Die Antwort des Senats damals – zum Teil mit Bezug auf die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg – auf unsere Fragen zu niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten mit Migrationshintergrund, medizinischen Fachkräften in den einzelnen Hamburger Krankenhäusern und zur Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund in Gesundheitsberufen in Hamburg waren größtenteils ernüchternd – ich zitiere aus der Antwort –:
"Hierzu können laut Auskunft der KVH keine Angaben gemacht werden, da Informationen zum Migrationshintergrund für die Zulassung als Vertragsärztin und Vertragsarzt nicht relevant sind und deshalb nicht erhoben werden."
Und auch jetzt, rund ein Jahr später, lässt der Senat den Blick fürs große Ganze gänzlich vermissen. Dabei sollte Folgendes allen Beteiligten klar sein: Nur wenn vorhandene Potenziale bekannt und gezielt gefördert werden, können diese zum Wohl von Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund und im Sinne einer bilateralen interkulturellen Versorgungsstruktur ausgeschöpft werden.
Meine Damen und Herren! Die zitierten Antworten – Ihr seinerzeitiger Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, und die aktuelle Senatsdrucksache – zeigen, dass noch viel Aufklärungsarbeit notwendig ist. Daher werden wir der Überweisung an den Gesundheitsausschuss zustimmen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ein modernes Gemeinwesen kommt ohne interkulturelle Kompetenz nicht aus, das ist unstrittig und sehr einfach festzustellen. Ungleich schwerer ist es, interkulturelle Kompetenz tatsächlich in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu gewährleisten.
Daher ist es gut, dass wir im Ausschuss über interkulturelle Kompetenzen im Gesundheitssektor sprechen werden.
In der Senatsstellungnahme wird beschrieben, wie sprachliche, kulturelle, soziale oder materielle Barrieren den Zugang zum Gesundheitssystem erschweren können. Dass beispielsweise junge Frauen mit türkischem Hintergrund ein erhöhtes Suizidrisiko haben, weil sie sich häufiger als andere Menschen in hochbelastenden familiären Situationen befinden, muss eine Antwort in den psychotherapeutischen Angeboten in dieser Stadt finden. Der Senat räumt ein, dass die Versorgung an dieser Stelle nicht ausreichend ist. Aber nicht nur für türkische junge Frauen ist eine Versorgungslücke zu verzeichnen. Alle Menschen, die fremdsprachliche Psychotherapie brauchen, finden nur sehr selten ein passendes Angebot. Hier geht der Senat viel zu wenig auf die Versorgungslücke ein.
Das tatsächliche Angebot an psychotherapeutischer Behandlung mit interkultureller Kompetenz deckt bei Weitem nicht den Bedarf. Herausgreifen möchte ich das Projekt "haveno", das im Bericht lapidar als spezielles psychotherapeutisches Angebot ohne Kassenzulassung aufgeführt wird. "haveno" kämpft seit zwei Jahren damit, dass Behandlungskosten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht mehr mit der Stadt abgerechnet werden können. In den Antworten zum Thema auf meine Anfragen ist nachzulesen, wie der Senat "haveno" sich selbst überlässt und auch noch behauptet, es bestehe kein ungedeckter Versorgungsbedarf im Bereich der psychologischen Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge. Darauf, wie interkulturelle Beratungsangebote in der Drogen- und Suchthilfe oder im Bereich der Gesundheitsprävention angesichts der eingefrorenen Haushaltstitel und nicht ausgeglichenen Tarifsteigerungen in Zukunft dauerhaft gesichert werden sollen, gibt diese Senatsstellungnahme erwartungsgemäß keine Antwort.
Meine Damen und Herren! Der Bericht zeigt erneut, dass der SPD-Senat im Gesundheitsbereich kaum eigene Initiativen vorzuweisen hat und lediglich weiterführt, was Vorgängersenate angestoßen
haben. So wurde das im jetzigen Bericht so umfangreich erwähnte Projekt "Mit Migranten für Migranten" zur Ausbildung von Gesundheitslotsen unter Schwarz-Grün dauerhaft finanziert. Auch die Clearingstelle zur Verbesserung der Versorgung von Menschen ohne gültige Papiere haben wir GRÜNEN auf den Weg gebracht.
