Protocol of the Session on November 4, 2009

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Stemmann, erst einmal vielen Dank für diesen mitreißenden Vortrag.

(Beifall bei der SPD-Fraktion)

Ich weiß gar nicht, wie oft die CDU in dieser Legislaturperiode bereits das Thema Gesundheitswirtschaft zur Debatte angemeldet hat, vier- oder fünfmal, ich glaube, Sie wissen es selbst nicht.

(Hjalmar Stemmann CDU: Zweimal!)

Es ist wirklich interessant, dass der CDU-Fraktion beim Thema Gesundheit nur das Thema Gesundheitswirtschaft einfällt. Es gibt für Sie scheinbar kein anderes Thema in diesem Bereich. Dabei gibt es so viele wichtige Gesundheitsthemen in dieser Stadt, wie beispielsweise die ambulante Versorgung oder auch die Situation in den Krankenhäusern.

Heute dürfen wir uns also mit einer 16-seitigen Senatsdrucksache zur Stärkung der Gesundheitswirtschaft in Hamburg beschäftigen. Auf den ersten Seiten erfolgt ein reiner Statusbericht, altbekannte Zahlen, leider nichts Neues. Wir erfahren unter anderem, dass die Zahl der älteren Menschen in der Bevölkerung zunimmt und dies natürlich Auswirkungen auf Pflege und die gesundheitliche Versorgung in Hamburg haben wird. Für den Senat ist das offensichtlich eine neue Erkenntnis, für die Mehrheit der hier Anwesenden ist es eher nichts Neues. Wer jetzt glaubt, wenigstens auf Seite 9 konkrete Handlungsansätze zu finden, Hinweise darauf, was mit welchen Akteuren in welcher Zeit umgesetzt werden soll, wird leider bitter enttäuscht. Es folgen weitere acht Seiten mit Absichtserklärungen. Da heißt es, der Zugang zu Beratungsangeboten und das Angebot haushaltsnaher Dienstleistungen solle ausgebaut werden. Das klingt irgendwie einleuchtend. Aber was ist daran innovativ? Der Senat will den mündigen beziehungsweise informierten Versicherten, die Bürgerinnen und Bürger sollen informiert werden; das ist das sogenannte Empowerment. Informierte Versicherte wollen wir alle sein. Aber wie soll das umge

setzt werden, durch mehr Transparenz? Ein guter Ansatz. Dies soll besonders für benachteiligte Gruppen gelten und für diese verbraucherorientiert aufbereitet werden. Aber wie das geschehen soll, wird mit keinem Wort erwähnt.

Konkret wird die Drucksache leider nur an wenigen Stellen. Die Gesundheitswirtschaft wird als wichtiger Wirtschaftsfaktor bezeichnet und dies ist sicherlich richtig. Aber die Frage ist, ist die Gesundheitswirtschaft auch der wachsende Markt, wie er in der Drucksache beschrieben wird. Mittel- und langfristige Wachstums- und auch Beschäftigungseffekte in der Gesundheitswirtschaft sind nicht erkennbar. Die Krankenhäuser haben bis heute, soweit bekannt, keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen und es gibt auch keine Hinweise darauf, dass sie dies zu tun gedenken. Diese Einschätzung wird durch Angaben des Statistischen Bundesamtes gestützt. In der "Financial Times" erschien im September dieses Jahres ein Artikel, der sich mit den Beschäftigtenzahlen in der Gesundheitswirtschaft befasste. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind die Beschäftigtenzahlen seit dem Jahre 2000 bundesweit um mehr als 40 000 gestiegen. Das klingt gut, sieht aber anders aus, wenn man bedenkt, dass das Arbeitsvolumen von 1997 bis 2007 mit rund 3,3 Millionen rechnerisch Vollzeitbeschäftigten relativ konstant geblieben ist. Das Wachstum der Beschäftigtenzahlen ist nur der Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitstellen geschuldet und bedeutet keineswegs eine Zunahme der Stellen insgesamt.

