Protocol of the Session on December 15, 2011

(Beifall bei der LINKEN und der GAL)

Aber es ist vielleicht sogar noch ein bisschen schlimmer. In ihren Jahresberichten für das Jahr 2000 weisen sowohl das Bundesamt als auch das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz auf die Gefahr rechtsterroristischer Strukturen hin. Nach 2000 ist kein Wort mehr davon zu lesen. Und für 2010 hält das Bundesamt ausdrücklich fest – ich zitiere –:

"Auch 2010 waren in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar."

(Glocke)

Verzeihen Sie, Frau Schneider. Meine Damen und Herren! Der Lärmpegel wird immer höher, vielleicht können Sie sich noch einmal bemühen, sich zu konzentrieren. – Frau Schneider, fahren Sie fort.

Dazu muss man allerdings wissen, dass die Bundesanwaltschaft seit 2001 gegen Neonazigruppierungen 13 Verfahren wegen Bildung einer terroristischen und ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung geführt hat. Allein diese Tatsache spricht Bände über die Bestrebungen der Szene, immer wieder terroristische Strukturen herauszubilden. Trotz des Verbots im Jahr 2000 konnte zum Beispiel Blood and Honour, ein Netzwerk neonazistischer, gewalttätiger Skinheads, Teile seiner Strukturen aufrechterhalten. So verübte von 2001 bis 2003 die gewalttätige Neonazigruppe "Combat 18 Pinneberg" – das kann man lesen wie Kampfgruppe Adolf Hitler Pinneberg – Straftaten im Raum Pinneberg/Hamburg. Diese Gruppe war eng mit den zentralen Figuren einer Hamburger Kameradschaft, nämlich dem 2000 verbotenen "Hamburger Sturm" vernetzt. Das sind Leute, die bis heute mehr oder weniger unbehelligt ihr Unwesen treiben.

Ich erwähne solche Einzelheiten nur, weil sie exemplarisch zeigen, dass es ausgeprägte neonazistische Strukturen gab, die miteinander auch bundesweit vernetzt waren, die nicht nur gewaltbereit waren, nicht nur gedroht haben, zum Beispiel sogenannte Anti-Antifa-Listen veröffentlicht haben, sondern die Gewalt ausübten, auch terroristische Gewalt.

Es gab nicht nur Beziehungen zwischen Hamburger Neonazis und dem Thüringer Heimatschutz, es gab auch Beziehungen zwischen denselben Hamburger Neonazis – damals um Christian Worch – und den Neonazis, die 2003 in München den Sprengstoffanschlag auf die Synagoge planten. Ich erwähne das also, weil die Unterstützerstruktur für die Terroristen, die zwischen 2000 und 2007 mindestens zehn Menschen ermordeten und weitere

Sprengstoffanschläge verübten, nicht aus dem Nichts kommt. Diese Unterstützerstruktur wird, wenn man dem Journalisten Leyendecker folgt, inzwischen auf 50-60 Personen geschätzt. Das sind Leute, die vielleicht den Tatort ausgekundschaftet haben, logistische Unterstützung geleistet haben oder zumindest von den Morden und Tätern wussten und die Morde guthießen, die also das Rückgrat der Mörder bildeten und die gemeinsamen Ziele sozusagen legal in die Öffentlichkeit trugen.

Meine Damen und Herren! Im letzten Wahlkampf im Januar dieses Jahres veranstaltete die NPD mit einem Versammlungsleiter, der seit vielen Jahren einer der bundesweit zentralen Figuren der militanten Neonazi-Szene und mehrfach vorbestraft ist, nämlich mit Thomas Wulff, eine Kundgebung unter der Parole – ich zitiere, Sie entschuldigen, dass ich das zitiere –:

"Mit kriminellen Ausländern kurzen Prozess machen"

Wir haben damals ein Verbot dieses Nazi-Aufmarsches gefordert mit der Begründung, dass die NPD damit zu Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Migrantinnen aufruft. Der Senat hat uns damals wörtlich geantwortet, dass diese Parole – mit kriminellen Ausländern kurzen Prozess machen – weder ausdrücklich noch sinngemäß Dritte auffordere, gegen ausländische Mitbürger in strafrechtlich relevanter Weise vorzugehen. Vor dem Hintergrund dessen, was wir heute alle wissen, ist dieser Slogan als Unterstützung von und als Aufforderung zu Gewalt gegen Migrantinnen und Migranten kaum noch misszuverstehen. Wir hoffen sehr, dass wir uns alle darauf verständigen können, dass eine Zäsur im Umgang mit der extremen Rechten und dem Neonazismus erfolgen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Verharmlosung muss Schluss sein. Die Szene meint blutig ernst, was sie sagt, und sie findet immer welche, die tun, was sie sagen. Und weil mit der Verharmlosung Schluss gemacht werden muss, ist die rückhaltlose Aufklärung in aller Öffentlichkeit unverzichtbar – bundesweit, in Thüringen und Sachsen sowieso, aber auch in Hamburg.

