Protocol of the Session on September 19, 2002

Durch derart schreckliche Dinge treten dann die Lebensumstände und das soziale Umfeld deutlich zutage. Aber, meine Damen und Herren, diejenigen, die in der Vergangenheit die Regierungsverantwortung hatten, haben die Probleme in den Stadtteilen, die zu sozialen Brennpunkten geworden sind oder kurz davor stehen, nicht gesehen oder – was noch schlimmer ist – sie wollten sie nicht sehen;

(Barbara Duden und Uwe Grund, beide SPD: Was heißt hier wollten?)

die einen aus ideologischen Gründen, die anderen, was genauso verwerflich ist, aus programmatischen Gründen nach dem Prinzip: Sollen doch die sowieso schwachen Stadtteile mit den ausländischen Mitbürgern klarkommen, Hauptsache, wir haben nicht die Schwierigkeiten.

(Vereinzelter Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und Beifall bei Alexander Porschke GAL)

Ich habe es einmal gewagt, das Thema „Ausländische Konzentrationsgebiete und die daraus entstehenden Pro

bleme“ öffentlich anzusprechen mit dem Erfolg, dass man mich in die rechte Ecke stellen wollte. Was habe ich 1988 und 1990 angesprochen? – Ich habe gesagt, wenn bei der Wohnungsbelegungspolitik nicht entgegengesteuert wird, werden in einigen Stadtteilen eines Tages nur noch sozialschwache Deutsche, ausländische Mitbürger und alte Menschen übrig bleiben mit allen negativen Folgen für die Wohnquartiere. Leider habe ich Recht behalten.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Aber, meine Damen und Herren, bloßes Lamentieren über das, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, hilft weder den Wilhelmsburgern noch anderen betroffenen Hamburger Stadtteilen.

(Vereinzelter Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Aber die Erinnerung daran soll in den Gebieten helfen, wo die Situation noch steuerbar ist, wo noch rechtzeitig Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können.

Mit gesetzlichen Maßnahmen, wie Zuwanderung, doppelter Staatsbürgerschaft oder mit einem andiskutierten Antidiskriminierungsgesetz, wird man in den Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten nichts ändern.

(Aydan Özoguz SPD: Mit Verleumdungen auch nicht!)

Was muss also in Wilhelmsburg oder vergleichbaren Hamburger Stadtteilen getan werden? Mit plakativen Vorgaben wird hier jedenfalls nichts erreicht. Wer glaubt, dass die Probleme allein mit einer Einbürgerung zu lösen sind, ist völlig auf dem Holzweg.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Zwei Beispiele aus dem europäischen Ausland zeigen, dass ein Pass allein gar nichts bewirkt.

In Frankreich haben alle aus Marokko, Algerien oder Tunesien Stammenden von Anfang an die französische Bürgerschaft, ebenso haben in Großbritannien die Pakistanis einen britischen Pass. Dort ist das Ergebnis eine reine Parallelgesellschaft, wo es sogar zu Rassenkrawallen gekommen ist. Das sind die Folgen, wenn man Menschen aus einem anderen Kulturkreis in einem begrenzten Gebiet konzentriert. Hieran haben jedoch weder bei uns noch in Frankreich und Großbritannien die ausländischen Mitbürger die Schuld, sondern die Politik, die derartige Ghettobildung zugelassen hat.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und bei Hartmut Engels CDU)

Wenn dieser Entwicklung entgegengewirkt werden soll, dann dürfen erstens in die sozialen Brennpunkte keine zusätzlichen Asylbewerber, Aussiedler oder ausländischen Bürger gebracht werden.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und bei Hartmut Engels CDU)

Zweitens sind die Voraussetzungen zu schaffen, dass Einzel- und Reihenhäuser und Eigentumswohnungen zu vertretbaren Preisen geschaffen werden, um auch wieder Deutsche und integrationswillige Ausländer in diese Gebiete zu bekommen. Bei neuen Wohngebieten muss aber geklotzt und nicht gekleckert werden, damit die entstehenden Wohnvoraussetzungseinrichtungen, wie Kin

(Manfred Silberbach Partei Rechtsstaatlicher Offensive)

A C

B D

dergärten und Schulen, gleichzeitig entstehen können. Andernfalls wird sich niemand für diese Wohneinheiten interessieren.

Die vorhandenen Schulen müssen so ausgestattet werden, dass die Kinder auch eine reelle Chance bekommen, später einen Beruf zu erlernen. Es kann nicht angehen, dass wir im Ausland zum Beispiel Handwerker und Krankenschwestern anwerben müssen und in den Problemgebieten bis zu 50 Prozent der Schüler keinen oder solch einen schlechten Schulabschluss haben, dass sie keinen Beruf erlernen können.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und bei Hartmut Engels CDU)

Es muss eine Grundvoraussetzung sein, dass Kinder bei der Einschulung die deutsche Sprache beherrschen, und die Regierungskoalition wird die Voraussetzung dafür nicht erst in weiter Zukunft, sondern noch in dieser Legislaturperiode schaffen. Die Schulen in den sozialen Brennpunkten müssen entsprechend den vorhandenen Schwierigkeiten so mit Personal ausgestattet werden, dass sie in der Lage sind, die Kinder auf einen späteren Beruf vorzubereiten. Hier sind nicht nur Lehrer nötig, sondern auch Sozialarbeiter, damit sich die Pädagogen auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können.

