Protocol of the Session on April 1, 2009

Manche Dinge muten so schlicht und als Notwendigkeit an; aber man muss auch sagen, dass in Fuhlsbüttel in Haus II sehr viel saniert worden ist. In der Untersuchungshaftanstalt ist mit der Sanie

rung begonnen worden. Diese Sanierungsmaßnahmen sorgen dafür, dass diese Gefängnisse, die tatsächlich noch zum Teil wie aus dem 19. Jahrhundert anmuteten – mit den offenen Decken, diese panoptischen Bauten, die tatsächlich schon durch ihre Architektur Angst machen sollten –, zu Hafthäusern werden, die modernen Standards entsprechen. Hierdurch ist es überhaupt erst möglich, mit dem Aufschluss anders umzugehen. Durch diese Umbauarbeiten, die in der Untersuchungshaftanstalt angefangen wurden, die wir fortführen und mit Priorität im Konjunkturprogramm untergebracht haben, wird es überhaupt erst möglich, zu anderen Einschlussregelungen zu kommen, zum Beispiel in der Untersuchungshaftanstalt. Das ist in der letzten Wahlperiode begonnen worden, das ist ein Verdienst, auf dem man aufbauen kann und auf dem wir auch aufbauen müssen, weil hier noch einiges zu tun ist.

In diesem Zusammenhang – das passt sehr gut, weil Sie auch hier versuchen, Widersprüche zu erzeugen, indem Sie schlicht und einfach alte Argumente gegeneinander stellen – ist das Thema Spritzentausch betroffen. Da wird deutlich, was schwarz-grüne Strafvollzugspolitik ist und was ein neues Denken im Strafvollzug ist. Wir haben in der Vergangenheit häufig sehr zugespitzt, sehr ideologisch und oft auch an der Sache vorbei diskutiert. Das sage ich im Hinblick auf meinen Vor-Vorgänger, aber auch im Hinblick auf Positionen, die ich selbst mit unterstützt und getragen habe.

Wie ist es aber ganz real mit dem Thema Spritzentausch? Wollen wir wirklich wieder Strukturen in den Haftanstalten, wie sie seinerzeit waren, unter denen es überhaupt möglich war, dass Gefangene sich in der Weise quer durch die Hafthäuser bewegten? Wollen wir wirklich zurück zu diesen panoptischen Haftanstalten, von denen wir uns zum Glück verabschiedet haben? Ich kann mir das nicht vorstellen. Wollen wir gleichzeitig ignorieren, dass Drogenkonsum mittlerweile eine ganz andere Qualität hat?

Ich sage nicht, dass alles besser geworden ist, mitnichten, aber wir haben das Problem, dass ganz andere Drogen konsumiert werden und dass die Drogen, die intravenös konsumiert werden, einen wesentlich geringeren Stellenwert haben. Jetzt zu sagen, wir drehen alles zurück und hängen die Spritzenautomaten auf, die vielleicht in den Neunzigerjahren die richtige Antwort waren auf die Dominanz von Heroin in den Haftanstalten, wäre wirklich eine rein symbolische, rein ideologische Handlung. Ich stehe dafür nicht zur Verfügung und die schwarz-grüne Koalition steht es in der Strafvollzugspolitik auch nicht.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

(Senator Dr. Till Steffen)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer einer Überweisung der Drucksache 19/2073 an den Rechtsausschuss zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Dann stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Großen Anfrage aus Drucksache 19/2073 Kenntnis genommen hat.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 57 und 22. Hier haben die Fraktionen einvernehmlich auf eine Debatte verzichtet.