Mit keiner Zeile wird in der Drucksache auf die wirklichen Probleme beim Thema Gesundheit Bezug genommen. Da wird zwar erwähnt, Hamburg sei bei den Krankenhausinvestitionen Spitzenreiter und gebe rund 9000 Euro im Jahr für ein Krankenhausbett aus im Gegensatz zu anderen Bundesländern, die nur 5700 Euro im Jahr ausgäben. Das, lieber Senat, heißt aber nicht, dass Hamburg besonders gut ist, sondern nur, dass Hamburg besonders viel Geld ausgibt. Wenn die Tatsache, dass man besonders teuer baut, einen gleich in die Spitzengruppe katapultieren würde, dann wären wir, wenn wir die explodierenden Kosten der Elbphilharmonie betrachten, auf dem besten Weg, Kulturhauptstadt Europas zu werden.

(Beifall bei der SPD)

In der Drucksache wird leider auch nichts dazu gesagt, dass Hamburg den Landesbetrieb Krankenhäuser trotz eines anderslautenden Volksentscheids verscherbelt hat und rund 1000 Beschäftigte von Asklepios

(Jörn Frommann CDU: Immer dieselbe Lei- er!)

Ihr Wahlrecht wahrgenommen haben und zur Freien und Hansestadt Hamburg zurückgekehrt sind. Sie konnten die Arbeitsbedingungen ihres neuen

(Hjalmar Stemmann)

Arbeitgebers Asklepios nicht ertragen, hatten Angst vor Jobverlust und haben lieber in Kauf genommen, an irgendeinem Arbeitsplatz der Stadt Hamburg zu landen. Dabei haben viele bis heute keinen festen Arbeitsplatz, sondern dümpeln in irgendwelchen Projekten vor sich hin. Was soll mit diesen Menschen eigentlich auf lange Sicht passieren? Gibt es irgendein Konzept des Senats? Ich kenne keines.

Eine Folge des Verkaufs ist, dass sich der Pflegenotstand verschärft hat. Es herrscht in den Krankenhäusern eine dramatische Pflegesituation. Besser als sich damit zu brüsten, viel Geld in Krankenhausbetten zu stecken, sollten Sie überlegen, in die Menschen, in die Köpfe zu investieren.

(Beifall bei der SPD)

Zum Thema ambulante Versorgung wird in der Drucksache zwar gesagt, dass die Versorgungsstrukturen für Patientinnen und Patienten optimiert werden sollen, es wird aber mit keinem Wort erwähnt, wie die ambulante Versorgung in den besonders sozial schwachen Stadtteilen zukünftig sichergestellt werden soll. Wir haben in Hamburg ein dramatisches Versorgungsproblem, ein großes Angebot in Stadtteilen wie beispielsweise Eppendorf, ein schlechtes beziehungsweise gar kein Angebot in den sogenannten sozial schwachen Stadtteilen. Da nützt die vielbeschworene Facharztdichte und die Versorgung von Hamburg zu insgesamt 100 Prozent auch nichts.

Stattdessen wird stolz auf das Umsatzvolumen der Individuellen Gesundheitsleistungen, der sogenannten IGeL hingewiesen, Leistungen, die Versicherte als Selbstzahler in Anspruch nehmen können. Leider wird dabei vergessen, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich solche Extraleistungen gar nicht leisten können.

Klammheimlich haben die Freie und Hansestadt und die Handelskammer im März dieses Jahres eine Gesellschaft gegründet, um die Gesundheitswirtschaft zu bündeln und bei einem Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums Geld locker zu machen. Hamburg hat sich beworben, um zu den fünf Gesundheitsregionen der Zukunft zu gehören. Dies hätte 10 Millionen Euro aus dem Fördertopf gebracht. Leider ist es dem Senat nicht gelungen. Statt der erhofften Millionen gewann er in der ersten Runde 100 000 Euro und muss nun auf die dritte Runde hoffen. Ich hoffe, dies deckt wenigstens die bisher entstandenen Kosten.

