Protocol of the Session on December 10, 2009

Mit den Angriffen auf unsere Polizistinnen und Polizisten wurden nicht nur Menschenleben gefährdet,

sondern es war vor allem auch ein Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol und damit auf unsere Gesellschaft. Das Zusammenstehen der Demokraten, die Unterstützung unserer Polizei darf aber politisch nicht dazu missbraucht werden, eventuell vorhandene Aufklärungsmängel oder Organisations- und Personalschwächen zu bemänteln. Unser Einstehen für die Werte der Demokratie kann und wird uns Sozialdemokraten nicht daran hindern, dort, wo es notwendig ist, die falsche Politik des CDU-Senats hinsichtlich der Inneren Sicherheit zu kritisieren und gegebenenfalls den Finger schmerzhaft in die Wunde zu legen.

(Beifall bei der SPD)

Es geht dabei um unsere Demokratie und natürlich auch nicht zuletzt um Leib und Leben unserer Hamburger Polizistinnen und Polizisten, denen ich an dieser Stelle im Namen des gesamten Hauses für ihren tagtäglichen schweren Dienst danken möchte, verbunden mit den besten Genesungswünschen für diejenigen, die bei dieser furchtbaren Aktion zu Schaden gekommen sind.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich spreche auch Sie, Herr Ahlhaus, direkt an. Es geht dabei, anders als Sie in einem Interview behauptet haben, nicht um parteipolitische Spielchen und ich halte es auch – das muss an dieser Stelle gesagt werden – für grundfalsch, dass Sie nun klassisch, konservativ, beschränkt reagieren. Erstens wird jede Kritik am Senator sofort als Kritik an der Polizei dargestellt und zweitens werden, zumindest verbal, im Zweifelsfall wieder einmal nur höhere Strafen gefordert. Wenn das alles ist, Herr Ahlhaus, was Ihnen zu diesen Problemen einfällt, dann ist das deutlich zu wenig.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Joachim Bi- schoff DIE LINKE – Frank Schira CDU: Was fällt Ihnen denn ein? – Olaf Ohlsen CDU: Mach doch mal einen Vorschlag!)

Im Übrigen glaube ich, dass allein durch höhere Strafen wohl niemand abgeschreckt wird, da leider auch die Entdeckungsgefahr in Hamburg in diesem Deliktsbereich geradezu bei Null liegt. Mittlerweile gab es in unserer Stadt mehr als 150 Brandanschläge oder Attacken auf Wohnhäuser und Autos, doch niemals wurden bisher wirklich die Täter ermittelt. Die Phrase, "man werde alles daran setzen, die Täter zu ermitteln", haben ich und viele in unserer Stadt nach jedem der mehr als 150 Brandanschläge schon zu oft gehört.

Das "Hamburger Abendblatt" schrieb durchaus zutreffend, es sei nicht Larmoyanz, sondern Tatkraft gefragt, womit es meiner Meinung nach ins Schwarze getroffen hat. Ebenso wie es für die Verbrecher kein Recht auf Gesetzesfreiheit gibt, gibt es für Sie, Herr Ahlhaus, und für den Hamburger Senat keinen Anspruch darauf, in der Sicherheitspolitik einfach so weiterzumachen wie bisher. Wir

müssen diesen Verbrechern als wehrhafte Demokratie entschlossen entgegentreten und dabei darf es kein Deckmäntelchen für das Versagen des Senats in der Politik zur Inneren Sicherheit geben.

(Beifall bei der SPD)

Herr Ahlhaus, sorgen Sie deshalb endlich dafür, dass unser Verfassungsschutz so aufgestellt ist, dass solche kriminellen Planungen den Sicherheitsbehörden rechtzeitig, also vorher, bekannt sind. Sorgen Sie dafür, dass unsere Polizei nicht ständig mit weniger Personal auf der Straße auskommen muss.

(Wolfgang Beuß CDU: Oh, oh, das müssen Sie sagen!)

Langweilen Sie Bürgerschaft und Öffentlichkeit nicht ständig mit der Forderung nach höheren Strafen, sondern sorgen Sie endlich dafür, dass diese Kriminellen dorthin kommen, wo sie hingehören, nämlich hinter Schloss und Riegel.

(Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE – Wolfgang Beuß CDU: Das ist doch unglaublich!)

Wo Gesetzesverschärfungen tatsächlich helfen können, werden wir uns nicht verweigern, aber unser Problem in Hamburg ist nicht allein die Höhe der Strafe, sondern vor allem die Tatsache, dass die Täter nicht dingfest gemacht werden. Das ist Ihre Aufgabe und so fordere ich Sie auf, weniger herumzureden und stattdessen mehr Ergebnisse zu liefern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Voet van Vormizeele.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal sei deutlich und klar gesagt, dass dieser Anschlag auf ein Hamburger Polizeikommissariat ein für Demokraten nicht hinnehmbarer gewalttätiger Akt ist, den wir aufs Schärfste verurteilen und bei dem wir als Demokraten in diesem Hause allesamt gefordert sind, deutlich zu machen, dass unser gesellschaftliches System so etwas nicht akzeptiert.

