Protocol of the Session on April 14, 2005

[Antrag der Fraktion der GAL: Erfolgreiche Strukturen erhalten: Keine Schließung der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme – Drucksache 18/2014 –]

Diese Drucksache möchte die GAL-Fraktion an den Rechtsausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Herr Dr. Steffen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Abgeordnete der CDU-Fraktion, Sie haben letztes Mal erlebt, dass es sehr gefährlich sein kann, meinen Redebeitrag zum Anlass zu nehmen, draußen zu bleiben. Manchmal rede ich kürzer als erwartet. Das kostet bei Ihnen viel Geld, ich weiß das.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL – Vizepräsidentin Dr. Verena Lappe übernimmt den Vorsitz.)

Es ist ein Thema, das sehr wichtig ist für diese Stadt und

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Einzelergebnisse siehe Anlage 1 Seite 1496.

für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger. Es ist ein Thema, dem man sich wirklich mit dem nötigen Ernst widmen sollte.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Wir hatten in Hamburg drei sehr erfolgreich arbeitende Sozialtherapeutische Anstalten. Diese Anstalten, die Sozialtherapeutische Anstalt in Altengamme,

(Viviane Spethmann CDU: Unwirtschaftlich!)

die in Bergedorf, die im Moritz-Liepmann-Haus, waren hoch erfolgreich. Sie waren bundesweit anerkannt und vorbildlich. Viele Einrichtungen der Sozialtherapie, die in den letzten Jahren gegründet wurden, gerade seitdem man ein besonderes Augenmerk darauf gelegt hat, dass Sexualstraftäter therapiert werden, bevor sie wieder aus der Haft entlassen werden. Gerade weil es hier auch gesetzliche Veränderungen gegeben hat, sind viele Einrichtungen neu gegründet worden in der Bundesrepublik. Viele dieser Einrichtungen haben sich an den Einrichtungen in Hamburg orientiert.

Warum haben sie das gemacht? Warum sind diese Einrichtungen vorbildliche Einrichtungen? Im Hinblick auf das Moritz-Liepmann-Haus muss man sagen, warum sind sie es gewesen? Sie sind vorbildlich gewesen, weil sie tatsächlich ein sehr fortschrittliches Konzept hatten, ein Konzept, das sie weitgehend selbst entwickelt haben, jedenfalls in vielen Fällen erstmalig in der Bundesrepublik eingeführt haben, viele Konzepte, die neu entwickelt worden waren. Viele Konzepte sind aus den USA eingeführt worden und wurden auf die Situation in Deutschland angewandt. Da haben die Einrichtungen in Altengamme und in Bergedorf Pionierarbeit geleistet und haben dadurch, dass Täterinnen und Täter von schweren Straftaten wirksam resozialisiert wurden, große Schritte für mehr Sicherheit gemacht.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das lässt sich auch in Zahlen ablesen. Es wurde untersucht und verfolgt, wie die Rückfallquote ist. Wir reden hier nicht von Eierdieben, wir reden bei den Insassen der Anstalt in Bergedorf von Sexualstraftätern und bei den Insassen der Anstalt in Altengamme von Straftätern, die häufig ganz schwere Gewaltstraftaten verübt haben oder die in schwerem Maße dissozial waren, etwa durch lang andauernde Drogensucht. Von solchen Tätern reden wir und diese Täter sind deutlich weniger häufig rückfällig geworden. Wenn man das mit entsprechenden Untersuchungen für die Anstalten des normalen Vollzuges vergleicht, kann man tatsächlich feststellen, dass solche Täter, die in diesen Anstalten behandelt worden sind, halb so oft rückfällig geworden sind wie Täter, die keine solche Behandlung erfahren haben.

Dieses Erfolgsmodell führt der Justizsenator in mehreren Abschnitten zur Schlachtbank. Im Frühsommer hörten wir die Ankündigung, dass die drei Anstalten geschlossen werden sollen. Unser erster Gedanke war, dass das Ganze jetzt in die großen Anstalten integriert und dort stattfinden wird, alles wird eins. Diese besondere Behandlung dieser besonders schwerwiegenden Straftäter wird praktisch eingestellt und es wird nur noch eine Alibitherapie in einer normalen Anstalt durchgeführt werden. Diese Vermutung haben wir auch öffentlich gemacht. Daraufhin erfolgte das Dementi vonseiten der Justizbehörde, nein, nein, das soll alles nicht so sein und bald

war da auch der grandiose Plan eines Sozialtherapeutischen Zentrums in der Justizvollzugsanstalt Vierlande.

