Protocol of the Session on January 23, 2013

Das Wort bekommt Frau Sudmann.

Als ich letzte Woche das "Hamburger Abendblatt" las mit der Unter-Überschrift "SPD-Politiker: Verkehrsbehörde ignoriert Bedenken gegen neue Reichsstraße" dachte ich, dass da endlich einmal jemand aufmuckt und dass vielleicht wesentlich mehr Bürgerschaftsabgeordnete Bundestagskandidaten werden sollten. Das war mein erster Gedanke. Als ich heute die Rede von Herrn Hakverdi gehört habe, dachte ich, lieber doch nicht, es bringt nichts.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Wir können bei der Wilhelmsburger Reichsstraße feststellen, dass alle Senate, ob schwarz-grün oder rot, das Motto verfolgen: Tarnen, Täuschen, Tricksen.

(Karin Timmermann SPD: Nur DIE LINKE Gott sei Dank nicht!)

Ich fange mit dem Thema Tarnen an, Herr Duwe hat es eben auch angesprochen. Hier wird eine Straße geplant, die man nicht Autobahn nennt, die aber von den Ausmaßen her sämtlichen Eigenschaften einer Autobahn entspricht. Den Anwohnern und Anwohnerinnen vor Ort soll es aber als Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße verkauft werden.

Zum Thema Täuschen: Es wurde immer gesagt, diese Wilhelmsburger Reichsstraße könne man so überhaupt nicht mehr nutzen, sie sei nicht mehr verkehrstauglich. Auch das hat Herr Knoflacher in seinem Gutachten widerlegt.

Zum Thema Tricksen: Eben sprach Herr Hakverdi davon, dass von den alten Senaten Misstrauen geschürt worden sei, aber Sie machen dasselbe. Sie tricksen als SPD, indem Sie den Bürgern und Bürgerinnen zugestehen, ein Beratungsgremium aufzustellen und dort ganz tolle Beschlüsse fassen zu dürfen, aber die SPD macht weiter mit dem Planungsfeststellungsverfahren. Sie sind nicht darauf eingegangen, Herr Hakverdi, denn meines Wissens gibt es keine einzige Vorschrift, die besagt, dass man das Planfeststellungsverfahren jetzt hätte fortführen müssen. Sie hätten jetzt keine Planänderung machen müssen. Aber genau das hat der Senat gemacht und genau das ist heftig zu kritisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben schon viel über das Beratungsgremium gesprochen und auch über das verabschiedete Papier. Ich zitiere einmal die vier Kernaussagen:

"Erst wenn man weiß, in welcher Stadt man leben will, kann man das dazu passende Verkehrssystem planen, gestalten und projektieren. Verkehrslösungen sollen sich nicht an der Eigendynamik des Autoverkehrs orientieren. Die derzeitige Trasse B4/75 ist verkehrssicher. Die geplante Doppeltrasse weist eine nicht akzeptable Risikobewertung auf."

Das macht viermal klatsch, klatsch, klatsch, aber Sie wollen einfach so weitermachen. Das geht überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Knoflacher und auch das Beratungsgremium haben doch wirklich Weitsicht bewiesen, denn sie haben gesagt, dass man nicht einfach planen könne, ohne an die Stadtteilentwicklung zu denken, ohne ein Gesamtverkehrskonzept zu machen. Man könne auch nicht weiterplanen, ohne noch einmal auf die Geschwindigkeit zu schauen. Es gibt nämlich sehr viele Vorschläge, die unter anderem deutlich machen, dass es auch kleiner und langsamer geht. Dann kann man über eine Straßenveränderung reden. Es geht auch besser. Und wir als Links-Fraktion finden, dass es auch ehrlicher geht.

Initiieren Sie einen offenen Prozess und eine offene Beteiligung, bei der alle Fragen geklärt werden, in der die Ergebnisse des Beratungsgremiums berücksichtigt werden, in dem Sie auch abwarten, bis das Gutachten von Herrn Knoflacher wirklich abgeschlossen ist. Dann können Sie sich eventuell rühmen, dass Sie bei niemandem mehr Misstrauen entstehen lassen und dass Sie die Bürger und Bürgerinnen in Wilhelmsburg ernst nehmen. Das, was Sie jetzt machen, ist für diese ein Schlag ins Gesicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Senator Horch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin Ihnen dankbar für die Gelegenheit, das Projekt zur Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße an die Bahntrasse noch einmal als eine der wichtigsten Infrastrukturmaßnahmen in Hamburg zu würdigen.