(Beifall bei der CDU, der GAL, der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Es muss deutlich und klar werden, dass Gewalt in unserer Gesellschaft niemals ein Mittel der Auseinandersetzung ist. Wer Gewalt einsetzt, muss damit rechnen, gesellschaftlich geächtet zu werden. Es darf keinen wie auch immer gearteten Versuch geben, diese Art von Gewalteinsatz zu rechtfertigen.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der GAL und der SPD und bei Dora Heyenn DIE LIN- KE)

Diese Menschen, die dieses Polizeikommissariat in einer unglaublichen Art und Weise überfallen haben, sind keine sozialen Outlaws oder verspäteten Revolutionäre aus Frankreich, sondern schlichtweg Gewaltkriminelle und als solche müssen sie auch behandelt werden.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Es gibt dafür keinerlei politische Rechtfertigungen und wir müssen feststellen, dass dieser Angriff eine neue Qualität gehabt hat, und zwar nicht wegen der Brutalität oder der ungeheuren Bereitschaft, Menschenleben zu gefährden – das ist etwas, was wir leider schon seit längerer Zeit beobachten müssen –, sondern weil zum ersten Mal seit Langem ein überaus systematisches Vorgehen gewählt worden ist. Dies müssen wir zur Kenntnis nehmen, darüber müssen wir nachdenken und gemeinsam Konzepte dafür finden, wie wir einer solchen systematisierten Gewalt entgegentreten können.

Aber, Herr Neumann, dafür reicht es nicht aus, fordernd aufzutreten und zu sagen, die anderen würden gar nichts machen. Ich habe von Ihnen nicht ein einziges Wort gehört, wie Sie solcher Gefahr entgegentreten wollen – zu Recht übrigens.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Vollkommen zu Recht, denn wer jetzt behauptet, er habe das Patentrezept, der veralbert die Menschen in diesem Lande. Dafür gibt es kein Patentrezept. Um einer solchen Gewalt entgegenzutreten, brauchen wir den gemeinsamen Diskurs und müssen uns gemeinsam anstrengen. Da Herr Dr. Dressel dies bereits im "Hamburger Abendblatt" angekündigt hat, sage ich auch noch einmal ganz deutlich an die Adresse der Kollegen der SPD, dass auch Große Anfragen das Problem nicht lösen. Das ist die typische Reaktion der SPD und keine Aussage zu dem, was Sie eigentlich wollen.

Was wir mit diesen Angriffen erlebt haben, ist Ausdruck mangelnden Respekts gegenüber staatlichen Einrichtungen und hat sehr viel damit zu tun, dass bestimmten Menschen gar nicht mehr bewusst ist, dass Feuerwehr und Polizei in dieser Gesellschaft gerade die Armen und die Schwachen schützen. Reiche können sich Sicherheit kaufen, arme Menschen nicht. Wer das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellt, stellt einen wesentlichen Grundpfeiler unserer Demokratie in Frage. Wer sich selbst das Recht herausnimmt, zuzuschlagen statt zu argumentieren, beraubt sich der eigenen politischen Rechtfertigung.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der GAL und der SPD und bei Dora Heyenn DIE LIN- KE)

Wir brauchen wieder einen gesellschaftlichen Konsens, der Gewalt als Mittel ächtet. Wir müssen uns

(Michael Neumann)

darüber einig sein, dass keiner, aber auch gar keiner auf die Idee kommt, solche Gewalttaten auch nur ansatzweise zu rechtfertigen; egal ob sie gegen Menschenleben oder gegen Sachen gerichtet sind, sie sind nicht akzeptabel. Wir brauchen auch keine Heroisierung solcher Gewalttäter, sondern eine klare Aburteilung nach unseren Rechtsstaatsprinzipien. Wir brauchen auch keine Aufwertung dieser kriminellen Angreifer als Nachfolger der RAF, sondern eine deutliche Aussage, dass unsere Demokratie solche Taten nicht duldet. Wir brauchen auch, verehrte Kollegen Neumann und Dressel, keine Presseerklärungen, in denen versucht wird, die Verantwortung für solche Taten dem Senat in die Schuhe zu schieben. Sie haben gerade wieder bewiesen, dass Sie leider nach einem guten Beginn Ihrer Rede die Ernsthaftigkeit im zweiten Teil verloren haben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Wer sich dieses Problems ernsthaft annehmen will, Herr Neumann, sucht in dieser Frage durchaus auch die Diskussion und die Gemeinsamkeit der Demokraten und nutzt nicht die Gelegenheit, um irgendwelche alten Forderungen erneut zu stellen. Kein einziger Polizeibeamter in Hamburg mehr wird einen solchen Angriff verhindern, denn diejenigen, die die Polizei angegriffen haben, sind als Täter unterwegs und es geht nicht um diejenigen, die als Polizeibeamte unterwegs sind. Schuld an diesen Übergriffen sind nicht Polizeibeamte oder ihre Erziehung oder gar die Umstände in ihrem früheren Leben, sondern schuld sind einzig und allein die kriminellen Gewalttäter. Wir werden nicht zulassen, verehrte Kollegen der SPD, dass Sie das verdrehen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Möller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Trotz der wichtigen Frage, wie die Politik auf einen derart verwerflichen Übergriff auf eine Polizeiwache, auf Brandstiftung und auf die Gefährdung von Menschen als singuläre schwere Straftat reagieren kann und soll, ist zu sagen, dass die Innere Sicherheit in Hamburg nicht gefährdet ist. Es handelt sich nicht um ein Versagen der Polizei oder der Regierungskoalition, sondern aus Sicht der Täter und einzelner anderer sind derartige Taten wahrscheinlich das extremste Mittel, Kritik an der Gesellschaft und dem politischen System zu üben. Bei Übergriffen auf die Polizei ist nicht die Polizei das eigentliche Ziel, sondern die Politik und der Staat. So abstrakt muss man es sagen, um einen politischen Umgang mit dieser Situation zu ermöglichen. Die Aufklärung von Straftaten, die Verfolgung von Tätern ist in unserem Rechtsstaat

