Protocol of the Session on November 19, 2008

Vor fast zehn Jahren, nämlich 1999, verpflichtete der Vertrag von Amsterdam die EU-Mitgliedsstaaten, Gender Mainstreaming als Querschnittsaufgabe in allen relevanten Politikbereichen umzusetzen und auch der Europarat setzte sich mit den Anforderungen des Gender Budgeting auseinander. Schon sehr frühzeitig beschäftigte sich das Berliner Abgeordnetenhaus mit Gender Budgeting und es hat sich auf den Weg gemacht, es zum integralen Bestandteil der Haushaltspolitik zu machen. Besonders ist hervorzuheben, dass mit der Einrichtung der Arbeitsgruppe Gender Budgeting bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen im Rahmen einer durchdachten

Gender-Mainstreaming-Strategie wichtige Impulse zur Umsetzung gegeben werden.

Zu den Aufgaben dieses Arbeitskreises gehört es, institutionelle und konzeptionelle Grundlagen für die Erstellung eines geschlechtersensiblen Haushalts in der Berliner Verwaltung zu schaffen, damit auf dieser Grundlage die Auswirkungen von Maßnahmen auf die Lebensverhältnisse von Frauen und Männern analysiert werden und so die öffentlichen Gelder geschlechtergerecht verteilt werden können. Zudem bietet die Arbeitsgruppe regelmäßig Fortbildungen für die Mitarbeiter der Berliner Verwaltung an.

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Herr Waldowsky, ich will Ihnen nur helfen. Ich weiß, dass es spät ist, aber wenn ich die Zahl nennen würde, die hier noch an Redezeit zur Verfügung steht, würde es vermutlich Tumulte geben. Aber es wäre ganz nett, wenn diejenigen, die sich in den hinteren Reihen so angeregt unterhalten, dies vielleicht draußen fortführen, dann können wir weiterhin Herrn Waldowskys Beitrag zu Gender Budgeting lauschen.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Auf Initiative der rot-grünen Bundesregierung gab das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im April 2005 eine Machbarkeitsstudie zum Gender Budgeting auf Bundesebene in Auftrag. Als diese Studie im Laufe des Jahres 2006, nach der letzten Bundestagswahl, fertiggestellt wurde, stießen die Ergebnisse bei der Großen Koalition leider nur auf wenig Interesse, dies aber ganz zu Unrecht, weil die Lektüre der Studie sehr erhellend ist und sie viele vernünftige und zielgerichtete Schlussfolgerungen präsentiert. Frau Koop hat darauf hingewiesen, dass sich der Haushaltsausschuss in einer Expertenanhörung unter anderem auch durch die Autoren dieser Studie schlau gemacht hat.

Dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg fehlte in der letzten Legislatur mitunter die Einsicht in die Notwendigkeit von Gender Budgeting. Aber schließlich konnte im Haushaltsausschuss Einvernehmen zwischen allen Parteien darüber hergestellt werden, dass sich der Senat im Zuge von Haushaltsaufstellungen mit einer geschlechtergerechten Darstellung bei der Verwendung der finanziellen Mittel auseinandersetzen muss und hierzu der Bürgerschaft Bericht erstatten möge.

Ein Blick in den Haushaltsplan-Entwurf für 2009/ 2010 zeigt sehr schnell, dass es dem Senat nicht gelungen ist, die erste dieser Forderungen umzusetzen.

(Gabi Dobusch)

(Glocke)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Herr Waldowsky, es tut mir wirklich Leid, dass ich Sie noch einmal unterbrechen muss. Aber der eben gegebene Hinweis für diese Gespräche gilt auch für die hinteren Reihen der CDU-Fraktion. Vielleicht könnten die Herren Trepoll und Erkalp sich zusammensetzen, dann bräuchten sie nicht so laut zu reden über die Sitze hinweg.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD und der LINKEN)

In wenigen Wochen wird vom Senat eine Drucksache zur Haushaltsmodernisierung vorgelegt werden und diese wird auch auf die Frage nach einer möglichen Implementierung von Gender Budgeting im Hamburger Haushalt Antwort geben. Der Senat hat sich – dies dürfen wir der ansonsten eher mageren Antwort des Senats entnehmen – mit der Studie des Bundesfamilienministeriums beschäftigt und wird an dessen Erkenntnissen so schlankweg nicht vorbeikommen.

Wenn die Senatsdrucksache nun in Kürze vorliegt, werden wir sie hier in aller Ruhe studieren und können uns dann auch gerne in der Bürgerschaft oder im zuständigen Haushaltsausschuss damit auseinandersetzen. Ich kann allerdings zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn darin erkennen, über die Große Anfrage der LINKEN nach der Debatte in der Bürgerschaft dies nochmals in den Fachausschüssen zu diskutieren. Wo soll dann noch ein Erkenntnisgewinn sein, solange nicht die Antwort des Senats vorliegt?

