[Antrag der Fraktion der SPD: Aufenthaltsrechtliche Perspektiven für gut integrierte Kinder und Jugendliche – Drs 19/7566 –]
[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Aufenthaltsrechtliche Perspektiven für Kinder unabhängig von den Eltern – Drs 19/7657 –]
Beide Drucksachen möchte die SPD-Fraktion an den Innenausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Herr Buss, bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nach diesen Wahlgängen jetzt zu einer Sache, die uns als Sozialdemokraten mindestens seit Anfang dieses Jahres auf der Seele brennt, nämlich der Frage, wie wir gerade jungen Menschen, die ausländerrechtliche Probleme haben, weil sie in eine Familie hineingeboren wurden, die sich mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus in Hamburg aufhält, eine sichere Integrationsperspektive geben können. Dieses Stichwort ist nicht zufällig heute auch in Berlin wichtig gewesen und da hat man wieder sehen können, wie man es nicht machen sollte, indem man nämlich mehr Druck auf die entsprechenden Ausländer ausübt, anstatt das zu tun, was wir Ihnen heute vorschlagen. Das möchte ich gern begründen.
Wir haben vor ungefähr vier Wochen den Fall einer jungen nigerianischen Einwanderin besprochen, die illegal nach Deutschland gekommen war, sich aber hier so gut integriert hat, insbesondere auch so gut in der Schule mitgemacht hat, dass sie, nachdem wir ihr über den Eingabenausschuss die Möglichkeit eröffnet hatten, in die Oberstufe zu wechseln, ein hervorragendes Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,8 hinlegen konnte. Kein Mensch in der Stadt hat anschließend verstehen können, warum es zunächst geheißen hatte, erst Abi und dann Abschiebung. Das aber war die juristisch saubere Konsequenz aufgrund der ausländerrechtlichen Verfehlung, die diese junge Dame begangen hatte. Nun ist dieser Fall über die Härtefallkommission, sozusagen im Gnadenwege, positiv gelöst worden. Aber die Frage ist, wie man jungen Menschen insgesamt helfen kann, wenn nur dieser Gnadenweg zur Verfügung steht.
Viel entscheidender ist doch, dass es – wenn man so will, auch im Hintergrund – viele Kate Amayos in Hamburg gibt. Wir haben im Eingabenausschuss schon etliche Fälle allein in diesem Jahr erlebt, zum Beispiel eine Familie aus Armenien. Es sind übrigens häufig Familien, die aus dem Kaukasus kommen; die Eltern sind unter Vorspiegelung falscher Identitäten mit ganz kleinen Kindern hierhergekommen, die Kinder integrieren sich und erreichen hervorragende Schulzeugnisse. In dem einen Fall war es so, dass das komplette Gymnasium Sinstorf unterschrieben hatte, damit die Siebtklässlerin an dieser Schule bleiben kann. Es hat offensichtlich nichts genützt, weil zu Recht der Rechtsgrundsatz gilt, dass die Kinder ausländerrechtlich ihren Eltern folgen.
Nur ist es leider so, dass wir zwar versuchen können, eine bundesrechtliche Regelung für die Fälle zu erreichen, in denen die Kinder sozusagen in Sippenhaft geraten für die ausländerrechtlichen Verfehlungen ihrer Eltern, ohne dass sie selbst etwas dafür können. Wie lange das dauert, ist allerdings eine andere Frage. Wir Sozialdemokraten haben Anfang des Jahres – darauf habe ich in diesem Haus schon einmal hingewiesen – einen entsprechenden Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, aber der ruht dort immer noch. In diesen Tagen findet zum ersten Mal eine Anhörung zu dem Thema statt. Das ist das Problem, wenn man sich auf bundeseinheitliche Regelungen verlässt.
Deshalb haben wir, als wir von der Initiative des Landes Bremen erfuhren, diese gern aufgegriffen. Es geht darum, dass man diese Kinder, die in Deutschland viele Jahre, oft ihr ganzes Leben lang, zugebracht haben, hier verwurzelt sind und keinerlei Bezug zu ihrem sogenannten Heimatland
haben, mehr oder weniger zwingt, in ein Land zurückzukehren, das sie kaum oder gar nicht kennen, geschweige denn, dass sie dort heimisch sind.
