Protocol of the Session on April 1, 2009

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Krüger.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich denke, jeder von uns wünscht sich seinen Hausarzt oder seinen Kinderarzt in unmittelbarer Nachbarschaft, das ist nachvollziehbar. Aber mit Verlaub, Frau Domres, Ihr Antrag, den

Sie gerade formuliert haben, grenzt in der Tat an Populismus.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie nicht Ärzte in der Fraktion hätten oder sogar unter den Antragstellern ein Arzt wäre, dann würde ich Ihnen ansonsten nur noch völligen Mangel an Sachkenntnis unterstellen können, anders ist solch ein Antrag nicht zu erklären.

(Jörn Frommann CDU: Das wird ja noch schlimmer dadurch!)

In Hamburg gibt es derzeit rund 4100 niedergelassene Ärzte, das heißt rechnerisch, um Ihnen auf die Sprünge zu helfen, haben wir in Hamburg pro Quadratkilometer fünf niedergelassene Ärzte.

(Zuruf von Jan Quast SPD)

Kommen Sie einfach her, Herr Quast, diskutieren Sie mit mir und schimpfen Sie nicht aus der dritten Reihe.

Hamburg hat damit eine der höchsten Arztdichten in Deutschland überhaupt und ich will Ihnen, Herr Quast, damit Sie auch nachvollziehen können, was das bedeutet, ein Beispiel nennen. Augenärzte sind eine Disziplin …

(Zuruf von Jan Quast SPD)

Herr Quast, wollen Sie diskutieren oder pöbeln?

Augenärzte sind eine Gruppe, bei der immer wieder kritisiert wird, dass es nicht genügend gibt oder die Wartezeiten zu lang sind. Deshalb nehmen wir diese einmal, aber ich könnte Ihnen das auch für alle anderen Disziplinen vorrechnen. In Hamburg wären nach bundesweiten Vorgaben rechnerisch 134 Augenärzte erforderlich. Tatsächlich sind in Hamburg 146 zugelassen, das entspricht 110 Prozent. Das sagt so noch nicht viel aus. Aber ganz konkret kommt im Bundesgebiet, also in ganz Deutschland, ein Augenarzt auf 25 778 Menschen. Und nun passen Sie gut auf: In Hamburg kommt ein Augenarzt auf etwas mehr als 13 000 Einwohner. Hamburg hat am Beispiel Augenärzte eine doppelt so hohe, sprich doppelt so gute augenärztliche Versorgung.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Eva Gümbel GAL)

Diese Beispiele lassen sich wirklich beliebig fortsetzen. Hausärzte 109 Prozent, Internisten, und Sie wissen alle, dass ein Großteil der Internisten auch hausärztlich tätig ist, 161 Prozent im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Sie haben Kinderärzte angesprochen, Frau Domres, 110 Prozent, Psychotherapeuten, es wird immer kritisiert, dass es zu wenige gibt, 132 Prozent, Chirurgen 138 Prozent; ich könnte diese Liste endlos fortsetzen, das ersparen Sie mir aber. So viel zu der Formulierung in Ihrem Antrag, dass in Hamburg rechnerisch eine Überversorgung bestehe, dies sei ein

(Anja Domres)

Widerspruch zur Realität, deutlicher kann man es nicht ausdrücken. Hamburg ist eindeutig mit Ärzten ausgesprochen gut versorgt.

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker und Dr. Eva Gümbel, beide GAL)

Nun gibt es in der Tat, ich gebe Ihnen durchaus recht, eine ungleiche Versorgung in den Stadtteilen. Wir haben keine gleichmäßige Versorgung, das hat übrigens auch seinen Sinn, weil Ärzte als freie Berufe natürlich dort hingehen, wo die Patienten sind und wo auch sonst die Versorgungsstruktur stimmt, also beispielsweise die Verkehrsanbindung, oder – und das ist ganz wichtig, weil es sich an die SPD richtet – wo Arbeitsbelastung und Einkommen, und ich meine ein auskömmliches Einkommen für einen Arzt, im ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Tatsache ist, dass in Hamburg, nicht nur aber auch in Hamburg, Ärzte in bestimmten Stadtteilen eine Situation vorfinden, in der sie finanziell einfach nicht oder nicht mehr auskommen können.