Es war eine Wahl dazwischen, und deswegen sind wir leider nicht mehr dazu gekommen, das Projekt fertigzustellen. Das ist bedauerlich, denn von der ursprünglichen Idee ist leider wenig übriggeblieben.
Das werden Sie sich auch weiterhin anhören müssen. Aus dem Notfallfonds werden nun Regelleistungen bezahlt, die eigentlich durch das Asylbewerberleistungsgesetz abgedeckt sind und abgerechnet werden müssten. Die SPD-geführte Behörde ist eben nicht bereit, unter Wahrung der Anonymität gegenüber der Ausländerbehörde Behandlungskosten zu übernehmen. Man kann sich ausrechnen, dass die 500 000 Euro nicht lange reichen werden.
Meine Damen und Herren! Eine reine Problembeschreibung und das Anknüpfen an Initiativen vorheriger Senate reichen nicht, um interkulturelle Kompetenz im Hamburger Gesundheits- und Pflegebereich wirklich voranzubringen. Der Senat muss klar benennen, wo ungedeckte Bedarfe sind und wie angesichts schrumpfender Mittel Einschnitte bei vorhandenen Angeboten vermieden werden sollen. Ich hoffe, dass die Diskussion im Gesundheitsausschuss mit einem größeren Problembewusstsein geführt wird und weniger zu einer Wohlfühldiskussion verkommt,
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz auf die Diskussion hier im Hause am 9. Februar 2012 zurückkommen; da war die Drucksache, die jetzt zu dieser Stellungnahme geführt hat, bereits auf der Tagesordnung. Ich hatte bereits damals linke wie rechte Mitglieder dieses Hauses darauf hingewiesen, dass Migranten weder besonders gefährlich noch fürchterlich schutzbedürftig sind und nicht ständig vom Staat beaufsichtigt werden müssen. Migranten leisten einen ganz hervorragenden Beitrag für diese Stadt und dieses Land, und ich
Dies gilt besonders für Ärzte und auch für nichtärztliche Mitarbeiter. Seit einiger Zeit können wir in den Medien öfter lesen, dass hier eine Gefahr bestehe – sie seien nicht so gut ausgebildet und könnten vielleicht auch nicht so gut sprechen. Das mag im Einzelfall so sein. Ich darf Ihnen aus meiner Tätigkeit als Anwalt für Mediziner sagen, dass ich mehrere Kolleginnen und Kollegen aus dem zahnärztlichen Bereich vertrete, die zum Teil im Ausland studiert haben und einen Migrationshintergrund mitbringen. Ihre Fehlerquoten sind mit Sicherheit nicht höher als die derjenigen Kollegen, die diesen Hintergrund nicht haben. Es ist angebracht, auch den Ärzten und Ärztinnen mit Migrationshintergrund Vertrauen entgegenzubringen; das tut die FDP-Fraktion.
Nun aber zur Stellungnahme des Senats. Wenn Sie die Ergebnisse genau lesen, dann sind Migranten nicht grundsätzlich öfter krank, sondern teilweise anders krank oder anders gefährdet. Wir lesen auf Seite 2, dass es für sie nahezu gleiche gesundheitliche Risiken gibt wie für Deutsche oder Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. Ausländische Staatsangehörige haben aber zum Beispiel, das ist ein Unterschied, eine sechsmal höhere TBC-Neuerkrankungsrate. Sie haben auf den ersten Blick auch ein höheres Sterblichkeitsrisiko. Wenn man jedoch, das hat der Senat richtig ausgeführt, genauer nachforscht, dann liegt das höchstwahrscheinlich daran, dass die gesunden älteren Mitbürger nach Erreichung der Pensionsund Rentengrenze zurück in ihre Heimat gehen und eine Selektion dahingehend besteht, dass diejenigen, die krank sind, eher hierbleiben. Man muss sich nicht wundern, wenn dann die Statistiken so sind, wie sie sind.
Es gibt keinen direkten Anlass, anderes zu vermuten. Es gibt wahrscheinlich auch kein höheres Sterblichkeitsrisiko.
Bei den einzuschulenden Kindern hat man festgestellt, dass die Kinder mit Migrationshintergrund weniger Übergewicht haben als die anderen Kinder. Das ist eine gute Nachricht.
