Der finnische Bildungsminister hat bei uns gesagt, ihr dürft nicht über drei oder vier oder fünf Sorten von Kindern reden, sondern über 100 000 verschiedene, und man muss versuchen, auf diese verschieden zu antworten.
Ich glaube – das sage ich jetzt individuell –, dass die konservative Seite – das erklärt auch ein bisschen den Erfolg von Baden-Württemberg und Bayern – in einem Punkt Recht hatte gegenüber den so genannten Progressisten, nämlich in der Kritik an der antiautoritären Erziehung, an der Leistungsfeindlichkeit, die dabei manchmal eine Rolle spielte, und dass strikte Anforderungen aufrecht erhalten wurden. Damit mag zusammenhängen, dass in Süddeutschland in stärker katholisch geprägten Gebieten Familienmilieus eine größere Rolle spielten als in Norddeutschland. Das erklärt wahrscheinlich einen beträchtlichen Teil solcher Unterschiede. Wir müssen uns aber Gedanken darüber machen, warum man sich auf der ganzen Erde davon verabschiedet, die Kinder so früh zu trennen. Wir möchten dafür werben, dass Sie sich mit uns Gedanken machen. Wir wissen selbst, dass man solche Schulreformänderungen nicht mit knappen Mehrheiten erreichen kann und dass der Elternwille eine Rolle spielt. Aber wie ein Elternwille sich entwickelt, hängt auch von unserer Stellungnahme und unserem gemeinsamen Handeln für gute Schulen für alle Kinder in einer neuen Gesellschaft ab. Wir haben den internationalen Beleg dafür, dass wir es so, wie wir es im Moment machen, nicht gut machen. Ich gebe Ihnen Recht, dass eine ganze Reihe anderer Gründe, die wir gemeinsam vertreten – beispielsweise Unterrichtsverbesserungen und mehr Autonomie an den Schulen –, auch eine Rolle spielen. Aber Sie dürfen nicht den einen Punkt, der offenkundig eine große Rolle spielt und das Lehrerverhalten prägt – die Dreigliedrigkeit und das Sortierverhalten –, aus dem Auge verlieren. Es prägt die frühe Erwartung eines Kindes, wenn es von vornherein nicht sicher sein kann, dass es zumindest für sieben, acht, neun Jahre an der Stelle, an der es jetzt ist, sicher bleiben kann, und wenn es den ganzen Tag mit der Angst leben muss, aus seinem Klassenverbund herausgenommen zu werden. Solche Angst wirkt nicht lernfördernd und vor allen Dingen nicht individualitätsfördernd. Wir möchten, dass diese Angst aus unseren Schulen verschwindet. – Danke schön.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Maier, Sie haben durchaus Recht in Ihrer Analyse, wie dieses Schulsystem entstanden ist. Nur, Sie haben sich eben mit Ihrer Meinung ganz entscheidend von der Ihrer Fraktionsvorsitzenden distanziert.
Das gegliederte Schulsystem ist historisch folgendermaßen entstanden: Damals, in Zeiten der Stände, gab es alles dreigliedrig: das Wahlsystem, das Schulsystem und den Kaiser gab es noch. Bereits in den Sechziger- und Siebzigerjahren hätte man soziologisch gesehen mit einem entsprechenden Schulsystem auf die Veränderung der Gesellschaft reagieren müssen. Das haben wir nicht gemacht. Sie haben Recht, wir haben heute verschiedene Milieus. Herr Maier hat gesagt, jedes Kind braucht seine individuelle Förderung. Genau das machen wir in Hamburg, Frau Goetsch.
Wenn wir die Begabten und die Hochbegabten fördern, dann ist das individuelle Förderung, wenn wir die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf fördern, ist es individuelle Förderung.
Eine Debatte über das dreigliedrige Schulsystem ist insoweit wirklich überholt. Frau Goetsch, Sie haben McKinsey zitiert. Man muss ja nicht nur das, was McKinsey vorgeschlagen hat, zitieren, sondern auch das, wovor McKinsey gewarnt hat. Der Chef von McKinsey hat ausdrücklich davor gewarnt, jetzt als Ergebnis der OECDStudie eine Systemdebatte zu führen. Genau jetzt kommen Sie mit Ihrer Systemdebatte. Interessant finde ich Ihren Ansatz, dass Sie sich vom Begriff der Begabung gelöst haben. Da gibt es nun doch entscheidende Unterschiede.