Ich will Ihnen dazu gerne ein Beispiel aus dem Süderelberaum, wo ich mich ganz gut auskenne, vortragen. Dort kenne ich eine Hausarztpraxis mit zwei Ärzten in einem Gebiet, in dem sie eigentlich alleine sind, wo also keine weitere Praxis ist. Das bedeutet, sie haben sehr viele Patienten, sie haben ausschließlich Patienten der GKV, also keine Selbstzahler, das heißt, sie haben viel Arbeit, keine Wettbewerbssituation und nur GKV-Einnahmen. Jedem dieser beiden Ärzte bleiben bei bis zu 2000 Scheinen, die sie pro Quartal haben, nach Abzug der Praxiskosten, Miete, Gehälter für die Arzthelferin und nach Abzug der persönlichen Steuern 1200 Euro netto zum Leben für sich und seine Familie und das bei einer besonders hohen Arbeitsbelastung. Frau Domres, das ist das Problem.

Die geforderte Aufteilung Hamburgs in mehrere Planungsbereiche würde überhaupt nicht helfen. Die Entscheidung wird übrigens ganz nebenbei nicht von uns getroffen, sondern vom Gemeinsamen Bundesausschuss. Um auf Steilshoop oder die Sandbek-Siedlung zurückzukommen: Ohne einen entsprechenden Anteil Privatpatienten kommt ein niedergelassener Arzt einfach finanziell nicht mehr über die Runden. Der Kinderarzt aus Steilshoop ist übrigens im selben Bezirk umgezogen, nämlich von Steilshoop nach Poppenbüttel. Auch bei mehreren Planungsgebieten würden Ärzte im Bereich Wandsbek vermutlich eher nach Poppenbüttel als nach Steilshoop gehen.

Das Beispiel Berlin, das Sie vorgetragen haben, ist besonders spannend, denn Berlin hat wirklich darum gekämpft, dass die Aufteilung in mehrere Planungsgebiete aufgehoben worden ist, weil erstens überhaupt keine Verbesserung der Situation eingetreten ist, weil sich Ärzte in sozial schwierigen Stadtteilen einfach nicht angesiedelt haben, weil

es aber auch zu der Absurdität gekommen ist, dass ein Arzt zum Beispiel eine höhere Miete zahlen musste und noch nicht einmal auf die andere Straßenseite wechseln und umziehen konnte, weil dort ein anderer Planungsbereich gilt. Das schreckt Ärzte ab, das würde in Hamburg passieren und so etwas nennen wir in Hamburg verschlimmbessern.

Hamburg wird deshalb ganz sicher nicht für eine Aufteilung der Stadt in mehrere Planungsbereiche antreten. Mehr Ärzte würden wir deshalb auch nicht nach Hamburg bekommen, weil die bundesweiten Bedarfszahlen weiterhin gelten, dann eben heruntergebrochen auf kleinere Bereiche. Sprechen Sie einmal mit Ihrem Herrn Professor Lauterbach, der wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass wir in Deutschland sowieso viel zu viele niedergelassene Ärzte haben.

Ich gebe Ihnen recht, dass es finanzielle Anreize für Ärzte geben muss, aber nicht punktuell, sondern grundsätzlich. Auch wenn Frau Schmidt es anders darstellt, die Vergütung niedergelassener Ärzte ist zurzeit einfach nicht befriedigend geregelt. Immer mehr ältere Menschen und immer aufwendigere Therapien erfordern einfach mehr Geld im System, das muss man deutlich sehen. Wenn Sie etwas für Hamburg tun wollen, Frau Domres, sprechen Sie doch einmal mit Ihrer Genossin Schmidt in Berlin.

(Beifall bei der CDU und bei Horst Becker, Dr. Eva Gümbel und Antje Möller, alle GAL)

Zurück zur konkreten Situation. Hamburg hat ein hohes Interesse an ausgewogener Ärzteverteilung. Hilfen werden von der KV übrigens bereits jetzt gewährt, auch die geforderten Anträge für sogenannte Sicherstellungszuschläge würden durchaus von der Kassenärztlichen Vereinigung beantragt werden. Ihr Antrag hat sich in diesem Punkt schlicht erledigt, weil er gar keine Existenzberechtigung mehr hat. Aber in der Tat kommen die finanziellen Hilfen aus dem großen Topf, tun also wiederum anderen Ärzten weh und lösen das Problem überhaupt nicht.

