Protocol of the Session on December 10, 2009

(Beifall bei der GAL, der CDU und der LIN- KEN)

Das Wort erhält Frau Schneider.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines unmissverständlich sagen: Wir lehnen die Verfolgung politischer Ziele mit Mitteln der Gewalt ab. Das gilt ohne Wenn und Aber auch für den Angriff auf die Lerchenwache, für Brandstiftungen an Autos oder für das Werfen von Farbbeuteln oder Steinen auf Häuser.

(Beifall bei der LINKEN und der GAL)

Wir freuen uns, dass beim Angriff auf die Lerchenwache nach unserem Wissen kein Polizeibeamter verletzt wurde. Uns beunruhigt jedoch das Ausmaß der Gewalt und wir als LINKE sehen uns in der Verantwortung dafür, Perspektiven friedlicher gesellschaftlicher Veränderungen aufzuzeigen.

Wir werden aber nicht in den Chor derjenigen einstimmen, die jetzt höchste Gefahren für die Innere Sicherheit beschwören, die im Angriff auf die Lerchenwache einen Anschlag auf die Demokratie sehen, die nach immer weiterer Strafverschärfung rufen und ganze politische Szenen vorverurteilen. Solche Reaktionen forcieren einen Aufschaukelungsprozess; doch nicht Eskalation, sondern Deeskalation ist notwendig. Wenn wir Gewalt allgemein und im Zusammenhang mit politischen Auseinandersetzungen eindämmen wollen, dann kommen wir nicht umhin, uns mit ihren Ursachen auseinanderzusetzen. Dankenswerterweise hat das "Hamburger Abendblatt" ein Interview mit dem Bielefelder Konfliktforscher Professor Mansel veröffentlicht. Darin liefert er einen wichtigen Hinweis auf Gewaltursachen, wenn er von massiver Desintegration spricht. Ich sehe die gegenwärtige Gewalteskalation als Ausdruck eines tatsächlich massiven Prozesses gesellschaftlicher Desintegration,

sozialer Desintegration, Stichwort soziale Zerklüftung, aber auch politischer Desintegration, wobei hier ein Stichwort die dramatisch sinkende Wahlbeteiligung ist. Wenn diese Gesellschaft für einen Teil ihrer Mitglieder keine Partizipationsmöglichkeiten, keine Perspektive bereithält, dann sind politische Zerfallsprozesse fast unvermeidlich.

(Zuruf von der CDU: Dann wirft man Steine!)

Nein, dann wirft man keine Steine.

Gesellschaftliche Desintegration ist der Nährboden für wachsende Gewaltbereitschaft und Gewalt. Gesellschaftliche Desintegration erfordert Kritik und politische Opposition auch und gerade außerparlamentarisch, worauf Frau Möller hingewiesen hat. Sie erfordert gegebenenfalls auch zivilen Ungehorsam, sie erfordert politische Alternativen und all das bei strikter Gewaltfreiheit,

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

denn Gewalt treibt die Desintegration voran.

Damit komme ich zu einem zweiten Punkt, bei dem ich Nachdenklichkeit auch in diesem Hause einfordere. Ich habe mir vorgestern auf Hamburg 1 die Diskussion bei Schalthoff Live angesehen. Sie, Herr Senator, haben leider unter Beweis gestellt, dass Sie die Polizei auf einen Sockel heben und jeder Kritik entziehen wollen. Sie sehen jeden Ansatz dafür, mögliche Ursachen – mögliche, ich möchte kein Präjudiz schaffen – bei der Polizei zu sehen, als eine Art Majestätsbeleidigung. Ich finde, das ist vordemokratisch. Der Wissenschaftler in der Sendung sagte aber einige bemerkenswerte Dinge. Er betonte die Notwendigkeit, systematisch zu deeskalieren. Er zeigte deutlich auf, dass die Polizei bei einem erheblichen Bevölkerungsteil keinen guten Ruf hat, und zwar aus Gründen, denen man nachgehen muss, zum Beispiel, so sagte er, wegen ihres Umgangs mit Migranten oder ihres einseitigen Menschenbildes. Er wies auf strukturelle Probleme hin, vor allem darauf, was mit Menschen passiert, die das staatliche Gewaltmonopol innehaben und Macht ausüben.

