ist nicht einfacher geworden, es gibt unterschiedliche Probleme und hier wird der Versuch unternommen, verschiedene Antworten zu finden. Das ist die Handlungsanleitung, die wir uns für die nächsten Jahre vorgenommen haben. Auch der insgesamt hohe Zuspruch, den Hamburg weiterhin hat, belegt eindeutig die Attraktivität des Standortes. Für uns ist, was die Sozialpolitik angeht, klar, dass "Wachsen mit Weitsicht" bedeutet, gerade in schwierigen Zeiten soziale Verantwortung für die gesamte Stadt zu übernehmen. Das wollen wir machen, wir regieren gerade nicht mit dem Rotstift, sondern wir versuchen, Zuwachs zu begrenzen und nicht mit dem Rasenmäher zu kürzen. Wir haben gerade in schwierigen Zeiten die soziale Verantwortung besonders großgeschrieben. Damit treten wir an und das liegt uns auch ganz besonders am Herzen.
Wir wollen, dass die Menschen sich in unserer Stadt wohlfühlen. Dazu gehören Familienförderung, Kitas und optimale Gesundheitsversorgung, aber ein ganz wichtiges Thema ist auch die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. Gerade da gibt es eigentlich viele Antworten, das heißt nicht nur Sprachförderung, sondern auch mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die wollen wir auch fördern, unsere Botschaft lautet:
Sie werden gebraucht, das haben wir auch klar gesendet. Insofern denke ich, dass wir mit "Wachsen mit Weitsicht" einen ordentlichen Schritt nach vorne kommen und dass uns das in der Zukunft auch deutlich weiterhelfen wird.
Meine Damen und Herren! Damit ist die Aktuelle Stunde für heute beendet. Ihre Wortmeldung, Herr Kienscherf, kann ich leider nicht mehr berücksichtigen. Wir setzen die Aktuelle Stunde morgen mit dem dritten Thema fort.
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf, Drucksache 19/5154, Wahl einer oder eines Deputierten der Justizbehörde.
[Unterrichtung durch den Präsidenten der Bürgerschaft: Wahl einer oder eines Deputierten der Justizbehörde – Drs 19/5154 –]
Der Stimmzettel liegt Ihnen vor. Er enthält je ein Feld für Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. Ich bitte Sie, den Stimmzettel jeweils mit nur einem
Kreuz zu versehen. Stimmzettel, die den Willen des Mitglieds nicht zweifelsfrei erkennen lassen oder Zusätze enthalten, sind ungültig. Auch unausgefüllte Stimmzettel gelten als ungültig. Bitte nehmen Sie nun Ihre Wahlentscheidung vor.
Sind alle Stimmzettel abgegeben worden? – Das ist erkennbar der Fall, ich schließe dann die Wahlhandlung. Das Wahlergebnis wird ermittelt, ich werde es Ihnen im Laufe der Sitzung bekanntgeben.
Meine Damen und Herren! Mein weiterer Wunsch besteht fort: Soweit Sie Nebengespräche führen möchten, tun Sie dies doch bitte draußen in der Lobby. Hier stört es ein wenig, wir wollen mit der Sitzung fortfahren.
Wir kommen zum Punkt 36 der Tagesordnung, Drucksache 19/5339, Antrag der Fraktion DIE LINKE, Die Handelskammer "freut sich doppelt" – Die Hamburger Jugendlichen haben es doppelt so schwer.
[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Die Handelskammer "freut sich doppelt" – Die Hamburger Jugendlichen haben es doppelt so schwer – Drs 19/5339 –]
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag "Die Handelskammer 'freut sich doppelt' – die Hamburger Jugendlichen haben es doppelt so schwer" gestellt, weil wir meinen, dass es sich bei dem doppelten Abiturientenjahrgang, wenn man einmal von der Schulreform absieht, um eines der größten, wenn nicht sogar um das größte bildungspolitische Problem in Hamburg in diesem Jahr handelt.