[Antrag der Fraktionen der CDU und GAL: Neustrukturierung des gesundheitlichen Vorsorgeangebots für Kinder im Vorschulalter – Drs 19/2463 –]

[Antrag der Fraktion der SPD: Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung – Drs 19/2700 –]

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Vorsorgeuntersuchungen nach SGB V sowie gemäß Hamburgischem Kinderbetreuungsgesetz (KibeG): Welche Kinder werden bisher vom Senat trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht untersucht und was unternimmt der Senat gegen die geringere Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen in sozial schwächeren Stadtteilen? – Drs 19/2412 –]

Zur Drucksache 19/2463 liegt Ihnen als Drucksache 19/2700 ein Antrag der SPD-Fraktion vor.

Alle drei Drucksachen möchte die SPD-Fraktion an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss überweisen. Die CDU-Fraktion möchte die Drucksache 19/2463 nachträglich gemeinsam mit der Drucksache 19/2412 an den Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz überweisen. Deshalb kommen wir zunächst zum Überweisungsbegehren der SPD-Fraktion.

Wer diesem folgen und die Drucksachen 19/2463, 19/2412 und 19/2700 an den Familien-, Kinderund Jugendausschuss überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen, zunächst über den SPD-Antrag aus Drucksache 19/2700. Wer diesen annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe? – Enthaltungen? – Das ist mit großer Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zum gemeinsamen Antrag der CDUund der GAL-Fraktion aus Drucksache 19/2463.

Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist mit Mehrheit angenommen.

Wer nun einer nachträglichen Überweisung der Drucksache 19/2463 sowie der Überweisung der Drucksache 19/2412 an den Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Das ist einstimmig angenommen.

Wir kommen zu Punkt 61 der heutigen Tagesordnung, dem Antrag der SPD-Fraktion: Zwei-Klassen-Medizin in Hamburg: Ungerechte kassenärztliche Versorgung in den Stadtteilen.

[Antrag der Fraktion der SPD: Zwei-Klassen-Medizin in Hamburg: Ungerechte kassenärztliche Versorgung in den Stadtteilen – Drs 19/2497 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Domres, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zurzeit gibt es Entwicklungen in Hamburg, die zu gravierenden Änderungen in der ambulanten ärztlichen Versorgung führen können. Sehen wir dabei tatenlos zu, wird die flächendeckende ärztliche Versorgung in Hamburg nicht mehr sichergestellt werden können.

Was ist passiert? Es gibt zum einen die Entwicklung, dass kassenärztliche Praxen in Stadtteilen wie Wilhelmsburg, Billstedt, Finkenwerder oder auch Steilshoop aufgegeben werden. Die ärztliche Versorgung in diesen Stadtteilen ist nicht mehr sichergestellt und dies betrifft insbesondere Hausund Kinderärzte. Es gibt ebenfalls die Entwicklung in Hamburg, dass es immer mehr Medizinische Versorgungszentren, sogenannte MVZs, gibt, immer mehr werden gegründet, Zentren also, in denen medizinische Angebote unterschiedlicher Fachrichtungen vorgehalten werden. Diese Medizinischen Versorgungszentren sind nicht grundsätzlich als negativ anzusehen. Medizinische Versorgungszentren, die von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen gegründet und aufgebaut werden und gewissermaßen das alte Polyklinik-Prinzip der ehemaligen DDR wiederbeleben, sind als durchaus positiv zu sehen.

Problematisch wird es dann, wenn Medizinische Versorgungszentren in großem Stil von Krankenkassen und auch von Krankenhäusern aufgebaut werden. In Hamburg gibt es zurzeit 28 Medizinische Versorgungszentren, davon befindet sich die Mehrheit in der Hand von großen, kapitalstarken Anbietern. So gibt es ein Medizinisches Versorgungszentrum in Winterhude, in der Jarrestadt, das von einer Krankenkasse betrieben wird und für

das unter anderem eine Hausarztpraxis aus Finkenwerder und eine Internistenpraxis aus Billstedt abgezogen wurden. Diese Sitze mussten durch Sonderbedarfszulassungen nachbesetzt werden. Die Kosten dieser Sonderbedarfszulassungen werden übrigens von allen Ärzten in Hamburg getragen.

