Protocol of the Session on November 24, 2010

In einem Punkt gebe ich Ihnen aber recht, Herr Grund: Wenn man Zahlen hat, dann braucht man diese doch nicht nur, um seine Meinung zu bestätigen, sondern um zu schauen, wo man besser werden muss. Und in einem Punkt ist Hamburg schlecht; da ist Hamburg so schlecht wie kein anderes Bundesland, da haben Sie recht.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Das stimmt!)

Das ist die Prüfung von privaten Vermögen und von Millionären. Da finden in Hamburg prozentual am wenigsten Prüfungen statt. Wenn Sie jetzt in den Haushaltsplan dieses Senats schauen, dann werden Sie feststellen, dass genau in dem Bereich die Stellen um 10 Prozent aufgestockt werden. Sie kommen dann immer mit dem Argument der sechs Stellen – das mögen nicht viele sein, aber wenn man weiß, dass in dem Bereich knapp 70 Leute arbeiten, dann sind das 10 Prozent –, aber wenn Sie

sich im bundesweiten Vergleich unsere Studie anschauen, dann werden Sie feststellen, dass Hamburg im Moment das einzige Bundesland ist, das überhaupt in dem Bereich seine Beamten aufstockt. Das war schon im letzten Haushaltsplan zu sehen, dass so etwas wie unsere zwei Jahrgänge mit insgesamt 48 Anwärtern eine Sache ist, die in anderen Bundesländern nicht stattfindet. Gerade in dem Bereich, wo am meisten zu holen ist, weil zu wenig geprüft wird, sollen die sechs zusätzlichen Mitarbeiter 10 Millionen Euro mehr Steuereinnahmen erzielen. Insofern sind wir in der Analyse gar nicht weit auseinander, aber Sie reden nur darüber. Dieser Senat handelt und das ist auch gut und richtig so.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Da, wo wir Handlungskompetenzen haben, handeln wir. Fensteranträge werden wir hier nicht beschließen, sondern eine vernünftige Initiative starten, der sich vielleicht auch andere anschließen; so viel zur Einnahmeseite. Und über die Ausgaben werden wir in den nächsten Wochen und Monaten in den Ausschüssen gerne noch streiten können, aber das ist in weiten Teilen ein ausgewogenes Programm. Wenn man 510 Millionen Euro einsparen muss, und das müssen wir nun einmal, dann gibt es auch Belastungen und darüber wird auch die beste und wohlmeinendste Analyse der Opposition nicht hinwegtäuschen können. – Vielen Dank.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL und der CDU)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Dr. Bischoff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kerstan, es geht nicht um symbolische Operationen, das ist nicht der Punkt. Sie werden uns immer an Ihrer Seite haben, dass wir keine folgenlosen Debatten haben wollen über bestimmte Sachen. Aber den Ernst der Lage, da folge ich Herrn Frigge durchaus, können Sie heute in der Bilanz ablesen. Unsere Fraktion interessiert es immer relativ wenig, wenn Sie bis in die Neunzigerjahre ausholen. Herr Heintze hat das jetzt auch wieder gemacht und ich verstehe, dass das für Sie dazugehört. Aber das ist jetzt nicht der Maßstab, sondern der Maßstab ist schlicht, dass der Jahresfehlbetrag in der Konzernbilanz bei aller Relativierung, die wir sehen müssen, 1,7 Milliarden Euro umfasst. Das Konzernbilanzergebnis der Stadt weist ein Minus von fast 3,4 Milliarden Euro auf. Herr Tschentscher hat schon gesagt, dass das Eigenkapital dieser Stadt komplett aufgebraucht und mit 131 Millionen Euro belastet ist. Das wollte Herr Frigge vielleicht noch einmal klarmachen, was denn jetzt mit

(Jens Kerstan)

dem Doppelhaushalt passiert. Wenn die Sachen so laufen, wie wir das jetzt haben – Sie wollen offensichtlich diese Periode zu Ende bringen, so grausam das auch ist –,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ja, genau!)

dann wette ich mit Ihnen, dass wir im Wahlkampf darüber streiten werden, dass diese Negativentwicklung sich noch einmal gewaltig gesteigert hat. Das heißt, wenn es eine Steigerung gibt in dem Zustand, dass eine Metropole pleite ist, dann wird sie 2012 noch mehr pleite sein. Jetzt ist die Frage, wie wir aus dieser Situation herauskommen.