Dem steht gegenüber, dass der Senat kein Problembewusstsein dafür entwickelt hat. Wie stellt sich die Ausbildungsplatzsituation in Hamburg dar? Im "Ausbildungsreport" wird ausgeführt, dass bis Herbst 2009 in Hamburg circa 13 500 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden. Das ist angesichts von 15 600 Absolventinnen und Absolventen allgemeinbildender Schulen auf den ersten Blick eine sehr gute Zahl, aber es gibt ein Problem. Fast die Hälfte – genau 44 Prozent – der Lehrstellen gingen an Nichthamburger. Es haben nur 7500 Hamburger Jugendliche einen Ausbildungsplatz in Hamburg bekommen. Das ist weniger als die Hälfte der Schulabgänger aus dem Som
Einerseits gibt es ein relativ gutes Ausbildungsplatzangebot und andererseits besteht eine große Ausbildungsnot bei Hamburger Jugendlichen. Offiziell liest sich das so:
"[Es gibt] jedoch weiterhin erhebliche Probleme mit der Ausbildungsversorgung der Jugendlichen, die in Hamburg ihren Schulabschluss erworben haben."
Hamburg ist deshalb bundesweit führend im Berufsvorbereitungsjahr. Zu diesem traurigen Rekord heißt es im "Ausbildungsreport":
"Laut Berufsbildungsbericht 2009 weist Hamburg von allen Bundesländern den höchsten Anteil von BVJ-Schülern bezogen auf 1000 Absolventinnen und Absolventen aus den allgemeinbildenden Schulen auf."
Insgesamt sind im Jahr 2009 circa 6500 der 15 600 Schulabgänger aus allgemeinbildenden Schulen im Übergangssystem geparkt worden, das sind 42 Prozent. Dieses Übergangssystem zeichnet sich laut dem nationalen Bildungsbericht 2006 aus durch
"[…] (Aus-)Bildungsangebote, die unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung liegen beziehungsweise zu keinem […] Ausbildungsabschluss führen."
Das Übergangssystem ist ein Unsicherheitssystem, das will ich auch begründen. Im Bericht des Konsortiums Bildungsberichterstattung "Bildung in Deutschland" von 2006 heißt es:
"Für zwei Fünftel der Ausbildungsanfänger beginnt ihr Start ins Berufsleben mit Unsicherheit und ohne konkrete Berufsbildungsperspektive. Diese Sachlage verlangt den Jugendlichen ein hohes Maß an motivationaler Stabilität ab. Man muss befürchten, dass je länger die Unsicherheit anhält, Jugendliche an Ausbildungsmotivation verlieren und resignieren."
Wir haben in Hamburg jetzt schon eine bedrohliche Zahl von Jugendlichen – man spricht immer von U25, von Menschen unter 25 Jahren –, die obdachlos sind; das ist eine Folge davon.
"Hier könnte ein wichtiges Arbeitskräftepotenzial für die Zukunft verspielt und sozialer Ausgrenzung Vorschub geleistet werden",
Im Klartext heißt es, je mehr Jugendliche das Abitur machen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Haupt- und Realschüler und vor allem weit mehr Realschüler als in den vergangenen Jahren im Übergangssystem landen und keine Perspektive haben. Die Verdrängung hat sich mit
zunehmender Tendenz schon seit Jahren auf dem Ausbildungsmarkt gezeigt. Nachdem gesagt wurde, es seien noch soundso viele Ausbildungsplätze offen und man verstehe gar nicht, warum die Jugendlichen sich da nicht melden würden, habe ich mir das im Netz einmal angesehen. Dann habe ich zum Beispiel gefunden, dass eine Bäckereifachverkäuferin in Harburg gesucht wurde, Voraussetzung für den Ausbildungsplatz: Abitur. Oder eine Friseurin in Eppendorf, Voraussetzung: Abitur. So kann das natürlich nicht gehen. Diese Tendenz wird sich dieses Jahr noch sprunghaft verstärken.
Die Handelskammer freut sich doppelt, worauf eigentlich? Durch den doppelten Abiturjahrgang besteht für Handel und Handwerk ganz klar die Chance, Besserqualifizierte, sprich Abiturienten statt Realschüler, in Ausbildungsverträge zu bringen. Die bessere Wettbewerbsfähigkeit, mit der das G8 argumentativ begleitet wurde, mag für die Firmen gelten, aber für die jungen Leute ist es ein gnadenloser Wettbewerb um Studienplätze und um jeden Ausbildungsplatz. Das ist absolut inakzeptabel.
Für Hamburg kommt hinzu, dass wir in 2009 mit einem Minus von 9,2 Prozent den größten Rückgang an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen von allen westdeutschen Bundesländern hatten. Das wirkt sich verstärkend darauf aus, dass es erhebliche Probleme mit der Ausbildungsversorgung der Jugendlichen gibt, die in Hamburg ihren Schulabschluss erworben haben. Nun kommt der doppelte Abiturjahrgang noch hinzu. Mit dem Bologna-Prozess zog eine neue Ideologie ein. Sie lautet: schneller, schlanker, wettbewerbsfähiger.
