Protocol of the Session on May 23, 2012

Sie sind die wahren Schützer der Verfassung. Ich bekräftige dies auch aus einer persönlichen und ganz besonderen Erfahrung heraus. Aufgrund meiner langjährigen Zusammenarbeit mit Zeitzeugen, den Überlebenden des Holocaust, spreche ich hier auch in deren Namen. Gerade diese wenigen Zeit

(Christiane Schneider)

zeugen, die heute noch regelmäßig in Hamburger Schulen sprechen, tun dies nicht nur mit Blick auf die nationalsozialistisch geprägte Geschichte, ihr Credo an die Jugend ist zukunftsorientiert. Es ist eine Aufforderung, sich mit Herz und Verstand gegen Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit einzusetzen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Lang anhaltender Beifall bei allen Fraktio- nen)

Das Wort bekommt Herr Voet van Vormizeele.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Hamburg ist bunt, Hamburg ist vielfältig, Hamburg ist offen, Hamburg ist couragiert und vor allem, Hamburg demonstriert friedlich. Das ist die Basis, auf der sich viele Menschen in dieser Stadt und mehr als 200 verschiedenste Institutionen auf einen gemeinsamen Aufruf und ein gemeinsames Programm geeinigt haben, was in Hamburg wirklich seinesgleichen sucht. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen für gesellschaftlichen Konsens in dieser Frage.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir alle stehen gemeinsam für eine Gesellschaft, die am 2. Juni aufzeigen wird und will, welche Grundwerte uns von den Nazis unterscheiden. Deswegen ist dieser Tag der Vielfalt so enorm wichtig, aber wir müssen auch viel dafür tun, damit das Signal des 2. Juni lautet: Wir begeben uns nicht auf das Niveau des braunen Mobs, wir stehen mit unserer gesellschaftlichen Streitkultur, mit unserer Art und Weise, miteinander umzugehen, dafür ein, dass wir für die menschenverachtende Ideologie der Nazis in Hamburg keinen Platz machen wollen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das heißt für uns alle aber auch, dass wir die Verpflichtung haben, dafür Sorge zu tragen, dass wir nicht Gewalt als Mittel der Politik an einem solchen Tag zulassen. Wir müssen deutlich machen, dass wir in unserer Art der Demokratie – Frau Nitruch hat eben zu Recht auf das Grundgesetz verwiesen – Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung nicht akzeptieren wollen.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der SPD und bei Carl-Edgar Jarchow FDP)

Deshalb wird sich der Erfolg dieses Tages auch daran messen lassen müssen, ob wir unseren demokratischen Grundprinzipien treu geblieben sind, oder ob wir uns von den Nazis dazu haben verleiten lassen, auf ihr Niveau herabzusinken. Ich will im Namen meiner Fraktion diesen Appell noch einmal wiederholen, den ich bewusst an alle Hamburgerinnen und Hamburger richten möchte. Zeigen

Sie am 2. Juni deutlich, dass Hamburg anders ist, zeigen Sie auch, dass wir in Hamburg keine Gewalt tolerieren, egal von welcher Seite. Gewalt hat als Mittel der Auseinandersetzung in der Demokratie nichts zu suchen. Das muss eine wichtige und klare Botschaft dieses Tages sein.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der GAL und der FDP)