Meine Damen und Herren! Für den 2. Juni 2012 bereitet die norddeutsche Neonazi-Szene einen großen Aufmarsch unter der Losung – ich zitiere –:

"Tag der deutschen Zukunft"

vor. Auf der Webseite der Veranstalter wird geworben – ich zitiere –:

"Kampagne gegen Überfremdung: Keine Gelegenheit darf ungenutzt bleiben".

Wir fordern die Bürgerschaft auf, die von zivilgesellschaftlichen Initiativen getragene Gegenmobili

sierung, die bereits angelaufen ist, zu unterstützen. Der Neonazi-Aufmarsch darf nicht stattfinden. Die Ziele und Botschaften dieses Marsches müssen geächtet werden. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der GAL und bei Ali Simsek SPD)

Das Wort hat nun Herr Münster.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe keine Redezeit, daher schnell die Kurzfassung.

Frau Schneider, wir sind inhaltlich in vielen Punkten einig, auch Ihre Schlussfolgerungen akzeptieren wir voll, und wir werden das logischerweise auch im Innenausschuss in der Tiefe debattieren. Einige Ausführungen, insbesondere gegenüber dem Verfassungsschutz, finden wir nicht so toll, da müssen wir noch ein bisschen dran arbeiten, da sind Sie fehlinformiert.

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Ansonsten geht das in die richtige Richtung. Wir müssen Flagge gegen das braune Gesocks zeigen, auch in der Bürgerschaft. Die Signale, die Sie gesendet haben, sind natürlich die richtigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Die Farbkombination mit dem Kleidungsstück, Herr Münster, wollen wir nächstes Mal vielleicht weglassen. – Herr Voet van Vormizeele, bitte.

– Ich hoffe, Frau Präsidentin, dass ich keine Kleidungsvorschriften verletze. Den letzten Satz an den Kollegen Münster habe ich nicht ganz verstanden.

Ich habe den Vorteil, dass meine Redezeit ein wenig länger ist, möchte sie aber nicht komplett nutzen. Ich will es aber deutlicher machen als der Kollege Münster, was die Formulierungen von Frau Schneider betrifft.

Wir haben in den letzten Wochen mehr als einmal Anlass gehabt, unsere eigenen Strukturen kritisch zu hinterfragen. Wir haben neue Erkenntnislagen, deren genaue Erforschung in den nächsten Wochen und Monaten viel Zeit erfordern wird. Wenn wir die Ergebnisse dieser Erforschung haben, sei es vom Generalbundesanwalt oder von anderen Gremien – ich kann mir vorstellen, dass sich die Kollegen in Thüringen bald zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss durchringen –, wenn das alles geschehen ist, dann werden wir am Ende hoffentlich möglichst gemeinsam, präzise

und genau herausarbeiten, was wir in Hamburg ändern müssen.

Es ist immer wieder bemerkenswert, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt – Frau Schneider hat Zeitungen und einzelne Ermittlungsbeamte zitiert, die sich in Zeitungen geäußert haben – die Ergebnisse schon zu wissen scheinen und aus diesen bereits Schlussfolgerungen gezogen werden. Ich finde es außerdem gegenüber den Opfern dieser grauenhaften Taten respektlos, wenn wir sie für vorschnelle Schlüsse benutzen und für andere politische Forderungen, die wir durchsetzen wollen, missbrauchen. Das finde ich falsch und dafür geben wir uns nicht her.

(Beifall bei der CDU und bei Ekkehard Wy- socki SPD und Carl-Edgar Jarchow FDP)

Einen Satz von Frau Schneider habe ich mir aufgeschrieben, weil ich ihn unglaublich finde. Man kann kritisieren, dass die einzelnen Sicherheitsorgane vielleicht unfähig gewesen sind. Darüber kann man sich streiten, aber das kann man kritisieren. Was man aber nicht machen darf – das haben Sie eben wörtlich gesagt –: Man hat es nicht wissen wollen. Das ist ein Originalzitat von Frau Schneider.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Zu Recht!)