Wir haben es selbst erlebt, als der Eingabenausschuss sich vor Ort über Armenien informiert hat, dass die Kinder sehr oft bei Null anfangen müssen. Alles das, was sie bisher zum Beispiel in acht Schuljahren in Deutschland gelernt hatten, war obsolet, weil sie natürlich alles auf armenisch neu lernen müssen. Das ist keine Perspektive für junge Menschen. Und auf der anderen Seite brauchen wir gut ausgebildete junge Menschen.
Ja, aber diese jungen Leute brauchen auch eine Perspektive, Herr Frommann, und sie brauchen auch eine Heimat. Und ihre Heimat ist hier, wo sie ihre Freunde und ihre Familie haben, wo sie Sport treiben,
wo sie sich in der Schule anstrengen, wo sie die deutsche Sprache als ihre Alltagssprache lernen und sprechen. Geben wir ihnen doch diese Heimat, geben wir ihnen vor allen Dingen das Vertrauen in ein humanes, gerechtes und verlässliches Deutschland.
Um diese ausländerrechtliche Sippenhaft grundlegend zu beenden, wäre eben diese Geschichte aus Berlin – ich komme noch einmal darauf zurück – notwendig. Die werden wir aber, fürchte ich, frühestens im Jahr 2013 erleben, wenn es eine andere Regierung gibt. So wie es zurzeit aussieht, ist mit etwas anderem nicht zu rechnen. Grüne und Linke auf Bundesebene wollen übrigens eine Regelung ähnlich der, die wir Sozialdemokraten vorgeschlagen haben, aber dort kommt man nicht voran. Wir müssen aber nicht auf Berlin warten; Bremen hat es uns vorgemacht. In Bremen haben Bürgerschaft und Senat einen guten Weg gefunden, um den landesrechtlichen Spielraum zugunsten einer vernünftigen, humanitären Regelung zu nutzen. Eigentlich müsste Ihnen die Zustimmung zu unserem Antrag leicht fallen, denn Sie müssten nur einem Verfahren zustimmen, das Ihre grünen Parteifreunde in Bremen als Regierungspartei mittragen, Frau Möller, und dem Ihre christdemokratischen Freunde dort sogar als Oppositionspartei zugestimmt haben, Herr Beuß.
Das Ziel des Bremer Senats ist es, einen positiven Anreiz für die Integration in das Alltags- und Berufsleben dieser jungen Menschen zu geben, junge Menschen, die beispielsweise die siebte Klasse eines Gymnasiums besuchen und das Ziel haben, in Deutschland das Abitur zu schaffen, so wie ihre Eltern es für sie wünschen. Bei der ausländerrechtlichen Perspektive vieler Familien ist das aber nicht möglich und wir dürften es nicht zulassen, es sei denn, wir würden immer wieder den Gnadenweg
der Härtefallkommission einschalten. Das kann auf Dauer keine Lösung sein, sondern wir brauchen eine verlässliche, klare und eindeutige Regelung und eine Perspektive für diese jungen Menschen. Hier muss es auch ein klares Ziel unserer Ausländerpolitik geben.
Herr Senator, Ihr Kollege in Bremen hat einen Erlass erlassen, nach dem in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen ist, ob Kinder oder Jugendliche aus ausreisepflichtigen Familien über Schule oder Ausbildung schon so sehr integriert sind, dass es ihnen nicht zugemutet werden kann, in das Herkunftsland ihrer Eltern ausreisen zu müssen. Ist dies der Fall, können die betroffenen Minderjährigen in Bremen – nach unserem Antrag wäre das auch in Hamburg möglich – nach Paragraf 25 Absatz 5 des Aufenthaltgesetzes einen befristeten Aufenthaltstitel erhalten. Die Verlängerung dieses Titels wird abhängig gemacht von der fortschreitenden Integration im Laufe der schulischen oder betrieblichen Ausbildung. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann beispielsweise zunächst auf das Erlangen eines Schulabschlusses ausgerichtet sein und das weitere Bleiberecht dann vom Absolvieren einer Berufsausbildung abhängig gemacht werden. Wer also erst einmal den Hauptschulabschluss oder, besser noch, den Realschulabschluss geschafft hat, bekommt als nächsten Schritt eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung für eine Lehrstelle. Ist auch diese Klippe geschafft, dann kann und soll bei Erwerbstätigkeit und eigenständiger Sicherung des Lebensunterhalts – alles Bedingungen, die schon gelten, also nicht weiter neu sind – ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt werden.