Das Suizidrisiko wurde vorhin erwähnt. Es ist, anders als gerade gesagt wurde, nicht höher, sondern sogar niedriger. Eine kleine Gruppe von jungen türkischen Frauen hat ein höheres Suizidrisiko, generell aber haben Menschen mit Migrationshintergrund ein geringeres Suizidrisiko. Auch das ist eine gute Nachricht.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen. Ich hatte neulich eine Schriftliche Kleine Anfrage gestellt, weil ich Sorge um die ausländischen Kollegen bei der Behandlung von Menschen ohne Ausweispapiere hatte. Ich hatte befürchtet, dass es rechtliche Probleme für Ärzte gibt, die solche Menschen behandeln, weil sie möglicherweise im Verdacht stehen, dann eine Straftat zu begehen, nämlich Beihilfe zur Umgehung des Ausländerrechts. Die Antwort des Senats hat mich sehr gefreut, denn dieses Risiko gibt es nicht. Man kann also jedem deutschen Arzt oder Zahnarzt, jeder deutschen Ärztin oder Zahnärztin mit gutem Grund empfehlen, Menschen ohne Ausweispapiere zu behandeln, und das ist auch gut so.
Es gibt aber einen Punkt, der zu kritisieren ist. Schon in der Debatte vor einem Jahr hatte ich darauf hingewiesen, dass ein wichtiger Aspekt des deutschen Gesundheitswesens von dem Antrag der SPD und nun folgend auch der Stellungnahme des Senats völlig ausgeblendet wird, nämlich das deutsche Hausarztsystem. Es ist bekannt, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund nicht den Hausarzt aufsuchen, sondern die Notfallambulanz von Krankenhäusern, weil sie das System aus ihrer Heimat nicht kennen. Auf diese Weise wird das Rückgrat der medizinischen Versorgung, nämlich das Hausarztsystem, nicht ausreichend in Anspruch genommen. Dieses System ist Vorbild für andere Länder, das sollten wir hier erwähnen: es ist wohnortnah, persönlich, engagiert, unbürokratisch und nebenbei auch noch kostengünstig. Wir hatten damals als FDP beantragt, einen weiteren Auftrag an den Senat zu erteilen, nämlich hierüber zu berichten. Das wurde damals von der SPD leider abgelehnt. Der Fehler zeigt sich jetzt. Ein wichtiger Punkt wurde vom Senat nicht bearbeitet, und zwar weil er nicht beauftragt wurde.
Meine Damen und Herren! Wir sind deshalb auch dafür, die Stellungnahme an den Gesundheitsausschuss zu überweisen, und ich werde mir erlauben, diesen Punkt dort noch einmal zu vertiefen. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Ersuchen des Senats hat wichtige und auch richtige Er
kenntnisse hervorgebracht, und viele Probleme sind deutlich geworden. Es sind aber auch viele Fehler, die in der Vergangenheit begangen wurden, deutlich geworden, so der Umgang mit den Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern. Sie haben schwere körperliche Arbeit verrichtet, hatten seelischen Stress und einen sehr schlechten Zugang zum Gesundheitssystem.
Als Enkelkind von klassischen Gastarbeitern habe ich nicht die Auffassung, dass sich die Politik damals sehr darum gekümmert hat, ob die Menschen gesund sind oder nicht, weil man davon ausging, dass sie wieder zurückkehren werden. So habe ich auch in meinem Umfeld viele Menschen, beispielsweise meinen eigenen Opa, die vor ihrem sechzigsten Lebensjahr gestorben sind. Es stimmt nicht, dass die meisten zurückkehren. Es gibt viele, die hierbleiben, hier altern und sterben und dann erst von ihren Kindern oder Enkelkindern zurückgebracht werden. Wenn wir uns anschauen, warum dieser Zugang so schwierig ist oder war und warum er heute immer noch für viele Menschen mit Barrieren erfüllt ist, dann kann man sehen, dass es sprachliche Barrieren und Informationsdefizite gibt, aber auch sehr häufig Angst vor Diskriminierung. Es wurde gerade angesprochen, dass es bei Menschen ohne Aufenthaltstitel auch die Sorge gibt, abgeschoben zu werden. Es stimmt, Sie haben eine Stelle mit 500 000 Euro für drei Jahre ausgerüstet. 500 000 Euro sind für drei Jahre aber wirklich lächerlich und zeugen nicht von interkultureller Kompetenz.