Dieser Plan ist von uns mit guten Argumenten kritisiert worden, wie sich dann auch in der öffentlichen Anhörung zeigte. Es sollten die drei Sozialtherapeutischen Anstalten in der Einrichtung Vierlande, die in etwa 220 Plätze aufweist, zusammengeführt werden. Wir haben das einer gründlichen Analyse zugeführt und die öffentliche Anhörung hat ergeben, dass bundesweit nur ganz wenige Anstalten mit mehr als 60 Insassen arbeiten und die, die mehr Insassen haben, haben enorme Probleme, mit dieser Größe umzugehen.

Warum ist das so? Das ist so, weil eine Anstalt, die mehr als 60 Insassen hat, regelmäßig Subkulturen bildet wie sie in Gefängnissen üblich sind, die aber verhindern, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen den Therapeuten und den Insassen entsteht. Dieses Vertrauensverhältnis ist absolut notwendig, um eine Therapie nach diesen erfolgreichen Modellen erfolgreich sein zu lassen.

(Beifall bei der GAL)

Wir glauben nicht, dass dies das entscheidende Argument war, dass von dem Plan, die JVA Vierlande zum so genannten Sozialtherapeutischen Zentrum zu machen, abgegangen wurde. Wahrscheinlich war es der öffentliche Druck, dass endlich, wenn sich doch diese Gelegenheit ergibt, dass sowieso alles in der JVA Vierlande geändert wird, das ehemalige KZ-Gelände von einer Nutzung als Strafvollzug freigemacht wird, aber auch die ganz offenkundigen baulichen Mängel dieser Anstalt, die immer wieder von der Justizbehörde kleingeredet wurden, die aber doch nicht ganz unerheblich gewesen sein dürften für die Entscheidung des Senats, diese Anstalt aufzugeben.

Was kommt nun? Wir haben uns mit einem Modell auseinander gesetzt, bei dem wir in der Analyse mit allen Expertinnen und Experten, die sich bundesweit geäußert haben, festgestellt haben, dass dieses Modell, das in Vierlande angeboten wurde, nicht die Voraussetzungen für erfolgreiche Sozialtherapie hat. Aber was kommt jetzt? Jetzt wird die Sozialtherapie integriert in ein Gefängnis, das noch viel größer ist, das insgesamt über 1000 Insassen hat, wo also dieser Effekt, dass es unkontrollierbare Subkulturen gibt, noch deutlich schärfer sein wird. Das wird sich auch nicht dadurch verhindern lassen, dass die Sozialtherapie in das dortige Haus IV integriert wird, weil es sich überhaupt nicht vermeiden lassen wird, dass die Subkulturen hier tatsächlich ineinander fließen, weil die Möglichkeiten zur Arbeit in der Anstalt gar nicht anders realisierbar sind als über die anstaltsinternen Werkstätten der JVA Fuhlsbüttel. Auch die Sporteinrichtungen werden mit Sicherheit gemeinsam genutzt werden. Alles andere wäre überhaupt nicht finanzierbar, weil sie neu gebaut werden müssten. Dafür ist sicher kein Geld da. Das heißt, das, was an dem Plan für die Zusammenlegung der JVA Vierlande schon kritikwürdig war, ist noch viel kritikwürdiger im Hinblick auf die Angliederung an die JVA Fuhlsbüttel.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Es kommt noch ein weiterer Punkt hinzu, der ziemlich erheblich ist, und zwar deshalb, weil diese Form der Sozialtherapie nicht mehr erfolgreich arbeiten können wird. Das Konzept, das in Altengamme und Bergedorf praktiziert wurde, setzt sehr stark darauf, dass sich die Insassen einer gestuften Gewährung von Lockerungen

ausgesetzt sehen, sodass sie tatsächlich Schritt für Schritt den Weg in die Freiheit gehen können. Dieses Konzept ist absolut wichtig, zunächst die Insassen in eine Anstalt zu geben, aus der sie nicht heraus können und wo sie dann Schritt für Schritt herausgehen können: stundenweise, tageweise, für die Arbeit, für andere soziale Kontakte, die auf die Haftentlassung vorbereiten. All das konnte in diesen Anstalten, diesen kleinen, überschaubaren Anstalten sehr individuell und sehr fallangemessen entwickelt werden. Fallangemessen heißt im Zweifelsfall eben auch, sicher für die Bevölkerung, weil die Einschätzung bei diesen kleinen Einheiten besonders gut möglich war, ob die Gewährung von solchen Freiheiten, von solchen Lockerungen, tatsächlich zu verantworten ist.