Diese Regelung ist nicht nur gerecht, weil sie Kindern und Jugendlichen eine – das ist wichtig – eigenständige Chance gibt und sie aus der rechtlichen Unsicherheit im Zusammenhalt mit ihren Eltern befreit, wobei nach meiner Schätzung nur rund 30 Familien in ganz Hamburg betroffen sein werden. Sie ist auch die richtige Antwort auf die gerade wieder einmal hochkochende Integrationsdebatte, denn so richtig es ist, von den Menschen Integrationsleistungen zu verlangen, so folgerichtig ist es auch, diese dann mit einer Aufenthalts- und Lebensperspektive zu belohnen. Und mehr noch, wir geben jungen Menschen dadurch eine Motivation und ein Ziel, für das sich ihre Integrationsanstrengungen lohnen: Wenn ich weiterhin so erfolgreich mitarbeite, kann ich auch auf Dauer einen Aufenthaltsstatus für mich bekommen. Das ist ein Anreiz, der es auf jeden Fall lohnend macht, eigenständig etwas für die Integration zu tun. Man muss nicht mehr passiv abwarten und ist auch nicht mehr auf andere angewiesen.
Auch den Eltern – und das ist ein wichtiger Punkt bei der Integrationsdebatte – wird durch diese Regelung, Herr Senator, ein konkreter Anreiz gegeben, sich sowohl um die Integration ihrer Kinder als auch um ihre eigene Integration zu bemühen, denn sie behalten ihren Status nur so lange, wie ihn ihre Kinder haben.
Wenn wir alle im Hause die ohne Zweifel bestehenden Integrationsprobleme nicht nur beklagen oder sie populistisch ausschlachten wollen, wie Sarrazin oder Seehofer es tun, dann sollten wir an Lösungen im Sinne der betroffenen Menschen und unserer Gesellschaft interessiert sein. Darum, meine Damen und Herren, geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie unserem Vorschlag zu. – Danke schön.
Dennoch, liebe SPD, sollten wir im Zuge dieser manches Mal doch recht aufgeregten Diskussion die Gelegenheit nutzen zu erkennen, wie vielschichtig das Problem der Integration ist und vor welche Herausforderungen es uns stellt, vor allem vor die Herausforderung, zu differenzieren.
Heute geht es um die Jugendlichen, die wir im Grunde gerne in diesem Land haben wollen und die, das haben Sie gerade beschrieben, aufgrund der derzeitigen Rechtslage ein Problem haben. Es gibt aber auch diejenigen – und deswegen haben wir diese Debatten, die, zugegeben, nicht immer sehr differenziert geführt werden –, die unseren Rechtsstaat ständig herausfordern und versuchen, Extrarechte herauszuschlagen und deretwegen immer neue Gesetze erlassen werden müssen, so wie jetzt die Gesetze gegen Zwangsheirat. Im Grunde sind wir da schon weiter, als es in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Nun sollen die Integrationskurse besser überprüft werden und das ist völlig richtig.
Wir haben aber auch die Pflicht zu schauen, was mit den Jugendlichen passiert, die gern hier leben und an diesem Staat mitarbeiten. Sie haben Kate Amayo aus Ghana angesprochen. Wir debattieren ähnliche Fälle alle halbe Jahr. Wir lesen von ihnen im "Hamburger Abendblatt" oder in der "Bild"-Zeitung, wenn eine Schule sich für ein Kind oder einen Jugendlichen mit Eltern aus aller Herren Länder einsetzt, die gute Beispiele für all diejenigen sind, bei denen wir uns selber fragen, warum die eigentlich nicht hierbleiben können.
Das sind Jugendliche, deren Eltern sich schon lange hier aufhalten, aber kein festes Bleiberecht haben. Sie haben auch betont, dass es dabei oft um Vergehen im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht geht. Die Kinder sind inzwischen gut integriert und übernehmen Verantwortung für sich und die Gesellschaft. Aus ihnen könnten solide Steuerzahler werden und ihre persönliche und berufliche Integration scheint gesichert, nur ihr Aufenthaltstatus ist es nicht.
