Protocol of the Session on February 29, 2012

Das Wort bekommt Herr Dr. Schäfer.

Sie können das, Herr de Vries, noch so oft wiederholen, es wird nicht richtiger.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus und Mehmet Yildiz, beide DIE LINKE)

Es ist selbstverständlich zutreffend, dass man aufgrund dieser Ergebnisse darüber nachdenken muss, wie das vorhandene System verbessert werden kann, um solche Ergebnisse zu vermeiden.

(Dirk Kienscherf SPD: Richtig! – Jörg Ha- mann CDU: Handeln!)

Deswegen, Herr Hamann, handeln wir. Die Frau Senatorin hat dargestellt, was passiert. Das ist zielführend,

(Christoph de Vries)

(Dietrich Wersich CDU: Herr Scheele sagt was anderes! Herr Scheele schickt die Pfle- geeltern zum Amtsarzt!)

was Sie wollen, ist behindernd. Deswegen ist nach wie vor abzulehnen, dass flächendeckend Haarproben entnommen werden. Richtig ist, dass der Informationsfluss von Drogenhilfe, Jugendhilfe, substituierenden Ärztinnen und Ärzten verbessert werden muss, damit man noch besser erkennen kann, wo Probleme sein könnten. Dort muss dann selbstverständlich gehandelt werden, aber es kann nicht angehen, dass wir Menschen, die Hilfe brauchen, aus dem Hilfesystem herausdrängen, oder Maßnahmen ergreifen, die dazu führen – ich will ganz vorsichtig sein –, dass viele dem Hilfesystem fernbleiben. Wir werden Ihrem dritten Punkt übrigens, Herr Schinnenburg, so wie Sie auch, zustimmen. Es ist richtig, das System der Take-home-Dosen zu überprüfen. Es wurde von Frau Senatorin angeführt, dass das schon geschieht.

(Dietrich Wersich CDU: Was spricht gegen Punkt 1? – Gegenruf von Sylvia Wowretzko SPD: Alles!)

Das geht selbstverständlich auch weiter. Aber eine flächendeckende Untersuchung aller Kinder aus solchen Familien wäre kontraproduktiv, würde mehr schaden als helfen. Deswegen machen wir das nicht mit, aber alles andere, was zielführend ist, geschieht.

(Beifall bei der SPD – Dr. Andreas Dressel SPD: Der Ziffer 3 stimmen wir zu!)

Das Wort bekommt Dr. Schinnenburg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr de Vries, ich habe in meinem ersten Beitrag bewusst darauf verzichtet, ethisch zu bewerten, dass der Fall Chantal von Ihnen verwendet wird, um ein eigentlich schon erledigtes Thema wieder aufzuwärmen. Ich werde es auch jetzt nicht tun, aber für die Äußerungen, die Sie über meine Person und auch sonst gemacht haben, gilt der Grundsatz, wem die Argumente fehlen, der fällt eben in Polemik. Das ist diesem Thema nicht angemessen, das sollten Sie bitte lassen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich möchte unter einem besonderen Aspekt auf die Punkte 1 und 2 ihres Antrags eingehen. Sie wollen ein Verfahren zur Meldung aller Kinder von Substitutionspatienten an das jeweils zuständige Jugendamt. Wir haben viele Argumente gehört, warum das sachlich falsch ist.

(Dietrich Wersich CDU: Nein, da haben wir nichts zu gehört!)

Jetzt kommt noch ein Argument hinzu. Schätzen Sie endlich einmal die Bedeutung ärztlicher Schweigepflicht höher, übrigens genauso wie anwaltliche Schweigepflicht und die aller Berufsgeheimnisträger. Das wird immer wieder gerade von der Union – nicht nur, manchmal auch von linken Vertretern – völlig zu Unrecht angegriffen. Ärztliche Schweigepflicht, anwaltliche Schweigepflicht und andere Berufsgeheimnisse sind ein sehr hohes Gut. Nur im Ausnahmefall darf davon abgewichen werden.

Als nächstes fordern Sie doch, jede Art von Erkrankung, die irgendwie aus dem Raster fällt, die scheinbar nach Ihrer Vorstellung gefährlich ist, zu melden. Es ist von sehr hohem Wert, dass Menschen, die krank sind, und Drogenabhängige sind krank, einen Arzt haben, dem sie vertrauen können, wo sie wissen, dass das, was ich dem erzähle, kein anderer erfährt, auch nicht das Jugendamt. Das muss der Regelfall sein, es kann natürlich im Einzelfall Ausnahmen geben.

(Beifall bei der FDP)

Dieser ständige Versuch der Aushöhlung der Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern ist ein sehr gefährlicher Weg, unabhängig von der Frage, was hier passiert. Auch aus diesem Grund sind wir gegen Ihren Punkt Nummer 1.

Zur verpflichtenden Erstkontrolle durch Amtsärzte wurde ein Argument noch nicht erwähnt. Es wird Hunderttausende von Euro kosten – das wurde in der Anhörung ausdrücklich gesagt –, und das ist weitestgehend sinnlos.