Wenn wir es erreichen, von den momentan prognostizierten 4000 Polizisten möglichst wenige einsetzen zu müssen, weil viele Menschen in dieser Stadt mit ihrem bunten und vielfältigen Programm deutlich gemacht haben, wir wollen diese Art von Aufmarsch nicht, wir wollen diese Art von Nazis hier nicht, dann waren wir erfolgreich. Wenn wir dagegen feststellen müssen, dass es Straßenschlachten gab, dass wir vielfach Gewalt haben hinnehmen müssen, dann waren wir als Demokraten nicht so erfolgreich, wie wir uns das vorgestellt haben. Ich will es noch einmal deutlich sagen: Lassen Sie uns alle gemeinsam dafür sorgen, dass wir an diesem Tag keinen Platz für Gewalttäter lassen, egal von welcher Seite. Lassen Sie uns dafür gemeinsam einstehen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Das Wort bekommt Frau Möller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist tatsächlich so, dass dies das größte Bündnis gegen Nazis ist, das es bisher in der Stadt gegeben hat, zumindest nach allen Quellen, die ich durchsucht habe, das größte Bündnis gegen einen Naziaufmarsch, in dem sich sehr unterschiedliche Gruppierungen, Verbände, Vereinigungen und Einzelpersonen zusammengeschlossen haben, zwei große Bündnisse, die nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Umso befremdlicher empfinde ich die Bemerkung der Kollegin Artus, die immerhin Vizepräsidentin ist, in der ersten Runde. Ich empfinde es als deplatziert und völlig unangemessen, was Sie eben gesagt haben. Wenn wir einen Wettbewerb beginnen, wer mehr gegen rechts tut und wer der Bessere ist, dann können wir es gleich sein lassen.

(Beifall bei der GAL, der CDU und der FDP)

Das große Bündnis ist fragil, das wissen wir alle. Ich freue mich, dass die Gespräche ein gemeinsames Agieren, ein gemeinsames Auftreten ermöglicht haben. Sie sehen dies an den Plakaten in der Stadt. Viele werben mit beiden Bündnissen und ich glaube, genau dieses Signal brauchen wir auch. Je mehr Menschen wir erreichen, umso mehr Menschen werden auf der Straße sein und umso weniger Raum wird es für die Nazis geben.

(Beifall bei der GAL, der LINKEN und bei Katja Suding FDP)

(Barbara Nitruch)

Das ist entscheidend. Das sieht man daran, was sich in Dresden abgespielt hat, das sieht man aber auch am letzten "Tag der deutschen Zukunft", den die Nazis in Braunschweig versucht haben zu feiern. Auch dort hat es ein breites Bündnis gegeben. Im Ergebnis wurde immer erreicht, dass sich viele Menschen auf den öffentlichen Plätzen bewegt haben, dass sie ein Fest gefeiert haben, dass sie sich deutlich politisch positioniert haben und dass die Straße für die Nazis nicht freigegeben wurde. Das wollen wir hier auch erreichen und wir wollen es ohne Gewalt erreichen. Das muss man auch ohne Gewalt erreichen, weil man nur dann eine Chance hat, Menschen, die latent empfänglich für nationalsozialistisches Gedankengut sind, die Kritik daran zu vermitteln.

Mir machen diese einzelnen großen Aufmärsche fast weniger Sorgen als das latent vorhandene rechtsextreme Gedankengut in unserer Gesellschaft. Deshalb glaube ich, dass die politische Arbeit jetzt beginnt, aber nach dem 2. Juni noch längst nicht zu Ende ist. Wir müssen uns selbst in der politischen Arbeit, im Behördenhandeln, in den verschiedensten Strukturen der Gesellschaft immer wieder überprüfen, ob wir sensibel genug gegenüber rechtsextremem Gedankengut sind. Sind wir sensibel genug gegenüber Rassismus und Diskriminierung? Treten wir wirklich immer und an jeder Stelle dafür ein, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben?

(Beifall bei der GAL, der LINKEN und bei Katja Suding FDP)

Dazu gehört auch, dass eine unbedingte Aufklärung der Zusammenhänge, der Strukturen, der Fehler und möglicherweise auch des Wegsehens im Umgang mit der NSU und den Morden, die geschehen sind, erfolgen muss. Wir brauchen in Hamburg, und dazu haben wir im Innenausschuss genauso wie im PKA noch einiges zu tun, Aufklärung über Verstrickung, über Informationen, über strukturelle Defizite der Sicherheitsbehörden bundesweit; das ist eine sehr konkrete Aufgabe. Eine viel schwierigere Aufgabe ist, die Bürgerinnen und Bürger dieser Gesellschaft, aber vor allem die in Hamburg, davon zu überzeugen, dass es keine Zukunft für Rassismus geben darf und dass wir alle dafür eintreten müssen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Ich lege die Geschäftsordnung jetzt einmal etwas kreativ aus. Ich denke, es macht mehr Sinn, Frau Suding das Wort zu erteilen und danach den Senat aufzurufen.

