Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung. Ohne die Ergebnisse der Zukunftskonferenz abwerten zu wollen, ist eine gewisse Asymmetrie unverkennbar. Die Bedürfnisse der Wirtschaft, der Hafenwirtschaft, des Containerumschlags und des überregionalen Verkehrs finden sich nur sehr spärlich wieder. Lassen Sie deshalb die Bezirke, die Fachbehörden und uns in Ruhe mit der Prüfung und der Umsetzung fortfahren. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Wehnert, ich habe genau zugehört. Sie haben wirklich gesagt, seit März gibt es das Weißbuch und der Senat handelt immer noch nicht. Die Probleme von Wilhelmsburg sind seit Jahrzehnten bekannt und der Senat hat in dieser ganzen Zeit nicht gehandelt. Jetzt erwarten Sie vom Senat, er soll in sechs Monaten handeln.
(Beifall bei der Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der CDU und der FDP – Barbara Duden SPD: Und Sie auch!)
Konferenzen, Arbeitsgruppen und Ähnliches setzt man in der Politik meistens ein, wenn spektakuläre Ereignisse dazu führen, dass Probleme nicht mehr verschwiegen werden können.
Wenn Wahlen bevorstehen, wie es im Jahre 2001 der Fall war, wird diese Praxis noch dadurch beflügelt. Dies war auch der Grund, warum die Zukunftskonferenz Wilhelmsburg ins Leben gerufen wurde. Der Auslöser für diese Zukunftskonferenz war der grausame Tod des kleinen türkischen Jungen, der durch einen Kampfhund getötet wurde, und der Doppelmord im gleichen Wohnviertel.
Die Probleme des Stadtteils Wilhelmsburg waren aber schon lange vorher bekannt, nur war die verantwortliche Politik nicht bereit, dieses wahrzunehmen. Ich werde Ihnen jetzt erläutern, wie die Probleme in Wilhelmsburg entstanden sind, damit erstens aus den Fehlern gelernt wird und zweitens entsprechende Maßnahmen verhindern, dass noch mehr Deutsche und integrationswillige ausländische Mitbürger aus Wilhelmsburg wegziehen. Die Punkte, die ich nennen werde, treffen auch auf viele andere Hamburger Stadtteile zu, die vergleichbare Probleme haben. Wie sind die Schwierigkeiten in Wilhelmsburg entstanden?
Alte und heruntergekommene Wohnquartiere in Neuhof und der Neubau der Köhlbrandbrücke waren der Grund, dass die deutschen Bürger hier aus- und die ausländischen Mitbürger in die leer stehenden Wohnungen eingezogen sind. Das setzte sich schließlich Straßenzug um Straßenzug im Wilhelmsburger Reiherstieg fort. Auch in den modernisierten Wohnungen veränderten sich die Wohnbelegungen, weil deutsche Bürger, die Arbeit und wenig Kinder hatten, durch das Raster für die sozialgebundenen Wohnungen fielen. Die Folge war, ob sie wollten oder nicht, sie mussten sich außerhalb Wilhelmsburgs eine andere Wohnung suchen.
Zusätzlich zogen die sozialen Aufsteiger überwiegend in das Hamburger Umland, weil in Wilhelmsburg fast keine Baugrundstücke zur Verfügung gestellt wurden. Diese Entwicklung setzt sich heute leider fort, wenn auch zum Teil aus anderen Gründen.
Im alten Reiherstieg-Viertel leben heute in einigen Wohnquartieren bis zu 80 Prozent Bürger ausländischer Herkunft mit überwiegend türkischer Nationalität, die soziokulturell so weiterleben möchten, wie sie es von ihrer Heimat gewohnt sind, und dieses ist nicht die moderne Türkei der Großstädte.
Diese ausländischen Mitbürger kommen überwiegend aus Gebieten, die in der Zeit vor Atatürk stehen geblieben sind. Auf dieses Thema gehe ich aber noch gesondert ein.
Heute kann jeder Deutsche oder auch integrationswillige ausländische Mitbürger eine Wohnung in Wilhelmsburg bekommen, doch keiner will sie in den genannten Gebieten haben. Dieses trifft auch auf die angrenzenden Gebiete zu, wo die Mischung deutscher und ausländischer Mitbürger noch stimmt. Aber die Angst besteht, dass in ein paar Jahren die Verhältnisse genauso sind wie ein paar Straßenzüge weiter.