Der Bund und Hamburg sind nach einer Machbarkeitsstudie aus dem Jahre 2008 übereingekommen, die Bündelung von Straße und Schiene vorzunehmen mit der Perspektive für eine grundlegende Verbesserung der Lärmsituation in einem besonders belasteten Stadtteil wie Wilhelmsburg. Die Verlegung der Straße ersetzt die ohnehin dringend gewordene Grundinstandsetzung der Wil

(Dr. Kurt Duwe)

helmsburger Reichsstraße. Für die Verlegung hat der Bund insgesamt 136,3 Millionen Euro veranschlagt, von denen Hamburg 10,4 Millionen Euro selbst trägt.

Das Ziel des damaligen Senats, IBA und igs bereits mit einer verlegten Wilhelmsburger Reichsstraße begegnen zu können, war von Beginn an, das müssen wir heute sagen, unrealistisch.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann gut verstehen, dass sich viele Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburger ernsthaft Gedanken über die Gestaltung ihres Stadtteils machen. Die große Mehrheit begrüßt das Vorhaben, das haben wir heute schon einige Male gehört. Die Vorteile liegen auf der Hand: ein deutlich besserer Lärmschutz für Zigtausende Menschen, eine wesentlich höhere Verkehrssicherheit und letztlich die einmalige Chance, Wilhelmsburg städtebaulich weiterzuentwickeln. Die Verlegung wird zu einem Gewinn für die gesamte Insel und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Die doppelte Zerschneidung durch Bahntrasse und Straßentrasse wird endlich aufgehoben.

(Beifall bei der SPD)

Seit der Machbarkeitsstudie 2008 sind die Planungen intensiv betrieben und umfassend vor Ort abgestimmt und weiterentwickelt worden. Allein seit der knapp zweijährigen Regierungsübernahme hat es rund 15 Diskussions- und Beratungsveranstaltungen gegeben.

Was wurde jetzt konkret für Wilhelmsburg zusätzlich erreicht? Die Liste, das darf ich sagen, kann sich sehen lassen. Der Lärmschutz, insbesondere im Bahnbereich, wurde zum Schutz der Wohnbevölkerung massiv nachgebessert. Das ursprünglich vorgesehene Tempo von 100 und 120 Stundenkilometern wurde mit dem Hinweis auf ein bebautes Gebiet auf 80 Stundenkilometer gesenkt. Die an die neue Wilhelmsburger Reichsstraße angrenzenden Autobahnabschnitte A 252 und A 253 werden künftig zu Bundesstraßen, und der gesamte Verlauf erhält die durchgehende Bezeichnung "Bundesstraße 75". Das bedeutet, den Straßencharakter als Fernstraße mit begrenzter Bedeutung für den Fernverkehr auszulegen.

(Jens Kerstan GRÜNE: Das ist gar nicht das Thema! – Glocke)

Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Sudmann?

– Ich bin so gefordert heute, später.

Die Brücke Kornweide wurde ertüchtigt, sodass der Schwerlastverkehr Wilhelmsburg im Süden umfahren wird. Hamburg hat sich zudem bereiter

klärt, den rund 1 Million Euro teuren Lärmschutz im Bereich der neuen Anschlussstelle Wilhelmsburg-Mitte auf eigene Kosten zu erstellen. Wir haben die Radwegeführungen verbessert, wir haben die intensive Begrünung der Mittelstreifen der Randbereiche mit zusätzlichen Lärmschutzanlagen übernommen. Das sind viele kleine und wichtige Maßnahmen, die die Ergebnisse des gesamten Beteiligungsprozesses sind. Die ursprünglich angestrebte Durchleitung von Verkehren der A 26 nach Norden über die Wilhelmsburger Reichsstraße wird nicht kommen, das sei hier noch einmal deutlich betont.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen, wir haben im Rahmen der Beteiligung und der Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in Wilhelmsburg schon enorm viel erreicht. Wir werden auch außerhalb der Planfeststellung für die Wilhelmsburger Reichsstraße weitere Fortschritte – das ist eben auch gefordert worden – für Wilhelmsburg, für die Anrainerbereiche Veddel und Harburg im Rahmen des Verkehrskonzepts für den Hamburger Süden erzielen. Die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße schafft die Voraussetzung für eine weitergehende Verkehrsberuhigung des angrenzenden Straßennetzes im gesamten Süden.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden die Verkehre zur neuen Anschlussstelle Wilhelmsburg-Mitte verträglich führen und dabei so wenig Fläche wie möglich in Anspruch nehmen. Wir werden auch die Bremer Straße grundsätzlich mit Verbesserungen versehen und eine Entlastung der Wohn- und Erholungsgebiete umsetzen, unter anderem auch mit einem lärmmindernden Asphalt.