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Frau Domres, Entschuldigung. Ich kann vieles nachvollziehen, aber wir alle haben jetzt die Aufgabe, der Rednerin zu lauschen. Wer das nicht mehr mag, gehe bitte vor die Tür und die anderen hören still zu.

(Wolfgang Beuß CDU: Das ist ja wie in der Schule hier!)

Das ist wie in der Schule, wenn Sie sich wie in der Schule benehmen.

Frau Domres, Sie haben das Wort.

– Genau, gleich gibt es einen Tadel.

Es gibt auch Medizinische Versorgungszentren, die von Krankenhäusern wie insbesondere Asklepios betrieben werden und für deren Gründung Kassenarztsitze in großem Stil aufgekauft werden. Asklepios hat gerade angekündigt, zehn weitere Medizinische Versorgungszentren in Hamburg zu gründen und dafür 50 weitere Kassenarztsitze aufzukaufen.

Wir haben also die Situation, dass zum einen in sogenannten sozial schwächeren Stadtteilen Kassenarztpraxen aufgegeben werden und zum anderen zusätzlich Kassenarztsitze, insbesondere aus diesen Stadtteilen, für die Gründung Medizinischer Versorgungszentren abgezogen werden, eine Entwicklung, die jetzt schon zu einer medizinischen Unterversorgung in verschiedenen Stadtteilen führt, die, sollte sie ungebremst weitergehen, zu einer Zweiteilung der ambulanten medizinischen Versorgung dieser Stadt führen kann.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Es gibt Stadtteile, die keine ausreichende ambulante medizinische Versorgung mehr vorhalten und Stadtteile, in denen ein reichhaltiges Angebot von Ärzten jeder Fachrichtung besteht. Man muss sich dabei schon fragen, warum eine Krankenkasse ein Medizinisches Versorgungszentrum betreiben muss, ob da nicht die Gefahr einer Interessenkollision besteht.

Abgesehen davon wurde gerade für dieses MVZ in Winterhude, in der Jarrestadt, jetzt laut der Kassenärztlichen Vereinigung im ersten Quartal nachgewiesen, dass nur 40 Prozent der Patienten ver

sorgt wurden, die früher von den Kassenarztpraxen zu 100 Prozent versorgt wurden. Es wurden also nur 40 Prozent der Leistung erreicht, die früher in den Praxen selbst erreicht wurde.

Man muss sich natürlich auch fragen, ob Medizinische Versorgungszentren in Klinikhand ein originäres Interesse an einer guten, ambulanten Versorgung haben, die zu einer Vermeidung von stationären Aufenthalten führen, oder ob sie nicht vielmehr dazu dienen sollen, den Kliniken die notwendigen stationären Patienten zuzuführen und daher eher die Kosten im Gesundheitswesen steigern als zurückschrauben. Schließlich muss man sich auch fragen, wie das Ganze unter dem Aspekt einer fairen Konkurrenzsituation zu sehen ist. Eine normale Kassenarztpraxis kann mit der Ausstattung eines MVZ, eines Medizinischen Versorgungszentrums, nicht mithalten und Kassenarztpraxen werden dadurch immer weiter zurückgedrängt.

Mir geht es nicht darum, sämtliche ärztliche Fachrichtungen in jedem Stadtteil vorzuhalten. Es ist Menschen durchaus zumutbar, beispielsweise zu radiologischen Untersuchungen auch etwas weiter fahren zu müssen. Aber die medizinische Grundversorgung durch Hausärzte, durch Kinderärzte und auch durch Internisten muss soweit sichergestellt werden, dass beispielsweise – dieses berühmte Beispiel aus dem "Hamburger Abendblatt" der letzten Wochen – eine Mutter mit einem hoch fiebernden Kind nicht gezwungen ist, weit zu fahren beziehungsweise ihr Kind in einer Klinik abgeben zu müssen, weil in ihrem Stadtteil keine Kinderarztpraxis mehr existiert und die Kinderärzte in den angrenzenden Stadtteilen Aufnahmestopp bei den Patienten haben.