Die Maßnahmen im Bereich der Schule haben aber nur dann einen Sinn, wenn die Elternhäuser mitmachen. Hier sind insbesondere unsere türkischen Mitbürger angesprochen.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive und bei Hartmut Engels CDU)

Drei Problembereiche müssen hier angegangen werden.

Erstens: Die Sprache. Wenn im Elternhaus nur türkisch und kein Wort Deutsch gesprochen wird, wie soll denn da dem Kind geholfen werden?

(Aydan Özoguz SPD: Sie haben keine Ahnung!)

Wenn Sie sagen, ich hätte keine Ahnung, ich wohne 40 Jahre in diesem Stadtteil und kenne diese Problemgebiete. Derjenige von Ihrer Fraktion, der sagt, ich hätte keine Ahnung, der sollte sich endlich einmal um diese Dinge kümmern.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Ein Grund für dieses Dilemma ist, dass viele türkische Männer ihre Ehefrauen direkt aus der Türkei kommen lassen und diese kein Wort Deutsch sprechen. Da gehört leider dazu, dass dadurch natürlich die Stellung des Mannes in der Familie noch gestärkt wird.

Die allererste und wichtigste Voraussetzung für eine Integration ist deshalb, dass die ausländischen Eltern und Kinder Deutsch lernen und auch sprechen.

Zweitens: Familienstrukturen. Wenn man der Meinung ist, dass ein Junge, der nach dem Vater die wichtigste Person in einer traditionell türkischen Familie ist, schulisch nicht so sehr beansprucht werden darf, weil der Vater mit einer einfachen Ausbildung ein guter Familienvorstand ist, dann ist das ein Problem für unsere gesamte Gesellschaft. Schließlich ist Deutschland auf dem Weg in eine Wissensgesellschaft.

Drittens: Ausbildung ausländischer Mädchen. Genauso schwerwiegend ist, dass in vielen dieser Familien die Meinung vorherrscht, die Mädchen brauchen keine gute Aus

bildung, da sie sowieso heiraten. Ich hoffe, dass wir soviel Überzeugungskraft leisten können, dass eine türkische Familie auf ihre Tochter, die als Ärztin arbeitet, genauso stolz ist wie über eine erfolgreiche Ausbildung ihres Sohnes als Schlosser. Dieses, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nur ein kleiner Ausschnitt von Problemen mit unseren türkischen Mitbürgern. Probleme, die man aus welchem Grund auch immer nicht anspricht, können auch nicht gelöst werden.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren – und damit meine ich alle im Parlament und im Senat sowie ganz besonders die Medienvertreter –, ich habe Wilhelmsburg und die Zukunftskonferenz als Beispiel genannt, um Ihre Aufmerksamkeit auf die Probleme in den Hamburger Stadtteilen zu lenken, in denen die Verhältnisse vergleichbar sind. Sollte es uns nicht gelingen, die Probleme dieser Hamburger Stadtteile in den nächsten Jahren zu lösen, könnten sie zu einem Pulverfass für ganz Hamburg werden und alle schönen Pläne für die wachsende Stadt und für Hamburg zunichte machen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP)

Das Wort bekommt die Abgeordnete Möller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Silberbach, Ihre Koalitionspartner, die CDU und die FDP, haben eigentlich gar nicht geklatscht bei Ihrer Rede.

(Zuruf von der Partei Rechtsstaatlicher Offensive: Sie haben nicht aufgepasst!)

Zum Schluss anstandshalber. Herr Winkler, ich glaube, Sie sind gar nicht in der CDU oder wie war das?

(Zuruf von Hartmut Engels CDU)

Ja, Sie haben immer mal geklatscht, Herr Engels, das stimmt. Ich habe vielleicht andere Leute beobachtet. Herr Stehr hat ein etwas anderes Bild des Stadtteils aufgezeigt und das kommt, glaube ich, der Wirklichkeit etwas näher.

Was Herr Silberbach hier macht, haben wir nicht zum ersten Mal gehört. Es ist wahrscheinlich doch immer das Bedürfnis, über etwas zu reden, was man so empfindet wie Sie und was man auch im Wahlkampf durch Sie immer wieder zu hören bekommt, wenn man es selber nicht schafft, über den eigenen Tellerrand hinwegzugucken.

(Beifall bei der GAL und der SPD)

Sie sind auch derjenige gewesen, der auf dem Abschlusstreffen der Zukunftskonferenz gesagt hat, es gebe Stadtteile, die man einfach nicht mehr retten könne, denen sei nicht mehr zu helfen. Das ist eine Unverschämtheit gegenüber dem Bezirk, gegenüber den Quartieren, die Sie als Problemquartiere ansehen und sie so benennen, wie ich das niemals wiederholen möchte. Sie geben etwas auf, wo Sie noch nicht einmal versucht haben, etwas zu verändern.