Herr Frigge, gestatten Sie mir vier Anmerkungen zu Ihrem Beitrag vorhin. Ich schätze es sehr, dass man jetzt anders als in der Phase der kreativen Buchführung, die vorher existierte, auch inhaltlich streitig diskutieren kann.

Vier Anmerkungen dazu: Kommen wir aus diesem desaströsen Trend, dass die ganze Stadt pleite ist, heraus, indem wir kürzen, also ein Konsolidierungs- und Kürzungsprogramm auflegen? Sie haben beide gesagt, wir sollten das doch nicht so ernst nehmen, das sei alles ausgewogen und das seien keine tiefen sozialen Einschnitte. Das Maß sozialer Gerechtigkeit ist immer unterschiedlich, aber bei einem Punkt sollten sich alle Fraktionen einig sein. Was an Kürzungen im Doppelhaushalt festgelegt wurde, das sind für große Teile der Bevölkerung tiefe Einschnitte und das wird so empfunden. Das sind Einschnitte in die soziale Substanz, da widerspreche ich der Einschätzung, dass das noch einigermaßen glatt abgeht. Was an Palette da ist, wird in vielen Bereichen wirklich tiefe Spuren hinterlassen. Das ist nicht nur das Jahreseinkommen der Beamten, das ist nicht nur die absehbare Personalreduktion, auch wenn das keine Entlassungen sind, sondern das sind eben auch massive Leistungskürzungen. Und völlig unakzeptabel finde, dass Sie an der Gebührenschraube drehen etwa bei den ÖPNV-Preisen, wo Sie auch einräumen, dass Sie die Preise ein bisschen über die Preissteigerungsrate hinaus anheben, um den Bürgern ein wenig Geld aus der Tasche zu ziehen. Das ist der Punkt, wo Sie mit uns keine gemeinsame Basis finden, und zwar sowohl im Konkreten als auch im Grundsätzlichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf diese Art und Weise, von HVV-Preisen bis zu Parkgebühren, zu versuchen,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Wasser!)

dieses strukturelle Defizit zu schließen, das kann nicht funktionieren.

Zweite These, Herr Frigge: Sie haben Ihre Einbringungsrede vorhin ein bisschen geändert. Ich halte mich hier an den vorab verteilten Text, weil ich das dann besser zitieren kann.

"Wer in der Haushaltspolitik einen nachhaltigen Kurs steuern will …"

vom Anspruch her wollen wir das alle –,

"… braucht einen Kompass, dessen Nadel keine hektischen, kurzfristigen Ausschläge zeigt. Dieser Kompass ist nicht die jeweils letzte Steuerschätzung […], sondern der langjährige Trend der Steuereinnahmen."

Es geht also um die bereinigte Linie der Steuereinnahmen ohne zyklische Schwankungen. Das ist auch nur die halbe Wahrheit, weil Sie das nicht machen, Herr Frigge.

Der entscheidende Punkt ist, dass dieser Senat mit dem Doppelhaushalt einen Kurswechsel vorgenommen hat und genau auf das, was Herr Kerstan eben als Errungenschaft gepriesen hat, verzichtet hat, nämlich dass wir im Jahr 2009 eine antizyklische Haushalts- und Finanzpolitik machen wollten.

(Präsident Dr. Lutz Mohaupt übernimmt den Vorsitz.)