Dieses abgestufte Konzept der Lockerungen wird in einem solchen Gefängnis mit mehr als 1000 Insassen überhaupt nicht möglich sein, weil ein solches Gefängnis nur mit sehr rigiden und abstrakten Sicherungsmaßnahmen geführt werden kann, die mehr oder minder für alle Gefangenen gelten müssen und wo zu viele individuelle Lockerungen das Gesamtkonzept zerstören und dann auch unüberschaubar machen. Das heißt, hier wird der Sozialtherapie, die erfolgreich gearbeitet hat, an verschiedenen Stellen der Boden unter den Füßen weggerissen. Auch wenn die Anstalt in Bergedorf zunächst als Zweigstelle von Fuhlsbüttel erhalten bleiben soll, bleibt zu konstatieren, dass der jetzige Plan der Justizbehörde ein Anschlag auf die Sicherheit der Bevölkerung ist, weil die Gefahr, dass Straftäter, die schwere Straftaten begangen haben, von denen wir wissen, dass sie ein Gefahrenpotenzial haben, wieder rückfällig werden. Dieses Risiko gehen der Senat und die CDU-Fraktion sehenden Auges ein.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Voet van Vormizeele.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kollegen! Die Anwesenheit der Abgeordneten ist ja nicht mehr so zahlreich, aber das Thema ist auch nicht so interessant wie manch anderes Thema, aber verehrter Kollege Dr. Steffen, wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die Kollegen der GAL, die von vielen Dingen meinen eine Ahnung zu haben, aber eines garantiert nicht haben, nämlich eine Ahnung von Sicherheit, dann haben Sie diesen Beweis eben wirklich beredt gebracht.

(Beifall bei der CDU)

Ich verstehe ja Ihr "Aber". Das täte mir auch Leid für Sie, aber es ist so.

(Zuruf von Antje Möller GAL)

Das können Sie leider nicht ändern, Frau Möller. Die Tatsache, die Herr Dr. Steffen eben versucht hat darzustellen, da könnte man meinen, wir würden die Sozialtherapie in Hamburg abschaffen. Das stimmt aber gar nicht. Ganz im Gegenteil. Wir kommen jetzt künftig dazu, dass wir nicht nur drei Einrichtungen haben. Wir werden demnächst sogar vier sozialtherapeutische Einrichtungen haben. Das haben Sie nicht geschafft. Wir werden die Konzepte, die für Sozialtherapie in Hamburg vorhanden gewesen sind, aber auch die im bundesweiten Entwicklungsverfahren entwickelt worden sind, weiterentwickeln.

Wir werden sie verbessern und sie sinnvoll zusammenführen.

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Wir werden künftig nicht nur die Anstalt in Fuhlsbüttel haben – dort haben wir übrigens bereits Sozialtherapie, das hat der Kollege Steffen eben vergessen zu sagen –, wir werden auch noch die Außenstelle in Bergedorf haben, wir werden Sozialtherapie in Glasmoor betreiben und wir haben künftig Sozialtherapie für Jugendliche in der Jugendstrafanstalt. Das ist etwas vollkommen Neues. Das ist ein Konzept, verehrte Kollegen von der GAL und der SPD, das Sie all die Jahre nicht hinbekommen haben. Da wäre ich auch ein bisschen peinlich berührt.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich etwas zu den einzelnen Punkten in Ihrem Antrag sagen, der teilweise wirklich ein bisschen skurril ist. Sie haben versucht, langatmig zu begründen, dass die verschiedenen vergleichenden Untersuchungen ergeben hätten, dass nur diese Form von Sozialtherapie, wie sie bisher vorhanden gewesen ist, das Gelbe vom Ei wäre. Abgesehen davon, dass die wissenschaftliche Untersuchung, die wir über vergleichende Dinge haben, ausgesprochen dünn gesät sind, und auch die Anhörung ganz im Gegenteil zu dem, was Dr. Steffen eben gesagt hat, nicht bewiesen hat, dass kleine Sozialtherapien besser seien als große Sozialtherapien. Das ist nirgendwo wissenschaftlich belegt. Wenn Sie das Protokoll einmal nachlesen würden, dann würden Sie feststellen, dass genau diese Frage nach den Beweisen immer wieder nicht beantwortet worden ist. Es waren persönliche Meinungen von übrigens nicht ausgesprochen fachkundigem Personal. Es war nämlich eine öffentliche Anhörung und keine Sachverständigenanhörung.

(Dr. Heike Opitz GAL: Da kennen Sie sich nicht aus! Das ist unglaublich!)