2002 beschloss der Senat, bestehend aus CDU, Schill-Partei und FDP, unter der Verantwortung des Schulsenators Lange Hals über Kopf, das achtjährige Gymnasium einzuführen. Jetzt plötzlich tauchen Probleme in diesem Zusammenhang auf, denen keine Maßnahmen oder Lösungen des Senats gegenüberstehen. Von den 15 000 Schulabgängern in 2009 machten 6900 das Abitur. Für den Sommer 2010 wird von 20 000 Absolventen der allgemeinbildenden Schulen und 12 000 Abiturientinnen und Abiturienten ausgegangen. Die erste Konsequenz wäre gewesen, bei doppelt so vielen Abiturienten zwar nicht doppelt so viele, aber erheblich mehr Studienplätze zu schaffen.
Das ist nicht passiert. Die Wissenschaftssenatorin konzentriert alle ihre Energie auf Verlagerungspläne der Universität, die außer ihr nur noch der Oberbaudirektor Walter befürwortet. Die Ausstattung und Anpassung der Studiengänge und Studienplätze an die selbst geschaffenen erhöhten Bedarfe hat nicht stattgefunden. Das bedeutet
schlicht, dass keine Verantwortung für die Senatsbeschlüsse übernommen wurde. Es hilft überhaupt nicht, wenn Ole von Beust meint, es fiele keinem ein Zacken aus der Krone, wenn er woanders studiere, und auch gleich noch Greifswald nennt. Auf die eigene Vita reflektiert bedeutet es natürlich Wasser predigen und selbst Wein trinken. Der Vorsitzende der Elternkammer, Hans-Peter Vogeler, hielt dem Bürgermeister zu Recht entgegen, dass dieser Vorschlag eine erhebliche finanzielle Belastung der Familien und jungen Menschen zur Folge habe, die von vielen gar nicht leistbar sei. Damit würde eine weitere Hürde zur Aufnahme eines Studiums aufgebaut, die letztendlich wieder eine soziale Auslese darstelle.
Für die Jugendlichen, die nach der Schule nicht studieren wollen, finden wir Hinweise der Schulbehörde im "Ausbildungsreport Hamburg 2009" zum doppelten Abiturientenjahrgang. Darin heißt es:
Ich wiederhole: ereilt. Es bricht sozusagen schicksalhaft über Hamburg herein. Was ereilt Hamburg denn eigentlich? 2010 werden sich zusätzlich circa 4500 Abiturienten im Übergang von der Schule in die Ausbildung beziehungsweise in das Studium befinden und das ist noch nicht alles. Wenn im Jahr 2011 durch den doppelten Abiturientenjahrgang in Niedersachsen circa 24 000 zusätzliche Abiturienten entlassen werden, wird sich die Konkurrenz um Ausbildungs- und Studienplätze in Hamburg noch einmal erheblich verschärfen. Frage ist, ob der Senat, die Wissenschafts- und die Bildungsbehörde das im Blick haben und was sie tun. Kritisch wird es für Schulabgänger mit einem schwachen Realschulabschluss und für die Hauptschüler. Sie sind und bleiben die Verlierer, allerdings zahlenmäßig noch viel stärker als bisher. Unter ihnen wird es wiederum die Jungen und hauptsächlich die Jungen mit Migrationshintergrund treffen.
Wir haben es also mit einer außergewöhnlich schwierigen Situation zu tun und außergewöhnliche Situationen erfordern eigentlich außergewöhnliche Maßnahmen. Aber der Senat hat die Folgen des eigenen politischen Handelns aus dem Blick verloren, er hat Eltern, Jugendliche und Lehrer allein gelassen. Der Senat hat so gut wie nichts gemacht. Wenn wir es genau betrachten, wurde zusätzlich nur ein einziges Teil gemacht. Für die Berufsorientierung in der gymnasialen Oberstufe wurde von der Behörde eine DVD herausgegeben. Diese DVD soll den Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe helfen, sich zu bewerben. Das ist nicht nur entschieden zu wenig, das ist gar nichts. Das neue "Rahmenkonzept für die Reform des Übergangssystems Schule – Beruf" hat keine Maßnahmen zur Folge, die den Jugendlichen des Doppeljahrgangs helfen können. Betrachtet man
die Kooperation und Vernetzung zu diesem Komplex, kommt man genau zu dem gleichen Schluss: Es ist alles langfristig und jetzt wirkt gar nichts.