gut organisiert und erfolgt mit angemessenen Instrumenten. Falls hier nachgesteuert werden muss, müssen wir darüber debattieren, aber die Aufklärung bleibt im Kompetenzbereich der Polizei.

Welche Instrumente hat die Politik, um mit dieser Herausforderung umzugehen? Wir dürfen uns jetzt auf keinen Fall auf unsere eigene Radikalisierung einlassen, um es drastisch auszudrücken, sondern wir müssen die Vernunft hochhalten.

(Beifall bei der GAL, der CDU und der LIN- KEN)

Dies ist möglicherweise nicht so einfach, denn es gibt öffentlichen Druck und eine heftige öffentliche Auseinandersetzung über die Frage, was eigentlich noch kritische Auseinandersetzung ist, wo die Grenze zu Gewalt überschritten wird und ob derartige schwere Vorfälle – in Berlin gab es einen ähnlichen im Oktober – nicht einfach mit schärferen Strafandrohungen beantwortet werden müssen; ich glaube nicht.

Die Schwierigkeit in Hamburg besteht darin, dass es gleichzeitig zur kritischen Auseinandersetzung mit der Regierung, und zwar mit jeder Regierungskonstellation – wir haben gestern einen Teil der Debatte hierzu geführt –, eine Radikalisierung einzelner Andersdenkender gibt und dafür brauchen wir Lösungen. Einerseits ist unser Rechtsstaat genau das richtige Gesellschaftssystem für kreative Auseinandersetzungen, Widerstandsformen, Demonstrationen. Das alles müssen und wollen wir aushalten und sind somit in unserem politischen Handeln zum Nachdenken und zur Überprüfung unserer Arbeit aufgefordert. Andererseits aber darf man die Gewalt nicht kleinreden, was hier auch niemand tut. Wir alle müssen sehr darauf achten, genau das nicht zu tun, denn sonst würden wir alle anderen Formen der kritischen Auseinandersetzung mit uns selbst, mit dem Staat und mit der Politik entwerten.

(Beifall bei der GAL, der CDU und der LIN- KEN)

Wenn also zehn Leute eine Wache überfallen, dann ist das eine gefährliche und verwerfliche Straftat. Wenn aber gleichzeitig 1 500 Menschen ohne Polizeispalier demonstrieren, wenn uns nächste Woche eine ähnlich große Demonstration erwartet, so ist das etwas, was wir in dieser Gesellschaft brauchen und was uns politisch voranbringt.

(Beifall bei Dr. Eva Gümbel und bei Linda Heitmann, beide GAL)

Unsere Instrumente müssen ausgewogen sein. Einerseits müssen wir uns mit den Gründen auseinandersetzen, warum sich Kritik radikalisiert, und man sollte sich schon einmal anhören, was in den betreffenden Menschen vor sich geht, auch wenn dafür eher Wissenschaftler als wir Politiker zuständig sind. Andererseits müssen wir uns fragen, was

(Kai Voet van Vormizeele)

wir politisch ändern können, um bestimmten Entwicklungen, sprich Radikalisierungen, entgegenzuwirken.

Ich freue mich, dass diese Debatte das Maß hält. Ich glaube nicht, dass strukturelle Kritik, zum Beispiel an der Ausrüstung der Polizei, oder Androhung von Strafverschärfung tatsächlich diese eine Straftat hätte verhindern oder in eine andere Richtung kanalisieren können. Ich bin auch davon überzeugt, dass diese Straftat unabhängig von mehr Polizistinnen und Polizisten auf der Straße und unabhängig von einer Strafverschärfung aufgeklärt werden wird. Aber wir müssen sie politisch als ein Warnsignal nehmen und ich freue mich, dass wir nicht auf der Ebene gelandet sind, auf der leider in Berlin diskutiert wurde, wo solche Überfälle mit der Nazizeit verglichen wurden.

(Beifall bei der GAL, der CDU und der LIN- KEN)