Sie unterstellen den Sicherheitsorganen dieses Landes bewusstes Handeln, und Sie haben nicht den geringsten Beweis dafür genannt. Ein solcher Anfangsverdacht ist eine unglaubliche Ungeheuerlichkeit.

(Beifall bei der CDU und bei Ekkehard Wy- socki SPD und Carl-Edgar Jarchow FDP)

Wenn wir am Ende einer solchen Ermittlung – und da ist zunächst der Generalbundesanwalt gefragt – feststellen, dass Fehler gemacht worden sind, egal auf welcher Ebene, sei es der Bund, sei es Hamburg, dann haben wir zu handeln. Das ist unsere Pflicht als Politiker und Verantwortliche in diesem Lande. Aber wir haben genauso die Pflicht, nicht voreilig dazu zu neigen, Vorverurteilungen vorzunehmen. Wir sollten uns gerade um der Sache willen gemeinsam bemühen, Aufklärung zu leisten und Menschen nicht aus eigenen Forderungen heraus an den Pranger zu stellen.

(Beifall bei der CDU)

Ein letzter kurzer Hinweis. Es besteht der Wunsch, diesen Antrag an den Innenausschuss zu überweisen. Der Innenausschuss hat sich am 2. Dezember, vor knapp 13 Tagen, gute zweieinhalb Stunden mit diesem Thema beschäftigt. Es waren diverse Auskunftspersonen da. Auch Frau Schneider hat intensiv nachgefragt, und Frau Schneider hat am Ende nicht gesagt, dass sie die Selbstbefassung, die vorher gemeinsam beschlossen worden ist, als nicht beendet angesehen hat, sondern sie hat sie beendet. Ich frage mich, was dieser Antrag, der genau dasselbe beinhaltet, was wir dort be

(Christiane Schneider)

sprochen haben, jetzt Neues bringen soll. Nichtsdestotrotz werden wir ihn gerne überweisen. Aber ganz ehrlich, Frau Schneider, wir haben uns mit dem Thema intensiv beschäftigt und werden es auch in den nächsten Wochen und Monaten immer wieder tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat nun Frau Möller.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass dieser Antrag an den Innenausschuss überwiesen wird, obwohl ich auch bei dieser Debatte wieder unsicher bin, ob wir immer über die gleiche Sache reden.

Herr Voet van Vormizeele, Sie haben gesagt, wir müssen die Sache klären. Es reicht bei Weitem nicht aus, die Punkte 1 bis 8, die Frau Schneider in ihrem Antrag aufgeschrieben hat, zu klären, weil wir dann in unserer Gesellschaft noch nicht wirklich weiter in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus sind, den es mitten unter uns gibt. Vielleicht wollen Sie an der Stelle auch gar nicht aufhören, das will ich Ihnen nicht unterstellen. Wenn man irgendwann sagt, dass wir die Hintergründe jetzt haben klären können und uns besser vergegenwärtigen können, warum mit so viel Blindheit von verschiedenen Sicherheitsbehörden auf die rechte Szene geschaut worden ist, warum man nicht gesehen hat, was sich dort entwickelt hat, dann sehe ich die Gefahr als relativ groß an, dass wir danach zur Tagesordnung übergehen und unsere Gesellschaft kein bisschen verändert ist. Und da beginnt unsere Aufgabe, dann erneut nicht nur hier, sondern auch mit der Stadt in die Diskussion einzutreten, wo Rechtsextremismus anfängt und wo man vorbeugen muss. Da wären wir wieder bei den Präventionsprogrammen, die wir gerade arg geschrumpft sehen seit es den SPD-Senat gibt. Wo fängt es an, zu einer wirklichen Bedrohung für Teile der Hamburgerinnen und Hamburger zu werden. Die Arbeit fängt erst an, wenn all diese Fragen geklärt sind.

(Beifall bei der GAL)

Ich würde mich freuen, wenn sich die SPD auf Bundesebene, vielleicht könnte von Hamburg ein Impuls kommen, doch noch entscheiden könnte, einem PUA zuzustimmen; das könnte auch die CDU machen. Dann hätten wir ein Gremium, das Zeugen befragen kann. Wir kennen das Spiel. Man kann sich dann noch viel tiefer in den Komplex der Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bundesebene hineinknien, wie das weder in Hamburg noch in Thüringen möglich ist.