Im Zuge der Debatte der letzten Wochen haben wir immer wieder betont, dass wir natürlich erst einmal die Menschen ausbilden wollen, die wir bei uns haben. Dazu zähle ich auch diese Kinder und Jugendliche,
denn sie identifizieren sich mit unserem Land. Es ist doch ein Problem bei der Integration, dass wir es oft mit Menschen zu tun haben, die sich nicht mit unserem Land identifizieren, und da kann man lange darüber reden, woran das liegt. Wir sollten denjenigen, die froh sind, in Deutschland eine Heimat gefunden zu haben, die dazu stehen und dafür kämpfen, mehr Chancen bieten. Wir wollen diese Kinder hier haben. Sie sollen auch ein Vorbild sein für diejenigen, die sich den verschiedenen Integrationsmöglichkeiten entziehen und ihr vermeintlich armes Schicksal immer dem Staat vorwerfen.
Fragt man aber einmal in die Runde, ob man das Ausländerrecht ändern solle, dann sind die Leute – und das wissen Sie auch – oft ablehnend eingestellt und es schwingt allerlei Negatives mit. Deswegen plädiere ich für eine differenzierte Betrachtung. Wir sollten dieses Thema überweisen, und zwar an den Innenausschuss. Wir sind nämlich der Ansicht, dass die Bremer Regelung gegen gängige Verwaltungsvorschriften verstößt. Die Bremer denken zwar, sie hätten das Ei des Kolumbus gefunden, aber letztendlich brauchen wir eine einheitliche Regelung mit klar festgelegten Kriterien. Das kann nicht im Gutdünken eines Menschen in der Verwaltung stehen, sondern es muss eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes in Deutschland geben. Der Innenausschuss ist der richtige Ort, um darüber zu sprechen und auch über die Punkte, die bei der Anhörung im Bundestag besprochen worden sind.
Unser Plädoyer: Die Jungendlichen, die integriert sind, sich angestrengt und all die von uns immer geforderten Leistungen erbringen, müssen hier eine Chance erhalten. Es darf auf Dauer nicht sein, dass erst die Härtefallkommission die Entscheidun
gen fällt. Dazu bedarf es einer bundesweiten Regelung. Wir werden deshalb im Innenausschuss die weiteren Schritte Hamburgs besprechen. Die LINKEN haben Glück, dass ihr Antrag auch überwiesen wird; mehr möchte ich dazu gar nicht sagen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Frau Machaczek möchte ich schon ein paar Sätze zu dem Antrag der LINKEN sagen, weil er deutlich macht, wo die Regelungsebene ist, nämlich auf Bundesebene. Ich glaube nicht, dass wir in unserer politischen Zukunft tatsächlich eine Regelung haben werden, wie es sich die LINKE vorstellt, aber dass wir eine Regelung für die Kinder und Jugendlichen brauchen, die hier aufwachsen, hier ihren Lebensmittelpunkt haben und hier verwurzelt sind, wie es die Gerichte immer formulieren, und zwar unabhängig vom Status der Eltern und deren weiterer Aufenthaltsperspektive, darin sind wir uns einig.
Es ist wichtig, noch einmal zurückzublicken, was im Ausländerrecht inzwischen passiert ist. Wir haben in den letzten sechs bis acht Jahren eine Debatte in diesem Land – nicht nur in Hamburg – geführt, bei der es darum ging, dass es für die Menschen, die hier geduldet werden und sich mehrere Jahre und im Grunde dauerhaft bei uns aufhalten, eine Regelung im Ausländerrecht geben muss. Diese Diskussion wurde anfangs in den Bundesländern und in den Petitionsausschüssen ihrer Parlamente geführt, hat dann die Innenministerkonferenz erreicht und schließlich zu einem Beschluss der Innenministerkonferenz und einer rechtlichen Regelung auf Bundesebene, der sogenannten Bleiberechtsregelung, geführt. Diesen Weg wollen wir auch gehen.
Hamburg handelt in diesem Sinne und das nicht nur, weil die Medien uns darauf hinweisen, Herr Buss. Sie wissen, dass wir nahezu wöchentlich Fälle in der Härtefallkommission behandeln; gerade diese Woche haben wir zwei Fälle auf einen guten Weg bringen können, wenn ich das einmal so kryptisch sagen darf. Diese Fälle begegnen uns täglich. Wir haben in den letzten zweieinhalb Jahren durch die Arbeit des Eingabenausschusses viele Entscheidungen für betroffene Familien, meistens für Kinder und Jugendliche, treffen können, die gut und richtig waren und den Familien geholfen haben, die aber vor allem deutlich gemacht haben, wie groß der Bedarf für eine Regelung für Kinder und Jugendliche ist, und zwar nicht nur in Hamburg.