In den Schulen sind die Schüler deutscher Herkunft in der Minderheit. In einigen Klassen gibt es noch fünf oder sechs Kinder deutscher Herkunft. Wer soll da noch wen integrieren? Viele Deutsche und integrationswillige ausländische Mitbürger versuchen deshalb, ihre Kinder in den so genannten Schulfluchtburgen unterzubringen.
Das ist beispielweise die Schule Stübenhofer Weg, wo das Verhältnis Deutsche–Ausländer noch einigermaßen stimmt.
Es werden alle Tricks angewendet, um die Kinder in diese Schule zu bekommen. Die Kinder werden in schulnahen Kindergärten oder bei Tagesmüttern untergebracht, um in das Einzugsgebiet der Schule zu gelangen. Dafür werden auch weite Wege in Kauf genommen.
Als weitere Möglichkeit wird die Katholische Schule genutzt, wobei auch evangelische Eltern versuchen, ihre Kinder dort unterzubringen.
Warum ist diese Schule so attraktiv? Nicht weil dort weniger ausländische Kinder unterrichtet werden. Auch in diesen Klassen sind bis zu 60 Prozent Kinder ausländischer Herkunft,
sondern weil sie alle aus einem Kulturkreis kommen. Das Gymnasium wird ebenfalls als Möglichkeit genutzt. Hier bleiben aber nach der sechsten Klasse nur noch die Leistungsträger übrig.
Die Schulsituation in Wilhelmsburg veranlasst viele Eltern, diesen Stadtteil zu verlassen und in das Umland umzuziehen, bevor ihre Kinder eingeschult werden. Das sind insbesondere die Familien, die für die Stabilität des Stadtteils Wilhelmsburg notwendig wären.
Das, meine Damen und Herren, sind die wichtigsten Ursachen für die wachsenden Probleme in Wilhelmsburg,
Für mich war erstaunlich, dass diese für Wilhelmsburg wichtigsten Themen bei den Ergebnissen der Zukunftskonferenz nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.
Um mir dieses zu erklären, habe ich einmal die Anwesenheitsliste aller Arbeitsgruppensitzungen angesehen
und musste zu meinem Erstaunen feststellen, dass nicht in einer Arbeitsgruppensitzung die in Wilhelmsburg wohnenden Teilnehmer die Mehrheit hatten. Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass die wenigen heimatlosen Linken in Wilhelmsburg, denen man in jeder Initiative begegnet, zu 100 Prozent in den Arbeitsgruppen wiederzufinden waren.
Umso mehr danke ich den Wilhelmsburger Männern und Frauen, die sich mit viel Engagement eingebracht und versucht haben, für ihren Stadtteil das Beste herauszuholen, auch wenn zum Beispiel das gesamte verkehrspolitische Programm der Bundesgrünen und der GAL im Weißbuch wiederzufinden ist. In dem Weißbuch sind viele utopische Forderungen, aber auch überlegenswerte Vorschläge vorhanden, die mit dem Beirat Wilhelmsburg und den politischen Gremien vor Ort mit Unterstützung des Senats umgesetzt werden könnten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wilhelmsburg ist nur einer von vielen Hamburger Stadtteilen, in denen eine vergleichbare negative Entwicklung zu beobachten ist: nachteilige Veränderungen der Bevölkerungsstruktur, falsche Belegungspolitik bei den Sozialwohnungen, Schulklassen, in denen deutsch sprechende Kinder in der Minderheit sind, und soziale Entmischung – und das mit steigender Tendenz. Ich möchte mit Billstedt, Horn, HammSüd, St. Pauli, St. Georg, Ottensen, Altona-Altstadt oder Phoenix-Viertel Harburg nur einige nennen. Im Ganzen sind es rund 25 Prozent der Hamburger Stadtteile, die die Last für ganz Hamburg zu tragen haben.
Wilhelmsburg trat nur in den Blickpunkt der Öffentlichkeit durch die schrecklichen Ereignisse, die ich zu Beginn erwähnt habe. Aber so etwas hätte auch in jedem anderen vergleichbaren Stadtteil stattfinden können.
Durch derart schreckliche Dinge treten dann die Lebensumstände und das soziale Umfeld deutlich zutage. Aber, meine Damen und Herren, diejenigen, die in der Vergangenheit die Regierungsverantwortung hatten, haben die Probleme in den Stadtteilen, die zu sozialen Brennpunkten geworden sind oder kurz davor stehen, nicht gesehen oder – was noch schlimmer ist – sie wollten sie nicht sehen;