Jüngst wurde im Zusammenhang mit dem Klimacamp 2008 dem Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei zweimal gerichtlich bestätigt, Grundrechte verletzt zu haben. Einmal wurde ihm vorgeworfen, eine Demonstration willkürlich aufgelöst zu haben, und ein andermal, Personen willkürlich festgenommen zu haben. Darüber hinaus zeigte sich ein Gericht besorgt über die Ermittlungsmethoden bei der Polizei in Folge dieser willkürlichen Festnahmen. Das war damals eine aufgeheizte Situation. Aber gerade in aufgeheizten Situationen muss die strikte Rechtsstaatlichkeit des staatlichen Gewaltmonopols gewahrt sein. Das gilt für damals und das gilt für heute. Deshalb ist es von Belang, ob und welche Konsequenzen der Innensenator zieht, wenn Rechtsverletzungen durch die Polizei gerichtsbe

(Antje Möller)

kannt werden. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Polizei missachte Gerichte und nehme Ausnahmerechte für sich in Anspruch.

Wir fordern von Ihnen, Herr Senator, sich sachlichen Diskussionen über strukturelle Problemlagen im Hinblick auf die Polizei nicht zu verschließen und vor allem strikte und unbedingte Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen. In der gesellschaftlichen Desintegration liegen große Gefahren. Auch und gerade deshalb sagen wir: Strikte Gewaltfreiheit auf der einen, strikte Rechtsstaatlichkeit auf der anderen Seite. Alles andere treibt die Desintegration voran.

(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GAL)

Das Wort erhält Innensenator Ahlhaus.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer unsere Polizeibeamten angreift, greift unsere Gesellschaft, unseren Rechtsstaat, uns selbst an.

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker GAL)

Wer aufgrund seiner demokratiefeindlichen Haltung die Gesundheit und das Leben von Mitmenschen aufs Spiel setzt, wer die Gesundheit und das Leben von Polizeibeamten aufs Spiel setzt, der stellt sich außerhalb unserer demokratischen Gemeinschaft und unserer Rechtsordnung.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Das hat mit einer im Rechtsstaat völlig legitimen inhaltlichen oder politischen Kritik überhaupt nichts mehr zu tun, sondern ist antidemokratisch und extremistisch und darf von Politik und Gesellschaft nicht stillschweigend hingenommen werden.

(Beifall bei der CDU und der GAL – Michael Neumann SPD: Das stimmt!)

Deshalb – ich habe mir das eben noch einmal handschriftlich als Stichwort notiert, weil mir nicht so ganz klar war, ob ich zu diesem Resümee kommen kann, nachdem sich alle Fraktionen geäußert haben – bin ich außerordentlich dankbar dafür, dass wir in dieser Debatte etwas erleben dürfen, was ich in dieser parlamentarischen Konstellation bisher jedenfalls noch nicht wahrgenommen habe, nämlich dass sich alle Fraktionen – so habe ich es jedenfalls vernommen – sehr deutlich von gewalttätigen Attacken gegenüber unseren Polizeibeamten distanziert haben. Ich glaube, es ist vor allem für den hier anwesenden Leiter des Polizeikommissariats 16, Herrn Lindberg, ein sehr beruhigendes Signal zu wissen, dass er die Rückendeckung dieses Hauses, der demokratischen Parteien in dieser Stadt hat.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Was wir am Donnerstagabend und in der Nacht in Hamburg erlebt haben, ist unerträglich und macht auch mich persönlich betroffen. Besonders und ähnlich erschreckend ist für mich leider auch das, was wenige Stunden später am Freitag in der Nähe der Hafenstraße passiert ist, wo in einer Kneipe Polizeibeamte, Ermittler, die einem Drogendealer auf der Spur waren, von völlig unbeteiligten und im Grunde unbescholtenen Dritten angegriffen und daran gehindert wurden, ihrem gesellschaftlichen Auftrag nachzukommen, nämlich die Rechtsordnung zu schützen und den Drogendealer festzunehmen.