Dort, wo es erforderlich ist, Frau Domres, werden Sonderbedarfszulassungen erteilt und diese haben den großen Vorteil, dass sie an den Stadtteil gebunden sind. Der Arzt, der mit einer Sonderbedarfszulassung nach Finkenwerder geht, kann diese eben nicht mehr mitnehmen, das gilt übrigens auch für medizinische Versorgungszentren, die zudem etwas sind, was gerade Frau Schmidt und Herr Lauterbach immer propagieren. Auch die Zulassungen an MVZs sind an den Stadtteil gebunden, können also nicht mehr mitgenommen werden. Das Problem ist nur, dass sich ein Arzt bewerben muss.

Nun komme ich zurück auf mein Beispiel Süderelbe. Es ist lange Zeit einfach nicht gelungen, einen Arzt zu finden, der bereit ist, nach Neuwiedenthal,

Hausbruch oder Fischbek zu gehen. Das ist erst jetzt nach monatelangen Verhandlungen geschehen. Jetzt gibt es einen Arzt und es wird in Kürze über die Sonderbedarfszulassung entschieden werden. Das gilt auch für Steilshoop, in Steilshoop tut die KV ganz viel, um einen Kinderarzt anzusiedeln. Sie übernimmt sogar die Kosten der betriebswirtschaftlichen Beratung, nur bis jetzt hat keiner der beiden Ärzte, die ein vages Interesse gemeldet haben, einen konkreten Antrag gestellt; so viel dazu. Die finanzielle Situation ist schlichtweg nicht ausreichend, ein Arzt muss erst einmal wollen, dann gibt es auch die Sonderbedarfszulassung.

Zu Ihrer dritten Forderung: Sie können doch nicht allen Ernstes fordern, dass das, was die gesetzliche Krankenversicherung zahlen muss und was originäre Aufgaben Dritter sind, in Zukunft von der Stadt bezahlt wird. Das ist schlichtweg das, was ich mit Populismus gemeint habe.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Wenn Sie sich dafür einsetzen wollen, dass es in Hamburg keine Mehrklassenmedizin gibt, dann wenden Sie sich schlichtweg an Ihre Bundesgesundheitsministerin und machen ihr klar, dass Ärzte zum einen ein auskömmliches Einkommen brauchen und zum anderen von unnötiger Bürokratie entlastet werden müssen, für die sie kein Geld bekommen und die ihnen einfach Zeit stielt, ihre Patienten zu behandeln. Aber tun Sie mir einen Gefallen, suggerieren Sie durch schlecht recherchierte Anträge nicht den Eindruck, Hamburg sei mit Ärzten schlecht versorgt. Hamburg ist ein hervorragender Gesundheitsstandort.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Heitmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn dieser Debatte noch einmal ausdrücklich sagen, dass wir das Anliegen Ihres Antrags sehr begrüßen. Auch mir ist es wichtig, dass die ärztliche Versorgung in allen Hamburger Stadtteilen sichergestellt ist, und gerade in den sozial schwächeren Stadtteilen ist die Mobilität der Bewohner häufig eingeschränkt, sodass es ihnen schwerer fällt, in weiter entfernte Praxen zu fahren.

Ich finde allerdings an dieser Stelle Ihren Antrag wenig zielführend. Wenn ich mir die Lyrik anschaue, dann haben Sie zwar viele richtige Argumente, ziehen daraus aber meiner Meinung nach die falschen Schlussfolgerungen und verdrehen in vielen Fällen einfach Ursache und Wirkung. In Absatz 2 haben Sie zum Beispiel sehr gut die Ursachen des Ärztemangels in sozial schwachen Stadtteilen geschildert, nämlich die schlechten Verdienste, die ein Arzt dort gerade durch die Patienten

struktur erzielen kann, und die hohe Arbeitsbelastung, die es gerade auch für Berufsanfänger schwer macht sich niederzulassen. Das ist alles richtig und das ist ein grundlegendes Problem, aber ich sehe, wie Herr Krüger auch schon ausgeführt hat, nicht die Möglichkeit, durch eine Aufteilung der Planungsbezirke Abhilfe zu schaffen, im Gegenteil.