Jetzt sagen Sie – am deutlichsten Herr Heintze –, die Krise läge hinter uns und folglich bräuchten wir keine Stabilisierung mehr. Genau das kritisieren wir. Der Fonds, über den wir reden, heißt Konjunkturstabilisierungsfonds und Sie verabschieden sich von der antizyklischen Finanz- und Haushaltspolitik in der falschen Einschätzung, das ganze Theater der großen Wirtschaftskrise läge hinter uns, obwohl Sie doch jeden Tag in der Zeitung lesen können, dass das nicht der Fall ist.

(Jens Kerstan GAL: 1,6 Milliarden Euro Schulden sind nicht antizyklisch!)

Sie verabschieden sich von der antizyklischen Haushalts- und Finanzpolitik, sonst hätten Sie nicht im Herbst Ihr erstes Konsolidierungsprogramm gestartet und jetzt ein zweites aufgelegt. Hochgerechnet für das Jahr 2011, Herr Kerstan, beläuft sich das auf eine Dreiviertel Milliarde Euro. Wenn Sie einmal von den Hin- und Herschiebereien absehen, packen Sie über den Konjunkturstabilisierungsfonds genau diese Summe in das Konsolidierungsprogramm. Sie und Herr Frigge haben sich vorhin deutlich für diese Doppelstrategie ausgesprochen, also einerseits konsolidieren und andererseits investieren. Konkret bedeutet das nicht nur das Ende der Konjunkturstabilisierung, sondern auch eine Kürzung der Investitionen. Das ist mit Blick auf die blöde Schuldenbremse unvermeidbar.

Wie Sie unter diesen strittigen Bedingungen, die die Regionalökonomie fundamental schädigen – angefangen von Wissenschaft und Forschung bis in den Hafen hinein – von diesem Schuldenberg herunterkommen wollen, ist mir völlig rätselhaft. Auch wenn Konsolidierung richtig ist, brauchen wir eine Konjunkturstabilisierung und eine vernünftige zukunftsorientierte Investitionspolitik, sonst werden wir die Schulden nicht los.

Meine dritte Anmerkung, Herr Kerstan: Es interessiert mich wirklich, wie Sie als GAL künftig mit dieser Situation umgehen wollen, denn Herr Frigge hat in seiner Einbringungsrede überhaupt keinen Hehl aus seiner konservativen neoliberalen Haltung gemacht. Er hat uns deutlich gesagt – ich zitiere –:

"Der Staat kann nur in engen Grenzen Menschen ihren Lebensunterhalt sichern. Politik muss darauf abzielen, dass Menschen über Kompetenzen, Anreize und Rahmenbedingungen verfügen, ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern."

(Barbara Ahrons CDU: Ja, das kann man ja nur unterstützen!)

Das können Sie nur unterstützen.

Insofern handelt es sich um eine gesellschaftspolitische Zielsetzung, die Sie in diesem Doppelhaushalt in konkrete Politik umsetzen. Sie sagen, das Leistungsniveau, das Angebot an öffentlichen Dienstleistungen und so weiter sei zu hoch, weswegen Herr Heintze Kritik an den Aufgaben übt. Meine Kritik richtet sich an die GAL und ich frage Sie, wie Sie mit diesem Widerspruch umgehen. Sie haben gerade gesagt, Sie hätten doch Geld in die Hand genommen – was die SPD etwas kritischer sieht –, indem Sie die Schulen nach vorne gebracht haben. Wir alle haben gesagt, der Verfall der Straßen und Grünflächen könne nicht so weitergehen und es wären Investitionen nötig, die bezahlt werden müssen, und wir von der LINKEN sagen, sie müssten zur Not auch kreditär bezahlt werden. So schmal und krankgespart, wie es der öffentliche Sektor ist, können Sie nicht die Perspektive aufzeigen, noch weiter einzusparen. Ihre Enquete-Kommission, die Sie uns jetzt anbieten, in allen Ehren: Ich bin der Erste, der für Effizienz ist, und ich bin auch dafür, noch eine ganze Reihe von Projekten – das haben Sie eben weggewischt – einzusparen. Aber das ändert nichts an dem strukturellen Problem.