Trotzdem stellt der Senat für diese Gesellschaft Gelder bereit, für andere Gesundheitsprojekte aber wenig oder gar kein Geld. Neben der Gesellschaft soll ein Beirat gebildet werden. Ein Beirat ist immer gut und wenn man nicht weiter weiß, bildet man einen Arbeitskreis, vermittelt er doch den Anschein von demokratischen Strukturen und ist nichts weiter als ein Element ohne Mitbestimmung. Wie im

mer fehlt der Umsetzungszeitpunkt in der Drucksache. Was soll denn bis wann geschafft werden? Wann darf die Bürgerschaft damit rechnen, informiert zu werden? Dies alles fehlt und abschließend lässt sich nur sagen: 16 Seiten heiße Luft statt einer Seite mit konkreten Vorschlägen. – Schade.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Heitmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben vor einigen Monaten schon einmal im Rahmen der Aktuellen Stunde hier in der Bürgerschaft zum Thema "Stärkung der Gesundheitswirtschaft in Hamburg" diskutiert und ich habe auch schon damals darauf hingewiesen, warum dieses Thema in der Stadt von zentraler Bedeutung ist. Das möchte ich noch einmal kurz aufgreifen.

Zum einen ist die Gesundheitswirtschaft gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklungen ein wichtiger Wirtschaftszweig und ein wachsender Wirtschaftszweig. Sie ist ein wichtiger Arbeitgeber mit 100 000 Beschäftigten; das entspricht etwa 8,6 Prozent aller Beschäftigten in dieser Stadt. Sie ist gleichzeitig ein wichtiger Ausbildungssektor und ein wichtiger Exportsektor. Und ich möchte vor allem betonen, dass in einer Wirtschaftskrise gerade dieser Wirtschaftszweig unabhängig von konjunkturellen Schwankungen ist, weil Gesundheitsdienstleistungen immer nachgefragt werden.

Herr Stemmann hat schon aufgeführt, was alles zur Gesundheitswirtschaft zählt. Es ist eine weitreichende Branche, die neben Ärzten und Krankenhäusern, die einem vielleicht als erstes einfallen, auch Bereiche wie Krankenkassen, Rehabilitationszentren, Apotheken oder auch den Fitnessund Wellnessbereich einschließt. In der Drucksache ist auch angesprochen, dass sich gerade dieser letzte Bereich, der Fitness- und Wellnessbereich, einer steigenden Bedeutung und Beliebtheit erfreut, was ich aus grüner Sicht, die wir uns sehr stark für Prävention im Gesundheitsbereich einsetzen, als sehr erfreulich erachte.

(Beifall bei der GAL)

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal erwähnen, dass gerade das Thema Prävention, das in der Drucksache auch stark betont wird, deutlich macht, dass Gesundheitspolitik insgesamt ein Querschnittsthema ist. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass jetzt auch der Pakt für Prävention in dieser Stadt seine Arbeit aufgenommen hat und dieser Pakt erarbeitet mit relevanten Akteuren aus sehr vielen Bereichen Ziele und Leitlinien für eine nachhaltige Präventionspolitik.

(Anja Domres)

Dass Prävention und Gesundheitspolitik Querschnittsthemen sind, müssen wir auch in anderen Bereichen deutlich machen. Wir müssen gesunde Ernährung und Bewegung in Schulen und Kitas dieser Stadt verankern, um in der Gesundheitspolitik erfolgreich zu sein. Wir müssen niedrigschwellige und wohnortnahe Angebote wie Familienhebammen-Projekte oder Gesundheitslotsen oder auch Eltern-Kind-Zentren, in denen auch Gesundheitsberatung stattfindet, weiter ausbauen. Hier möchte ich Frau Domres widersprechen, wenn sie sagt, hier würde kein Geld in Gesundheitspolitik in dieser Stadt fließen.

(Beifall bei der GAL und bei Hans-Detlef Roock CDU)

Um eine bessere Positionierung Hamburgs auch als überregionaler Gesundheitsstandort zu erreichen, zeigt diese Drucksache sehr viele Handlungsfelder auf, an denen wir arbeiten müssen. Zum einen ist das die bessere Vernetzung der verschiedenen Akteure. Zum anderen macht die Drucksache aber auch darauf aufmerksam, dass wir daran arbeiten müssen, genügend gute Bewerberinnen und Bewerber für Gesundheitsberufe auch in Zukunft zu finden. Das heißt, wir alle sind gefragt, diese Berufe attraktiv genug zu gestalten, um junge Menschen zu motivieren, sich in diesem Bereich zu bewerben.