Wie Sie habe ich mir auch das Beispiel Wandsbek herausgegriffen. Wenn wir uns vorstellen würden, wir würden neue Planungsbezirke schaffen und die Bezirke, wie wir sie jetzt in Hamburg haben, als Grundlage dafür nehmen, dann kann man in Wandsbek sagen, dass das Problem dort weiterhin besteht, dass ein Arzt, der vielleicht in Jenfeld war, in die Walddörfer umzieht, weil er dort bessere Arbeitsbedingungen vorfindet und es dann zu einer Unterversorgung in Jenfeld kommt. Wenn wir aber die Planungsbezirke so klein machen, dass Jenfeld ein eigener Versorgungsbezirk wird, dann ist es doch für Ärzte erst recht ein Wagnis, sich dort niederzulassen. Ich glaube, jeder Arzt würde es sich noch genauer überlegen, ob er in Jenfeld seine Praxis eröffnen möchte, wenn ihm danach überhaupt nicht mehr die Möglichkeit gegeben ist, dort wegzuziehen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Ein weiteres Beispiel dafür, dass Sie Ursache und Wirkung in Ihrem Antrag ein bisschen vertauschen, ist auch das Beispiel der MVZs. Sie haben selber erläutert, dass die Medizinischen Versorgungszentren nicht unbedingt an sich ein Problem darstellen, sondern vor allem die Standorte, die diese MVZs häufig wählen. Ich denke, wir sollten an die Träger appellieren, dass sie sich gerade in den sozial schwachen Brennpunkten niederlassen, weil diese MVZs nämlich gerade dort den jungen Ärzten die Chance bieten, unter besseren Bedingungen zu arbeiten und sich möglicherweise dort anzusiedeln und eine ärztliche Versorgung für die Bevölkerung sicherzustellen.

Insgesamt kann man sagen, dass der Staat den Auftrag, die ärztliche Versorgung in den Stadtteilen sicherzustellen, an die Kassenärztliche Vereinigung abgegeben hat und dies nicht mehr Aufgabe des Staates ist. Wir haben es, wie Sie erwähnt haben, selbst im Koalitionsvertrag verankert, in Gesprächen mit der Kassenärztlichen Vereinigung darauf hinzuwirken, dass diesem Auftrag nachgekommen wird. Viel weiter können unsere Eingriffe leider nicht gehen. Denn wenn man diesen Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung infrage stellt, dann kann man beispielsweise – das ist die eine Möglichkeit – die Rahmenbedingungen von staatlicher Seite für die Kassenärztliche Vereinigung verändern, indem man die Planungsbezirke neu aufteilt. Ich habe gerade schon erläutert, warum ich das für nicht zielführend halte. Die andere Möglichkeit ist, dass der Staat in Einzelfällen bei einem

(Harald Krüger)

scheinbaren Versagen der Kassenärztlichen Vereinigung eingreift. Dadurch würde aber der staatliche Auftrag an die Kassenärztliche Vereinigung grundsätzlich infrage gestellt, was ich ebenfalls für nicht zielführend halte.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Sie haben in Ihrem Antrag die Instrumente der Anreize vorgeschlagen. Das sind Instrumente, die der Kassenärztlichen Vereinigung auch heute schon zur Verfügung stehen und die sie auch bereit ist, in Fällen wie beispielsweise in Steilshoop einzusetzen, genauso wie sie Bereitschaft signalisiert hat, eine Sonderzulassung zu vergeben. Aber das Grundproblem, das ist sehr deutlich, sind die Arbeitsbedingungen der Ärzte und das Problem, dass es für die Ärzte einfach unattraktiv ist, sich in diesen Stadtteilen niederzulassen, und da hilft auch das herumdoktern an den Planungsbezirken nicht.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Grundsätzlich muss man einfach zugeben, dass der staatliche Handlungsspielraum durch die Abgabe dieses Auftrags an die Kassenärztliche Vereinigung extrem begrenzt ist und wir sollten uns auch als Politiker etwas zurückhalten und nicht vorgaukeln, dass wir einen Spielraum hätten, wo wir ihn nicht haben, und reine Symbolpolitik betreiben, um die Gemüter zu befriedigen. Das und nicht viel mehr ist nämlich leider dieser Antrag und deshalb lehnen wir ihn heute auch ab.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Frau Artus.