Deshalb lehnen wir eine Überweisung an den Ausschuss ab, nehmen aber das Thema Gender Budgeting auf baldige Wiedervorlage und freuen uns dann auf eine fruchtbare Diskussion mit allen Parteien. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Frau Artus.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Lassen Sie mich zwei Argumente nennen, warum ich es für nötig halte, darüber sehr wohl weiter zu diskutieren.

Erst einmal steht im derzeitigen Haushaltsplan-Entwurf dazu überhaupt nichts und wenn Sie, die Bürgerschaft der alten Wahlperiode, das ernst meinen, dann sollten Sie in diesem Haushalt damit anfangen und wenn es nur darum geht, wenigstens ein paar Akzente zu setzen. Also sollte das sehr wohl im Haushaltsausschuss diskutiert werden.

Lassen Sie mich noch einen weiteren positiven Effekt deutlich machen, auch in dem Sinne, welche Änderung der hamburgischen Verfassung wir gerade beschlossen haben. Ein weiterer Effekt von Gender Budgeting ist auch, dass es um mehr Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung geht. Ein Haushalt muss nach Gender-Budgeting-Kriterien nämlich verstanden werden. Es muss deutlich werden, wie viel Geld für welche Maßnahme mit welchem Ziel verwendet wird. Dies muss so anschaulich dargestellt werden, dass es jede und jeder versteht. Die derzeitigen Haushaltsunterlagen sind nur sehr bedingt geeignet, verstanden zu werden.

Die Umsetzung von Gender Budgeting führt auch dazu, dass das Politikersprech in Rede und Schrift über kurz oder lang hoffentlich aussterben wird. Gender Budgeting führt damit zu einer Demokratisierung von Verwaltungsprozessen und deswegen gehören auch alle sieben Hamburger Bezirke in die künftige Gender-Budgeting-Strategie des Senats eng eingebunden. Es muss von dort aus beginnen und man muss langsam anfangen. Wir haben viel vor uns; Frau Koop hat erwähnt, welchen Aufwand es bedeuten könnte. Wir sollten rechtzeitig anfangen und nicht über irgendwelche Wiedervorlagen reden.

Mir liegt ein Papier der Finanzbehörde vor, in dem es um die Unterrichtung der Mitglieder des Haushaltsausschusses über die Zielsetzung, den Sachstand und die geplanten Schritte der Haushaltsmodernisierung geht. Darin finde ich lediglich einen Hinweis für die Schaffung transparenter Entscheidungsgrundlagen für mehr Generationengerechtigkeit; das ist dann auch schon alles. Aber wo ist da bitte schön die gerechtere Ressourcenverteilung auf die Geschlechter?

Ich bitte Sie also, der Überweisung an den Haushaltsausschuss zuzustimmen und nicht nur eine Wiedervorlage zu beschließen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen, dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer einer Überweisung der Drucksache 19/1025 federführend an den Haushaltsausschuss und mitberatend an den Sozial- und Gleichstellungsausschuss zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das Überweisungsbegehren abgelehnt.

Dann stelle ich fest, dass die Große Anfrage, Drucksache 19/1025 besprochen worden ist.

Wir kommen zu Punkt 29 der Tagesordnung, dem Bericht des Wirtschaftsausschusses zu Hafen und Hafenentwicklung.

(Andreas Waldowsky)

[Bericht des Wirtschaftsausschusses zum Thema: „Hafen und Hafenentwicklung“ (Selbstbefas- sungsangelegenheit) – Drs 19/1405 –]

Hier sind die Fraktionen übereingekommen, auf eine Debatte zu verzichten.

Deshalb stelle ich fest, dass die Bürgerschaft von der Drucksache 19/1405 Kenntnis genommen hat

Wir kommen zu Punkt 15 der Tagesordnung, der Großen Anfrage der SPD-Fraktion: Gewalt gegen Frauen in Hamburg.

[Große Anfrage der Fraktion der SPD: Gewalt gegen Frauen in Hamburg – Drs 19/1297 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Sozial- und Gleichstellungsausschuss überweisen.

Wer wünscht das Wort? Frau Dobusch, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich komme zu später Stunde zu einem etwas heftigeren Thema, zum Thema Gewalt gegen Frauen. Gewalt gegen Frauen ist weltweit ein Problem. Täglich erfahren Frauen und Mädchen Gewalt, auch in unserer westlichen, ach so zivilisierten Gesellschaft, auch in Deutschland, auch in dieser Stadt. Diese Gewalt nimmt unterschiedliche Formen an: Übergriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen, Genitalverstümmelung, Missbrauch, Vergewaltigungen, künstliche Jungfernhäutchen einerseits, psychische Gewalt wie Drohungen, Mobbing, Stalking andererseits und nicht zuletzt körperliche Gewalt wie Schläge, Tritte, Morde, wobei der Mord manchmal auch als Totschlag durchgeht, wie wir gerade wieder mitbekommen haben.