Den Grundsatz, Kinder da aufzunehmen und zu fördern, wo sie sind, wollen wir gerade im Bereich der sonderpädagogischen Förderung umsetzen, Herr Frank. Aber höchst gefährlich nehme ich Ihren Ansatz zu sagen, nur in einer Einheitsschule, neun Jahre lang, kann das Kind individuell am besten gefördert werden. Das widerspricht allen grundsätzlichen Ansätzen, die wir in Deutschland haben. Wenn ich die Individualität und Begabung des Kindes habe, dann muss es Zielsetzung von Bildungspolitik sein, dass man dem Kind individuell das Beste antut, ob es eine Gesamtschule besucht, weil es dort gut lernen kann, ein Gymnasium in einer Hochbegabten-Klasse oder möglicherweise ein Diagnose- und Förderzentrum. Zielsetzung kann es nicht sein, wie Herr Lein althergebrachte, überkommene ideologische Ansätze zu vertreten: Alle sind gleich und deswegen die Gesamtschulen und das ist richtig so.
Herr Lein sagt in einem Nebensatz, neun Zehntel der Hamburger Eltern hätten sich gegen die Hauptschule ausgesprochen. Ihre Konsequenz und Ableitung daraus ist, die Hauptschule läuft aus. Ich kann nur davor warnen, so etwas zu sagen. Es sind jetzt Kinder auf der Hauptschule, um die wir uns zu kümmern haben. Dafür haben
Sie in den vergangenen Jahren nichts getan. Sie beschimpfen uns dafür, dass wir den Hauptschülern, die jetzt dort unterrichtet werden, endlich wieder Selbstbewusstsein geben.
Ich erachte es als Frechheit, Herr Lein, gegenüber den Eltern, die ihre Kinder auf die Hauptschule geschickt haben,
die endlich sehen, dass die Politik begriffen hat, dass man die Begabung der Hauptschüler nutzen und ihr Selbstbewusstsein aussteuern muss, damit die Schüler einen Abschluss machen und dementsprechend in den gesellschaftlichen Prozess integriert werden. Und Sie äußern sich darüber nach dem Motto: Das läuft aus. Das ist der Ansatz, den Sie vor 20, 25, 30 Jahren hier vertreten haben. Sie haben die Gymnasien nicht gefördert, Sie haben bei den Gymnasien eingespart. Die Begabung bei den Hochbegabten ist verkommen und Sie haben die Hauptschule – ideologisch bedingt durch den Gesamtschulansatz – zur Restschule werden lassen.
Ich bin wie Herr Heinemann der Meinung, dass wir in Hamburg eine gut funktionierende Gesamtschule haben. Kinder, die dort speziell gefördert werden können, sollen dort hingehen. Wir haben Gymnasien und möglicherweise demnächst Hochbegabten-Klassen. Das ist gut für die Kinder, aber lassen Sie doch endlich Ihren Ansatz, alle Kinder sollten gemeinsam eine Schule besuchen. Ich möchte auch, Frau Goetsch, dass alle Kinder zwölf Jahre zusammen zur Schule gehen, Abitur machen, studieren und Computer bauen. Real existierend ist es aber so nicht in Hamburg. Wir haben Kinder mit unterschiedlichen Förderbedarfen und verschiedenen Begabungen. Herr Lein, gehen Sie jetzt einmal in eine Hauptschulklasse und schauen Sie sich an, was da passiert, wo die Hauptschüler mitbekommen haben, dass man sich endlich wieder um sie kümmert und ihnen sagt, ihr seid nicht die "Restschüler", sondern ihr seid diejenigen, die nach euren Begabungen in dieser Gesellschaft eine Chance haben. Das haben Sie völlig falsch dargestellt.
Im Übrigen können Sie zur Aktuellen Stunde anmelden, was Sie möchten, aber ein solches Thema in FünfMinuten-Beiträgen abzuhandeln und schnell zu sagen, PISA und OECD haben bewiesen, neun Jahre und deswegen machen wir neun Jahre, ist eine verkürzte und schlechte Diskussionskultur.
Wir werden morgen an einem Beispiel festmachen, wo Sie Ihre Ansätze haben: integrative Regelklassen, sonderpädagogische Förderung. Kann Herr Maier mit seinem Modell, das Individuum zu betrachten, durchkommen? Oder kommt Frau Goetsch bei Ihnen in der Fraktion durch, die sagt, es gibt ein relativ gut funktionierendes Modell. Eine Bemerkung zur Selektion, weil ich diesen Begriff, den ich als diffamierend erachte, immer von Ihnen höre.