(Jens Kerstan GAL: Das stimmt!)

Es geht darum, ob wir den Staat noch schlanker machen und noch weiter auf Kosten der Leistungserbringer herunterfahren wollen oder ob es dazu eine Alternative gibt.

Damit komme ich zum letzten Punkt. Es geht in der Tat um eine grundsätzliche Weichenstellung. Sie sagen, Sie seien insofern einig mit der LINKEN, als man sich über die kreditäre Finanzierung hinaus für den Erhalt eines bestimmten Leistungsangebots einsetzen müsse. Wir müssen allerdings bei den Bürgerinnen und Bürgern dafür werben – da widerspreche ich Herrn Frigge komplett –, dass für die ordentliche Ausführung dieser Aufgaben auch das entsprechende Finanzvolumen bereitgestellt wird. Das ist die zentrale Aufgabe. Hinsichtlich dessen, wie wir da hinkommen, Herr Kerstan, ha

ben wir eine Differenz. Mit Recht zitiert Herr Frigge eine forsa-Umfrage, laut derer sich viele für die von Herrn Westerwelle proklamierte Steuersenkung aussprechen. Aber wie bekommen wir ohne bloße Rhetorik eine angemessene Finanzierung der öffentlichen Haushalte hin? Ich glaube, indem wir in der Tat die Steuerpraxis bei uns im Land verbessern. Das ist ein weites Feld. Ich respektiere die von Ihnen vorgelegten Zahlen, aber solange Sie noch einen solchen Handel mit Steuerfalldisketten treiben, ist völlig klar, dass diese Zone trockengelegt werden muss. Da es keine bundeseinheitliche Steuererhebung gibt, muss sie in den jeweiligen Ländern erfolgen. Wir können mehr machen als diese sechs Steuerfahnder und wir können mehr machen, als diese 6 Millionen Euro.

Sie können ruhig sagen, dass Ihre Partei in NRW ganz andere Vorstellungen als Sie davon hat, wie man die Steuerpraxis verbessern könnte. Herr Rose von ver.di hat schon recht, wenn er sagt, mit 200 zusätzlichen Betriebsprüfern könnten rund 150 Millionen Euro zusätzlich in die Stadt fließen, womit wir also eine ganz andere Größenordnung hätten. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Einführung der Transaktionssteuer und der Ausbau der Gewerbesteuer sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass wir auch auf Bundesebene eine vernünftige Veränderung in anderen Bereichen erreichen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Da der Senatsantrag bereits im Vorwege an die zuständigen Ausschüsse überwiesen wurde, bedarf es heute hierüber keiner weiteren Abstimmung.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf, Drucksache 19/7813, Antrag der SPD-Fraktion: Gefährdung des kulturellen Erbes Hamburgs durch die geplanten Einsparungen im Kulturhaushalt stoppen!

[Antrag der Fraktion der SPD: Gefährdung des kulturellen Erbes Hamburgs durch die geplanten Einsparungen im Kulturhaushalt stoppen! – Drs 19/7813 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Kultur-, Kreativwirtschafts- und Medienausschuss überweisen.

Wer wünscht das Wort dazu? – Frau Dr. Oldenburg hat das Wort.

Meine Damen und Herren! Themenwechsel. Auch Kulturpolitik hat viel mit dem Hamburger Haushalt zu tun. Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:

(Dr. Joachim Bischoff)

"Mit Kürzungen bei der Kultur kann man keine Haushalte sanieren, denn der Anteil der Kulturausgaben in Ländern und Gemeinden in Deutschland liegt bei mageren 1,9 Prozent."

Das sagte nicht etwa der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel oder der Landesvorsitzende der Hamburger SPD, Olaf Scholz, sondern CDU-Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Ich muss Ihnen sagen, meine Damen und Herren, der Mann hat recht.

(Beifall bei der SPD – Ingo Egloff SPD: Scholz und Gabriel aber auch!)