Der Senat hat hier als Aufsichtsbehörde eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber der Hamburger Bevölkerung, gleiche Lebensbedingungen zu schaffen in allen Stadtteilen und auch die ärztliche Versorgung in allen Stadtteilen flächendeckend sicherzustellen. Er kann sich nicht darauf zurückziehen, dass die ärztliche Versorgung grundsätzlich Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigung ist und nicht des Senats. Abgesehen davon haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag selbst gesagt, dass Sie sich für eine flächendeckende Versorgung in jedem Bezirk, vor allem hinsichtlich der Haus- und Kinderärzte, einsetzen würden. Sie können sich hier nicht darauf zurückziehen, dass das eine Aufgabe der KV, der Kassenärztlichen Vereinigung, ist, denn diese untersteht letztendlich auch der Aufsicht der Gesundheitsbehörde.

Wie kann man versuchen, diese Problematik zu lösen? Wir haben das Problem, dass Hamburg ein Planungsgebiet ist, das heißt, ein Zulassungsgebiet für Praxen. Eine Lösung des Problems könnte daher ein Neuzuschnitt des Hamburger Planungsgebiets sein nach dem Vorbild von Berlin. In Berlin gab es bis zum Jahre 2003 kleinere Planungsbe

reiche für vertragsärztliche Versorgung. Diese Planungsbereiche waren die Bezirke in Berlin. Eine solche Lösung wäre für Hamburg grundsätzlich denkbar, wobei man natürlich auch sehen muss, dass ein Planungsbereich, der einen der sieben Bezirke beinhaltet, immer noch nicht für eine flächendeckende Versorgung der verschiedenen ärztlichen Angebote sorgen würde. Wenn man sich zum Beispiel den Bezirk Wandsbek herausgreift, hat man immer noch den Bereich Walddörfer, der natürlich viel lukrativer ist für Arztpraxen als ein Bereich wie Jenfeld.

Das heißt, man könnte in so einem großen Planungsbereich wie einem Bezirk immer noch nicht für die flächendeckende ärztliche Versorgung sorgen. Man müsste prüfen, ob eine Aufteilung in Hamburg nach Stadtteilen oder auch in vorher definierten kleineren Sozialräumen möglich wäre. Dies ist eine der Möglichkeiten.

Eine weitere Lösung, die in anderen Bundesländern, in Brandenburg und Sachsen-Anhalt, praktiziert wurde, ist die Zahlung von Sicherstellungszuschlägen durch Kassen, die einer möglichen Unterversorgung durch Haus- und Fachärzte in bestimmten Gebieten entgegengewirkt, oder die Schaffung von finanziellen Anreizen für die Gründung von Praxen in solchen Gebieten, damit es für Ärzte auch interessanter wird, sich in diesen Brennpunkten niederzulassen.

Diese Lösungen würden natürlich bedeuten, dass zusätzliche Gelder in das System gepumpt würden und man sich fragen muss, was die Kassenärztliche Vereinigung macht. Insofern können beide der zuletzt genannten Lösungen eigentlich nur die Ultima Ratio sein. Grundsätzlich kann man die Kassenärztliche Vereinigung nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Es ist ihre Aufgabe, für die flächendeckende ärztliche Versorgung zu sorgen. Hier sind die Kassenärztlichen Vereinigungen aufgerufen, durch eine sinnvolle Budgetsteuerung die ärztliche Grundversorgung in allen Hamburger Stadtteilen sicherzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Ich fordere den Senat auf, die dargestellten Lösungsmöglichkeiten zu überprüfen und dafür zu sorgen, dass die ärztliche Versorgung in allen Hamburger Stadtteilen sichergestellt ist.

(Beifall bei der SPD)