Frau Suding, Sie bekommen das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt 80 Jahre her, da

zogen nach der Bürgerschaftswahl im April 1932 51 Nazis als stärkste Fraktion in dieses Parlament ein, und es ist auch 80 Jahre her, dass über 233 000 Hamburger die Braunen in dieses Hohe Haus gewählt haben. Im selben Jahr haben bei der Reichstagswahl sogar über 250 000 Hamburger für die NSDAP gestimmt, das sind mehr als 33 Prozent. Das ist ein langes Menschenleben her, doch diese Schande werden wir sicherlich nie vergessen. So etwas darf sich nie wieder wiederholen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Und weil die Demokraten in Hamburg und in Deutschland sich das geschworen haben, sind wir uns auch einig in dem Motto: Wehret den Anfängen. Deshalb hat sich auch die FDP-Fraktion dem breiten Bündnis angeschlossen, das am 2. Juni auf dem Rathausmarkt ganz klar signalisiert: "Hamburg bekennt Farbe – Für Demokratie, Toleranz und Vielfalt!" und gegen den Aufmarsch der Ewiggestrigen und der Neonazis unserer Tage.

Meine Damen und Herren! Heute stehen zwar in der Tat keine neuen braunen Horden vor einem Einzug in Bürgerschaft oder Bundestag, aber dennoch halten wir es für wichtig und richtig, die Straße als öffentlichen Raum in unserer schönen Stadt nicht den Predigern von Intoleranz und Rassenhass, von Ausgrenzung und Antisemitismus zu überlassen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Deshalb rufen wir gemeinsam alle Hamburgerinnen und Hamburger auf, am 2. Juni auf den Rathausmarkt zu kommen und gemeinsam ein Zeichen zu setzen, und ich wünsche mir sehnlich, dass das friedlich abläuft. Da möchte ich mich dem Dank von Frau Nitruch anschließen und ihn erweitern auf die vielen Polizistinnen und Polizisten, die im Einsatz sein werden und dafür sorgen, dass das Ganze hoffentlich friedlich abläuft und sicherlich einen sehr, sehr schweren Job zu machen haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Unsere Haltung hat uns als Fraktion dazu veranlasst, einen Zusatzantrag einzubringen, mit dem wir sozusagen den Blick über den Tellerrand richten wollen. Wir möchten im Innenausschuss auch mit Vertretern des Verfassungsschutzes aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein sprechen, um mehr über die Neonaziaktivitäten in unseren Nachbarländern zu erfahren, die sich offenbar auch und gerade auf Hamburg richten. Und wir möchten vom Senat regelmäßig über die Zusammenarbeit des Hamburger Verfassungsschutzes mit dem Verfassungsschutz in Kiel und Hannover in Sachen Neonaziszene informiert werden, um unsere gemeinsame Aufmerksamkeit auf diese gefährliche norddeutsche Szene zu richten. Für Ihre Zustimmung möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich werben.

(Antje Möller)

Meine Damen und Herren! Mit diesem Blick über die Grenzen Hamburgs hinaus ist es allerdings nicht getan. Wir müssen unsere Bereitschaft zur Verteidigung der Demokratie nach allen Seiten hin deutlich machen, und das heißt für die FDP-Fraktion auch die intensive Beobachtung und angemessene Bekämpfung des Linksradikalismus, der nach dem neusten Verfassungsschutzbericht hier in Hamburg noch deutlich mehr gewaltbereite Unterstützer hat als der Rechtsextremismus. Auf diesem linken Auge darf man nicht blind werden, bloß weil man die Neonazis rechts im Auge behalten will.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Der neueste Verfassungsschutzbericht belegt auch, dass gewaltbereite Extremisten mit islamistischem oder nationalistischem Hintergrund aus aller Herren Länder eine zunehmende Bedrohung sind. Das darf keinesfalls Anlass sein für Ablehnung oder Misstrauen, wohl aber für Wachsamkeit auch in diesem Bereich.

