nicht mehr verpflichtet. Das ist ein schlechtes Zeichen für Hamburg.

(Dietrich Wersich)

(Beifall bei der GAL)

Dann der Bereich Verkehr und Umwelt. Sie haben es in 100 Tagen geschafft, den guten Ruf Hamburgs als Umwelthauptstadt Europas gänzlich zu ruinieren.

(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Andreas Dres- sel SPD: Das Wort "ruinieren" würde ich nur vorsichtig verwenden!)

Nach 100 Tagen schon nicht mehr die Kraft aufzubringen, unangenehme Wahrheiten anzuhören, lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Die EU-Kommission ermittelt gegen Hamburg, die Umwelthauptstadt Europas, wegen Nichteinhaltung von Luftreinhaltestandards. Die Gesundheit der Bevölkerung mag Ihnen egal sein, aber dort drohen auch Strafzahlungen in Millionenhöhe dafür, dass Sie in den ersten 100 Tagen ohne jede Not alle Projekte abgeräumt haben, die in diesem Bereich eine gesundheitliche Verbesserung für die Menschen in dieser Stadt dargestellt hätten. Die Stadtbahn soll es nicht mehr geben, die Umweltzone, die City-Maut brauchen Sie nicht und auch die Parkraumbewirtschaftung wollen Sie nicht mehr, denn darüber könnten sich Autofahrer beschweren.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie haben den autofreien Sonntag vergessen!)

So lässt sich die Liste immer weiter fortführen. Dieser Senat agiert in wichtigen Bereich kurzsichtig, perspektivlos und mutlos. Für die Haushaltsberatungen, Herr Bürgermeister, und auch für den Herbst kann ich Ihnen nur empfehlen, sich den gelben Friesennerz von Frau Suding zu leihen, es wird etwas ungemütlicher. Sie werden darin nicht so gut aussehen, aber Sie können ihn gut gebrauchen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Das Wort erhält Frau Suding.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines gilt ganz gewiss am Ende der ersten 100 Tage des SPD-Senats: Sie haben sehr viel versprochen, aber wirklich angeschoben, geschweige denn umgesetzt wurde bisher eher wenig.

(Beifall bei der FDP)

Das hat einen Grund, der gerade mit dem aufkommenden Streit innerhalb der SPD über die Rekommunalisierung der Energienetze deutlich wird. Das Regieren mit einer so knappen Mehrheit ist schwierig, liebe Genossen,

(Jan Quast SPD: Ist sie jetzt auch bei uns?)

erst recht, wenn es wie in der Hamburger SPD weit auseinanderklaffende Flügel mit gegensätzlichen Positionen gibt. Was Ihnen deshalb fehlt, ist sichtbarer Elan und visionäre Gestaltungskraft, um Hamburg in eine gute Zukunft zu führen. Stattdessen verliert sich Bürgermeister Scholz samt Senatoren im Klein-Klein der Exekutive. Ein Leitbild ist für uns nicht erkennbar.

(Beifall bei der FDP)

Eine Idee, wie Hamburg in norddeutsche und nordeuropäische Strukturen eingebunden werden soll, gibt es auch nicht.