(Beifall bei der CDU und bei Michael Gwosdz GAL und Michael Neumann SPD)

Es ist aber auch nicht hilfreich – da gebe ich den Vorrednern durchaus recht –, übermäßig zu dramatisieren. Um es ganz deutlich zu sagen: Ich halte nichts von einer Debatte, die die Frage aufwirft, ob wir es hier mit neuen Terroristen, einer neuen RAF oder dergleichen zu tun haben. Wir müssen uns das sehr genau anschauen. Wir sollten uns aber auch davor hüten, das Ganze vorschnell in eine gewisse Richtung der öffentlichen Wahrnehmung zu transportieren, wo es möglicherweise nicht hingehört. Andererseits bin ich der festen Überzeugung, dass es demjenigen, der so etwas tut und Polizisten mit Steinen bewirft, nicht mehr um Gentrifikation oder um irgendeine politische Auseinandersetzung geht.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Gentrifizierung!)

Da geht es nur um Gewalt und ich glaube auch, da ist Hopfen und Malz verloren. Ich bin der Auffassung – da gebe ich Ihnen recht –, dass es mit höheren Strafen allein nicht getan ist. Aber wer glaubt, er kann mit deeskalierenden Methoden solchen Leuten das Handwerk legen, der liegt schief, und deswegen brauchen wir beides.

(Beifall bei der CDU und bei Jens Kerstan GAL)

Härtere Strafen, zu denen ich stehe, die ich gefordert habe – dankenswerterweise hat die Innenministerkonferenz in der vergangenen Woche das auch so in Auftrag gegeben und den Bundesinnenminister gebeten, entsprechend tätig zu werden –, sind ein Baustein, sie sind kein Allheilmittel, dessen bin ich mir bewusst. Aber es ist ein Baustein, übrigens auch als Zeichen der Solidarität mit denjenigen, die tagtäglich für unsere Gesellschaft und für alles, was in dieser Gesellschaft aus unterschiedlichen Gründen schiefläuft, den Kopf hinhalten müssen, nämlich unsere Polizeibeamten. Deswegen appelliere ich gerade in diesem Hause an alle ernstzunehmenden Demokraten, den Schulterschluss zu suchen und auch zu finden. Es muss demokratischer Konsens sein, dass diese brutalen Übergriffe durch nichts und durch niemanden ge

(Christiane Schneider)

rechtfertigt werden, und zwar ohne jede Einschränkung.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Lieber Herr Neumann, Sie können es leider nicht lassen.

(Frank Schira CDU: Kann er nicht!)

Herr van Vormizeele hat es richtig gesagt, es war ein vielversprechender Auftakt, dass die SPD sich nach vier verlorenen Jahrzehnten in der Arbeit für die Innere Sicherheit in dieser Stadt auch klar dazu bekennt.

(Zurufe von der SPD – Michael Neumann SPD: Und mit Ihrer lebenslangen Erfahrung, die Sie in Hamburg haben!)

Getroffener Hund bellt.

(Beifall bei der CDU)

Ich finde es nicht angemessen, dass Sie dieses Thema gleich am Freitagmorgen in einer postwendenden Presseerklärung publik gemacht haben. Dies macht die Sache nicht besser, sondern schlechter, gerade auch, dass Sie dieses Thema für parteipolitische Auseinandersetzungen nutzen. Das Thema ist dafür nicht geeignet.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Ich bin davon überzeugt, dass wir es auch schaffen, wenn wir uns gemeinsam bemühen, diesen Schulterschluss gegenüber den Feinden unserer Demokratie hinzubekommen; das ist auch unsere gemeinsame Verantwortung in diesem Hause.

Der Angriff auf die Wache 16, aber auch viele Hunderte verletzte Polizisten allein in diesem Jahr in ganz Deutschland machen deutlich, dass wir keine Zeit verlieren dürfen und endlich handeln müssen. Deswegen haben wir gehandelt, deswegen ist in Arbeit, ob und in welcher Form wir beispielsweise mit schärferen Strafen

(Wilfried Buss SPD: Ihr müsst handeln!)

hier auch klare, deutliche Zeichen setzen können. Aber das ist nur ein Baustein und wir werden uns darüber unterhalten müssen, was in dieser Gesellschaft schiefgelaufen ist, auch in den vergangenen Jahren. Das fängt bei Schule, bei Kindheit

(Michael Neumann SPD: Das klingt ja wie bei uns, 40 Jahre lang!)

und bei Erziehung an und geht weiter, lieber Herr Neumann, über viele gesellschaftliche Faktoren, die möglicherweise ursächlich sind. Darüber sollte man sich ernsthaft unterhalten und nicht im parteipolitisch motivierten Diskurs.