Johannes Büll, langjähriger Reichstagsabgeordneter der liberalen deutschen Demokraten in den Zwanzigerjahren und Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, hat als erster Alterspräsident des Bundesrats bei der konstituierenden Sitzung Friedrich Schiller zitiert:

"Das vollkommenste Kunstwerk ist der Bau der politischen Freiheit."

Das mag heute etwas pathetisch klingen, aber es bleibt eine wahre und kluge Erkenntnis, die älter ist als die braunen Horden. Deswegen lassen Sie uns am 2. Juni in diesem Sinne Farbe bekennen für das Kunstwerk der Demokratie in Hamburg.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Senator Scheele.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am 2. Juni wollen Rechtsextreme ihre in diesem Jahr bundesweit größte Veranstaltung in Hamburg abhalten. Diese Veranstaltung bedroht unser Verständnis von Demokratie, Toleranz, Respekt und Vielfalt. Gelingt es den Rechtsextremen an diesem Tag, das Bild von Hamburg ihrer Ideologie entsprechend zu prägen, so hat diese Stadt weit mehr verloren als einen Tag. Es freut mich sehr, dass es uns gemeinsam gelungen ist, in kurzer Zeit ein Bündnis gegen den Aufmarsch am 2. Juni zu schmieden. Hier ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass es das in dieser Form noch nicht gegeben hat, und ich will als einer der Organisatoren neben Frau Veit sagen: Das war ganz einfach. Das hat mich sehr gefreut, denn manchmal lädt man viele Menschen ein und es gibt ein großes Gerangel um Reden und Plätze und so weiter; das hat es alles nicht gege

ben. Wir haben uns getroffen, wir haben uns verständigt und uns geeinigt, dass das gemeinsame Verständnis gegen Nazis nicht dazu dienen soll, sich zu profilieren, sondern dazu, auf die Straße zu gehen und Hamburg von dem braunen Zeug freizuhalten.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Der Aufruf "Hamburg bekennt Farbe" wird als Erstunterzeichner getragen von den gesellschaftlichen Institutionen und Parteien, die das politische, soziale, wirtschaftliche und religiöse Leben in dieser Stadt gestalten und prägen. Hierzu gehören Bürgerschaft und Senat, Handels- und Handwerkskammer, der Hamburger Sportbund, Gewerkschaften, Kirchen, Religionsgemeinschaften, Migrantenorganisationen und weitere zivilgesellschaftliche Vereine. Damit senden wir schon vor dem 2. Juni ein wichtiges Signal an die Rechtsextremisten, aber auch an die von ihnen Bedrohten und Verfolgten. Dazu zählen neben den Menschen mit Migrationshintergrund auch Behinderte, Homosexuelle, Obdachlose oder eben einfach nur Andersdenkende. Dies zu betonen, ist mir als Senator für Arbeit, Soziales, Familie und Integration besonders wichtig. Dieses Signal wird von vielen Stimmen verstärkt. Neben den Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichnern unterstützen bereits weit über 100 Organisationen und Einzelpersonen den Aufruf von Senat, Bürgerschaft und Zivilgesellschaft. Wir setzen gemeinsam ein sichtbares Zeichen für gelebte Demokratie, für ein respektvolles Miteinander und für eine weltoffene, tolerante Stadt. Spätestens wenn am 2. Juni um 12 Uhr Tausende Bürgerinnen und Bürger im wahrsten Sinne des Wortes Farbe bekennen und farbige Postkarten als Symbol für unsere Aktion in die Höhe halten und damit zeigen, wie wichtig ihnen Hamburgs gesellschaftliche Vielfalt ist, spätestens dann soll den Rechtsextremisten die Lust auf eine Wiederholung in unserer Stadt vergangen sein.