Liebe Frau Goetsch, Sie sagen: Gemeinsam in der Grundschule lernen. Das sagen wir übrigens auch, wohnortnah, wir sagen auch integrativ. Aber beachten Sie bitte eines dabei, …
Herr Abgeordneter, der Nachteil von Fünf-Minuten-Beiträgen ist, dass sie fünf Minuten dauern. Bitte einen Schlusssatz.
Mein letzter Schlusssatz: Vergessen Sie dabei bitte nicht, dass viele Kinder nach der vierten Klasse auf die Sonderschule mussten. Das ist Selektion und die wollen wir verhindern.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Heinemann, Herr Weinberg, Frau Senatorin, es ist in allen drei Fällen gleich: Richtige Argumente, die Ihre bisherige schulpolitische, ideologische Position verteidigen, haben wir nicht gehört. Das Wesentliche, was Sie hier vorgetragen haben, war:
Sie wollen am System kurieren, wir brauchen eine Überwindung des Ganzen, weil es weitergehen muss. Der Sinn dieser Debatte ist, Herr Heinemann, dass man überhaupt wieder anfängt, darüber nachzudenken, dass man nicht mehr allein an diesem überholten dreigliedrigen System festhält. Wem sonst wollen Sie denn glauben, wenn nicht der OECD, der Vereinigung der Industriestaaten? Wir sind international inzwischen die allein selig machende Insel der Dreigliedrigkeit. Das ist doch erschütternd. Wenn wir wenigstens an erster Stelle stünden, Herr Heinemann, würde ich sagen: Toll! Aber, nein, das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe, damit der Redner hier durchdringen kann. Im Übrigen hat er das Mikrofon und kommt sowieso besser zurecht als Sie mit den Zwischenrufen.
Was wir brauchen, ist nicht das Kurieren am System. Wir brauchen nicht die Gesamtschule weiterhin, sondern wir brauchen die Weiterentwicklung. Das kann zum Beispiel etwas sein, was uns Frau Goetsch versucht hat, hier als Vision darzustellen. Frau Ernst hat zu Recht gesagt, das ist nicht immer das Entscheidende. Viel entscheidender ist das, was direkt beim Schüler und bei der Schülerin ankommt, nämlich die Weiterentwicklung zum individuellen Lernen. Wenn man davon ausgehen muss, dass jeder Schüler verschieden ist, dann ist die entscheidende Frage, wie man ein Schulsystem schaffen will, das diese Voraussetzungen am besten garantiert. Da nützt es nichts zu sagen, wir wollen mehr Integration schaffen. Das schaffen Sie aber so nicht, sondern nur, indem Sie zum Beispiel Geld um
schichten und damit mehr Integration schaffen. Über die Art und Weise, wie Sie das machen, haben wir morgen eine Debatte.
Sie schaffen es auch nicht, Herr Weinberg, wenn Sie zum Beispiel sagen, man würde jetzt Hochbegabten-Klassen einrichten, das sei das Eingehen auf mehr Individualität. Was machen Sie denn? Sie trennen sie ja wieder. Sie wollen mit dem Antrag von Frau Marita Meyer-Kainer und Ihrer Fraktion wieder eine Segregation schaffen. Das ist genau die falsche Richtung, die Sie einschlagen.
Wir brauchen in der Tat eine bessere Qualität des Unterrichts und damit von Schulen. In diesem Punkt sind wir auch mit der Senatorin durchaus einverstanden. Aber die Frage des Weges dorthin ist grundsätzlich eine andere. Sie sagen in dieser Debatte und auch generell, wir unterhalten die Gesamtschule. Ja, aber Sie hungern sie gleichzeitig aus. Das ist der Punkt. Außen steht immer noch "Gesamtschule" dran, aber innen ist es gar keine mehr.
Sie sagen, Sie würden mehr Ganztagsschulen schaffen. Dann gucken wir hinter die Fassade und was ist da? Ein ganz schlechtes Niveau mit Suppenküche. Das ist das, was Sie darunter verstehen.
Sie sagen, Sie schaffen – der Bürgermeister an der Spitze – mehr Kita-Plätze und dann gucken wir uns an, wie das aussieht. Wir haben ein wesentlich schlechteres Niveau als vorher. So sieht letztendlich Ihre Bildungspolitik aus.
Deutschland ist leider Gottes mit diesem dreigliedrigen Schulsystem nicht Spitze in der Welt, sondern wir sind Spitze bei der Ungerechtigkeit der Bildungschancen. Das schreibt uns die OECD ins Stammbuch und das ist schlimm und furchtbar.