Es wurden dabei diejenigen gehört, verehrte Kollegin, die – mit Verlaub – jahrelang diese Art von Sozialtherapie in genau den Einrichtungen, die jetzt anstehen geschlossen zu werden, betrieben haben. Dass die persönlich frustriert und enttäuscht sind, kann ich verstehen, aber das wird uns nicht hindern, dieses Projekt zu modernisieren und vernünftig voranzutreiben. Da mag es gerne so sein, dass Sie in den Vorstellungen der Siebzigerjahre stehen bleiben, wir wollen dies sinnvoll weiterentwickeln.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben in Ihrem Antrag noch einmal sehr deutlich gemacht, es gebe angeblich keine Trennungen. Ich habe schon einmal deutlich gesagt, dass wir in der bisherigen Anstalt IV in Fuhlsbüttel bereits jetzt sozialtherapeutische Plätze haben. Das scheint Ihnen nicht bewusst zu sein, und zwar 27 Plätze. Wir werden künftig insgesamt 92 Plätze in Fuhlsbüttel haben. Man könnte meinen, nachdem, was eben gesagt wurde, wir würden über tausende und abertausende Plätze reden. Dann wurde gesagt, das könne man nicht gemeinsam machen. Das wäre in Strafanstalten, in normalen Justizvollzugsanstalten unmöglich und ginge überhaupt nicht. Ich kann Ihnen nur empfehlen, sich einmal umzusehen, wie es derweil in Deutschland aussieht. Da kann ich Ihnen sagen: Schauen Sie sich einmal die Entwicklung der letzten Jahre an, was da geschehen ist. Da sind nämlich fast alle Sozialtherapien ausnahmslos in Justizvollzugsanstalten integriert worden. Ich will nur ein Beispiel nennen, das ich persönlich ganz beeindruckend finde. Vielleicht kennen

Sie es. Am 1. April 2003 ist bei unserem nördlichen Nachbarn, in Schleswig-Holstein, die Sozialtherapie in der JVA Lübeck eröffnet worden. Ich glaube, die Justizministerin in Schleswig-Holstein ist noch – nicht mehr lange – eine Grüne. Offensichtlich meinen Ihre Kollegen bei unseren nördlichen Nachbarn, dass Sozialtherapien in Justizvollzugsanstalten durchaus sinnvoll sind und das ist genau der Trend, den wir hier fortsetzen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden mit dem, was die Justizbehörde der Deputation vorgestellt und diese bereits abgesegnet hat, ein Konzept finden, wonach Sozialtherapie in vielen verschiedenen Einheiten bedarfsgerecht und angepasst an dem, was auch unter Sicherheitsaspekten sinnvoll ist, fortentwickelt wird. Wir werden in Hamburg künftig eine moderne Sozialtherapie haben und uns nicht mehr nach den alten überkommenen Konzepten der Siebzigerjahre ausrichten. Nebenbei, liebe Kollegen, finde ich, dass bei den Bemerkungen von Herrn Dr. Steffen ein bisschen knapp gekommen, dass wir diejenigen sind, die das Problem Neuengamme sehr schnell gelöst haben. Wir waren in dieser Justizvollzugsanstalt innerhalb von drei Jahren in der Lage, das zu lösen, was Sie in 30 Jahren nicht hinbekommen haben. Das sollten Sie hier ein bisschen deutlicher sagen.

(Beifall bei der CDU – Dr. Andrea Hilgers SPD: Gucken Sie mal in die Anfänge der 17. Legislatur- periode! Lesen Sie das mal nach!)

Frau Hilgers, wenn Sie jetzt abwiegeln, sage ich es gerne noch einmal. Ende der Sechzigerjahre hat ein sozialdemokratischer Senat dort diese Justizvollzugsanstalt gebaut und Sie waren 30 Jahre lang nicht in der Lage, sie dort zu beenden. Wir haben es in drei Jahren geschafft. Ich hätte heute von Ihnen erwartet, dazu ein klares Bekenntnis von Ihnen zu bekommen. Sie haben es nicht geschafft – das steht fest – und wir haben es geschafft.

(Beifall bei der CDU)

Ich verstehe, dass Sie das schmerzt, aber Sie werden es hinnehmen müssen. In diesem Sinne wird die CDUFraktion den Senator bei den Bemühungen, hier eine moderne Sozialtherapie einzuführen und durchzusetzen, unterstützen. Wir werden diesen Antrag, den die GAL gestellt hat, nicht unterstützen.

(Beifall bei der CDU)