Ein zweiter Punkt, der in der Drucksache als zentrale Aufgabe der Hamburger Gesundheitspolitik angesprochen wird, ist die bessere, gezielte Ansprache von Migrantinnen und Migranten sowie sozialen Randgruppen. Ich glaube, auch hier muss es immer eine Leitlinie unserer Politik sein, darauf zu achten, dass wir dies in den Fokus nehmen.

Ein weiterer Punkt, der in der Drucksache angerissen wird, ist, dass wir uns dafür einsetzen müssen, verbindliche Qualitätskriterien und mehr Transparenz im Gesundheitswesen für Patientinnen und Patienten zu schaffen. Ich möchte Ihnen widersprechen, wenn Sie sagen, hier seien nur Leitlinien und Ziele vorgegeben. Nein, hier sind auch Maßnahmen erwähnt, die schon umgesetzt werden. Gerade in diesem Bereich wird darauf verwiesen, dass der Hamburger Krankenhausspiegel ein strukturiertes Beschwerdemanagement oder auch die Patientinnen- und Patientenberatung bei der Verbraucherzentrale gute Ansätze sind. Die gilt es weiter auszubauen und über diese Ansätze zu diskutieren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Ich komme zu einem weiteren Punkt, der mir im Bereich der Gesundheitswirtschaft sehr wichtig ist. In dieser Drucksache ist auch erwähnt, dass die Gesundheitswirtschaft ein wichtiger Arbeitsbereich für Frauen ist. Das ist er wahrscheinlich, aber ich glaube, wir müssen darauf achten, dass auch in

der Gesundheitswirtschaft Gleichberechtigung herrscht. Es kann nicht sein, dass Frauen nur als Krankenschwestern oder Pflegerinnen oder Arzthelferinnen arbeiten, Frauen müssen auch Chefärztinnen werden und in der Pharmaindustrie leitende Positionen übernehmen.

(Antje Möller GAL: Genau, das finden wir auch!)

Das alles, liebe Frau Domres, sind wichtige Ansätze, die in dieser Drucksache betont werden, die Leitlinien einer Gesundheitspolitik in Hamburg sein sollten, um Hamburg auch als Gesundheitsstandort in Zukunft noch attraktiver zu machen. Ich möchte allerdings sagen, dass wir einer Überweisung der Drucksache nicht zustimmen werden, und zwar deshalb nicht, weil wir das Thema Gesundheitswirtschaft schon einmal diskutiert haben in einer gemeinsamen Sitzung des Gesundheitsund Wirtschaftsausschusses und ich mich leider daran erinnere, dass damals die Resonanz relativ mau war und die Sitzung nach einer Stunde zu Ende ging.

Ich glaube, diese Drucksache öffnet viele Felder und wenn man einzelne davon noch einmal tiefergehend bearbeiten will, dann sind wir dafür offen, diese noch einmal aufzugreifen, aber das Thema Gesundheitswirtschaft in seiner Gänze hier noch einmal in drei Ausschüssen zu diskutieren ist nicht zielführend. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Artus.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! 16 Seiten heiße Luft hat Anja Domres gesagt. Waren es wirklich nur 16 Seiten, mir kam es unendlich lang vor.

Ich will trotzdem noch einmal auf einige Details eingehen, denn ich hoffe, alle 121 Abgeordneten haben diese Drucksache gelesen. Man muss als Abgeordnete wirklich nicht alle Drucksachen lesen, aber diese hier sollte von allen gelesen worden sein, denn sie gibt einen Ausblick, wie wir in Hamburg perspektivisch gesundheitlich versorgt werden, also auch Sie hier im Raum, und vor welchem Hintergrund Strategien dafür entwickelt werden sollen und wer dies maßgeblich macht.

Einige Passagen haben bei mir große Bedenken provoziert und ein starkes Gefühl des Zweifels hinterlassen, ob die gesundheitliche Versorgung bei Schwarz-Grün in guten Händen ist.

(Harald Krüger CDU: In den besten!)

Ich teile Ihnen gerne meinen vorläufigen Eindruck mit: Sie ist es nicht. Die Drucksache liest sich, als wenn Sie sich im Grunde nur für das zu erwirt

(Linda Heitmann)

schaftende Kapital und das Prestige interessieren, was sich aus dieser Branche herausholen lässt.

(Hartmut Engels CDU: Das haben Sie wohl bei Karl Marx gelesen!)