(Beifall bei der SPD)

Auch für die Harburger Chaussee machen wir uns ähnlich intensive Gedanken.

(Beifall bei Metin Hakverdi SPD)

Ich begrüße es außerordentlich, dass mit dem Beratungsgremium in Wilhelmsburg ein weiteres Instrument der Beteiligung und Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in den Planungsprozess gefunden wurde. Er ist ein wichtiger Baustein – ich darf das sagen, weil wir es im Hafen ähnlich praktiziert haben – innerhalb eines Planbegleitungs- und Beteiligungsprozesses, in diesem Fall zur Verlagerung der Wilhelmsburger Reichsstraße.

Wir befinden uns – das betone ich auch noch einmal deutlich – noch mitten im Planfeststellungsverfahren. Jeder konnte seine Anregungen und Einwände vorbringen und alles ist aufgenommen worden. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, und das tun wir auch immer noch. Planänderungen sind die Folge, wie ich es eben ausgeführt habe. Wir werden erneut dazu Stellung nehmen, und diese Stellungnahmen gehen in die Bewertung ein.

(Senator Frank Horch)

Es wird vernünftig abgewogen, was machbar und was sinnvoll ist.

Auch der Beschluss der Bezirksversammlung wird bewertet, und es wird dazu eine umfassende fachliche Stellungnahme erfolgen. Vieles andere befindet sich noch in diesem laufenden Prozess. Den Planfeststellungsbeschluss gibt es schließlich noch nicht.

Lassen Sie mich allerdings an dieser Stelle noch etwas zur Straßenbreite und zur Geschwindigkeit sagen. Die Straße braucht eine ausreichende Breite. Ein kleinerer Querschnitt als 28 Meter erscheint mir aus Sicherheitsgründen nicht verantwortbar. Und die Forderung einer weiteren Reduzierung der Geschwindigkeit auf 60 Stundenkilometer sehe ich ebenfalls für den Verkehr sehr kritisch. 80 Stundenkilometer ist eine angemessene Geschwindigkeit. Sie wäre zweckmäßig und gewährleistet einen insgesamt sicheren Verkehr. Aus meiner Sicht würden Autofahrer bei 60 Stundenkilometern auf Stadtstraßen, unter anderem auch in Wilhelmsburg, ausweichen, weil dann die Wilhelmsburger Reichsstraße keinen Fahrzeitvorteil mehr beinhaltet.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Dann können Sie auch Tempo 30 machen!)

Meine Damen und Herren! Diese und andere Themen werden immer wieder im laufenden Prozess aufbereitet und sind Gegenstand einer umfassenden Stellungnahme, auch zu den Fragen des Bezirks. Es kann also gar keine Rede davon sein, dass die Forderungen der Bezirksversammlung ignoriert würden. Ob und in welchem Umfang den Forderungen entsprochen werden kann, lässt sich hier und heute, das sehen Sie mir bitte nach, noch nicht abschließend sagen. Wir nehmen aber alle vorgetragenen Punkte sehr ernst und setzen uns inhaltlich, genauso wie bei diesen vielen Veranstaltungen, sehr ernsthaft damit auseinander. Diesen Anspruch haben alle, die sich in den breiten Beteiligungsprozess eingebracht haben. Diesen Anspruch werden wir erfüllen, das garantiere ich Ihnen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Dr. Steffen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte war zum Teil erkenntnisreich, zum Teil aber auch weniger. Weniger erkenntnisreich war sie im Hinblick auf die Rede des Senators.

(Philipp-Sebastian Kühn SPD: Dann haben Sie nicht zugehört!)