Die Zahl dieser Übergriffe liegt auch in Hamburg auf gleichbleibend hohem Niveau. In Hamburg waren es in 2007 über 12 000 Frauen, die Roheitsdelikten zum Opfer fielen, 30 Frauen, denen nach dem Leben getrachtet wurde, knapp 1200 Frauen, gegen deren sexuelle Selbstbestimmung gehandelt wurde, etwa 8000 weibliche Opfer von Gewalttaten und 1900 Frauen, die bedroht wurden. Von einer hohen Dunkelziffer ist ebenfalls auszugehen.

Meine Damen und Herren! Bei dieser Gewalt gegen Frauen handelt es sich überwiegend um häusliche Gewalt. Die Täter sind in den meisten Fällen die Beziehungspartner der Frauen und es handelt sich bei den Tätern sehr häufig um Mehrfachtäter.

Unter den betroffenen Frauen sind zwar überproportional viele Migrantinnen, aber das Problem beschränkt sich keineswegs nur auf diese Gruppe.

Da würden wir uns etwas vormachen, wenn wir das glaubten.

Mir ist es wichtig hervorzuheben, dass die gesundheitlichen Folgen der Gewalterfahrung für die betroffenen Frauen erheblich sind. Sie haben beispielsweise ein höheres Risiko für Suchterkrankungen, für selbstverletzendes Verhalten und für Essstörungen. Die Folgen der Gewalt sind also tiefgreifend und können sich über einen langen Leidenszeitraum erstrecken.

Nun wurden in den letzten Jahren auch in Hamburg einige Anstrengungen unternommen, die Situation zu verbessern. Tatsache ist aber auch – das haben uns die Medienberichte der letzten Wochen und Monate über dramatische Fälle von Gewalt gegen Frauen in Hamburg drastisch vor Augen geführt –, dass das Problem ungebrochen weiter besteht. Schlimmer noch: Fast allen Fällen war gemeinsam, dass sich die Frauen an die Polizei gewandt haben. Sie haben sich an Hilfeeinrichtungen dieser Stadt gewandt, haben Unterstützung gesucht und auch gefunden. Sie wurden aber letztendlich nicht geschützt, sie konnten nicht geschützt werden. Das aber ist ein absolut fatales Signal an die Frauen, die Gewalt erleiden. Nur wenn sie auf wirksamen Schutz und Hilfe vertrauen können, werden sie sich überhaupt wagen, sich an die entsprechenden Stellen zu wenden. Das ist das, was uns alle Erfahrungsberichte sagen und das ist auch das, was uns die Wissenschaft mitgibt.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus DIE LINKE)

Hier ist es also dringend erforderlich, dass der Senat ein Zeichen setzt. Es muss ein Zeichen sein, das einerseits den Frauen signalisiert, wir nehmen eure Ängste ernst und verbessern weiter die Maßnahmen, damit wir euch in Zukunft wirksamer schützen können als wir das bisher tun konnten, und es muss gleichzeitig ein Signal sein, das den Tätern rechtzeitig, nämlich bevor die Taten eskalieren, signalisiert: Stopp, diese Stadt toleriert keine Gewalt gegen Frauen.

(Beifall bei der SPD, der Linken und verein- zelt bei der GAL und Karen Koop CDU)

Ich war in der letzten Woche auf einer soziologischen Fachveranstaltung. Da hieß es: Nur die Politik kann der Brutalisierung der Gesellschaft entgegenwirken. Ich weiß nicht, ob das wirklich wahr ist und wir tatsächlich die Einzigen sind. Eigentlich wäre das bitter. Auf jeden Fall sollten wir aber alles versuchen, was in unserer Macht steht, um diesem zugegeben sehr hohen Anspruch gerecht zu werden. Im Falle von Gewalt gegen Frauen haben wir es nicht mit individuellen Taten mit irgendeiner unbedeutenden Unterspielart von Gewalt zu tun, sondern mit einem Phänomen, das sich durch alle Gruppen der Gesellschaft hindurchzieht und das in starkem Zusammenhang mit patriarchalen Struktu

(Erste Vizepräsidentin Barbara Duden)

ren, Dominanzgebaren und dem Berufen auf überkommene Traditionen und Rollenverständnissen steht. Eine Tendenz von zunehmender Brutalisierung auch in unserer Stadt könnte ich schon erkennen. In einer Studie war übrigens von patriarchalem Terrorismus die Rede. Das ist die Form, die am häufigsten eskaliert und dann wirklich mit Todesfolge enden kann. Dementsprechend ist diesen Gewalttaten auch nicht mit individuellen Maßnahmen zu begegnen, nicht mit situativen Antworten beizukommen.