Gefordert sind nicht immer neue Screening-Tests und Meldungen, sondern gefordert ist sorgfältige Arbeit der betreffenden Aufsichtspersonen, seien sie privat, seien sie behördlich. Da lag der Fehler und nicht im fehlenden Screening-Test. Es gibt einen Reflex in der Union – in Hamburg und auf Bundesebene, in einem südlichen Land ist es noch ein bisschen stärker ausgeprägt –, Gefahren zu wittern und Bürgerrechte sinnlos einzuschränken. Hier kommt hinzu, dass das auch sachlich überhaupt nichts bringt.

Meine Damen und Herren! Sehen Sie ein, dass Ihre Meinung auf dem Abstellgleis gelandet ist. Die anderen Fraktionen werden Punkt 3 Ihres Petitums sicherlich zustimmen, das ist sinnvoll. Die Punkte 1 und 2 sind verkehrt, und zwar aus vielen Gründen. Tasten Sie die ärztliche Schweigepflicht nicht unnötig an; da fühle ich mich auch persönlich betroffen. Seien Sie dankbar, dass Ihr Arzt Ihre Probleme nicht ausplaudern muss. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Herr Yildiz.

(Dr. Martin Schäfer)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr de Vries, es ist traurig, dass Sie für Ihre Politik einen Fall missbrauchen, der mit den Forderungen, die Sie stellen, überhaupt nichts zu tun hat. In den letzten Jahren sind mehr Kinder durch herumliegende Medikamente gestorben als durch Drogen.

(Jörg Hamann CDU: Nee, nee!)

Bundesweit sind es 17 Fälle; 180 Kinder wurden deshalb ins Krankenhaus eingewiesen. Was wollen Sie denn mit deren Eltern machen? Es dient der Sache nicht, dass Sie den Fall Chantal für Ihre Politik missbrauchen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Darüber, dass Sie die Jugendhilfe in den letzten zehn Jahren kaputtgespart haben, dass Familien Unterstützung brauchen und diese immer weniger wird, reden Sie nicht.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das ist doch Quatsch!)

Auch auf Bundesebene reden Sie nicht über die Lebenslage der Menschen, wenn Sie darüber entscheiden, ob ein Hartz-IV-Empfänger fünf oder zehn Euro mehr bekommen soll. Die Senatorin hat darauf hingewiesen, dass diese Lebenslagen wichtig sind. Schauen Sie sich die Stadtteile an, in denen die Kindeswohlgefährdungen stattgefunden haben: Die Lebenslage der Menschen dort wird immer schwieriger, die Armut steigt tagtäglich. In Wilhelmsburg ist fast jedes zweite Kind von Armut betroffen. Da müssten Sie etwas tun, anstatt immer mehr Kontrollen zu fordern. Das dient der Sache nicht und es ist eine Schande für einen Jugendpolitiker, hier so aufzutreten und dieses Thema zu missbrauchen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Stemmann.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Schinnenburg, wenn Sie auf die ärztliche Schweigepflicht abstellen, dann hören Sie sich doch einmal die Diskussionen in den eigenen Reihen an. In Duisburg zum Beispiel diskutieren die Kinderärzte um des Kindeswohls willen über eine Aufhebung oder Begrenzung der ärztlichen Schweigepflicht. Das sollten wir mit bedenken.

Herr Yildiz, schauen Sie in den Haushaltsverlauf, wie die Hilfen zur Erziehung gestiegen sind, dann werden Sie nicht mehr solchen Unsinn erzählen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Sie werden es nicht glauben, wir haben keine weiteren Wortmeldungen. Deshalb kommen wir zur Abstimmung.

Zunächst zum Antrag der CDU-Fraktion aus der Drucksache 20/3393. Die FDP-Fraktion hat hierzu eine ziffernweise Abstimmung beantragt.

Wer die Ziffern 1 und 2 des CDU-Antrags annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Wer der Ziffer 3 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit großer Mehrheit angenommen.

Wer Ziffer 4 annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit großer Mehrheit abgelehnt.

(Zurufe aus dem Plenum)

Jetzt habe ich mich einmal auf den Rat einer Parlamentarischen Geschäftsführerin verlassen. Das ist angenommen worden, in der Tat.

(Zurufe aus dem Plenum)

Ich bin von zwei Seiten beraten worden, die einen haben gesagt, es sei angenommen worden, die anderen haben gesagt, es sei abgelehnt worden. Ich war erstaunt über die mangelnde Beteilung und deshalb auch etwas fassungslos. Ich wollte uns eigentlich allen ersparen, eine Abstimmung zweimal zu machen.

(Zurufe aus dem Plenum)

Ich wiederhole noch einmal, was ich eben schon gesagt habe: Es gibt zwei Aussagen, die sich widersprechen. Die eine Seite des Hauses sagt, es ist abgelehnt worden, und die andere Seite sagt, es ist angenommen worden.